Circassisches Lebens- und Sittenbild
[332] Circassisches Lebens- und Sittenbild. Sobald wir in Bardan (dem Kaukasushafen am schwarzen Meere, von wo die schönen Circassierinnen nach Constantinopel exportirt werden, wie die Georgerinnen von Trebisond) an’s Land stiegen, sahen wir uns von einer großen Menge Circassier umgeben, die uns durch Wälder und Gesträuche und an Teichen hin in ein lang gestrecktes Gefilde führten, wo hölzerne Hütten sich erhoben – die Niederlassungen der Leute. (Wir übersetzen dies aus dem Briefe eines englischen Offiziers.) Sie waren sehr hübsch, groß, schön und zuthunlich und unterstützten uns auf jede Weise, als wir steile Hügel und Waldberge weiter landwärts bestiegen. Unterwegs trafen wir zwei junge circassische Damen, ziemlich vollmondig, aber von der weißesten Farbe und gefällig im Ausdruck. Einer unserer Führer rief ihnen zu, sie möchten ihre Gesichter bedecken. Doch waren sie zu aufgeklärt, diesem Befehle zu gehorchen, so daß sie uns mit derselben Neugier anstaunen konnten, wie wir sie. Die herrlichen Panoramen von Waldungen mit Dörfern dazwischen und schneebedeckten Gebirgen dahinter, will ich nicht beschreiben. Als wir nach dem Meere herab zurückkletterten, begegneten wir einem nobel aussehenden alten Manne zu Pferde mit zwei wunderschönen Mädchen. Als er uns zuerst erblickte, zog er sein Schwert, doch da er uns unbewaffnet sah, nahm er wieder eine friedliche Position an und war ganz glücklich, als er hörte, daß wir Engländer seien. Dann kamen seine beiden Töchter und gaben Jedem von uns sehr reizend und treuherzig die Hand. Die eine war etwa zwölf, die andere vierzehn Jahre alt, die letztere von unbeschreiblicher Schönheit. Blaue Augen, weiße Haut, blondes Haar (Baron von Haxthausen weist in seinem Werke über den Kaukasus nicht nur deutsche Gestalten, sondern auch ganz altdeutsche Sitten und Gebräuche im Kaukasus nach, aus welchem Deutschland auch ursprünglich hervorging). Der alte Vater erzählte uns, daß seine beiden Töchter höchst glücklich sein würden, wenn wir 20,000 Piaster für sie gäben (etwa 1400 Thaler für Beide). Diese Circasserinnen sehnen sich im Allgemeinen eben so sehr nach Constantinopel oder sonst wohin an einen Herrn verkauft zu werden, wie ein deutsches Mädchen unter die Haube. Die schöne Blauäugige bewies dies ohne Weiteres durch ihren bittenden Blick, sie sehnte sich, an den Mann zu kommen. Zu Hause gehen sie in groben Kleidern in der Wildniß umher, werden aber meist in allen möglichen schönen Künsten, besonders in Musik, unterrichtet und mit Erzählungen von den goldenen Dächern, Gemächern und Kleidern Constantinopels erzogen. (Große Sittenstrenge soll dagegen unter den Kaukasiern der Landseite herrschen). Zwei Schiffe, die eben abgingen und denen Weiber und Mädchen aus Büschen hervor nachsahen, enthielten jedes 200 Stück frische Waare für Constantinopel, wie mir ein französischer Offizier erzählte. Die in dem einen Schiffe sollen mehr als 130,000 Thaler gekostet haben. Welch eine Quelle der Demoralisation für Aeltern schöner Töchter ist diese türkische Vielweiberei um’s ganze schwarze Meer herum. Andere Aeltern müssen sich abquälen und thun’s mit Vergnügen, um ihre Töchter mit „Mitgift“ auszustatten; hier erzieht man sie, um sie als Waare zu verkaufen und Geld aus ihnen zu lösen. – Ein Buch mit Ansichten Constantinopels entzückte alle unsere circassischen Gäste und ein Colt’scher Revolver, mit dem ich sechs Mal hinter einander schoß rief ein unendliches Gerufe: „Marschalloh! Marschalloh!“ und jauchzendes Gelächter hervor. Als der alte Vater der beiden Schönheiten ein Bild der „griechischen Sklavin“ erblickte, hielt er die Hand vor die Augen, wie die zarteste armenische Zierpuppe, derselbe alte Held, der seine Töchter gern verkaufen wollte. Die Circassier sind Aristokraten der Wildniß, so groß und schön sehen sie aus, so klein und zierlich sind Hände und Füße. In ihren gelben Kleidern und seidenen Ueberwürfen mit pistolengespickten Gurts sehen sie besser aus, als der geputzteste Zampa auf dem Theater.