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Critik der reinen Vernunft (1781)/A. Erste Analogie. Grundsatz der Beharrlichkeit.

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« Des Systems der Grundsätze des reinen Verstandes Dritter Abschnitt. Systematische Vorstellung aller synthetischen Grundsätze desselben. Immanuel Kant
Critik der reinen Vernunft (1781)
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B. Zweyte Analogie. Grundsatz der Erzeugung. »
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A.
Erste Analogie.
Grundsatz der Beharrlichkeit.

 Alle Erscheinungen enthalten das Beharrliche (Substanz) als den Gegenstand selbst, und das Wandelbare, als dessen blosse Bestimmung, d. i. eine Art, wie der Gegenstand existirt.


Beweis dieser ersten Analogie.

 Alle Erscheinungen sind in der Zeit. Diese kan auf zweyfache Weise das Verhältniß im Daseyn derselben bestimmen, entweder so fern sie nach einander oder zugleich seyn. In Betracht der ersteren, wird die Zeit, als Zeitreihe, in Ansehung der zweyten als Zeitumfang betrachtet.

 Unsere Apprehension des Mannigfaltigen der Erscheinung ist iederzeit succeßiv, und ist also immer wechselnd. Wir können also dadurch allein niemals bestimmen, ob dieses Mannigfaltige, als Gegenstand der Erfahrung, zugleich sey, oder nach einander folge, wo an ihr nicht etwas zum Grunde liegt, was iederzeit ist, d. i. etwas Bleibendes und Beharrliches, von welchem aller Wechsel und Zugleichseyn nichts, als so viel Arten (modi der Zeit) seyn, wie das Beharrliche existirt. Nur in dem Beharrlichen sind also Zeitverhältnisse möglich, (denn Simultaneität und Succeßion sind die einzige Verhältnisse in der Zeit)| d. i. das Beharrliche ist das Substratum der empirischen Vorstellung der Zeit selbst, an welchem alle Zeitbestimmung allein möglich ist. Die Beharrlichkeit drükt überhaupt die Zeit, als das beständige Correlatum alles Daseyns der Erscheinungen, alles Wechsels und aller Begleitung, aus. Denn der Wechsel trift die Zeit selbst nicht, sondern nur die Erscheinungen in der Zeit, (so wie das Zugleichseyn nicht ein modus der Zeit selbst ist, als in welcher gar keine Theile zugleich, sondern alle nach einander seyn). Wollte man der Zeit selbst eine Folge nach einander beylegen, so müßte man noch eine andere Zeit denken, in welcher diese Folge möglich wäre. Durch das Beharrliche allein bekömt das Daseyn in verschiedenen Theilen der Zeitreihe nach einander eine Grösse, die man Dauer nent. Denn in der blossen Folge allein ist das Daseyn immer verschwindend und anhebend, und hat niemals die mindeste Grösse. Ohne dieses Beharrliche ist also kein Zeitverhältniß. Nun kan die Zeit an sich selbst nicht wahrgenommen werden; mithin ist dieses Beharrliche an den Erscheinungen das Substratum aller Zeitbestimmung, folglich auch die Bedingung der Möglichkeit aller synthetischen Einheit der Wahrnehmungen, d. i. der Erfahrung, und an diesem Beharrlichen kan alles Daseyn, und aller Wechsel in der Zeit nur als ein modus der Existenz dessen, was bleibt, und beharrt, angesehen werden. Also ist in allen Erscheinungen das Beharrliche der Gegenstand selbst, d. i. die Substanz (phaenomenon), alles aber, was wechselt,| oder wechseln kan, gehört nur zu der Art, wie diese Substanz oder Substanzen existiren, mithin zu ihren Bestimmungen.
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 Ich finde, daß zu allen Zeiten nicht blos der Philosoph, sondern selbst der gemeine Verstand diese Beharrlichkeit, als ein Substratum alles Wechsels der Erscheinungen, vorausgesezt haben, und auch iederzeit als ungezweifelt annehmen werden, nur daß der Philosoph sich hierüber etwas bestimter ausdrükt, indem er sagt: bey allen Veränderungen in der Welt bleibt die Substanz, und nur die Accidenzen wechseln. Ich treffe aber von diesem so synthetischen Satze nirgends auch nur den Versuch von einem Beweise, ia er steht auch nur selten, wie es ihm doch gebührt, an der Spitze der reinen und völlig a priori bestehenden Gesetze der Natur. In der That ist der Satz: daß die Substanz beharrlich sey, tavtologisch. Denn blos diese Beharrlichkeit ist der Grund, warum wir auf die Erscheinung die Categorie der Substanz anwenden, und man hätte beweisen müssen: daß in allen Erscheinungen etwas Beharrliches sey, an welchem das Wandelbare nichts als Bestimmung seines Daseyns ist. Da aber ein solcher Beweis niemals dogmatisch, d. i. aus Begriffen geführt werden kan, weil er einen synthetischen Satz a priori betrift, und man niemals daran dachte, daß dergleichen Sätze nur in Beziehung auf mögliche Erfahrung gültig seyn, mithin auch nur durch eine Deduction der Möglichkeit| der leztern bewiesen werden können; so ist kein Wunder, wenn er zwar bey aller Erfahrung zum Grunde gelegt (weil man dessen Bedürfniß bey der empirischen Erkentniß fühlt), niemals aber bewiesen worden ist.
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 Ein Philosoph wurde gefragt: wie viel wiegt der Rauch? Er antwortete: ziehe von dem Gewichte des verbranten Holzes das Gewicht der übrigbleibenden Asche ab, so hast du das Gewicht des Rauchs. Er sezte also als unwidersprechlich voraus: daß, selbst im Feuer, die Materie (Substanz) nicht vergehe, sondern nur die Form derselben eine Abänderung erleide. Eben so war der Satz: aus nichts wird nichts, nur ein anderer Folgesatz aus dem Grundsatze der Beharrlichkeit, oder vielmehr des immerwährenden Daseyns des eigentlichen Subiects an den Erscheinungen. Denn, wenn dasienige an der Erscheinung, was man Substanz nennen will, das eigentliche Substratum aller Zeitbestimmung seyn soll, so muß so wol alles Daseyn in der vergangenen, als das der künftigen Zeit, daran einzig und allein bestimt werden können. Daher können wir einer Erscheinung nur darum den Namen Substanz geben, weil wir ihr Daseyn zu aller Zeit voraussetzen, welches durch das Wort Beharrlichkeit nicht einmal wol ausgedruckt wird, indem dieses mehr auf künftige Zeit geht. Indessen ist die innre Nothwendigkeit zu beharren, doch unzertrenlich mit der Nothwendigkeit, immer gewesen zu seyn, verbunden, und der Ausdruck mag also bleiben.| Gigni de nihilo nihil, in nihilum nil posse reverti, waren zwey Sätze, welche die Alten unzertrent verknüpften, und die man aus Mißverstand iezt bisweilen trent, weil man sich vorstellt, daß sie Dinge an sich selbst angehen, und der erstere der Abhängigkeit der Welt von einer obersten Ursache (auch so gar ihrer Substanz nach) entgegen seyn dürfte, welche Besorgniß unnöthig ist, indem hier nur von Erscheinungen im Felde der Erfahrung die Rede ist, deren Einheit niemals möglich seyn würde, wenn wir neue Dinge (der Substanz nach) wollten entstehen lassen. Denn alsdenn fiele dasienige weg, welches die Einheit der Zeit allein vorstellen kan, nemlich, die Identität des Substratum, als woran aller Wechsel allein durchgängige Einheit hat. Diese Beharrlichkeit ist indes doch weiter nichts, als die Art, uns das Daseyn der Dinge (in der Erscheinung) vorzustellen.
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 Die Bestimmungen einer Substanz, die nichts anders sind, als besondere Arten derselben, zu existiren, heissen Accidenzen. Sie sind iederzeit real, weil sie das Daseyn der Substanz betreffen, (Negationen sind nur Bestimmungen, die das Nichtseyn von etwas an der Substanz ausdrücken). Wenn man nun diesem Realen an der Substanz ein besonderes Daseyn beygelegt, (z. E. der Bewegung, als einem Accidenz der Materie) so nent man dieses Daseyn die Inhärenz, zum Unterschiede vom Daseyn der Substanz, die man Subsistenz nennt. Allein| hieraus entspringen viel Mißdeutungen, und es ist genauer und richtiger geredt, wenn man das Accidenz nur durch die Art, wie das Daseyn einer Substanz positiv bestimt ist, bezeichnet. Indessen ist es doch, vermöge der Bedingungen des logischen Gebrauchs unseres Verstandes, unvermeidlich, dasienige, was im Daseyn einer Substanz wechseln kan, indessen, daß die Substanz bleibt, gleichsam abzusondern, und in Verhältniß auf das eigentliche Beharrliche und Radicale zu betrachten; daher denn auch diese Categorie unter dem Titel der Verhältnisse steht, mehr, als die Bedingung derselben, als daß sie selbst ein Verhältniß enthielte.

 Auf dieser Beharrlichkeit gründet sich nun auch die Berichtigung des Begriffs von Veränderung. Entstehen und Vergehen sind nicht Veränderungen desienigen, was entsteht oder vergeht. Veränderung ist eine Art zu existiren, welche auf eine andere Art zu existiren eben desselben Gegenstandes erfolget. Daher ist alles, was sich verändert, bleibend, und nur sein Zustand wechselt. Da dieser Wechsel also nur die Bestimmungen trift, die aufhören oder auch anheben können; so können wir, in einem etwas paradox scheinenden Ausdruck sagen: nur das Beharrliche (die Substanz) wird verändert, das Wandelbare erleidet keine Veränderung, sondern einen Wechsel, da einige Bestimmungen aufhören, und andre anheben.

|  Veränderung kan daher nur an Substanzen wahrgenommen werden, und das Entstehen oder Vergehen, schlechthin, ohne daß es blos eine Bestimmung des Beharrlichen betreffe, kan gar keine mögliche Wahrnehmung seyn, weil eben dieses Beharrliche die Vorstellung von dem Uebergange aus einem Zustande in den andern, und von Nichtseyn, zum Seyn, möglich macht, die also nur als wechselnde Bestimmungen dessen, was bleibt, empirisch erkant werden können. Nehmet an, daß etwas schlechthin anfange zu seyn; so müßt ihr einen Zeitpunct haben, indem es nicht war. Woran wollt ihr aber diesen heften, wenn nicht an demienigen, was schon da ist? Denn eine leere Zeit, die vorherginge, ist kein Gegenstand der Wahrnehmung; knüpft ihr dieses Entstehen aber an Dinge, die vorher waren, und bis zu dem, was entsteht, fortdauren, so war das leztere nur eine Bestimmung des ersteren, als des Beharrlichen. Eben so ist es auch mit dem Vergehen: denn dieses sezt die empirische Vorstellung einer Zeit voraus, da eine Erscheinung nicht mehr ist.
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 Substanzen (in der Erscheinung) sind die Substrate aller Zeitbestimmungen. Das Entstehen einiger, und das Vergehen anderer derselben würde selbst die einzige Bedingung der empirischen Einheit der Zeit aufheben, und die Erscheinungen würden sich alsdenn auf zweyerley Zeit beziehen, in denen neben einander das Daseyn verflösse, welches ungereimt ist. Denn es ist nur eine Zeit, in| welcher alle verschiedene Zeiten nicht zugleich, sondern nach einander gesezt werden müssen.

 So ist demnach die Beharrlichkeit eine nothwendige Bedingung, unter welcher allein Erscheinungen, als Dinge oder Gegenstände, in einer möglichen Erfahrung bestimbar sind. Was aber das empirische Criterium dieser nothwendigen Beharrlichkeit und mit ihr der Substanzialität der Erscheinungen sey, davon wird uns die Folge Gelegenheit geben, das Nöthige anzumerken.



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