Critik der reinen Vernunft (1781)/4. Hauptstück. Die Geschichte der reinen Vernunft
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Dieser Titel steht nur hier, um eine Stelle zu bezeichnen, die im System übrig bleibt und künftig ausgefüllet werden muß. Ich begnüge mich, aus einem blos transscendentalen Gesichtspuncte, nemlich der Natur der reinen Vernunft, einen flüchtigen Blick auf das Ganze der bisherigen Bearbeitungen derselben zu werfen, welches freilich meinem Auge zwar Gebäude, aber nur in Ruinen vorstellt.
Es ist merkwürdig gnug, ob es gleich natürlicher Weise nicht anders zugehen konte, daß die Menschen im Kindesalter der Philosophie davon anfiengen, wo wir iezt lieber endigen mögten, nemlich, zuerst die Erkentniß Gottes und Hoffnung, oder wol gar die Beschaffenheit einer andern Welt zu studiren. Was auch die alte Gebräuche, die noch von dem rohen Zustande der Völker übrig waren, vor grobe Religionsbegriffe eingeführt haben mochten, so hinderte dieses doch nicht den aufgeklärtern Theil, sich freien Nachforschungen über diesen Gegenstand zu widmen und man sahe leicht ein, daß es keine gründliche und zuverlässigere Art geben könne, der unsichtbaren Macht, die die Welt regiert, zu gefallen, um wenigstens in einer andern| Welt glücklich zu seyn, als den guten Lebenswandel. Daher waren Theologie und Moral, die zwey Triebfedern, oder besser, Beziehungspuncte zu allen abgezogenen Vernunftforschungen, denen man sich nachher iederzeit gewidmet hat. Die erstere war indessen eigentlich das, was die blos speculative Vernunft nach und nach in das Geschäfte zog, welches in der Folge unter dem Namen der Metaphysik so berühmt geworden.Ich will iezt die Zeiten nicht unterscheiden, auf welche diese oder iene Veränderung der Metaphysik traf, sondern nur die Verschiedenheit der Idee, welche die hauptsächlichste Revolutionen veranlaßte, in einem flüchtigen Abrisse darstellen. Und da finde ich eine dreifache Absicht, in welcher die nahmhafteste Veränderungen auf dieser Bühne des Streits gestiftet worden.
1. In Ansehung des Gegenstandes aller unserer Vernunfterkentnisse, waren einige blos Sensual-, andere blos Intellectualphilosophen. Epikur kan der vornehmste Philosoph der Sinnlichkeit, Plato des Intellectuellen genant werden. Dieser Unterschied der Schulen aber, so subtil er auch ist, hatte schon in den frühesten Zeiten angefangen und hat sich lange ununterbrochen erhalten. Die von der ersteren behaupteten: in den Gegenständen der Sinne sey allein Wirklichkeit, alles übrige sey Einbildung, die von der zweiten sagten dagegen: in den Sinnen ist| nichts als Schein, nur der Verstand erkent das Wahre. Darum stritten aber die ersteren den Verstandesbegriffen doch eben nicht Realität ab, sie war aber bey ihnen nur logisch, bey den andern aber mystisch. Jene räumeten intellectuelle Begriffe ein, aber nahmen blos sensibele Gegenstände an. Diese verlangten, daß die wahren Gegenstände blos intelligibel wären und behaupteten eine Anschauung durch den, von keinen Sinnen begleiteten und ihrer Meinung nach nur verwirreten reinen Verstand.Was nun die Beobachter einer scientifischen Methode betrift, so haben sie hier die Wahl, entweder dogmatisch oder sceptisch, in allen Fällen aber doch die Verbindlichkeit, systematisch zu verfahren. Wenn ich hier in Ansehung der ersteren den berühmten Wolf, bey der zweiten David Hume nenne, so kan ich die übrige, meiner ietzigen Absicht nach, ungenant lassen. Der critische Weg ist allein noch offen. Wenn der Leser diesen in meiner Gesellschaft durchzuwandern Gefälligkeit und Gedult gehabt hat, so mag er iezt urtheilen, ob nicht, wenn es ihm beliebt, das Seinige dazu beizutragen, um diesen Fußsteig zur Heeresstrasse zu machen, dasienige, was viele Jahrhunderte nicht leisten konten, noch vor Ablauf des gegenwärtigen erreicht werden möge: nemlich, die menschliche Vernunft in dem, was ihre Wißbegierde iederzeit, bisher aber vergeblich beschäftigt hat, zur völligen Befriedigung zu bringen.
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