Das Denkmal eines deutschen Patrioten
Von R. v. R.
Der 25. Mai dieses Jahres war ein Festtag für die Stadt Freiburg im Breisgau, ein Festtag für Baden, ein Tag von großer, für alle Gauen deutscher Erde hochwichtiger Bedeutung. An diesem Tage wurde nämlich das Denkmal des unsterblichen Geschichtsschreibers und unerschütterlich muthigen Volksvertreters Karl von Rotteck wieder aufgestellt in der Stadt, welche seine Wiege, welche Zeuge seiner großartigen Thätigkeit war. Ich sage „wieder aufgestellt“, denn, so unglaublich es vielleicht einst unsern Söhnen klingen wird, das schon im Jahre 1847 auf einem der öffentlichen Plätze Freiburgs errichtete Denkmal Rotteck’s wurde durch den damaligen Stadtdirector v. Uria im Juni 1851 nächtlicher Weile wider alles Recht im zelotischen Eifer blinder Reactionswuth heimlich abgebrochen, verstümmelt, zerstört! Daß dieses Denkmal heute in feierlicher Weise auf einem schöneren Platze wieder errichtet wurde, ist eine That der Sühne für jenen Act vandalischer Barbarei, es ist ein Sieg des Rechts über die Unterdrückung und liefert den erfreulichen Beweis, daß in Baden wenigstens die herrliche Saat von Rotteck’s Lehren aufgegangen ist und reiche beglückende Früchte trägt. In diesem Sinn und von diesem Standpunkt aus betrachtet, gewinnt die Feier, welche den Charakter einer reinen Volksdemonstration auch keinen Augenblick verleugnete, jene hohe, am Eingang erwähnte Bedeutung. Abgesehen aber davon, ist Karl von Rotteck selbst eine so bedeutende Erscheinung, daß ein sein Andenken feierndes Fest schon an und für sich alle Aufmerksamkeit verdient. Ich will es versuchen, den Lesern der Gartenlaube ein Bild des Schaffens und Wirkens dieses großen Bürgers in Kürze in’s Gedächtniß zurückzurufen, damit der badische Festtag seinen Wiederhall haben möge in weiten deutschen Kreisen.
Wir übergehen Rotteck’s Jugendjahre als bekannt mit Stillschweigen. Mit dem Jahre 1818, wo er zum Lehrer der Weltgeschichte an der Universität Freiburg ernannt wurde, beginnt seine literarische Thätigkeit. In jener verhängnißvollen großen Zeit, wo Deutschlands Völker sich vom Joche der Fremdherrschaft befreiten, und die Morgenröthe einer glücklicheren Zukunft am politischen Horizont emporstieg, erschien bei Herder in Freiburg seine Weltgeschichte; ein Werk, das im edelsten Sinne geschrieben, von reiner Freiheits- und Wahrheitsliebe durchdrungen ist und allein schon hinreicht, ihm einen bleibenden Ruhm als Schriftsteller zu sichern.
Mit einem tiefen Ernst, mit einer reinen Begeisterung für das Recht verfaßt, ist dieses Werk eines der bessern in der deutschen Literatur. Von mächtiger Wirkung sind namentlich seine Parallelen zwischen der antiken Welt und der Neuzeit, und wenn er mit dem mächtigen Zorne des durch jede Rechtsverletzung empörten Gemüthes die großen Eroberer des Alterthums brandmarkt, so sind diese Blitze dem modernen Imperator in’s Antlitz geschleudert, und seine begeisterte Apotheose der großen Republikaner der alten Welt sind eben so viel Lobgesänge für die edlen Märtyrer der Freiheit in unsern Tagen.
Er ehrte die Geschichte nach seinen eigenen Worten „nur als treue Rathgeberin in den ewig heiligen Angelegenheiten der Menschen, und vor Allem als Pflegerin politischer Weisheit und Tugend und als die unbestechliche Richterin, deren hehre Aussprüche die letzte Hoffnung sind für das der trotzigen Gewalt sonst preisgegebene Recht.“ Und so verminderte sich von Tag zu Tag seine Liebe zum Studium des positiven Rechtes, auch das römische nicht ausgenommen. Zuletzt hatte unter den Disciplinen der Rechtswissenschaft nur noch die Rechtsphilosophie Interesse für ihn; nur die Frage, was nach der ewigen Vernunft überall Recht sein sollte, hielt er für hochwichtig und ganz besonders in Beziehung auf die öffentlichen Verhältnisse. Er selbst beantwortete diese Frage in seinem zweiten berühmten Werke über das Vernunftrecht. Mit aller Kraft eines philosophisch durchgebildeten Verstandes begann er den Kampf mit dem historischen Rechte, indem er dessen Nichtberechtigung nachwies. Die „ewig unveräußerlichen Menschenrechte“ sind es, auf die alles Recht gegründet sein muß, jede Bevorzugung Einzelner oder ganzer Classen constituirt ein Unrecht, gegen welches er zu Felde zog. – Ausgerüstet mit der Kenntniß der Geschichte als Rathgeberin für die Zukunft, die gründliche Forschung des Rechtes als Leitstern, beginnt im Jahre 1819 Rotteck den wichtigsten Abschnitt seines Lebens, seine Laufbahn als Volksvertreter.
Sein Wirken in der badischen Kammer, in dem er von seinem getreuen Freunde Welcker so standhaft unterstützt wurde, hat Herr Hofrath Professor Woringen in der am 25. Mai gehalten Festrede trefflich charakterisirt, indem er sprach: „Das Vernunftrecht war sein Schwert, das historische Recht sein Feind.“ Mit unerschütterlicher Consequenz, mit einer nie sich verleugnenden Kraft und Energie kämpfte er fort und fort für Recht und Freiheit. Keine Niederlage vermochte ihn niederzubeugen, und immer erhob er sich auf’s Neue zum Kampfe gerüstet. Er und Welcker, die Freiheits-Dioskuren Badens, und mit ihnen Männer wie Itzstein, Wessenberg und Andere haben unendlich viel geleistet in der badischen Kammer, und wenn heute Baden allen deutschen Stämmen voranleuchtet auf der Bahn constitutioneller Entwicklung, so gebührt ein großer Antheil an diesem Ruhme jenen Männern, die den Keim dazu legten im Herzen des Volkes.
In den ersten Jahren seiner parlamentarischen Wirksamkeit war Rotteck als Abgeordneter der Universität Freiburg Mitglied der ersten Kammer, bis er 1831, in fünf Wahlbezirken gewählt, [565] den ihm mehr zusagenden Boden der zweiten Kammer betrat, auf welchem er bis zum Jahre 1840, d. h. bis zu seinem Tode wirkte. Seine erste Motion in der ersten Kammer war ein Antrag auf die Aufhebung der aus der finstern Barbarei des Mittelalters stammenden Frohnden und Zehenten. Man kann sich sehr leicht denken, wie ein solcher Antrag in der „ersten Kammer“ aufgenommen werden mußte. „Wo sind denn,“ rief einer der hochadeligen Gegner, „die Urkunden der Bauern, welche ihr Recht begründen sollen?“ – „Seht hin,“ antwortete der begeisterte Rotteck, „seht hin, er trägt sie auf sich herum, er hat ein menschliches Antlitz, dies sind seine Urkunden, welche die Vorsehung selbst bei seiner Geburt ihm gab!“
In dieser Weise wirkte Rotteck mit seinen Freunden, und theils auf seine Veranlassung, theils unter seiner thätigsten Mitwirkung entstanden nach und nach das Ablösungsgesetz der Frohnden, die Aufhebung der Censur, das Gesetz über Studienfreiheit, Ministerverantwortlichkeitsgesetz, Vereinsgesetz u. a. m. Eine solche Persönlichkeit konnten die Machthaber jener Zeit auf einem so einflußreichen Lehrstuhl, wie der des Naturrechtes ist, nicht dulden, und er sowohl als Welcker wurden von der Universität entfernt. Im Herbst 1840 erst wurde ihm die hohe Genugthuung zu Theil, wieder reactivirt zu werden; er konnte aber das neu verliehene Lehramt nicht mehr antreten, denn am 26. November 1840 ereilte ihn der Tod mitten unter den Seinen im 65. Jahre seines Lebens. Weder Bänder noch Ordenssterne schmückten seine Brust, aber in seinem Busen schlug ein großes, edles Herz voll glühender Vaterlandsliebe, mit den reinsten Empfindungen für Freiheit, Recht und Ehre. Seine Vaterstadt hat dies auch anerkannt und ihm im Jahre 1847 ein Denkmal gesetzt, welches als Zeugniß für Freiburgs Dankbarkeit gegen ihren größten Bürger dastehen sollte.
Da geschah, was man im neunzehnten Jahrhundert nicht für möglich halten sollte – in einer Nacht des Juni 1851 wurde das Denkmal heimlich und gewaltsam zertrümmert und beseitigt, die Stadt gezwungen an dieselbe Stelle ein anderes zu setzen, wozu man in boshafter Ironie Berthold Schwarz, den Erfinder des Schießpulvers, wählte. Es gewährt Befriedigung, daß der Urheber dieses vandalischen Actes kein Deutscher ist. Herr Mariano v. Sarachaga Uria, damals Stadtdirector in Freiburg, ist ein Spanier von Geburt, welcher als Kind auf die abenteuerlichste Art der Welt nach Deutschland kam. Er war es, der unter dem Schutze der Nacht, welche allerdings besonders geeignet ist zu Thaten, die das Licht zu scheuen haben, jene fluchwürdige Handlung beging. In edler Entrüstung erhob sich der ganze Gemeinderath Freiburgs, mit Ausnahme eines einzigen Mitgliedes (Bürgermeister Rieder), und protestirte gegen dieses Verfahren, natürlich vergebens. Die drei muthigsten Männer darunter, Schreinermeister Schmid, Instrumentenmacher Hausmann und Wirth Trescher mußten ausscheiden, Ersterer wurde sogar in den Kerker geworfen, und erst der neuesten Zeit blieb es vorbehalten, jene Schuld zu sühnen.
Zum Theil aus Gemeindemitteln, zum Theil aus freiwilligen Beiträgen ist Rotteck’s Denkmal auf dem neuen schönen Platze vor seinem früheren Wohnhause aufgestellt worden, und feierlich beging die ganze Stadt das schöne Fest. Ehre den wackern Freiburgern, die so gehandelt; es ist eine That des Patriotismus, welche alle Anerkennung verdient und welche vom ganzen deutschen Volke gekannt und gepriesen werden muß; denn, wie Düntzer in seiner Vorrede zum Faust-Commentar sagt: „Ein Volk, das seine Dichter und Weisen nicht achtet, ist werth, daß es der allgemeinen Verachtung anheimfalle.“