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Das Begräbniß einer Armen in einem spanischen Dorfe

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Textdaten
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Autor: Alfred Brehm
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Titel: Das Begräbniß einer Armen in einem spanischen Dorfe
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 826–827
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[826]

Das Begräbniß einer Armen in einem spanischen Dorfe.

Von Dr. A. E. Brehm.

An vielen Orten Spaniens herrschen sehr eigenthümliche Gebräuche beim Begräbniß der Verstorbenen. Ich meine damit nicht die Art und Weise des Leichengepränges – denn dieses geschieht nach den Gebräuchen der katholischen Kirche – sondern vielmehr die Art und Weise der Beerdigung selbst. Nur die Armen werden in wirklichen Gräbern bestattet, die Wohlhabenden setzt man [827] in Erbbegräbnissen oder in eigenthümlichen Nischen bei. Die Mauern der größeren Kirchhöfe nämlich sind die Grabstätten. Sie sind reichlich vier Ellen dick und bestehen der Hauptsache nach aus kleinen Tonnengewölben von drei bis drei und einer halben Elle Tiefe, einer Elle Breite und einer Elle Höhe, welche zu drei bis vier übereinander stehen und an der Außenseite durch eine Rückwand verschlossen sind. Diese Nischen werden auf eine Reihe von Jahren unter verschiedenen Bedingungen zur Bewahrung der Leichen gemiethet und nach der Einbringung eines Sarges auch vorn verschlossen, gewöhnlich mit einer Marmortafel, auf welcher der Name des Verstorbenen, der innen im Sarge ruht, eingegraben ist. Die kirchliche Behörde, bezüglich irgend eine Begräbnißgesellschaft, gewährt unter Umstanden Versicherung der in solchen Nischen Bestatteten, ihres Schmuckes etc. Es ist dies wirklich nöthig, denn nicht selten werden die Leichen geplündert oder noch viel scheußlicher geschändet.

In Madrid machte vor wenig Jahren ein Rechtsstreit großes Aufsehen: die Hinterbliebenen führten Klage gegen die Begräbnißgesellschaft, weil einer ihrer vor Jahren geschiedenen Angehörigen im Sarge beraubt und dabei an seinen Gliedern gräulich verstümmelt worden war. Und in der „Discussion“ vom 8. Mai 1857 las ich wörtlich Folgendes:

„In der Nacht des 26. April wurde in Jaen (Andalusien) der Leichnam eines Mädchens von 15–16 Jahren, welchen man am Nachmittage vorher begraben hatte, auf das Grauenvollste geschändet. Die barbarischen Verbrecher brachen die Steinplatte auf, welche die Nischen vorn verschließt, legten den Leichnam inmitten des Kirchhofs auf die Erde, den Kopf auf Steine, und begingen eine Handlung, würdig der Cannibalen, so abscheulich gräßlich und dem Heiligsten hohnsprechend, daß auch der gemeinste Mund sich scheuen muß, sie zu nennen.“ – – –

So muß uns also die Versicherung der Todten leider nicht nur gerechtfertigt, sondern vollkommen nöthig erscheinen. –

Nach Ablauf der bestimmten Frist werden die so bestatteten Leichen, falls ihre Ruhestätte nicht von Neuem gemiethet werden sollte, in gewöhnlicher geweihter Erde begraben.

In dieser Weise bringt man die Todten wohlhabender Familien zur Ruhe, nicht so Diejenigen, welche schon zu Lebzeiten die Last der Armuth tragen mußten. Sie werden einfach verscharrt und zwar – daß ihnen die Erde leicht sei! – nur mit einer dünnen Schicht Erde bedeckt. In Madrid wirft man sie, nach einstimmigen Versicherungen mehrerer dort wohnenden Deutschen und Spanier – aus eigner Anschauung kann ich nicht sprechen – in ein großes allgemeines Grab, wie man solche auf Schlachtfeldern gräbt, und deckt sie leicht mit etwas Erde und Kalk zu; in vielen Dörfern werden die Armen zwar in wirklichen Gräbern, aber in abscheulicher Weise beerdigt. Ein solches Begräbniß habe ich selbst mit angesehen.

Wir waren in dem ursprünglich maurischen Dorfe Beniajan der Bega oder Fruchtebene Murcias. Meine beiden damaligen Begleiter waren Aerzte und wurden von den Ortsbewohnern vielfach in Anspruch genommen. Gleichwohl war von einer Kranken, der schönsten und liebenswürdigsten Bewohnerin des Dorfes, ihre Hülfe nicht erbeten worden – weil die Arme es nicht gewagt hatte, ihren Vater mit leerer Hand zu den Aerzten zu senden. So blieb also die allgemein geliebte und geachtete kranke Weberin, ein Mädchen von kaum zwanzig Jahren, ohne allen ärztlichen Beistand ihre Krankheit nahm von Stunde zu Stunde an Heftigkeit zu, und am dritten Tage war sie eine Leiche. Als wir eines Nachmittags zur Jagd hinausgingen, begegnete uns ihr Leichenzug im Geleit des Geistlichen und weniger männlichen Angehörigen. Die Schönheit des feinen, regelmäßigen Frauengesichts in der offenen Sargbahre fiel uns auf: wir fragten unseren Begleiter nach der Todten und erhielten von ihm mit wenig Worten ihre Lebens- und Leidensgeschichte: sie war die Tochter rechtschaffener Eltern, brav, geachtet, geliebt – und arm! In dem letzten Worte lag die Erklärung für Alles, was wir noch sehen sollten.

Man zog zur Kirche, um die Leiche einzusegnen: schon nach ungefähr fünf Minuten war diese Feierlichkeit beendet. Sechs Männer, von denen ihrer Vier abwechselnd den Bahrsarg trugen, traten wieder aus der Kirche heraus und wandten sich dem Friedhofe zu. Einige Andere folgten. Mitleidige Hände hatten die schöne, einfach gekleidete Leiche reich mit Blumen geschmückt, und zwischen ihnen lag sie nun still und friedlich in der offenen Sargbahre, das lange braune Haar gelöst, die Hände gefaltet oder vielmehr zusammengebunden, damit der in ihnen ruhende Blumenstrauß fest gehalten werden möge. Wir schlossen uns dem Zuge an, und gingen mit zum „heiligen Felde“ hinaus.

Das Geläut oder Gebimmel der kleinsten Glocke des Kirchleins verstummte, als die Männer das Gotteshaus verließen, und sie eilten nunmehr, sich ihrer Bürde zu entledigen. Lachend und fluchend, d. h. die gewöhnlichen spanischen Kraft- und Schandworte ausstoßend, liefen die Träger im Trabe durch das Dorf und auf der staubigen Straße weiter, gefolgt von einer Rotte schreiender und lärmender Knaben. Sie trugen die Sargbahre an eisernen Handhaben dicht über der Erde, daß die aufgelösten Flechten im Sande nachschleiften. Das schöne Todtenantlitz bewegte sich dabei hin und her und kam nur dann zur Ruhe, wenn die ermüdeten Träger die ständerlose Bahre in den Sand stellten, um zu wechseln. Darauf aber warteten Dutzende von hungrigen Fliegen, namentlich weiblichen Schmeißfliegen, welche die Leiche für dasselbe ansahen, wie ihre Träger – nämlich für ein ekelhaftes Aas! Wenn die Träger sich ausgeruht hatten, begannen sie ihren Trab von Neuem, und das bleiche, stille Frauenhaupt begleitete wiederum jede Bewegung mit Schaukeln und Nicken; es konnte noch immer seine Ruhe nicht finden!

Endlich kam man auf dem Friedhofe an; die Träger setzten ihre Bürde rasch auf dem Grabhügel nieder und verließen die Leiche, um mit den anderen inzwischen Nachgekommenen die Grabschriften zu lesen, die hier und da an der Mauer angebracht waren, obgleich der Begräbnißplatz eher einem Schuttanger, als einem Friedhofe ähnlich sah. Denn auf den Gräbern blühten Disteln anstatt der Blumen; die Wege waren von Unkraut überwuchert, und nirgends sah man die Spur einer ordnenden Hand. Das noch offene Grab entsprach den alten; es war eben nur ein Loch ohne alle und jede Regelmäßigkeit und Sauberkeit, wie wir sie an unseren Gräbern zu sehen gewohnt sind.

Nach und nach fanden sich die Grableute wieder bei der Leiche ein. Man schickte sich an, sie zu beerdigen. Einer der Träger zog zuvörderst sein großes Gurtmesser, um das seidene Band zu zerschneiden, welches die Hände zusammenhielt; dann packten zwei Männer die Todte an den Armen, ein Dritter sie an den Füßen an, hoben sie aus der Sargbahre heraus und warfen sie in die Grube hinab, daß es dumpf aus ihr vom Fall des Leichnams wiederhalte. Blumen und Kopfkissen wurden nachgeschleudert. Als man begann, Erde hinabzuscharren, lüftete einer der Männer den Hut und sagte zu den Uebrigen: „Beten wir ein Ave Maria, daß dieses Weib in’s Paradies gelange!“ – und Alle plapperten den englischen Gruß ihm nach. Dann erhob der Erste seine Stimme wieder und sagte: „Beten wir ein Vaterunser, daß dieses Weib eingehe in das Reich Jesu!“ – und das Gebet des Herrn wurde dem Mariengruße gleich abgeleiert. Während dem arbeiteten die Träger nach Kräften; und Jene wiederholten abwechselnd beide Gebete, bis das Grab gefüllt war. Hierauf schloß der Vorbeter die ganze Nichtswürdigkeit mit den Worten: „Aqui estamos, aqui vamos!“ – „Hier stehen wir, und hierher gehen wir!“ – und Alle verließen das Grab und den Friedhof plaudernd und scherzend, – wie es freilich bei uns auch vorzukommen pflegt.

Gedankenvoll und betrübt, – doch nein, daß ich wahr sei! – innerlich empört über derartige Scheußlichkeit, Rohheit und Barbarei unter Christen, unter Europäern, gingen wir weiter; und ich gedachte bei mir der ernstwürdigen Weise, mit welcher die Vorfahren dieser Leute ihre Todten zur ewigen Ruhe brachten und deren Nachkommen sie noch heute in denjenigen Ländern bestatten, in denen der goldene Halbmond anstatt des Kreuzes von den Thürmen leuchtet, und mußte mich fragen: Sind denn die Menschen des schönen, südlich-reichen Landes Spanien unter dem Kreuz wirklich gebildeter, menschlicher geworden, als sie es unter dem Halbmond waren? Ich vermochte es nicht, diese Frage mit Ja zu beantworten; ich mußte mich daran erinnern, daß Christen, was Gemeinheit und Rohheit anlangt, die Mohammedaner so vielfach übertreffen; ich mußte vergleichen zwischen den Fukhera Kairos, welche mich, den Menschen, ansprachen mit den Worten: „Herr, um der Barmherzigkeit Gottes willen, gieb mir geringe Gabe zum Kauf eines Lailach für einen Armen, mit welchem ich den letzten Weg gehen und den ich nicht nackt einbetten will in die Erde –“ und zwischen denjenigen „christlichen“ Pfaffen, katholischen wie protestantischen, welche zu faul, zu geizig, zu unmenschlich sind, dem Armen, dessen Hinterbliebene es nicht zahlen können, noch einen Segensspruch in die Grube nachzurufen.