Das Ackerkreuz
„Mancher, der die Straße von Hildburghausen nach Heldburg zog, wird zunächst des Fahrwegs in der Streufdorfer Flur ein schlichtes, von Feldsteinen zusammengelegtes Kreuz gewahrt und sich gewundert haben, daß, wenn dies Kreuz heut von ihm oder Andern zerstört worden war, er es am andern oder dritten Tag immer wieder an derselben Stätte sorgfältig zusammengefügt fand; Mancher möchte das Kreuz für ein Zauberwerk oder ein Spiel des Muthwillens gehalten haben. Es ist aber – ein Denkmal der Liebe.“ Ja, alter ehrlicher Buchdrucker Elias Christoph Bauer, der Du dieses in dem Heimathverherrlichungsdrang, welcher dem Franken so arg anhängt, selber drucktest in einem Schriftchen, das Deinen Geburtsflecken „die alte Villa Streufdorf“ nebst dem hoch über ihm auf grüner Waldeshöhe thronenden alten Bergschloß Straufhain schilderte, und zwar schon vor vierzig Jahren, – Du hast Recht, jenes Ackerkreuz ist ein Denkmal der Liebe, aber es ist noch weit mehr, es ist ein Merkzeichen von des deutschen Volks tiefster innerer Erniedrigung, von der Zeit seiner schmachvollsten Rechtlosigkeit. An dieser Stätte ist unschuldig Blut geflossen, hier hat die Mörderkugel des Schergen der Gewalt einen Jüngling niedergestreckt, der von der eigenen Landesherrschaft an fremde Werber verkauft worden war.
Um durch das Mitleid mit einem Unglücklichen uns nicht zu einem zu harten Urtheil über die gewaltthätigen Menschen jener Zeit, anstatt über diese Zeit selbst, verführen zu lassen, müssen wir diese und das Werbesystem, das zunächst jene Unthat verschuldet hat, etwas näher betrachten.
Vor Allem müssen wir das Jahr derselben nennen, es ist 1730; das allein erklärt unseren geschichtskundigen Lesern schon Vieles. Die deutsche Geschichte kann, trotzdem daß Deutschland an Mißgeschick in allen Jahrhunderten reich ist, keinen jämmerlicheren Zeitraum ausweisen, als den vom Ende des dreißigjährigen Kriege bis zum Anfang der französischen Revolution, der ersten Erlösungsregung aller europäischen Völker gegen den bis dahin unerschütterlichen Fürstenalpdruck. Wir müssen uns auf den Standpunkt der Menschheit vor dieser allgemeinen Geistesreinigung zurückversetzen, um auch die fürstlichen Missethäter durch unser Urtheil nicht schwerer zu strafen, als ihre eigene Schuld war.
Wir geben unseren Lesern eine Probe aus dem deutschen Geschichtswerke des Patrioten und Märtyrers Wirth, das ihnen in der vorigen Nummer der Gartenlaube empfohlen wurde, wenn wir seine Schilderung jener Zeit hier folgen lassen. Er sagt über die inneren Zustände Deutschlands zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts: „Während die Ohnmacht des Reichs gegen außen fortwährend zunahm, äußerten sich die Folgen des westphälischen Friedens auch im Innern stets deutlicher, indem die Bedrückung der unteren Stände stieg und die vielfachsten Uebel sich verbreiteten. Schon das Bewußtsein der (durch den westphälischen Frieden gewonnenen) Erhöhung ihrer Macht hatte die Fürsten zu größerem Aufwand bewogen; allein der Besitz der Macht selbst steigerte noch die Prachtliebe. Um die Oberst-Kämmerer, Marschälle, Ceremonienmeister, Küchenmeister u. s. w. (jedes der vielen deutschen Fürstenhöfe) sammelten sich Schaaren untergeordneter Diener, welche kleinen Heeren glichen, und da der Hof den Landesherrn bei Reisen gewöhnlich begleitete, so veranlaßte dies ungeheueren Aufwand. Bei der Eröffnung des Reichstages vom Jahre 1652 hatte schon die Zunahme des Luxus großes Aufsehen erregt, da selbst kleinere Fürsten mit einem Gefolge von dreihundert Personen erschienen und zugleich in Kleidern, wie in Equipagen, ungewöhnliche Pracht zeigten. Im achtzehnten Jahrhundert stieg dagegen der Aufwand noch höher, indem die Fürsten häufig nach Paris zu reisen pflegten und von dort neue Arten von Verschwendung zurückbrachten. Die Hofleute strengten ihren Witz an, immer neue Ergötzlichkeiten für den Herrn zu erfinden, die Tafel ward mit überschwänglichen Genüssen ausgestattet, die Jagd mit verheerendem Luxus getrieben, das Hofleben zu einer ununterbrochenen Reihe von Festen erhoben. Nicht blos die weltlichen, sondern auch die geistlichen Fürsten wetteiferten in der Schaustellung der Pracht, welche sich gleichmäßig auf den Marstall, den Garten, die Jagd und die Hofmusik ausdehnte. Am württembergischen Hof unterhielt man allein eine Kapelle von sechzig Musikanten (für jene Zeit außerordentlich viel), und am baierischen ganze Heere von Pferden und Hunden. Auf der Tafel des Fürstbischofs von Bamberg und Würzburg wurden täglich sechsundfünfzig Gerichte aufgesetzt, und der Herzog von Braunschweig stellte blos zum Mästen von Kapaunen besondere [761] Hofdiener an, die sogenannten Kapaunenstopfer. Zur Erhöhung der Pracht gewöhnte man sich endlich an überaus feierliche Hof-Etiquette, welche den Landesherrn noch mehr von den gewöhnlichen Menschen unterscheiden und als ein Wesen besonderer Gattung darstellen sollte. Alles geschah nun mit Feierlichkeit, und der Mittagstisch war so sehr von Gepränge begleitet, daß es eine Kunst wurde, das dabei übliche Ceremoniel zu erlernen. Während der Bischof von Bamberg und Würzburg dreißig Kammerherrn unterhielt, stieg die Zahl der Kämmerer bei dem Erzbischof von Köln sogar auf einhundertundfünfzig, und an diese schloß sich erst ein Heer von Hof-Cavalieren an, welche bei Festlichkeiten förmliche Spaliere bildeten.“
Soweit Wirth. In dieser Vergöttlichung der fürstlichen Menschen durch das adlige Hofschranzenthum liegt die einzige Entschuldigung für jene selbst. Sie waren der Staat, und was sich um sie herum drängte, zählte sich mit zum Staat, der sich in der That auf den Hofstaat beschränkte, zu dessen Füßen die übrige Einwohnermasse, das sogenannte Volk, als pflichtschuldiger Arbeiter für jenen lag.
Zum Hofstaat gehörte, namentlich in den kleineren Ländern, auch eine stattliche Truppenmacht: sie gab dem Fürstenthrone erst das rechte Fundament. Da hielt zum Beispiel der Herzog des kleinen Braunschweig nicht weniger als zweiundzwanzig Regimenter Fußgänger und dreizehn Regimenter Reiter, Kursachsen eine Armee von 25–30,000, Würtemberg von 14,000, Hannover sogar von 20,000 Mann, und Pfalzbaiern theilte seine 18,000 Mann in dreißig Regimenter mit soviel Officieren, daß sie den vierten Theil der Armee ausmachten; für seine drei kleinen Wachtschiffe auf dem Rhein besoldete es einen „Ober-Admiral“!
Dieses kostbare Spielzeug der fürstlichen Prunksucht wurde durch Werben aufgebracht, solange die Fürsten es noch für vortheilhaft hielten, die eigene fleißige und arbeitende Mannschaft im Lande zu schonen, oder so lange das Vermiethen und Verkaufen von Truppen noch nicht als eine der einträglichsten fürstlichen Erwerbsquellen entdeckt worden war. Als erst diese hohe Speculation begonnen hatte, warb und hob man zugleich im eigenen Lande aus, rein nach Passion oder je nachdem das Angebot auf die Waare lautete.
Das Werbesystem schmeichelte sich allerdings dadurch ein, daß es im eigenen Lande den Bauer am Pflug, den Handwerker in der Werkstatt erhielt und daß dafür die große Menge der Herumlungerer, denen durch den dreißigjährigen Krieg der Krieg selbst ein Nahrungszweig geworden war, unter den Fahnen für die bürgerliche Gesellschaft unschädlich wurde. Man machte freilich erst später die Erfahrung, wie nach jedem Krieg durch die Entlassung der überflüssigen Soldateska eine wahre Landplage von Gesindel sich über das Reich ausbreitete. – Die Werbung selbst, zu welcher jeder Reichsfürst das Recht hatte, wurde durch Werbeofficiere ausgeführt, die mit einem Werbepatent und mit Werbegeldern versehen sein mußten und einen bestimmten Werbeplatz und Werbedistrict angewiesen erhielten, und sie war entweder eine öffentliche und ganz legale, oder eine heimliche, mit List und Gewalt verbundene. In ersterem Fall zog der Werbeofficier von seinem Quartier aus, wo er seine Fahne ausgesteckt hatte, mit einem Trommler, Pfeifer oder Trompeter durch den Ort und von Ort zu Ort in seinem Werbebezirk, forderte zum Eintritt in seine Truppe auf, und selten verfehlte er seinen Zweck. Der Faulheit und Liederlichkeit, sagt Karl Biedermann in seinem „Deutschland im achtzehnten Jahrhundert“, boten diese Werbeptätze eine willkommene Zufluchtsstätte. Verbrecher fanden hier nicht selten Schutz vor der Gerechtigkeit und waren froh, um diesen Preis einem härtern Schicksal zu entrinnen. Entlaufene Mönche suchten unter der Fahne des protestantischen Königs von Preußen der strafenden Hand ihrer Kirche zu entgehen. Vagabunden wurden von Polizeiwegen, ungerathene Söhne von den eigenen Eltern oder Vormündern „zur Correction“ unter die Soldaten gesteckt. Bankerotte Kaufleute, erwerbs- und aussichtslose Gelehrte ergriffen, um ihr Leben zu fristen, aus Verzweiflung die Muskete. Kam jedoch auf diesen und ähnlichen Wegen die erforderliche Anzahl von Soldaten nicht zusammen, so gebrauchten die Werber ungescheut alle Mittel der List, der Täuschung, selbst der Gewalt, um die Lücken auszufüllen. Bekamen sie doch eine bestimmte Prämie für jeden Mann, den sie den Fahnen zuführten! Da wurden betrügerische Vorspiegelungen gemacht, die man niemals zu halten gesonnen war, Verlegenheiten benutzt, in welche man oft selbst die unglücklichen Schlachtopfer hatte stürzen helfen; auch berauschende Getränke sparte man nicht, und mancher junge Mann fand sich, nüchtern geworden, zu seinem Schrecken, in den bunten Rock gekleidet, den man im Taumel des Rausches ihm aufgeschwatzt.
Wie annehmlich nun dieses Werbesystem für die Fürsten insgemein erscheint, so konnte es doch für die kleinen den großmächtigen, also schon damals Preußen und dem Kaiser gegenüber, zur Ursache großer Verlegenheiten werden. Eine solche, in welcher wir Goethe, den Minister, noch vor der französischen Revolution sich winden sehen, dürfen wir unsern Lesern nicht vorenthalten.
Friedrich der Große drang im Winter von 1778 auf 1779 darauf, daß der Herzog von Weimar ihm die Werbung in seinem Lande gestatte, und beauftragte den preuß. General Möllendorf mit der Leitung dieser Angelegenheit. Goethe berichtet darüber an Carl August: „Gesetzt, man fügt sich dem Begehren des Königs, so kann es entweder geschehen, wenn man ihm die Werbung erlaubt, oder mit dem General Möllendorf auf eine gewisse Anzahl abzugebender Mannschaft übereinkommt und auch diese entweder durch die Preußen ausnehmen läßt oder sie selbst ausnimmt und sie ihm überliefert. Erwählt man das Erste, so werden diese gefährlichen Leute sich festsetzen und überall Wurzel fassen; sie werden auf alle Weise die beste junge Mannschaft an sich zu ziehen suchen; sie werden mit List und Gewalt eine große Anzahl wegnehmen; sie werden’s an nichts fehlen lasten, selbst die Soldaten Ew. Durchlaucht untreu zu machen.
Will man mit dem General Möllendorf auf eine gewisse Anzahl übereinkommen und ihnen etwa selbst überlassen, die junge Mannschaft mit gewissen zu fertigenden Verzeichnissen aus den Aemtern auszuheben, so kann man nicht versichert sein, daß es dabei bleiben wird. Ein und der Andere, der es merkt, wird austreten, sie werden statt dessen nach Andern greifen, es werden Händel entstehen, und sie werden davon Anlaß nehmen, was man mit ihnen ausgemacht hat, zu überschreiten.
Will man endlich sich entschließen, eine Auswahl selbst zu machen, und ihnen die Leute ausliefern: so ist darin wohl für das Ganze das geringste Uebel, aber es bleibt doch auch dieses ein unangenehmes, verhaßtes und schamvolles Geschäft. – – Diese mit Gewalt in fremde Hände gegebenen Leute werden desertiren etc., die Preußen werden sie wiederfordern etc.“ – Dazu noch die Bedenken, daß für die so wider Willen Preußen gestattete Werbung ohne Zweifel ,der kaiserliche Hof’ dem fürstlichen Haus manches Unangenehme fühlen lassen werde.“[1]
Und dennoch scheint man zu letzteren Auskunftsmittel geschritten zu sein, denn ein Brief Goethe’s (die obige Notiz steht in dem Briefwechsel des Großherzogs Carl August mit Goethe) aus Buttstedt vom 8. März 1779 beginnt: „Indeß die Pursche gemessen und besichtigt werden, will ich Ihnen ein Paar Worte schreiben.“
So etwas war noch unter Carl August und Goethe in jenen Zeiten vor der französischen Revolution möglich, nur daß Beide darin ein schamvolles Geschäft erkannten, während es den meisten Fürsten als ein landesherrliches und dazu ein sehr einträgliches Recht galt.
An dieses Recht, andere deutsche Mächte im eigenen Lande werben zu lassen, schloß sich das noch entsetzlichere, das zuerst durch Seume’s Schicksal und Donnerworte in seiner ganzen Scheußlichkeit dargestellt worden ist: schlagfertig ausgerüstete Truppen, einerlei ob geworbene, gestohlene oder aus den eigenen Landeskindern gepreßte, an auswärtige Staaten zu vermiethen oder zu verkaufen. Auch dafür liefert obiger Briefwechsel uns eine werthvolle Notiz in einer „holländischen Offerte“ an Weimar, deren Hauptbedingungen lauten: „Es werden für jeden Mann jährlich fünfzig Thaler in Ducaten à 25/6 Rthlr. an Subsidien bezahlt. Im Fall die Hülfstruppen nicht gebraucht, werden die Subsidien dennoch auf ein halbes Jahr bezahlt. Nach geendigtem Kriege werden die Subsidien noch auf drei Monate bezahlt. Was bei Zurückgabe der Mannschaft fehlt, wird vergütet, als: für einen Reiter und Pferd dreihundert holländische Gulden, für einen Infanteristen einhundert Gulden.“
So hoch belief sich der Preis des Menschenfleisches, wenn der betreffende Inhaber desselben „den Heldentod“ fand. Die Engländer zahlten für, jeden todten Hessenkopf sogar zwanzig Pfund [762] Sterling. Daher die Entrüstung jenes Prinzen von Hessen-Cassel, der an den Befehlshaber seiner Truppen in Amerika schrieb: „Erinnern Sie daran, daß von den dreihundert Spartanern, welche den Paß bei Thermopylä vertheidigten, nicht einer zurückkam. Ich wäre glücklich, wenn ich dasselbe von meinen braven Hessen sagen könnte. Sagen Sie dem Herrn Major Minderst, daß ich außerordentlich unzufrieden bin mit seinem Benehmen, weil er die dreihundert Mann gerettet habe, welche von Trenton entflohen. Während des ganzen Feldzugs sind nicht zehn von seinen Leuten gefallen.“ Vergl. S. 295 dieses Bandes.
Noch mehr Reichsbeschlüsse zwangen sogar Reichsstände, ihre geworbenen Truppen an das Ausland abzugeben, wie dies z. B. bei dem sogenannten Römhilder Krieg der Fall. Das Herzogthum Sachsen-Römhild war 1710 mit seinem ersten Fürsten, Heinrich (einem Sohn Ernst’s des Frommen), ausgestorben. Sofort schickte Sachsen-Meiningen geworbene Truppen in das Ländchen, um es in Besitz zu nehmen. Aber pochend auf dieselben Erbansprüche rückte man von Hildburghausen mit vierhundert Mann auf denselben Boden ein. Von nennenswerthen Heldenthaten wird zwar Nichts berichtet, dagegen rief dieser Erbstreit nicht weniger als einhundertundfünfzig Druckschriften, zweihundertundsechs kaiserliche Conclusa und zweiundsiebenzig Recesse in’s Leben, die endlich einen (uns jetzt gleichgültigen) Vergleich herbeiführten, in Folge dessen nach Reichsbeschluß der eine Theil seine geworbenen Truppen in dänische, der andere die seinen in polnische Dienste abgeben mußte. – Nach solchen Thatsachen wundern wir uns nicht mehr: „daß man sogar ausländischen Mächten Werbungen im Reich gestattete und diese Erlaubniß auch dann nicht immer zurücknahm, wenn zwischen einer solchen Macht und dem Reiche selbst ein Conflict drohte“. Es gehört dies, sagt K. Biedermann (a. a. O.) mit Recht, zu jenen Ungeheuerlichkeiten, welche nur bei einem Zustande gänzlicher innerer Auflösung, wie ihn das deutsche Reich damals schon darstellte, möglich waren. – Und so war auch die Zeit, und so waren die Zustände, welche die armen Menschen, denen man mit den Menschenrechten nicht auch das menschliche Fühlen rauben konnte, zur Legung unseres Ackerkreuzes zwangen.
Im Frühjahre von 1730 kamen dänische Werber in’s Hildburghäuser Land. Der Werbeofficier schlug in der Haupt- und Residenzstadt Hildburghausen sein Quartier auf; sein Werbebezirk scheint sich über das ganze Herzogthum erstreckt und seine wohlgefüllte Casse ihm ungewöhnliche Vergünstigungen verschafft zu haben. Wenn nämlich bisher wohl ganze Truppenkörper verkauft worden sind und wenn die Werbeofficiere für die Erlaubniß der Werbung im Ganzen oder für jeden einzelnen angeworbenen Mann an die Casse des Landesherrn eine gewisse Summe zu entrichten hatten, so scheint in dem vorliegenden Fall dieser dänische Werbeofficier sich ein Eigenthumsrecht an die von ihm begehrten Personen durch Erkaufung derselben von der Landesbehörde erworben zu haben.
In Streufdorf, einem stattlichen Marktflecken an der Straße zwischen Hildburghausen und Heldburg, war das begehrliche Auge der Werber auf einen Bauernburschen gefallen, der vor allen anderen sich durch schöne schlanke Gestalt auszeichnete. Es war dies der Sohn einer wohlhabenden angesessenen Familie des Orts und hieß Andreas Korneffer. Ein solcher Bursche würde schon an sich den gewöhnlichen Anerbietungen und Kunstgriffen der Werber unerreichbar gewesen sein, auch wenn derselbe nicht in Margaretha Barbara Eichhorn, der schönen Tochter eines angesehenen Ortsnachbarn, eine geliebte Braut gehabt hätte. Alle gewöhnlichen Anschläge der Werber waren vergeblich, aber das Geld hat eine gewaltige Macht. Wir lesen in des alten Buchdrucker Bauer’s Schriftchen, daß der junge Korneffer an den Werbeofficier verkauft worden sei, und in der That marschirte am 27. April ein Grenadier des herzoglichen Landregiments von Hildburghausen ab, um den Verkauften zu ergreifen und ihn den Werbern zu überliefern. Man hatte mit dieser Vollmacht einen Menschen betraut, der wegen seiner Verwegenheit berüchtigt war und dessen Name mit dieser Geschichte fortlebt; er heißt Johann Faber.
Ohne Ahnung von der Gewaltthat, zu deren Opfer er ausersehen war, hantirte Andreas Korneffer am selben Tag vom frühen Morgen an fleißig den Pflug auf einem Acker, der hinter der Meierei an dem Wege nach Seidingstadt lag, dem nächsten Dorfe nach Heldburg hin, und wo unfern zur Linken sich die schönen bewaldeten Hügel erheben, die zum hohen Straufhain aussteigen, ein reizendes Fleckchen von Gottes Erde.
Es muß nicht möglich gewesen sein, den armen Jüngling vor der Gefahr zu warnen, die ihm drohte, denn plötzlich sieht er den Grenadier Faber in voller Armatur auf sich zueilen. Ein Gedanke an das, was seiner harre, mochte ihn durchfahren; er ließ Pflug und Peitsche und floh, um den nahen Wald zu erreichen und die Berge, hinter denen er sich retten konnte. Aber nur wenige Schritte waren es, er hatte seinen eigenen Acker kaum verlassen, da brach er blutend zusammen, die Kugel des Verfolgers hatte ihn erreicht und niedergestreckt.
Die Unthat war geschehen; als ein Verbrechen ist sie weder angesehen noch bestraft worden. Der Grenadier Faber hatte seine Ordre erfüllt, und wenn die tödtende Kugel nicht mit in seiner Ordre stand, so waren die Kriegsartikel nicht in Verlegenheit, einen rettenden Paragraphen für ihn zu finden. Die Klage der Eltern fand keine Gerichtsstätte, und wenn auch der Himmel sein Strafgericht ergehen ließ, und zwar vielleicht am Unschuldigsten, an dem Werbeofficier, der später in Hildburghausen einem qualvollen Selbstmord erlag, so blieb den Eltern doch Nichts, als des Sohnes blutiger Leichnam und sein Grab.
So erging es in diesem patriarchalischen Staat. Und doch waren die Fürsten von Hildburghausen nicht schlimmer als ihre ebenbürtigen Zeitgenossen, ja, der Herzog Ernst Friedrich der Zweite, welcher damals regierte, war ein an Körper und Geist kranker Mann, für den seine vortreffliche Gemahlin ein vernünftiges und mildes Regiment führte. Aber Geld brauchte man freilich allezeit, denn der Vater des Herzogs, Ernst Friedrich der Erste, war ein arger Verschwender gewesen. Seine hochfürstlichen Passionen, Bauten, glanzvolle Hofhaltung, Jagden, Soldaten, Processe, verschlangen ungeheure Summen und häuften Schulden auf Schulden. Sie lebten wie die unmündigen Kinder, wie immer in den Flegeljahren, die Fürsten jener Zeit, bald im Heldenharnisch und die Krone auf dem Haupte bereit, sich von ihrem Schranzenvolke anbeten zu lassen, bald wieder der menschlichsten Gutmüthigkeit zugänglich. Da sehen wir denselben glanzsüchtigen stolzen Ernst Friedrich den Ersten von Heldburg her den Hildburghäuser Stadtberg hinauffahren. Ein Gewitter kommt. Der Herzog ruft dem alten Kutscher zu: „Andres, fahr’ auf!“ Andres bleibt im selben Schritt. Zum zweiten Mal fährt das Fenster auf: „Kerl. fahr’ zu!“ Es bleibt beim Alten. Zum dritten Mal: „Verdammter Kerl, so hau’ die Pferde, daß sie stürzen! Es donnert ja schon!“ Da wendet sich Andres halb auf seinem Sitze um und schreit den Herzog an: „Durchlaucht, Ihr habt wohl der Pferd’ zu viel’?“ Das Fenster fährt zu, Andres bleibt im Schritt; aber das Gewitter und die Ungnade ziehen miteinander vorüber. – Und derselbe Fürst konnte durch seine Jagdwuth unsäglichen Schaden und viel Drangsal über seine Unterthanen verhängen, er konnte hart und grausam sein, wo der Satz in Gefahr kam, daß diese Unterthanen einzig nur der Fürsten wegen da seien. Dieser fürstliche Wahn erfüllte auch bessere Häupter, und darum wundern wir uns nicht, wenn von diesem Hildburghäuser Hofe den Eltern des armen hingemordeten Jünglings auch die letzte Gunst versagt wurde, die ihnen Balsam auf ihre wunden Herzen gewesen wäre, die Gunst, einen Denkstein an der Stätte errichten zu dürfen, wo ihr Andreas sein junges Leben ausgehaucht.
Auch dies wurde versagt. Es durfte kein Denkmal erhöht werden, um die Schandthat todtzuschweigen. Aber das einfache Gefühl der treuen Volksherzen siegte über das Verbot und machte seine Absicht zu Schanden. Als die letzte Bitte versagt war, gingen Andreas Korneffer’s Braut und Schwester zu jener blutigen Stätte und legten auf dem Boden aus Steinen des Feldes das Kreuz, das heute, nach mehr als hundertundvierunddreißig Jahren noch auf derselben Stelle liegt.
Die Nachkommen jener Familie Korneffer leben noch in Streufdorf, und in ihnen lebt es als eine stille heilige Pflicht fort, das Ackerkreuz zu wahren. Aber wenn selbst kein Glied der Familie mehr übrig wäre, – dieses Kreuz müßte erhalten werden. War es einst ein Liebeszeichen, ein stilles, am Boden verborgenes, das nur zu vertrauten Herzen sprechen konnte, so reden jetzt diese Steine zu jedem Deutschen und erzählen ihm die Geschichte von den wiedereroberten Menschenrechten. Da liegt es am Ackerrand, wie einst das deutsche Volk am Boden lag, doch über ihm schwebt der unbezwingliche Geist der Nation: ihm, seinen Kämpfen, seinen Siegen sei dies Denkmal geweiht für alle Zeiten!
- ↑ In Hildburghausen wußte man sich damals einfacher zu helfen. Dort lagen zu gleicher Zeit preußische und österreichische Werber.