Das Flottenmanöver in der Danziger Bucht
Die Flottenmanöver in der Danziger Bucht.
Unsere Marine hat sich daran gewöhnt, allsommerlich für ihre Kriegsübungen die Danziger Bucht als ihr bevorzugtes Terrain zu wählen. Freilich mögen militärische Erwägungen in erster Reihe bestimmend hierfür sein; denn die malerische Strandgliederung der Bucht umschließt mit der frischen Nehrung ein ruhiges und gesichertes Seebecken, und ihre Küste selbst ist hervorragend zur Ausführung von Landungsmänövern geeignet, welche im Programme der Sommercampagne unserer Marine in letzter Zeit eine sehr bevorzugte Rolle spielen. Die alte Hansestadt Danzig aber faßt die alljährliche Wiederkehr der Flotte gern als selbstverständliche Forderung auf, denn an den Ufern der Weichsel wurzelt die gegenwärtige Größe unserer Seemacht am tiefsten, und nirgends sind die Sympathien für das vaterländische Seekriegswesen so große und aufrichtige, als bei den Bewohnern der altehrwürdigen Weichselstadt.
In größerer Stärke und zahlreicher an Masten denn je war die deutsche Flotte in diesem Jahre auf ihrem Ankerplatze erschienen. Die untenstehende Skizze zeigt die lange Front, in welcher die Flotte vor dem Seebade Zoppot ankerte. Wir sehen auf dem linken Flügel die Schulschiffe mit den Torpedobooten, die Mitte vom Prinzenschiffe „Hansa“ in der Begleitung der Corvette „Sophie“ eingenommen, und sodann nach dem rechten Flügel zu die formidablen Gruppen der beiden anderen Geschwaderdivisionen, die Panzerkanonenboote und Panzercorvetten, sich trotzig ausbreiten.
Der Chef der Admiralität hatte mit großer Suite im Curhause Wohnung genommen, während die Prinzen die Salons der „Hansa“ als dauernden Wohnsitz behielten. Alle Befehle wurden der Flotte von dem Marineminister von Caprivi durch eine Signalstation ertheilt, die am Strande vor dem Curhause etablirt war. Die Befehle der Signalstation richteten sich zumeist an das Flaggschiff des Panzergeschwaders, und von diesem wurden dieselben, sofern sie noch für andere Schiffe maßgebend waren, weiter signalisirt.
Von der ganzen Flotte nahm das größte Interesse des Publicums dauernd die Gruppe der Panzercorvetten in Anspruch; wenn die Schiffe zum Abend von den Uebungsfahrten auf ihren Ankerplatz zurückkehrten, waren diese gewaltigsten Panzer unserer Marine das beliebteste Ziel der zahllosen Besucher, die alltäglich in Schaaren vom Zoppoter Steg oder auf ganzen Flotten von Weichseldampfern aus der Stadt zum Besuche in See aufbrachen. Im tiefschwarzen Gewand, die muskulösen Glieder von einem gewaltigen Panzer im Mittelschiff bedeckt, ruhten die wehrhaften Fahrzeuge schwer und trotzig zwischen den anderen Schiffen, ohne daß sich aus dem massigen Rumpf spielend die pyramidale Takelung eines dreigetheilten Mastenbaues erhob und die schneeige Fülle einer reichen Segellage entfaltete, die selbst einem Kriegsschiffe etwas Anmuthiges und Zierliches zu leihen vermag. Nur wenig aus dem Wasser ragend, aber um den großen mit vier 26 Centimeter-Ringgeschützen schwer gerüsteten Mittelthurm und die vier gewaltigen Schlote ein Gewirr von Platten und Ketten als mächtigen Schutz häufend, glichen diese Corvetten mehr schwimmenden Citadellen, und in ihrem finsteren und starren Angesicht schien sich nur ein Sinn für Kampf und Vernichtung auszuprägen.
Eine Skizze unseres Specialzeichners stellt das Flaggschiff des Geschwaders, eines dieser vier mächtigen Schwesterschiffe, die Corvette „Baden“ dar, auf welcher der Chef des Geschwaders, Contre-Admiral Graf von Monts, die Flotte befehligte. Als Zeichen dieser besonderen Würde führte die „Baden“ im Top ihres Signalmastes die Flagge des Chefs. Aber auch die kleineren Fahrzeuge, wie die Brigg der Schiffsjungen, die Torpedoboote und die für den Kampf auf geringe Entfernung bestimmten, im Mars der Kriegsschiffe aufgestellten Revolvergeschütze (vergl. unsere Anfangsvignette) nahmen das allgemeine Interesse lebhaft in Anspruch.
Von dem Programm der Uebungen war besonders ein großes und breit angelegtes Landungsmanöver, für welches die Zoppot benachbarten Höhen von Steinberg und Arhöft nebst dem zwischen ihnen liegenden Strandthale mit dem Dörfchen Gdingen als Gefechtsterrain gewählt wurden, dazu geeignet, ganz Danzig und eine weite Umgebung in Alarm zu bringen.
Eine diesem Manöver zu Grunde gelegte Gefechtsidee hatte angenommen, daß Danzig von einer feindlichen Armee cernirt war und daß der Feind auch bereits den Hafen Neufahrwasser mit zwei Schiffen besetzt hielt. Bei Hela, auf der gegenüberliegenden Landspitze, war zur Observation von ihm ein Avisoschiff postirt worden. Um einen Transport von Ersatztruppen zu landen, welche einen Vorstoß gegen die Belagerungsarmee unternehmen sollten, war eine Flotte deutscher Schiffe gegen die Danziger Bucht vorgerückt. Diese Flotte war von dem postirten Avisoschiffe so rechtzeitig gemeldet worden, daß der Feind Zeit genug behalten hatte, eine Infanteriebrigade nebst einer Avantgarde nach dem drei Meilen unterhalb Danzig belegenen Strande von Gdingen zu dirigiren und diesen besetzt zu halten, als die Flotte in Staffelformation gegen die Küste herangedampft war und das Feuer auf 800 Meter Distance Morgens um neun Uhr eröffnete. Es war ein prächtiger Tag. Die Bucht prangte unter dem sonnigen Himmel wie ein lachendes Bild. Von den Höhen des Ufers verband sich das dunkle Grün der Waldungen mit dem goldenen Fruchtsegen der Saatfelder zum wohlthuendsten Contraste, und während die grünen Wogen in der blendenden Einfassung des Strandes flutheten, grüßten die weißen Façaden der Villen freundlich aus dem Blüthenflor herüber, der aus hundert Gärten zum Meere quoll.
Das Signal „Klar zum Gefecht“ war vom Flaggschiff gegeben und mit Trompete und Trommel zum Zeichen des Verständnisses auf allen Schiffen wiederholt worden. Die Verdecke hatten auf Momente ein Durcheinander von Regsamkeit gezeigt, aber eine waffenblitzende Gefechtsbereitschaft war daraus überall ebenso schnell entstanden. Die Geschütze waren ausgerannt, alle Waffen an Deck und die Munition in die Batterien gemannt. Ein Theil der Mannschaften hatte mit aufgestreiften Aermeln die Nummern an den Geschützen eingenommen, ein anderer wurde mit feldmarschmäßiger Ausrüstung auf Oberdeck zu den Expeditionscorps abgetheilt, welche sich in die Boote zur Landung einschiffen sollten. Die ganze Flotte war inzwischen im großen Halbkreise vor Anker gegangen und hatte die Kanonade auf den Strand nachdrücklich fortgesetzt. Es war gelungen, den Feind zur Retraite aus seinen Stellungen am Strande zu zwingen.
Am Maste des Flaggschiffes entfaltete sich zum Signal ein neues Flaggenspiel. Eine fieberhafte Thätigkeit begann sich von Neuem auf allen Schiffen zu regen. Unaufhörliche Signale mit Flaggen und Sirenen wechselten jetzt mit Commandos und Befehlen ab. Wie mit einem Zauberschlage entstand jedoch aus diesem abermaligen Durcheinander hurtigen [519] Hantirens Tausender von nervigen Arnlen aus der leicht bewegten Meeresstäche zu Seiten der verankerten Schiffsfront plötzlich eine geordnete lange Linie von Booten, die, nlit Besatzungen, Ge- schützen und Handwasten gefüllt, sich mit weitausgreifenden Ruder- schlügen ullter Deckung der uuaufhörlich feuerudell Schistsbatterien schnell dem Strallde näherte. Die Boote wnrden mit elnigen letzten krüstlcheil Rnderschlügen allf den Sand gerlldert, die Masten als Lanshrücken benützt, die Landungsgeschütze üder Plallkell an Land gemannt, Fangleinell wnrden ansgeschrrert rlnd all diese die Boote festgelegt.
Die Aufnahme unseres Zeichners, der in einer Gig der „Grille“ den Booten an Land gefolgt war, veranschaulicht diesen Moment des Gefechts. Die Bootsbesatzungen traten schiffsweise zusammen und ordneten sich schnell zum Gros und zur Avantgarde, während das Sanitätspersonal unter Leitung des Chefarztes einen Verbandsplatz etablirte, das Rothe Kreuz darüber hißte und Krankenträger dem Expeditionscorps nachsandte.
Der Feind hatte in Folge des schweren Artillerie-Angriffs der Flotte, mit welchem die Küste unausgesetzt unter Feuer behalten wurde, seine Stellungen am Ufer bereits gänzlich geräumt und sich bis auf das Dorf Gdingen hinter starke Deckungen zurückziehen müssen. Hier aber erwartete er nun den Angriff des Landungscorps, welches im Eilschritt unter brütender Sonne durch das sandige Terrain sich zum Sturm anschickte. Das sich nunmehr entwickelnde hartnäckige Gefecht entschied sich nach langem Hin- und Herschwanken zu Gunsten der Angreifer; Gdingen wurde nach einer einstündigen braven Vertheidigung von den Matrosen mit hallenden Hurrahs genommen. Die Landung der imaginären Truppen mit Transportschiffen, welche im Gefolge der Flotte zu denken waren, zum Zweck eines Vormarsches gegen Danzig, und der Unterstützung eines gleichzeitigen Ausfalls der Besatzung, konnte damit als möglich und somit der Erfolg des Manövers als ein vollständiger betrachtet werden. Das an den schönsten Effecten reiche Kriegsspiel hatte ein mächtiges Spalier von Neugierigen heran gezogen, und es war für die Zuschauer ein prachtvolles Bild, wie die Uniformen der Seesoldaten gemischt mit den Blaujacken der Matrosen die steilen Hänge des Ufers erklommen, wie die Bootsgeschütze, von den kräftigen, wettergebräunten Seeleuten selbst gezogen, trotz Dünen und aller Uferhöhen mit unwiderstehlichen Kräften im Sturmlauf gefördert wurden, und hinter den vorgehenden Cameraden die Krankenträger mit Tragbahren und ihrem Verbandzeuge ihres Amtes walteten. Mit dem Admiralitätschef hatten sich die Prinzen Wilhelm und Heinrich von der Flotte an Land ausschiffen lassen, und Prinz Wilhelm nahm zum Schluß noch eine Parade, welche die Capelle des Geschwaders begleitete, über das ganze circa 2000 Mann starke Landungscorps auf dem Gefechtsfelde ab.
Dieses Landungsmanöver der Flotte blieb der Höhepunkt der kriegerischen Unternehmungen auf der Bucht.
Aus dem Programm der Manöver dürfte indessen noch manche andere Nummer besonders zu erwähnen sein. So z. B. eine Race aller Boote der Flotte auf der Rhede von Zoppot. Ein von den Schiffen geschlossenes Rechteck war der Schauplatz, wo die im häufigen Kampfe mit den Elementen erhärteten Männer im belustigenden Spiele ihre erprobten Eigenschaften verwertheten. Leider schloß sich diesem beliebten „Wettpullen“ nicht jener originelle Mummenschanz an, in welchem unsere Matrosen so gern sich mit der freien, sonst nur einem Kinde eigenthümlichen Lust ergehen, wie er vor mehreren Jahren einmal im Geschwader äußerst gelungen der Bootsragatta unserer Blaujacken zur anziehendsten Staffage diente. Da hatten der Südsee ferne Inseln ihre Völker hergesandt und selbst eine Cohorte von Kanaken, die nur kanakisch sprachen und schwatzten, zeigte ihre Künste. Fritz Käpernick lief als Scheuerprahm den Dauerlauf, Nudelmüller tummelte sich mit einer Schaar Delphine herum, auf deren größtem Neptun gravitätisch mit seinem Dreizacke thronte, und selbst ein Kameel schwamm mit einem Wüstenreiter trotzig in den Fluthen der Ostsee. Ein solches buntes Spiel, in welchem sich immer noch ein großer Rest des Altromantischen im Seemannsleben zeigen kann, fehlte zwar als hübscher Rahmen dem diesjährigen Sport; dennoch aber wurde allerseits die Race als ein gelungenes Fest der Flotte gefeiert. Leider blieb die Trauer um den Tod des holländischen Thronfolgers für die Prinzen ein Hinderungsgrund, sich an den Festllchkeiten zu betheiligen, welche das Seebad Zoppot zu Ehren der Flotte beabsichtigt hatte. So wurde am Lande nichts aus den vielen schönen Plänen, in welchen sich besonders die Damenwelt die Glanzpunkte der Flottenmanöver gedacht hatte, und so schwanden denn schließlich auch die Aussichten dafür, daß unter der Flagge Sr. Majestät das Achterdeck des Geschwaderflaggschiffs zu verlockenden Walzerklängen ein Kranz anmuthig zu schauender Menschenblumen schmücken würde. Dies blieb vielleicht der größte Kummer, denn trotz der stetigen Treibhaustemperatur soll das Sesam schöner Träume nach diesem Ziele das schöne Geschlecht von Zoppot schon wochenlang vorher in Alarm gehalten haben.
Die letzten Tage der Manöver übten noch mit den Schießübungen eine große Anziehungskraft aus. Dieselben wurden gegen schwimmende Scheiben, wie unsere Skizze dies zeigt, von den Schiffen vorgenommen. Die Scheiben schwammen auf Holzflößen, trugen die Bemalung von Stückpforten und wurden zum Theil von Dampfbarkassen an langen Trossen durch die See an den Schiffen vorübergeschleppt.
Bis zur Beendigung der Uebungen blieb die Rhede vor Zoppot der ständige Ankerplatz der ganzen Flotte. Hatte sich dann das nächtliche Dunkel auf das Meer herabgelassen und deuteten von ferne nur noch die ausgesteckten Nachtlichter die ruhenden Seeriesen an, so geschah es fast täglich, daß die See wie zum Abschiede von dem noch stark besetzten Badestrand sich mit dem Widerschein der Lichtwellen belebte, welche aus den elektrischen Apparaten der Flotte über den Wasserspiegel mit den überraschendsten Effecten flutheten und die Schiffe selbst aus dem Dunkel wie in einer
glänzenden Illumination hervortreten ließen.