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Colibri-Studien

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Textdaten
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Autor: F. B. Bernays
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Titel: Colibri-Studien
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 104-107
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[104]
Colibri–Studien.
Von F. B. Bernays.

Die wunderbarste Fülle und Pracht ihrer Farben hat die Natur über die Blüthen ausgegossen. Aber die tropische Vogelwelt steht in dieser Beziehung wenig zurück. Man braucht nur

Der gemeine Colibri Nordamerikas
(Trochilus colubris)

einmal die Volièren eines zoologischen Gartens die ornithologischen Schätze eines größeren Museums zu mustern, um einen Begriff zu bekommen von der Unerschöpflichkeit der Farbenzusammenstellungen und Zeichnungen, von dem leuchtenden Schmelz, womit diese lustigen, geflügelten Kinder einer heißeren Sonne geschmückt sind. Unsere Voreltern besaßen noch vor hundert Jahren kaum mehr als eine dunkle Vorstellung von dieser Unerschöpflichkeit; die populäre Kenntniß tropischer Vogelpracht ging nicht viel über den Pfau, den Papagei, den Paradiesvogel, den Colibri hinaus, und noch in meiner Jugend konnten ein mottenfräßiger Paradiesvogel- und ein eben solcher Colibri-Balg nebst ein paar andern unbedeutenden Raritäten ihren Mann ernähren, wenn dieser die Schulen der Dörfer und kleinen Städte mit solchen Schätzen heimsuchte. Noch heute giebt es Kinderbücher, welche nur „den“ Colibri kennen, die nebenstehend abgebildete Art, die ich später ausführlicher besprechen werde; und nicht blos Kinder sind es, die keine Ahnung von der außerordentlichen Mannigfaltigkeit der Formen und Farben haben, welche die Wissenschaft unter dem Namen der „Colibris“ zusammenfaßt.

Man vergleiche nur die auf dem nächstseitigen Bilde zusammengestellten Repräsentanten der südamerikanischen Colibris, welche zwar zu den durch Farbe und Form ausgezeichneten gehören, aber ebenso gut mit hundert nicht minder interessanten hätten vertauscht werden können! Selbst bei mangelnder Farbe - wie anmuthend originell tritt uns jeder einzelne entgegen! Und nun denke man sich die Farben hinzu, welche ich für die Leser mit Worten auftragen will, freilich auf die Gefahr hin, sie zu ermüden. Einer der schönsten Colibris ist der rechts oben sitzende, Topaza pella; sein Rumpfgefieder ist kupferrothgelb, goldglänzend, während der Kopf und ein Band, welches sich um die Kehle zieht, sammetschwarz sind; die Kehle selbst ist rein goldglänzend, in's Smaragdgrüne spielend, welche Farben, je nach dem Lichte, wechseln. Die Schwingen sind rothbraun, Schwanzdeckfedern grün und die verlängerten Schwanzfedern dunkelkastanienbraun.

Unter dem Topaza pella sehen wir die Prachtelfe, Lophornis ornata, mit bronzegrünem Rumpfgefieder und stufig verlängerten, hellröthlichbraunen Kragenfedern. Die Haube dieses zierlichen Thierchens ist hellbraunroth und das Gesichtsfeld, wie die Kehle, sind prachtvoll glänzend grün, Schwingen und Schwanz dagegen braunroth, während der hellfleischrothe Schnabel eine schwarze Spitze hat. Das Weibchen ist ohne allen Schmuck. Neben der Prachtelfe sitzt der durch seinen langen Schnabel ausgezeichnete Schwertschnabel, Docimastes ensifer, dessen Hauptfarbe, Grün, metallisch glänzend in verschiedene andere Töne spielt. Oben, auf

[105]

Südamerikanische Colibris.
Nach der Natur gezeichnet von Ch. A. Goering.

[106] der linken Seite des Bildes, putzt sich die Flaggensylphe, Steganurus Underwoodi, welche ebenfalls schillernd grün gefärbt ist. Der kleine, neben dem Schwertschnabel befindliche Colibri heißt Acestura Heliodori; der Rumpf des reizenden Thierchens ist grün: die Kehlfedern sind blutroth, glänzend, und die feinen Schwanzfedern schwarz.

Obgleich eine Reihe von ausgezeichneten Beobachtern, wie Audubon, Gosse, Gould und Andere, ausführliche Schilderungen der Colibris oder Schwirrvögel gegeben haben, glaube ich doch den Lesern der „Gartenlaube“ eine nicht uninteressante Unterhaltung zu bieten, wenn ich die seit einer langen Reihe von Jahren gemachten eigenen Beobachtungen bezüglich der am häufigsten nach Deutschland gebrachten Colibriart mittheile, welche im Allgemeinen auf alle bis jetzt bekannten Arten passen. Zur Zeit kennt man nahe an vierhundert verschiedene Arten dieser lebenden Juwelen im Reiche der Vögel.

In dem Theile von Illinois, den ich seit fast einem Vierteljahrhundert bewohne, beobachtete ich zwei Arten von Colibris. Die auf S. 104 abgebildete Art (Trochilus colubris), ungefähr drei Zoll lang, wovon aber der nadeldünne, etwas gekrümmte schwarze Schnabel ungefähr ein Drittel ausmacht, ist auf dem Kopfe, der Brust und dem Rücken glänzend smaragdgrün mit purpurrothem oder blauem Schimmer, je nachdem das Licht auf den Vogel fällt, am Halse brennend rubinroth; die kurzen Flügelchen sind schwärzlich und unten am Bauche weißlichgrau.

Die andere Art, deren wissenschaftlicher Name mir unbekannt (Selasphorus rufus? D. Red.), ist durchaus kupferroth mit glänzendem Metallschimmer. Die erste Art ist sehr häufig, kommt schon im Mai und verläßt uns erst in der Mitte des Monats October. Die kleinere rothe Art ist hingegen selten, und ich habe sie nur sehr vereinzelt in der heißesten Zeit des Sommers zu Gesicht bekommen, auch einen Unterschied in den Lebensgewohnheiten beider Arten nicht bemerken können. Sie ernähren sich von den fast mikroskopisch kleinen Kerbthieren, die sich in den Blumenkelchen aufhalten, und das bischen Honig , das dabei mit aufgesaugt werden mag, kann nur als Zuspeise gelten; wenigstens war der Magen, den ich bei einigen getödteten Exemplaren untersuchte, fast gänzlich mit kleinen Insecten und deren Ueberresten angefüllt. Meine Annahme wird noch dadurch verstärkt, daß sie alle Blumen, von denen doch viele giftig sind, ohne Unterschied besuchen. Freilich zeigen sie für einige Blumen, wie z. B. Bignonien, Ipomäen, Malvaceen, besondere Vorliebe, dies mag aber durch deren röhren- und trichterförmigen Bau besagter Blumen, welche deswegen leichter zugänglich und durchsuchbar sind, verursacht sein. Hierbei ist zu bemerken, daß alle Bignonienarten mehr oder weniger giftig sind.

Beide Colibriarten scheinen nicht hier zu brüten; wenigstens habe ich trotz der sorgfältigsten Nachsuchungen noch kein Colibrinest aufzufinden vermocht und ebenso wenig von Anderen gehört, daß sie in Aufsuchung solcher erfolgreicher gewesen wären. Auch unsere luchsäugigen amerikanischen Jungen, denen ich eine Belohnung für die Auffindung eines Nestes zusicherte, sind nicht glücklicher gewesen. Die Stimme der Colibris ist ein leises Zirpen, welches sie nach ihren verschiedenen Affecten außerordentlich zu moduliren wissen, sodaß man bei einiger Aufmerksamkeit und Erfahrung leicht erkennen kann, ob sie damit Wohlbehagen, Schmerz, Furcht oder Zorn ausdrücken wollen. Die kleinen Bursche sind nämlich gar nicht wenig zornmüthig, aufbrausend und streitsüchtig, und nicht nur daß sie unter sich selbst gar häufig in Hader und Streit sind: sie scheuen sich nicht im Mindesten, Händel mit zehnfach größeren Vögeln anzufangen, die sie auch gewöhnlich in die Flucht jagen, da sie ihnen sowohl durch blitzschnelle Manöver wie durch die mit den nadelspitzigen Schnäbeln gegen die Augen gerichteten Angriffe überlegen sind.

Nur höchst oberflächlich und cursorisch wurde in allen Schriftwerken, die ich über die Colibris las, deren Flug besprochen, und in keiner der mir zur Hand gekommenen Beschreibungen ist derselbe richtig geschildert worden. Ihre Leistungen in dieser Beziehung sind ganz außerordentliche, und sie können als wahre Virtuosen in der Kunst des Fliegens betrachtet werden. Weder irgend ein anderer Vogel, noch ein fliegendes Insect hält einen Vergleich mit ihnen aus; am meisten ähnelt der Flug des Colibris dem der großen Abendfalter, wenn dieselben Nahrung suchend die Blumen umschwirren. Sie sind im Stande, mehrere Minuten lang an einem Platze in der Luft still zu stehen. Der kleine Körper bleibt dabei vollkommen in der Ruhe, und nur die Flügelchen bewegen sich mit so enormer Schnelligkeit, daß man sie nur schattenhaft erkennen kann, und mit einem Geräusch, welches dem einer schnarrenden Spindel gleicht. Dabei können sie sich langsam oder schnell ganz beliebig nach allen Richtungen rechts oder links, aufwärts und abwärts, ja sogar rückwärts bewegen, ohne den Kopf dahin richten zu müssen, wohin sie zu kommen beabsichtigen. Diese Flugweise wenden sie aber nur dann an, wenn sie, die Blumenkelche durchsuchend, sich von einer Blüthe zur nahestehenden andern bewegen, und sie wissen trotz der immensen Schnelligkeit des Flügelschlags auf Haarbreite genau vor der Blume still zu stehen, die sie gerade durchsuchen wollen. Für weitere zu durchmessende Entfernungen fliegen sie wie andere Vögel mit dem Kopfe voran, aber mit der ihnen eigentümlichen Schnelligkeit. Auch vermögen sie fast schnurgerade senkrecht zu beträchtlicher Höhe zu steigen.

In der Gefangenschaft sind sie äußerst schwierig am Leben zu erhalten. Ich habe es nur ein einziges Mal versucht, als sich vor mehreren Jahren ein Colibri von der seltenen kleinen Art zwischen unsere amerikanischen Schiebfenster verflog und wir ihn, um ihn nicht zu beschädigen, mit dem Schmetterlingsnetze erhascht hatten. Da nun die Frau meines Hausmiethers ausnahmsweise gerade kein kleines Kind hatte, so wurde der vacante großmaschige Wiegenkorb mit einem Muskitonetze überdeckt und unser kleiner Gefangener in dieses improvisirte Vogelbauer gesetzt. Zur Nahrung wurden ihm jeden Tag zwei- bis dreimal große frische Blumenbouquets sowie ein Näpfchen mit stark verdicktem Zuckerwasser in seine luftige Wohnung gegeben. Er schnurrte und summte den ganzen Tag um die Blumen, sein Schnäbelchen bald hier und bald dort in deren Kelche tauchend, ohne je das Zuckerwasser zu berühren, und setzte sich nur des Abends bei einbrechender Dämmerung auf eine hervorstehende Weidenruthe in seinem Korbe, aber schon am vierten Morgen fanden wir ihn ganz erschöpft und wie todt mit ausgebreiteten Flügeln am Boden liegen und beschlossen, ihm lieber die Freiheit wieder zu geben, als ihn elend in der Gefangenschaft verkommen zu lassen. Wir trugen den Korb alsbald in’s Freie, und kaum daß wir das Muskitonetz hinweg gezogen hatten, so schoß er mit fröhlichem Zirpen kerzengerade in die Höhe und war im Moment unsern Blicken entschwunden. Uebrigens sollen schon zu verschiedenen Malen Damen in St. Louis Colibri’s von der größeren grünen Art unter ähnlicher Behandlung, wie ich sie eben angab, einige Monate in der Gefangenschaft am Leben erhalten und sie gegen Ende des Sommers frei gelassen haben.

Auf der Südseite meines Hauses am Garten ist die Veranda von einer mächtigen Bignonia radicans ganz übersponnen und vom Juli bis September mit deren großblumigen orangerothen Blüthenbüscheln übersäet. Nun pflege ich während der heißen Sommerzeit in diesem stillen Schattenplätzchen manchen lieben Tag lesend und studirend zuzubringen oder rauchend im dolce far niente zu verträumen. Da schwirren und schweben nun meine kleinen Lieblinge vom frühen Morgen bis zum späten Abend um diese Blüthen, emsig beschäftigt, jede derselben nach kleinen Insecten zu durchsuchen. Manchmal ist ein ganzes Dutzend auf einmal da. Jeder Einzelne hält sich jedoch sein eigenes Revier von ein paar Quadratyards, und so lange sich keiner einen Uebergriff in die Domäne des Nachbars erlaubt, oder kein Vogel anderer Art sich die Freiheit nimmt, zu nahe an ihnen vorbeizufliegen oder sich gar in ihrer Nähe auf einen Zweig zu setzen, herrscht die schönste Eintracht unter ihnen.

Leider kommen jene Zwischenfälle gar häufig vor, und dann hört auch augenblicklich alle Gemüthlichkeit auf. Mit gesträubtem Gefieder und wuthblitzenden Augen fährt der im ruhigen Genuß Gestörte auf den frevelnden Nachbar los; blitzschnell steigen sie in die Höhe und hoch in den Lüften entbrennt der erbitterte Kampf, daß die ausgerauften Federchen lustig fliegen, bis endlich der Besiegte das Weite sucht. Ein fremder Eindringling aber, und sei es auch, wie gesagt, ein zehnmal größerer Vogel, wird von einem Colibri allein, manchmal auch von dem ganzen Völkchen mit vereinten Kräften angegriffen und jedesmal in die schmählichste Flucht geschlagen. Nach einer solchen Haupt- und Staatsaction dauert es stets geraume Zeit, bis sie sich wieder gänzlich beruhigen, und wenn sie auch schon nach einigen Minuten zu ihrer [107] gewohnten Beschäftigung zurückkehren, so scheinen sie durch ihr lauteres und eifriges Zirpen noch lange nachher ihre Indignation über das geschehene Capitalverbrechen und ihre Freude über dessen Bestrafung ausdrücken zu wollen.

Zuweilen fällt es wohl einem oder einigen aus der kleinen Gesellschaft ein, die auf der Nordseite in Kübeln oder Töpfen abgestellten Granaten, Oleander, Geranien, Pelargonien und Cactusse zu besuchen, und sie schwingen sich dann in graciösen Bogen über das Hausdach, um auf der anderen Seite genau vor derjenigen Blume, die sie zu durchsuchen beabsichtigen, in der Luft stehen zu bleiben. Sie halten sich aber nie lange dort auf und kehren schon in wenigen Minuten nach der sonnigen Seite zurück, da sie sich nur in Wärme und Sonnenlicht, ihrem eigentlichen Lebenselemente, wohl und behaglich zu fühlen scheinen.

Wenn ich zuweilen ruhig und unbeweglich da saß, näherten sie sich mir bis auf Armeslänge, sahen mich, in der Luft still stehend, mit ihren verhältnißmäßig großen, wie schwarze Diamanten blitzenden Augen freundlich an und zirpten ganz leise und zutraulich, aber schon die geringste Bewegung von meiner Seite genügte, sie augenblicklich zu verscheuchen. Nach einiger Zeit wurden sie um ein Weniges vertrauter, sodaß ich eine Seite in meinem Buche umschlagen, oder einen Zug aus der Pfeife mir erlauben durfte, ohne befürchten zu müssen, sie aus meiner Nähe zu vertreiben. Alle weiteren Annäherungsversuche sind erfolglos geblieben. In den langen Jahren meiner Beobachtungen habe ich nur zwei Mal Colibris im Freien sitzend bemerkt. Einmal einen allein, und das andere Mal ein auf einer Astgabel sich schnäbelndes Pärchen, und ich kann mich nicht erinnern, in meinem ganzen Leben ein zierlicheres und reizenderes Bildchen gesehen zu haben.