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Das Dienstmann-Institut

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Textdaten
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Titel: Das Dienstmann-Institut
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aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 715–718
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
vgl. Vom Jubelfest der Berliner Dienstmannschaft, 1886
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Das Dienstmann-Institut.

Wir lenken heute die Aufmerksamkeit unserer Leser einem der neuesten Institute zu, das wir als einen bedeutenden Fortschritt in der sich immer mehr vervollkommnenden Organisation des großen Verkehrswesens begrüßen müssen: das Dienstmann-Institut.

Um den Segen einer Einrichtung recht zu würdigen, muß man sie genossen haben und dann plötzlich wieder entbehren. Die Dienstmann-Institute lassen diese Probe noch zu, da von den 3500 deutschen Städten noch lange nicht 200 sich ihrer Einführung erfreuen. Der Geschäftsmann, der aus einer Stadt mit einem wohlgeleiteten derartigen Institut in eine Stadt ohne ein solches kommt, empfindet annähernd das Gefühl, das über uns Alle hereinbrechen würde, wenn plötzlich alle Eisenbahnen und Telegraphen wieder verschwunden wären und alle alten Landkutschen und Postwagen, Frachtkarren und Staffetenreiter wieder in Bewegung gesetzt werden müßten. Und wer abseits von Bahnschienen und Telegraphendrähten wohnt, der denke sich den Zustand, wenn plötzlich Alles, was Glas ist, davon wäre, aus Schränken, Küchen und Fenstern, dann wird auch ihm das richtige betreffende Entbehrungsgefühl klar werden.

Allerdings vorzugsweise für große, volk- und betriebreiche Städte eine Wohlthat der neuern Zeit, haben diese Dienstmanns- oder Packträger-Institute nach mehr als einer Richtung zugleich eine volkswirtschaftliche Bedeutung. Wer an die ehemaligen selbstständigen Lohnboten, Kärrner, Schiebeböcker und Eckensteher zurückdenkt, wird zugeben müssen, daß die Art von Freiheit der Bewegung, welche zwischen ihnen und dem Publicum statt hatte, weder für dieses, noch für jene ersprießlich war. Es wurde zwischen beiden ein fortwährender Kleinkrieg geführt, der auf gegenseitige Ueberlistung, Ueberrumpelung, Uebervortheilung hinzielte. Dem Publicum war keinerlei Garantie für die Zuverlässigkeit solcher Diener geboten, und letztere selbst entbehrten ebenso die bestimmte Aussicht auf regelmäßigen Erwerb. Von dort drückte das Mißtrauen auf eine ganze große Classe von Arbeitern, und in diesen setzte sich eine Gehässigkeit gegen jeden bessern Rock fest und bildete sich eine renommistische Verachtung jedes Besitzes aus. „Wie gewonnen, so zerronnen“ – „Von der Hand in den Mund“ – das waren Lebensregeln in dem Kreise.

Unter diesen Verhältnissen litt der momentane Arbeitgeber so sehr, wie der momentane Arbeiter. Uebereinstimmend war nur, daß man gegenseitig sobald als möglich von einander loszukommen suchte. Jener trug lieber eine schwerere Kostenlast, wenn nur der Auftrag vollzogen war, und was hatte dieser für Vortheil von dem einzelnen höher erschwindelten Preis? Fragt die Destillationen, fragt die dickhälsigen „Carolinen“ in der Tasche des dienstbaren Mannes. Bis zu dem Geldbeutelchen eines Familienschreins, oder bis zur Hausfrau ist in der Regel blitzwenig davon gekommen.

So mochte das Bedürfniß Jahre lang nach einer Form geforscht haben, wie dieser täglich drückenderen Verkehrsnoth abzuhelfen sei. Einen Anfang zu einer Besserung erkennt man zuerst an Orten von bedeutendem Fremdenzusammenfluß; dort hat man wenigstens das Führerwesen obrigkeitlich zu ordnen und zu überwachen angefangen, um die Fremden vor Unverschämtheiten und Uebervortheilungen der Straßenspeculation zu wahren. Der große Geschäftsverkehr entzog sich jedoch absichtlich der obrigkeitlichen Fürsorge und litt lieber noch länger am alten Uebel, bis endlich die rechte Form auf anderen Lebensgebieten hervortrat und nun auch für unsern betreffenden Fall angewendet werden konnte.

Es mußte nämlich erst der große Wurf gelingen, sogar in Deutschland der Anschauung Anhang zu verschaffen, daß mit vereinten Kräften mehr auszurichten sei, als die einzelne Kraft leisten könne. Englands sprechende Beispiele brachten endlich auch bei uns die Association zu Ehren, und als eines ihrer gelungensten Kinder trat das erste Dienstmann-Institut in’s Leben, das folgenden grundsätzlichen Einrichtungen huldigte: 1. fester, bestimmter Lohn für die Arbeiter, 2. gute, nicht allzustrenge, aber ein richtiges Maß von Disciplin schaffende Instructionen, 3. ein fester, jede Willkür abschneidender Tarif, und 4. unbedingt festzuhaltende Controle durch sogenannte Garantiemarken. Ein solches, unter ebenso energischer als redlicher Leitung stehendes Institut ist für den Verkehr in und außer dem Hause, wie bereits bemerkt, eine große, eine unschätzbare öffentliche Wohlthat.

Der Arbeitgeber wendet sich jetzt an den Arbeiter als an das Mitglied einer öffentlichen Verkehrsanstalt, kann daher von ihm verlangen, daß er streng nach Instruction und Tarif handle. Seine Aufträge werden pünktlich und zuverlässig besorgt, die Kosten sind der Arbeitsleistung entsprechend festgestellt und nicht wie früher der Willkür des Einzelnen überlassen. Uebertritt der Dienstmann seine Instruction oder läßt er sich sonst ein Vergehen zu Schulden kommen, so erfolgt eine ernste Rüge, nach Befinden Entlassung; kurz der Auftraggeber weiß, er hat in dem Dienstmann einen Arbeiter vor sich, dem er Alles anvertrauen kann, denn selbst in dem Falle, daß er in irgend einer Beziehung durch einen Dienstmann zu Schaden gekommen sei, bürgt die sicherste Garantie für den Verlust.

Daß durch solche Institute der Verkehr erleichtert und in Folge dessen auch gehoben wird, wer sollte das leugnen? Ein billiger, jede Eigenmächtigkeit ausschließender Tarif macht den Dienstmann überall und zu jeder Zeit zum gesuchtesten Arbeiter; er schafft ihm allerwegen Beschäftigung und viele neue Arbeit, die es früher gar nicht für ihn gab. Der Dienstmann ist ein unentbehrlicher Helfer bei allen möglichen Bedürfnissen; er ist Bote, Aufwärter, Transporteur, Krankenwärter, Billeteur, Kutscher, Feuerlöschgehülfe etc.; er ist, wenn es sein muß, der zarteste postillon d’amour; im eleganten Uniformfrack dient er als Tafelgehülfe, Diener, Kellner, Portier etc.; er trägt nicht blos Holz und Kohlen, sondern sagt uns auch, ob die empfangene und bezahlte Waare richtig gemessen war; kurz er führt jeden ehrbaren Auftrag schnell, billig und sicher aus, ist ein steter Helfer und Unterstützer in allen möglichen Geschäften und Vorkommnissen des täglichen Lebens, bei Tag wie bei Nacht zu allerlei schweren oder leichten Dienstleistungen bereit und somit für Alle und Jeden, für Private und Behörden das personificirte, unentbehrliche perpetuum mobile des öffentlichen Verkehrs.

Solcher Weise bieten die Dienstmann-Institute für Arbeiter, Arbeitgeber und den Verkehr im Allgemeinen die unschätzbarsten Vortheile und sind demnach in socialer wie in volkswirtschaftlicher Beziehung von größter Bedeutung.

Das Verdienst der ersten Begründung eins solchen Instituts gebührt dem Bromberger Kaufmann Eduard Berger, der leider durch frühen Tod ereilt ward und die Früchte seines schaffenden Geistes nicht reifen sah. Seitdem sind fast in allen größeren Städten Deutschlands solche Institute entstanden. Als eins der vorzüglichsten Dienstmann-Institute, welches wegen seiner eben so das Wohl der Arbeiter bezweckenden Thätigkeit, wie die mancherlei Bedürfnisse des öffentlichen Verkehrs in umfassendster Weise befriedigenden

[716]

Revue und Hauptinspection über die Mannschaften und Geräthe des Dienstmann-Instituts in Dresden.

[718] Wirksamkeit mit Recht eine Musteranstalt genannt zu werden verdient, müssen wir das erste Dresdner (sogen. rothe) Dienstmann-Institut hervorheben. Vor zwei Jahren (am 15. September 1861) von dem Kaufmann Eduard Geucke und dem Buchhändler Julius Heinze in’s Leben gerufen, welche Beide, durch ihre sonstigen Geschäfte keineswegs darauf angewiesen, dem Unternehmen in höchst uneigennütziger Weise vorstehen und es in wahrhaft gemeinnützigem Sinne leiten, hat es sich durch seine vortrefflichen Einrichtungen bereits über Deutschlands Grenzen hinaus einen wohlbegründeten Ruf erworben. Mit 50 Mann eröffnet, schafft es heute bereits 300 unbemittelten Arbeitern Brod und Verdienst, und mit ihnen haben noch 25 Inspectoren, Comptoiristen, Aufseher etc. eine einträgliche und gesicherte Stellung erhalten. Es dürfte kaum ein zweites Dienstmann-Institut in Deutschland eine so bedeutende Anzahl Arbeiter beschäftigen und sich solchen Aufschwunges zu erfreuen haben! Es war und ist aber auch nichts Leichtes, den großen Betrieb zu organisiren, zu überwachen, in Gang und Ordnung zu erhalten. Es müssen Tausende an eine Sache gewendet werden, bei der das Resultat keineswegs im Voraus zu berechnen, die Rentabilität vielmehr nächst der Betriebsamkeit der Arbeiter von den Verkehrsverhältnissen im Allgemeinen, ja selbst von der Witterung und einer Reihe von andern Zufälligkeiten abhängig ist.

Das 1. Dresdner Dienstmann-Institut weist gegenwärtig einen Mobiliarbestand an Wagen, Karren und sonstigen Geräthen aller Art, Sommer- und Winterkleidung, Montirungsstücken u. s. w. von über zehntausend Thaler auf; die Abnutzung und Erneuerung namentlich der letzteren erfordert jährlich ansehnliche Summen. Der Bedarf an Löhnen für die Mannschaft und das übrige Personal stellt sich jetzt monatlich auf 3500 Thaler und erreicht im Jahre die immense Ziffer von über 40,000 Thalern.

Rechnet man hierzu die Ausgaben für Reparaturen, Miethzinsen für 11 Comptoire und Remisen, die Herstellung der Marken (von welchen die 300 Dienstmänner täglich 7000, jährlich aber 2,555,000 zum Verbrauch erhalten und die allein einen Aufwand von über 1000 Thlr. verursachen), sonstige Druckkosten und Inserate, so wie alle weiteren Geschäftsspesen, so müssen jährlich über 50,000 Thaler, täglich gegen 150 Thlr. eingenommen werden, ehe nur von einem Ueberschuß, von einem Gewinn für die Unternehmer die Rede sein kann. Fürwahr, es liegt denselben kein Geringes ob, und große Umsicht, Energie und Ausdauer gehören dazu, das Getriebe des vielseitigen Geschäfts im Umgange mit so vielen verschiedenartigen Charakteren unter den Arbeitern und bei den mannigfachen Unannehmlichkeiten, wie sie zweifelsohne bei einem Verkehr mit täglich Tausenden im Publicum vorkommen, im rechten Gleise zu erhalten. Den schönsten Lohn für ihre Mühen erhält die Direction des Instituts durch die Liebe und Anhänglichkeit ihrer Untergebenen. Diese haben die ihnen geschaffenen Wohlthaten, die moralische und materielle Hebung ihres Standes kennen und schätzen gelernt. In jeder Weise ist für sie gesorgt. Nächst vollständiger Kleidung, die ebenso zweckmäßig als anständig ist, und freier Benutzung aller Geräthe, gewährt ihnen das Institut durch festen Lohn eine vollkommen gesicherte, von der Jahreszeit unabhängige Stellung; eine Krankencasse bietet ihnen in Krankheitsfällen täglichen Zuschuß, eine Pensionscasse, wenn sie dienstunfähig geworden, eine willkommene Unterstützung, für die jüngeren, unverheiratheten Mannschaften ist ein Casernirungssystem eingeführt, welches ihnen billigere und gesündere Wohnungen verschafft, und durch Errichtung eines Proviantmagazins wird nach Art der Consumvereine für gute und wohlfeile Nahrungsmittel gesorgt. Aber auch in anderer Weise ist des Arbeiters gedacht: in geselligen Zusammenkünften lernen sie sich unter einander genauer kennen und der Corporationsgeist wird gehoben; sie vergnügen sich in angemessener, fröhlcher Weise, wobei Jeder seine Fertigkeiten und Fähigkeiten zur Geltung bringen kann, und kleine Festlichkeiten, die die Mannschaft selbst oder die Direction veranstalten, nähren und kräftigen Herz und Seele und schaffen neue Lust zu neuem Tagewerk.

So bildet das Ganze ein einheitliches, harmonisches Zusammenwirken und gegenüber der Unzulänglichkeit früherer Zustände einen überzeugenden Beweis seiner Nützlichkeit. Das Dresdner 1. Dienstmann-Institut wirkt aber nicht allein dort mit großem Segen, es erstreckt seine Thätigkeit auch noch auf einige andere Städte Sachsens sowie Böhmens, in denen es Commanditen errichtete, und wohl die meisten neueren derartigen Unternehmungen sind nach seinem Muster erstanden, so auch das seit dem 15. September dieses Jahres in Leipzig bestehende neue Dienstmann-Institut. Auch bei diesem gilt die Abgabe von sogenannten Garantiemarken, welche jeder Dienstmann dem Auftraggeber je nach dem Kostenpreise der ausgeführten Dienstleistung einhändigen muß, als erster und wichtigster Grundsatz. Nur der Besitz dieser Marken begründet das Recht auf Ersatzpflichtigkeit in Schadenfällen, während sie zugleich als wirksames Controlmittel für die Unternehmer wie für das Publicum dienen. Der Dienstmann, der dem Auftraggeber keine Marke aushändigt, wird sofort seiner Stelle verlustig. Das Markensystem ist eigentlich der einzige sichere Boden, auf welchem die Solidität, die Dauer und der Ruf des Instituts beruht; denn es bildet die Grundlage für die unerläßliche Disciplin unter der Mannschaft, ohne welche selbst die besten Einrichtungen wirkungslos bleiben, und es ist daher ein durchaus übelangebrachter Beweis von Liberalität und ein beklagenswerther Indifferentismus, wenn die Auftraggeber selber die Annahme von Marken ausschlagen; sie bringen dadurch den Dienstmann unwillkürlich in Versuchung und verleiten ihn zu Betrügereien, welche, ob früher oder später, dennoch seine Bestrafung zur Folge haben.

Die beigefügte Illustration zeigt uns eine Revue und Hauptinspection, wie sie alljährlich einmal über die Mannschaften und Utensilien des 1. Dresdner Dienstmann-Institutes abgehalten wird. Die Dienstmänner in ihrer praktischen Kleidung, ihrem blank geputzten Lederzeug, wie nicht minder die elegant und gefällig gebauten Geräthschaften gewähren bei solchen Gelegenheiten einen stattlichen Anblick. Wir sehen nicht nur an der Mannschaft die Bekleidung für die verschiedenartigsten, schwersten wie leichtesten Dienstleistungen eingerichtet, vom lederschürzigen Packträger bis zum leichten Corps der Wichsiers, zu deutsch Stiefelwichser, sondern auch in den Transportgeräthen gipfelt es sich vom Korb und von der Tragbahre bis zum zwei- und vierräderigen Karren und bis zum Koloß von Möbelwagen aus. Dabei zeigt sich auch die Form der Karren und Wagen den verschiedenartigsten Verrichtungen entsprechend. Diese Sorgsamkeit nach jeder Bedarfsrichtung deutet auf eine Achtung vor dem Publicum hin, die dieses dem Institut und seinen Gründern und Leitern recht wohl in gleichem Maße erwidern darf.

Wir können nicht schließen, ohne auf die großen Vortheile hinzuweisen, die durch eine Verbindung der Dienstmann-Institute unter einander für den öffentlichen Verkehr erwachsen müßte. Wir möchten diesen Punkt als eine wichtige Frage für alle betreffenden Unternehmer aufgenommen wissen; vielleicht dient unser Artikel dazu, die Dienstmann-Institute zu einem weiteren Vorgehen im Interesse des Gemeinwohls anzuregen, und ihnen neue Bahnen für ihre nicht genug zu schätzende Wirksamkeit zu eröffnen.