Cochem
Dumpfe Luft bedeckte den Himmel; einzelne Lichtblitze fielen auf die eine oder andere Partie der Landschaft; wie ein schwarzer abgeschlossener Gebirgssee fluthete die Mosel drunten zwischen furchtbaren Felswänden. So etwa war die Naturscenerie, die uns, nachdem wir Beilstein den Rücken gewendet, auf Cochem, den größten Ort zwischen Trier und Coblenz, vorbereitete. Noch eine Stromwendung – dann schloß den Hintergrund ein ungeheurer Felskopf, darauf ein Kreuz. Von der zur Linken gelegenen Kuppe aber dräuten schier erdrückend die mächtigen Thürme und Zinnen einer Burg, deren Mauern und Vorwerke festungähnlich den ganzen Berg umschlossen. Häuser mit verfallendem Lehm- und Balkenwerk, mit moosbewachsenen altersgrauen Schieferdächern reihten sich den Strom entlang; weiter erschien, zwischen Wasser und Felsen eingeengt, eine Stadt, darüber ein malerisch gelegenes Kloster, und noch weiter drüben, versteckt in einem Seitenthale, erhoben sich die grauen, lichtlosen Reste einer zweiten Burg.
Wir sind in Cochem.
Düster, tief melancholisch ist das Gepräge dieser Gegend; vor uns steht die ganze Oertlichkeit wie ein ernstes, fast finsteres Stück Mittelalter. Und wahrlich, gar gut stimmt dieser Farbenton mit der tragischen Vergangenheit der Stadt, mit der unheimlichen Geschichte des Schlosses, das gleich einem Unheil brütenden Riesen auf dem schroffen Felsen lastet. Wohl kaum giebt es eine Burg im deutschen Lande, die im Laufe der Zeit so viel Furchtbares gesehen, die in den Geschicken ihrer Besitzer ein so ergreifendes Bild des wildbewegten Ritterthums vor uns entrollte, wie die von Cochem. Schon gleich das erste Blatt der Schloßchronik ist mit Blut befleckt.
Vor acht Jahrhunderten, viele Jahre bevor der tapfere Markgraf Albrecht der Bär den Nordosten Deutschlands mit Schwert und Kreuz öffnete, als die Mark noch ein unbekanntes Stück Erde voll unübersehbarer Sandwüsten und undurchdringlicher Moräste war, blühte schon in den Mosellanden reiches Leben. Hier herrschte das weitverzweigte Fürstengeschlecht der rheinischen Pfalzgrafen und unter ihnen, im elften Jahrhundert, ein Mann, den sein tragisches Geschick bekannter gemacht.
Burg Cochem war des Pfalzgrafen Heinrich (Ezzonischen Stammes) Residenz; von hier aus zog er mit Schwert und Schild gegen Anno, den zelotischen Erzbischof von Köln, mit dem er in bittere Fehde geraten. Wohl war der tapfere Mann seinem Gegner im Kampfe der Waffen überlegen; der geistliche Herr, den die Kirche „den Heiligen“ nennt, hatte aber furchtbarere Kampfmittel; „Bann und Interdict“ waren die sengenden Blitzstrahlen, die den Pfalzgrafen trafen und ihn nach langer Gegenwehr zwangen, demüthig um Frieden zu bitten. Der Stolz Heinrich's konnte diese Niederlage nicht verwinden. Gebrochen an Leib und Seele, nahm er Abschied von seinem Weibe, von der Welt, um im Kloster Gorze sein Leben zu beschließen. Hier aber, in der Einsamkeit des Klosterlebens, erwachte auf's Neue der ritterliche Thatendrang in ihm; mächtig hinaus riß ihn das alte Ehrgefühl; er entwich den weihrauchduftenden Klosterwänden und warf auf's Neue dem Kirchenfürsten den Fehdehandschuh hin. Mit seinem Heere zog er vor die Mauern Kölns zu harter Belagerung, aber – noch war die geistliche Macht zu stark, um ihm nicht erfolgreich begegnen zu können. Mit Drohungen ewiger Strafen fuhr der finstere Anno unter die muthlosen Bürger, trieb sie zu den Waffen und auf die Mauern und erzwang nach harten Kämpfen die Aufhebung der Belagerung. Im Jahre 1061 sah
[117][118] Heinrich ein mächtiges Heer unter dem Krummstabe seines Gegners im Moselthale heranziehen. Er rüstete sich zum letzten Entscheidungskampfe und ging dann, Abschied zu nehmen von seinem inniggeliebten Weibe Mathilde.
In diesem Moment muß Alles auf ihn eingestürmt sein, die Erinnerung seiner ersten Niederlage, die Furcht, eine zweite, womöglich noch schmachvollere zu erleiden – es war genug, um den erregten Geist des Mannes außer Fassung zu bringen. Wahnsinn umnachtete ihn; er griff zur Streitaxt und – erschlug sein Weib. Irre lächelnd trat er dann unter seine Krieger. Entsetzen faßte diese, als sie die schauerliche Kunde vernahmen, und traurig führten sie ihren unglücklichen Herrn hinweg in's Kloster Echternach. Anno aber erntete die Früchte aus dem Unglück seines Gegners.
Zwanzig Jahre später finden wir Hermann von Salm, den „Knoblauchskönig“, den Gegner Kaiser Heinrich's des Vierten, auf Cochem. Im Kampfe gegen seinen Herrn schmählich unterlegen, hatte er sich hierher zurückgezogen „mit dem leeren Königsnamen“. In später Abendstunde mit seinem Gefolge von der Jagd zurückkehrend, verabredete sich König Hermann einstens mit seinen Gefährten, um die Wachsamkeit der Wächter zu prüfen, die Burg als Feinde anzugreifen. Mit lautem Kriegsgeschrei stürmten die wilden Gesellen gegen die Zugbrücke. Die Wächter waren wirklich nicht auf dem Posten; von der Zinne aber erblickte ein Weib die Nahenden, und kaum setzte Hermann den Fuß auf die Zugbrücke, da sauste ein Felsstück hinab, und zu Tode getroffen, sank der König am Thore seines Schlosses nieder und starb. Das war am 28. September 1088.
Wieder sind zwanzig Jahre vorüber. Ein anderer Herr saß auf der Burg, Pfalzgraf Siegfried, den die Sage wunderlicher Weise mit Genoveva in Verbindung gebracht hat. Fern von seiner ascanischen Heimath, hatte er hier Macht und Ruhm erlangt und wohnte in Cochem. Als um diese Zeit, vom Papste und dem Glanze der Krone verlockt, der eigene Sohn ruchlos die Hand gegen Kaiser Heinrich den Vierten erhob und die deutschen Fürsten, schmachvoll genug, den alten Mann verließen, war es Siegfried so ziemlich allein, der für die Sache seines Herrn das Schwert zog. Aber das Heer des Kaisers unterlag, und voll Groll ließ später der junge Kaiser Heinrich den Pfalzgrafen ohne Grund verhaften und in's Gefängniß werfen. Dem Entlassenen drückte ein neues Unrecht des Kaisers die Waffen in die Hand, und in dem wilden Kampfe, der nun entbrannte, fiel der Besitzer Cochems, erschlagen durch die Hand des Grafen Hoyer von Mansfeld. Schon nach zwanzig Jahren sank auch sein Sohn ohne Nachkommen in's Grab.
Auch den neu antretenden Bewerbern um die Burg brachte dieselbe Verderben. Da waren es Siegfried Otto von Rheineck und Hermann von Stahleck, die ob des Besitzes der Unglücksburg – denn so kann man sie mit Recht nennen – in heftigen Kampf geriethen. Zwar eroberte unterdeß Kaiser Conrad die Burg, aber der Kampf zwischen den beiden Bewerbern dauerte fort, bis endlich Siegfried von Rheineck durch List in die Hände seines Gegners fiel und von diesem im Burgverließ seines Schlosses erbarmungslos erdrosselt wurde. Ohne Erben wankte der greise Vater desselben dem Grabe zu. Aber auch den Stahlecker ereilte das Geschick. Als Barbarossa den Rhein besuchte, residirte er auch auf der Burg Cochem und verurtheilte den Reichsfürsten ob seiner That zur schmachvollen Strafe des Hundetragens. Dieser öffentliche Schimpf nagte dem Stahlecker am Leben; er ging in's Kloster Eberach und starb gleichfalls ohne Erben.
Später verpfändete König Adolph in seiner Geldnoth die Burg an den Erzbischof von Trier, und so blieb sie das Mittelalter hindurch unter geistlicher Herrschaft. Doch noch einmal sollte sich ihr Ruf in schrecklicher Weise erneuern. Mit dem Jahre 1689 begann für die Pfalz wie für die Moselgegend unsägliches Elend. Auf dem bei Trarbach gelegenen Montroyal hatten die Horden Ludwig's des Vierzehnten, des „allerchristlichsten Königs“, ihr Räubernest gebaut und unternahmen von dort aus Raub- und Streifzüge weit in's Land hinein.
Da verging kein Tag, wo nicht auch Cochem geplagt gewesen wäre mit Einquartierung, Contributionen etc. Gar bitterlich klagt in einem noch erhaltenen Tagebuche ein Cochemer, wie Tag für Tag die „Packahns oben herab kommen vom Montroyal“, wie sie „die Thüren mit Pallisaden uffgelaufen, die Einwohner übel tractirt, den Schorenstein gefegt und den Wein mit großen Bütten aus dem Keller getragen“. Weiter schildert er, wie „den 8. May (1689) gegen den Abendt das Schloß Winnenburg ahn den Himmel gehenkt und jämmerlich verbrannt worden, nachdeme daß die Minen allererst ahngezündtet; dieses spectacul ware grausam in der Nacht ahnzusehen und sollte man vermeint haben, die Hölle stündte offen“.
Den 19. Mai wurde die „Execution“ des Schlosses Cochem vorgenommen, und sind „gesampte Officiere vff daß Schloß Cochem gangen vndt bei hellem Sonnenschein dasselbe dem Vulcano aufgeopfert, wohlerwogen eine so grausambe Fewersbrunst erwecket, daß leider Gottes nicht ohne Wehe thun und Zähren Vergießung die Ruin dieses Hauses anzusehen gewesen“. Drei Tage dauerte das Sprengen und Sengen; dann „ist der Mordtbrenner de Saxis mit seiner Schergen rotte die Mosel nauf marchirt und hat dem Hause Beilstein und andern dergleichen mehr den Rest geben“.
Bis zu dem für die Stadt verhängnißvollen Ludwigstage, Ende August, reicht das Tagebuch des Cochemers nicht; vielleicht ist auch er, wie viele Andere, unterdeß zum stillen Mann gemacht worden. An genanntem Tage aber nahte Marschall Boufleurs mit einer starken französischen Heeresabtheilung der wieder von deutschen Truppen besetzten Stadt. Sturm auf Sturm wurde abgeschlagen; bis zum Nachmittage dauerte das Ringen – da endlich siegte die Uebermacht der Franzosen; die Mauern wurden erstiegen, und nun begann ein Straßenkampf, ein Würgen, das jeder Beschreibung spottet. Noch zeigt man das Kellerfenster, aus dem ein Bürger einen französischen Obersten mit einem silbernen Knopfe in Ermangelung einer Kugel vom Pferde schoß. Erbarmungslos ließen die Franzosen Besatzung und Bürgerschaft über die Klinge springen, und nur wenige angesehene Personen überlebten das traurige Ende des Ortes.
Der Wohlstand Cochems war für lange Zeit dahin; dazu kam die Abgelegenheit, die schließlich den Cochemern, im grellen Gegensatze zur tragischen geschichtlichen Vergangenheit ihrer Vaterstadt, den Ruf der Schöppenstädter und Schildaer einbrachte. An Mosel und Rhein weiß man viel zu berichten von tollen Streichen, welche die ehrsame Bürgerschaft daselbst verübt haben soll, und wenn's wahr ist, was man erzählt, so ist bei ihnen noch heute die Sonnenuhr des Klosters unter dem Dache angebracht. Sonnenlicht ist allerdings niemals aus den Mauern desselben herausgedrungen; berühmt oder berüchtigt vielmehr ist sein Name geworden durch den Pater Cochemius, der in seinen zahlreichen Erbauungsschriften der sündigen Welt die seltsamsten und ungeheuerlichsten Höllenqualen verhieß.
Man muß gestehen, es gehört Gleichmuth dazu, ein Schloß, in dessen Räumen eine so furchtbare geschichtliche Vergangenheit ruht, zum Wohnsitz sich auszuwählen, wie herrlich seine Lage auch sein mag. All die traurigen Ereignisse, all die blutigen Gestalten der unglücklichen Besitzer werfen einen tiefen Schlagschatten auf dasselbe. Und doch entschloß sich vor etwa einem Jahrzehnt ein Mann, dessen Name guten Klang hat bei Künstlern und Gelehrten, der Geheime Commerzienrath Ravené in Berlin, die alte Größe aus den düsteren Ruinen aufzuwecken. Mit fürstlicher Freigebigkeit und einem Kunstsinn wie man ihn so selten bei derartigen Neuschöpfungen findet, leitete er die Ausführung der Arbeiten, und bald erhob sich das neue prachtvolle Schloß aus dem gespensterhaften dunklen Trümmerhaufen. Am 15. Mai 1878 ward im großen Banketsaale der wiedererstandenen Burg zugleich die Vollendung des Baues wie auch die Eröffnung der Moselbahn durch eine erlesene Gesellschaft gefeiert.
- ↑ Vergl. Jahrg. 1879, Nr. 21.