Das „Licht der Schwaben im Festschmuck“
[609] Das „Licht der Schwaben im Festschmuck“. (Mit Abbildung auf Seite 606 und 607.) „Stoßt an! Tübingen lebe, hurrah hoch!“ So wurde unzählige Male aus alten und jungen Kehlen und Herzen mit gemeinsamer Begeisterung gesungen, als vom 8. bis 11. August die schwäbische Universität Tübingen ihr vierhundertjähriges Jubiläum feierte. – Wer irgendwie mit dem akademischen Leben Fühlung hat, der weiß, daß mehreren der sogenannten kleinen Universitäten ein ganz besonderer Zauber anhaftet, eine Art Liebeszauber, der sich in die Studentenherzen einschleicht und darin sitzen bleibt bis in die ältesten Tage. Manche nachdenkende Geister haben die Ursache dieses besonderen Reizes in der Schönheit der örtlichen Lage solcher Hochschulen gefunden, Andere in der großen dort vorherrschenden Lebensungenirtheit; ein Tübinger Festgast erkennt wenigstens einen Theil dieses Zaubers in dem „Contrast zwischen der universalen Tiefe und Weite des denkenden, forschenden Geistes, der keine irdischen Schranken kennt, mit der anspruchslosen Erscheinung der Wohnstätten, deren bloßer Anblick auf den üppigen feinen Lebensgenuß, wie ihn die größeren Städte bieten, verzichten heißt“, ein Contrast, den, wie er meint, Tübingen nur mit wenigen ihrer Schwestern theilt – aber ganz gewiß mit Heidelberg, Jena, Marburg und noch etlichen.
Diese kleinen Städte mit ihren engen, winkeligen Gassen, denen erst die neueste Zeit eine moderne Prachthülle um die alte behäbige Haustracht legt – welche Geister haben in ihnen gelebt und gewirkt, welches Firmament von Sternen aller Größen prangt hier am Himmel der Wissenschaft und der That, – und wie klein sind alle Verhältnisse des geselligen Verkehrs, wie bescheiden die Wohnungen, wie einfach die Kunstgenüsse und wie beschränkt selbst die Mittel dazu! Das macht die geistige Größe an solchen Orten so verehrungswürdig, und sicherlich geht auf den Studenten ein Strahl dieses Hochgefühls über und pflanzt vor Allem den Stolz auf seine Hochschule ihm in’s Herz, und die köstliche Ungebundenheit des akademischen Daseins sorgt dafür, daß neben jenem Stolz die Liebe einen ordentlichen Platz erhält. Und so kommt’s, daß selbst der Aelteste, wenn er im Kreise ergrauter Jugendgenossen auf den alten Kneipplätzchen nur eine Stunde gesessen und ein paar der uralten Leiblieder gesungen, die Verwüstungen der Jahre an all den alten Gesichtern zu vergessen und, an den alten Witzen und Spitznamen anknüpfend, das ganze Jugendgefühl herbeizuzaubern vermag. Man hat’s erlebt, welche Wunder dieser Art in einer solchen Universitätsstadt menschenmöglich sind.
Der vielbesungene Graf Eberhard im Barte hat die Hochschule in seiner festen Stadt Tübingen im Jahre 1477 gestiftet. Die Stiftungsurkunde ist am 3. Juli ausgestellt, nachdem vom Papste Sixtus dem Vierten die Erlaubnißbulle dazu am 13. November 1476 erlassen worden war. – Tübingen war die dreizehnte deutsche Hochschule, und sie hat allezeit festgestanden bis zu ihrem vierten Jubiläum, dessen Hauptverlauf wir nun in der Kürze erzählen, nicht für die Festgenossen, sondern weil vielleicht mancher alte Tübinger, der weit in der Ferne, jenseits der Meere, weilt, wohin die „Gartenlaube“ den Weg gefunden, sich daran erfreuen kann. Daß eine Stadt, in welcher die Studentenschaft (jetzt über elfhundert Studirende) mehr als zehn Procent der seßhaften Bevölkerung beträgt, ein solches Fest wie ein Mann feiert, ist selbstverständlich. Die ganze Stadt prangte in Allem, was zum reichsten und sinnvollsten Festschmuck gehört. Schon am Vortag des Festbeginnes, am Dienstag, den 7. August, schwoll von Stunde zu Stunde der Strom der Einziehenden an, zogen die Festgenossen von der lockigsten Jugend bis zum eisgrauen Alter durch die Straßen und Gassen und feierten jene unbeschreiblichen Wiedersehen, die zu den köstlichsten Perlen solcher Feste gehören. Eine hervorragende Auszeichnung war die Theilnahme des Königspaares am Feste; es hielt am Dienstag Nachmittag seinen Einzug und nahm seinen Wohnsitz in dem nahen Bebenhausen, dem zu einem königlichen Jagdschloß umgewandelten prachtvollen Klostergebäude.
Der Mittwoch drohte das Fest mit Regen zu stören; der freundlichere Abend vereinte endlich über zweitausend Festgäste in der schönen Platanenallee zwischen Neckar und Canal. Stark vertreten waren besonders die Schweizer, deren Redner, Ständerath Gengel aus Chur, hier schon der Feststadt einen silbernen Pokal als Ehrengeschenk überreichte. Um acht Uhr versammelten sich alle Ehrengäste, voran die Deputirten von fünfunddreißig Hochschulen, im Museum. Von außerdeutschen Universitäten waren vertreten: Wien, Prag, Graz und Agram, Leyden, Utrecht und Groeningen, Upsala, Lund und Christiania, Basel, Bern und Zürich, endlich Dorpat. Unter den deutschen Deputirten glänzten zwei Märtyrer trübster deutscher Zeit: der siebenundsiebenzigjährige Karl Hase aus Jena, einst politischer Sträfling auf dem Hohenasperg, und Zeller, der im Ausland eine Heimath suchen mußte, „weil er einer wissenschaftlichen Richtung angehörte, die seiner Heimath verfehmt war.“ Beide wurden als die höchsten wissenschaftlichen Zierden dieses Festes geehrt. Am Donnerstag, den neunten August, fanden die akademischen Hauptfestlichkeiten in der „neuen Aula“ statt. Punkt halb zehn Uhr erschien der König mit der Königin und dem Prinzen Wilhelm, auch einem ehemaligen Zögling der Hochschule. Der König selbst hielt die Eröffnungsrede, eine warme und würdige Ansprache, welche in allen Zeitungen verdiente Verbreitung gefunden. Hierauf folgten in langer