Christus mit dem Zinsgroschen (Gemälde der Dresdener Gallerie)
Noch immer war Alt-Venezia die über Inseln herrschende „Königin“, obgleich sie die ersten verhängnißvollen Schritte gethan hatte, um von ihrer mächtigen Höhe für alle Zeiten herabzusteigen. Man schrieb das Jahr 1502.
Der Weg um’s Cap der guten Hoffnung nach Ostindien war von den unerschrockenen Lusitaniern aufgefunden, und der Erbfeind Venedigs, der Muselmann, beugte unter Sultan Bajesid die Macht der Republik, und die Fahne mit dem Flügelbären waren namentlich im griechischen Archipel vor dem Halbmonde in den Staub gesunken.
Dennoch war Venedig Venedig. Segelte man hinaus auf die Rhede zwischen den unendlichen Mastenwald oder schoß auf der Gondel durch die Kanäle an den majestätischen Palästen hin, so bemerkte man keine Spur von den Staatsunfällen, welche die sorgenschweren Häupter der Rathsherren erfüllten. Reges, gewinnbringendes Leben zeigte sich allenthalben und die vornehmen Republikaner hatten von ihrem Reichthum, ihrer Pracht und Kunstliebe, und das Volk von seinem Wohlstande und seiner unersättlichen Vergnügungssucht nichts eingebüßt.
Die letztere war vielleicht größer geworden als sonst, seit die Regierung – vielleicht in hochpolitischer Absicht – gewisse beschränkende Verbote in dieser Beziehung aufrecht zu erhalten unterließ. So durfte sonst, sobald die letzte Stunde vor Mitternacht eingetreten war, Niemand eine Serenade mehr bringen, und die Menge mußte noch eine Stunde früher die öffentlichen Plätze räumen. Masken durften sich nicht zeigen. Alles dies ward übersehen. Um Mitternacht noch klangen die Guitarren und klagten die maskirten Liebhaber, an den Schnabel der Gondel gelehnt, unter den Gitterfenstern der Angebeteten; und die Piazzetta, gegenüber dem Dogenpalaste, war bis zum lichten Morgen der Tummelplatz für alle Nachtschwärmer, die hier tranken, sangen und – was früher bei schwerster Strafe verpönt war – unter freiem Himmel Faro spielten. Es gab wieder häufige Dramen, die mit Dolchstichen, und nächtliche Unterredungen der jungen Herren, die mit Degenstößen endigten. Die Richter aber schienen zu schlafen, und die furchtbaren Löwenköpfe auf dem Corridor über der Riesentreppe des Dogenpalastes schienen seit einiger Zeit die heimlichen Anklagezettel, welche ihr Rachen aufnahm, zu zermalmen, so daß sie nicht den Rächern zu Gesicht kamen.
Neben diesem freieren äußerlichen Leben in der Lagunenstadt regte es sich nicht weniger in der Welt des Geistes. Die Meereskönigin hatte schon längst den Namen der Mutter der Gelehrsamkeit geführt; die Wissenschaften aber schienen vor dem Glanze zu erbleichen, mit welchem die Kunst sich aufschwang. Rasch hatten die Venezianer von Antonello von Messina an, in den [118] Schöpfungen Vittore Carpaccio’s, Carlo Crivelli’s, Giovanni da Udine’s und Pellegrino’s die Malerei emporblühen gesehen. Als der Meister Giovanni Bellini erstand, schien es nur noch eines letzten Aufschwunges zu bedürfen, damit in Venedig durch die Malerei die ewige Schönheit erreicht wurde, welche Rafael Santi in Rom, Michel Angelo in Rom und Leonardo da Vinci in Mailand offenbart hatten. Die Sterne Giorgione’s, Tizian Vecellio’s und Giovanni Antonio Lixinio Pordenone’s waren in Venedig aufgegangen, und diese drei Künstler schienen berufen, eine bisher in den großen Schulen Italiens noch nicht vertretene Richtung, die Darstellung eines wonnigen, irdisch-seligen Seins, die reizende, schöne Wirklichkeit zur Vollendung zu erheben.
Die ausgezeichneten Kunstkenner Venedigs prophezeihten dem Tizian: er werde den Lorbeer nicht allein von Bellini, sondern auch von seinen Altersgenossen Giorgione und Pordenone davon tragen; ein Urtheil, welches die Ursache wurde, daß Giorgione alle Verbindung mit Tizian aufhob und sich ihm gegenüber in eisiges, finsteres Schweigen hüllte, während da Pordenone, um einige Jahre jünger als Tizian, diesen mit aller Leidenschaft eines Italieners anfeindete und ersichtlich eine Gelegenheit aufsuchte, um durch seinen Stoßdegen seinen bittern Empfindungen gegen den ehemaligen Freund Luft zu machen.
An der Eifersucht dieser drei Künstler nahm ganz Venedig Theil. Man drängte sich in den Palästen der Grimani, Foscari, der Vedramini-Calergi und wie die Namen der reichen, kunstsinnigen Nobili weiter hießen, sobald ein neues Bild der anstrebenden Jünglinge sich den in den ernsten Sälen bereits prangenden Kunstschätzen angeschlossen hatte, um zu urtheilen, welcher der Meister im Augenblicke die Oberhand über die Nebenbuhler gewonnen habe. Tizian Vecellio errang die meisten und zuletzt alle Siege. Dieser Maler, obgleich nicht in Venedig selbst, sondern auf der Terra ferma in Capo del Cadore, in den Alpen von Friaul geboren, war so durch und durch Venezianer, daß seine Gemälde, außer ihren anderen Vorzügen, wie noch nie ein Meister es zu malen verstanden, das Charakteristische dieser stolzen, sinnlichen, leidenschaftlichen und feingebildeten Insulaner wiederspiegelten. Selbst das niedere Volk verstand daher die Schönheiten der Gemälde Tizian’s fast instinktmäßig. Dies zeigte sich höchst auffallend, als Tizian’s erstes größeres Oelbild, die Himmelfahrt der Maria in der Kirche der Minoriten, ausgestellt wurde. Noch nie hatte eine Madonna die Herzen der Venetianer so zu rühren vermocht, als diese wahrhaft venezianische Gottesmutter in ihrer irdischen Schönheit.
Tizian, der ausgezeichnetste Maler in Venedig, war zugleich der bescheidenste und offenste. Er gestand ohne Rückhalt, wie von seinem Lehrer Bellini das Zeichnen, so habe er das eigentliche Malen erst von Giorgione nicht gelernt, sondern abgesehen. Pordenone dagegen schwur, er werde Tizian erstechen, als dieser vor einem Bilde Pordenone’s arglos geäußert hatte: daß sein Nebenbuhler von ihm die Kunst, schöne, nicht manierirte Hände zu malen, entlehnen müsse, um tadellos zu sein. Seit dieser Zeit war Tizian dem Pordenone ausgewichen, eine Sanftmuth, die dieser als Feigheit zu bezeichnen sich nicht gescheut hatte. Pordenone sollte indeß bald in den Fall kommen, Tizian’s Entschlossenheit zu prüfen.
In einer herrlichen Sommernacht schlenderte Tizian, eine seiner vielen schönen Freundinnen, Signora Giuditta Farsani, die Tochter eines verarmten Nobile am Arm, über den Marcusplatz zur Piazetta. Den Gürtel mit Goldstücken gefüllt, durch eine meisterhafte Diana [119] erworben, forderte er eine kurze Zeit das Glück an den Farotischen des liederlichen jungen Manfredi heraus, welcher beiläufig einer der ersten Familien Venedigs angehörte. Sie standen frei zwischen den colossalen Granitsäulen, welche das Bild des Marcuslöwen und des heiligen Theodor tragen. Dann nahm eine Gondel das jugendliche glückliche Paar auf, die seidenen Vorhänge an den Fenstern wurden gelüftet, die Mandoline des Gondoliers ertönte unter den kunstfertigen Fingern Tizian’s und seine schöne Stimme trillerte einen Bolero, den er selbst gedichtet und componirt hatte, durch die Nacht. Der Gondolier trieb in raschem Fluge sein Fahrzeug den offenen Lagunen zu.
Plötzlich schrie dieser so laut, daß Tizian mit Singen innehielt und lauschend die Thür des Hüttchens öffnete.
– Bestia! schrie Beppo am Schnabel der Gondel, sein Ruder drohend hoch emporhebend. Nur eine Handbreit fehlte und Dein verrosteter Kasten hätte mein schönes Schiff in Grund gejagt. Die Pest über Dich und über alle Nicoletti’s und mein Ruder auf Deinen Schädel, wenn Du nicht abhältst und mir Platz machst.
Der so schmeichelhaft Angeredete machte indeß keine Bewegung, um seine Gondel, welche sich quer vor diejenige Tizian’s gelegt hatte, fortzuschieben, und aus dem Innern des fremden Fahrzeuges ertönte eine laute Stimme:
– Untersteh’ Dir nicht, Anselmo, die Segel vor irgend Jemand, außer vor dem Dogen oder der Rathsgondel zu streichen, rathe ich Dir. Dieser ausgesuchte Esel drüben hat, denke ich, Platz hinreichend um Dir auszuweichen.
– Si, Signor Pordenone! rief Anselmo und setzte sein Ruder ein, um seine Gondel gegen die Beppo’s zu treiben.
Tizian stand jetzt neben seinem Gondolier.
– Pordenone? fragte er mit erregtem Tone.
– Er selbst! antwortete dieser und trat vor die Hütte.
– Ah! Beppo, rief Tizian, laß Deine Aufmerksamkeiten gegen Deinen Kameraden da ruhen . . . Eure Herren haben ein Wort mit einander zu reden. He! Pordenone! Hast Du die Absicht, hier in den Lagunen meinen Gesang zu kritisiren, wie Du meine Bilder kritisirst? Hüte Dich, daß Dein Grimm auf mich nicht lächerlich wird. Anlage dazu hat er bereits; denn er ist boshaft und ohnmächtig wie der eines Affen.
Pordenone, leicht gereizt, ließ seinen Feind nicht ausreden.
– Affe? schrie er fast. Affe? Ich habe nichts vom Affen, aber Du bist ein ganzer. Die ganze Welt hat’s eingesehen, daß Du Rafael’s Affe in Deinen heiligen Conversazioni bist, und Giorgione’s Affe in allen Deinen Portraits, und . . .
– Und? fragte Tizian, vor Zorn an allen Gliedern bebend.
– Corpo de Christo! Und mein Affe im Styl! schloß Pordenone.
– Nicht auch im Colorit? fragte Tizian schneidend, seine Ruhe der Wuth seines Gegners gegenüber wieder gewinnend. Du bist am Ende gar so gütig, zu behaupten, daß der Affe Tizian eigentlich nichts weniger verstehe als malen . . . Versteht er’s aber auch nicht, wie ich doch vermuthe: so versichere ich Dich, Bursch, daß er dafür desto besser fechten gelernt hat. Du wirst morgen früh an Deinem eigenen, genialen Körper die Probe davon machen.
[120] – Ah! Endlich! murrte Pordenone. Ich danke Dir! Also bist Du doch ein Mann und kein Feiger! Gute Nacht! Morgen um fünf Uhr auf der Piazetta! Aber ohne daß Du etwa den Löwen im Dogenpalaste etwas zu fressen giebst.
– Du bist elend, wenn Du glaubst, ich könnte die Gerichte benachrichtigen . . . rief Tizian und wandte sich indignirt ab. Vorwärts, Beppo!
Die Gondel flog fort. Giuditta, die stumme Zeugin dieser Unterhaltung, warf sich weinend in Tizian’s Arme und beschwor ihn, von dem Gedanken an den Zweikampf mit Pordenone abzustehen. Der Meister blieb unerschütterlich: sein erbitterter Feind sollte gezüchtigt werden, oder er wollte nicht leben. Er ließ sich nach seiner Wohnung fahren, und inmitten der leidenschaftlichen Klagen und Bitten seiner Geliebten schickte er sich ruhig an, seine Angelegenheiten für den Fall seines Todes zu ordnen. Er schrieb an seine alte Mutter in Friaul, gab Andreas di Foscari Nachricht von seiner Lage und verfiel dann in schweigsames Brüten.
Als Giuditta sah, daß Tizian unempfindlich gegen ihre Bitten blieb, zog sie ihre Halblarve hervor und nahm den Mantel mit aller Heftigkeit und Unzugänglichkeit eines beleidigten, liebenden Weibes um die Schultern.
– Du gehst? fragte Vecellio einigermaßen betroffen. Du verläßt mich in dem Augenblicke, wo ich Dir theurer als je sein sollte?
Signora Farsani schien einen Moment lang unentschlossen; dann aber faltete sie auf finstere Weise ihre prächtigen Augenbrauen und eilte mit einer solchen Geschwindigkeit die schmalen Treppen im Hause des Malers hinab, daß dieser schon unten die Thür schließen hörte, bevor er noch die Hälfte der Stufen hinabgestiegen war. Höchst unmuthig kehrte er in seine Zimmer zurück, um eine schlaflose Nacht zuzubringen und mit aller Heftigkeit es zu empfinden, daß der Mensch nie mehr das Bedürfniß fühlt, an einem liebenden Herzen zu ruhen, als wenn er im Begriffe steht, ernsten Gefahren sich entgegenzuwerfen und dem Tode zu trotzen.
Giuditta dagegen lief mit aller Schnelligkeit, deren sie fähig war, durch die krummen, gewundenen Gäßchen Venedigs. Oft wenn das einsame Mädchen in einen dieser finstern Schlupfgänge trat, wo zwischen den Granitmauern alter Paläste kaum drei Menschen neben einander gehen konnten, zauderte sie in einer Anwandlung von Grausen; denn wie oft war an diesen Orten der mörderische Stoß eines Bravo geführt, wie oft war an diesen, wie zu blutigen Abenteuern geschaffenen Plätzen von der Degenklinge eines beleidigten Nobili das Blut seines Feindes vergossen.
– Tiziano! flüsterte dann die bebende Giuditta, und dies eine Wort schien sie mit wunderbarer Kraft zu beleben. Es galt, ihn, den Geliebten nicht allein, sondern den ersten Künstler Venedigs zu retten, dessen Schöpfungen Niemand enthusiastischer bewunderte, als eben die Tochter der zwar armen, aber kunstsinnigen Farsani. Giuditta schien bei diesem tiefempfundenen Gedanken keine Furcht weiter zu kennen. Vor einer Maccaronibude angekommen, deren Inhaber hinter seiner traurig brennenden Lampe in süßen Schlaf versunken war, redete sie den Nudelnkünstler an und bat, sein Licht eine Minute benutzen zu dürfen.
– Kaufen? fragte der Mann schlaftrunken.
– Nein!
– Dann hab’ ich auch kein Licht.
[121] Giuditta legte ihm eine kleine Geldmünze zwischen seine Pfannen und Töpfe.
– Gràn spirito! murmelte der Händler vergnügt und fachte sein Licht heller an.
Giuditta sah sich forschend um, ob sie unbelauscht sei, riß ein Blättchen aus ihrer Schreibtafel und schrieb mit einem Stift rasch einige Zeilen darauf. Dann eilte sie dem Dogenpalaste zu. Schweigend und majestätisch lag die mächtige Treppe desselben vor ihr da. Sie zitterte so heftig und war so kraftlos, daß sie nur mit Anstrengung die weißblinkenden Stufen erstieg. Hier war Alles leer und still. Taktmäßig hörte man nur in den innern Vorhallen des Palastes den schweren Schritt der Wache haltenden Partisanenträger, vom Echo wiedergegeben, erschallen. Von weitem sah Giuditta die jeden Venezianer mit geheimer Furcht erfüllenden Löwenköpfe gähnen. Sie schloß fest die weißen Zähne aufeinander, näherte sich dann einem der bronzenen Ungeheuer und leise raschelnd sank der Zettel in die Tiefe hinab. War Giuditta mit Schneckenschritten die Treppe herauf gekommen, so machte sie den Rückweg dagegen mit einer Schnelligkeit, daß ihre zierlichen Fußspitzen kaum den Boden zu berühren schienen. Sie steigerte sich zu einem fieberhaften Rennen, als ein in seinen Mantel gehüllter, an einer Straßenecke lehnender Mann aus den untern Volksklassen, vielleicht ein Bravo, der auf eine Bestellung oder auf sein Opfer mit mürrischer Geduld wartete, in gleichgültigem Tone, aber mit starker Stimme, zu der Eilenden sagte:
– Signora, ich wäre neugierig zu wissen, wie viele Pfunde von Menschenfleisch Ihr den Löwen heute Nacht zugesteckt habt!
Die arme Giuditta kam fast ohnmächtig in ihrer einsamen, kleinen Behausung an, wo sie sich, in heftigster geistiger und körperlicher Aufregung, rückhaltlos ihren Empfindungen überließ.
Tizian dagegen erstarrte, als etwa anderthalb Stunden später seine Thür sich lautlos öffnete und zwei mit langen schwarzen Mänteln bekleidete Männer eintraten. Sie lüfteten weder ihre dunkeln Gesichtsmasken, noch zogen sie die Hüte. Der eine griff nur in den Busen und zog eine, an einer silbernen Kette hängende Medaille hervor, auf welcher die Insignien der Marcusstadt ausgeprägt waren. Tizian dachte weder an Giuditta noch an sein zukünftiges Duell mit da Pordenone; jeder andere Gedanke, als derjenige: du bist in der Gewalt der Diener des furchtbaren Raths der Zehnmänner, war aus seiner Seele gewichen.
Er, keines Vergehens sich bewußt, wollte fragen, weshalb man ihn zum Gefangenen mache. Die Antwort war feierliches Schweigen.
– Und ich muß mit Euch? schrie der Maler fast. Ich ein Unschuldiger, dessen Leben offen vor ganz Venedig daliegt, soll vor Eure abscheulichen Richter geführt werden, aus deren Händen man ebensowenig entrinnt, als aus der Hölle selbst . . .
– Schweig, Meister! sagte der eine Diener des gefürchteten Gerichts, und lerne zuvor die Gerechtigkeit von San Marco an Dir selbst erkennen, bevor Du Männer schmähst, die für ganz Europa die Muster eines weisen und glückverbreitenden Regiments sind. Uebrigens wirst Du wohl thun, wenn Du, während wir zum Dogenpalaste fahren, eine strenge Musterung über Deine jüngste Vergangenheit anstellst. Es könnte Dir nützlich werden.
– Die Musterung ist schon gemacht! sagte Tizian sich aufrichtend. Ich habe gestrebt, Venedig zu verherrlichen und ihr den stolzen Namen „Mutter der Künste“ zu erhalten. Habe ich Unrecht gethan, so ist es das einzige, daß ich für eine undankbare Mutter meine Kräfte opferte.
[122] – Wohl Dir, Meister, sagte der Schwarzmantel barsch, daß wir heute zwar Ohren, aber keine Zunge haben; Du könntest sonst unter den Piombi über Deine Unbesonnenheit nachdenken lernen.
Nach dieser Warnung sprachen die Fremden kein Wort mehr. Sie führten den Maler zu der Gondel mit rothem Schnabel, welcher die einsamen Gondoliere, denen sie etwa vorbeischoß, mit einer abergläubischen Furcht auswichen, und landeten vor der imposanten, säulengeschmückten Rückseite des Dogenpalastes. Tizian athmete etwas freier, als er statt zu den berüchtigten Verhörzimmern in das zweite Stockwerk geführt und in ein kleines Cabinet seitwärts von dem großen Saale geschoben wurde. Es war hier vollkommen finster. Sein einer Begleiter hielt ihn bei der Hand gefaßt, um sich seiner zu versichern.
– Ist der Maler Tizian Vecellio gegenwärtig? fragte eine laute Stimme in einem anstoßenden Zimmer.
– Ja! erwiderte der Diener des Gerichts.
Plötzlich öffneten sich in dem Cabinet zwei mächtige Thürflügel; blendende Helle strahlte auf und unfähig, im ersten Momente etwas zu sehen, fühlte sich Tizian vorwärts gezogen. Als sein Auge das Licht wieder ertrug, sah er sich vor drei vorsichtig maskirten, in schwarze Talare eingehüllten, dem Anscheine nach hochbejahrten Männern, und dicht neben sich erblickte er zu seiner höchsten Ueberraschung Niemand anders, als Giovanni Antonio da Pordenone.
Die feindlichen Künstler betrachteten sich mit bestürzter Miene, und wenn sie je geneigt waren, die Freundschaft ihrer ersten Schülerjahre wirklich aufrichtig zu erneuern, so war es in diesem Moment, wo die unheimlichen Augen der drei Todtenrichter auf ihnen ruheten. Die Blicke, welche die Jünglinge mit einander wechselten, bezeugten, daß sie entschlossen waren, sich einander aus allen Kräften gegen das unerbittliche Triumvirat beizustehen.
Pordenone, in reicher, jedoch sehr nachlässig angelegter Kleidung, nahm eine stolze Stellung an, die vortrefflich seinen athletischen Formen und dem entschiedenen Ausdruck seines Gesichts entsprach. Er warf sein fast überreiches, langes Schwarzhaar energisch zurück und schaute die mächtigen Kapuzenträger mit einem so zuversichtlichen Blicke seiner braunen Augen an, wie ihn diese sicherlich noch von keinem neunzehnjährigen Jüngling bei ähnlicher Gelegenheit gesehen hatten.
Tizian, zierlicher gebaut, kaum vierundzwanzig Jahre alt, nicht minder schön als Pordenone, eine unendlich feine und geistvolle Miene zeigend, stand da mit selbbewußter, aber anspruchsloser Würde. Er schien bereit, die offene Tapferkeit seines Nebenbuhlers durch seine Redegewandtheit und vermöge einer Schlauheit zu unterstützen, deren liebenswürdigen Zug um den Mund der glänzend schwarze, zarte Bart eben noch sehen ließ. Es war interessant, diese beiden noch so jugendlichen und doch schon so großen Meister mit einander zu vergleichen, und wer die drei Altrichter genau betrachtete, hätte in ihren Augen, in denen das Alter das göttliche Feuer gelöscht, ein nicht geringes Wohlgefallen an der Erscheinung der Künstler zu lesen vermocht.
Die Stimme des die Mitte einnehmenden Richters war eiskalt und strenge, als er begann:
– Tiziano Vecellio und Giovanni Antonio Licinio, genannt Pordenone, die Ihr hier vor uns erschient, Ihr seid angeklagt. Angeklagt der Verabredung, mit tödtlichen Waffen Eure Zwistigkeiten ausmachen zu wollen. Zwistigkeiten, hervorgegangen aus Künstlereifersucht. Ist das die Wahrheit?
[123] Pordenone trat einen Schritt vor, und Tizian streckte anmuthig mit einer rednerischen Bewegung die Hand aus.
– Ihr wollt lügen! sagte der Richter rauh. Hütet Euch. Sollen Beppo und Anselmo, die Gondolieri, erscheinen?
Tizian ließ beschämt die Hand sinken, Pordenone das herausfordernd emporgehobene Haupt, und sah ziemlich ängstlich den Genossen an. Beide mußten beichten. Als dies aber geschehen war, gestanden sie, gewiß aus Herzensgrunde, daß diese nächtliche Reise zum Dogenpalaste auf immer ihrer Feindschaft ein Ende gemacht habe, und daß sie nie wieder in die Versuchung kommen würden, andere Waffen als ihre Pinsel und Paletten gegen einander zu gebrauchen; eine Versicherung, die sie durch feierlichen Handschlag bekräftigen mußten.
– Jünglinge! sagte dann der zweite Richter, welcher bis dahin geschwiegen hatte, mit hohem Tone und einer Stimme, die Tizian als diejenige des Dogen zu erkennen meinte. Ihr habt im Begriff gestanden, gegen die Republik ein schweres Verbrechen zu unternehmen. Ihr wolltet in Eurer Verblendung das Recht des Staats auf das Leben seiner Bürger nicht nur, sondern auf das Leben solcher Bürger zu Boden schleudern, die vor tausend Andern berufen sind, den Ruhm und die Bildung Venedigs aufrecht zu erhalten. Ein solches Beginnen muß gesühnt werden. Ich fordere daher von Dir, Vecellio, und von Dir, Pordenone, innerhalb eines Jahres ein Gemälde, in Bezug auf welches Ihr zu erklären habt, daß Ihr alle Euch zu Gebote stehenden Kräfte darauf verwandtet.
– Ah! rief Pordenone mit freudigem Ausdruck seiner offenen Züge; edler Herr, Ihr wollt uns strafen und macht uns glücklich. Die „Mutter“, die große Republik verlangt von mir ein Meisterwerk? Und innerhalb eines Jahres? In einem Monate ist’s beendet, oder meine Hand wird nie wieder den Pinsel berühren.
– Du bist zu schnell, Giovanni! bemerkte Tizian, ebenso entzückt als sein Nebenbuhler. Wie, wenn von uns Gemälde von bedeutenden Verhältnissen und reicher Composition gefordert würden?
– Ich verlange nur zwei Figuren und dazu nur Kniestücke! sagte der, welchen Tizian den Dogen glaubte.
– Befehlt Ihr, hoher Herr, auch einen besonderen Vorwurf? wagte Tizian zu fragen.
– Nein! aber die eine Figur muß Christus, den Hochgebenedeiten, darstellen.
Die Richter erhoben sich bei diesem Namen ehrerbietig, winkten dann den Jünglingen, näher an die lange Tafel zu treten, und reichten ihnen zum Zeichen der Entlassung die Hände, welche Pordenone kräftiger schüttelte, als die morschen Finger der Alten ertragen mochten.
Arm in Arm verließen die Maler den Palast, und setzten ihre beiderseitigen Freunde, welche sie ungeachtet der frühen Stunde in einem Weinhause versammelten, um die ausgestandene Angst durch Montefiasconer und Falerner vergessen zu machen, durch diese wahre Brüderlichkeit in nicht geringes Erstaunen. Schon am andern Tage begannen die Meister ihre Entwürfe und nach drei Wochen hatte Tizian, nach fünf Wochen Pordenone sein Gemälde vollendet. Bis dahin hatte keiner der Maler das Bild des andern gesehen. Es war ein feierlicher, für die jungen Meister höchst inhaltreicher Augenblick, als in Tizians Zimmer die Gemälde neben einander aufgestellt [124] und enthüllt wurden. Mit glühenden Blicken schien Jeder das Bild des Andern verschlingen zu wollen.
Tizian hatte Christus und den Pharisäer gemalt, welcher spricht: Rabbi, ists Recht, daß wir Juden dem Kaiser in Rom die Steuer zahlen, oder nicht? Christus sagt: Zeigt mir Eure Zinsmünze! und der Pharisäer reicht ihm einen Groschen. Wessen ist das Bild und die Umschrift? ist die Frage Christi. – Des Kaisers selbst! lautet die Antwort. Mit dem Worte: So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist! erfolgt die Abfertigung des Pharisäers.
Das Gemälde Pordenone’s stellte dagegen Christus mit Matthäus dar. Der reiche Jünger bezeugt, daß er gern erstatten wolle, wo er Jemand bei seinem verachteten Geschäfte übervortheilt habe, worauf Christus ihm sagt: Gieb Alles, was Du besitzest, den Armen und folge mir nach! –
Nach dem ersten Blicke der beiden Meister war ihr Urtheil über ihre Werke entschieden. Pordenone ließ demüthig das Haupt sinken und sein Auge glänzte feuchter, als wolle es sich mit Thränen füllen. Der blitzende Adlerblick Tizians dagegen, die ewige Herrschaft im Reiche venezianischer Kunst bezeugend, war ebenso erhaben, als das Lächeln, womit er Pordenone in seine Arme schloß, Liebenswürdigkeit und Sanftmuth athmete.
– Ah, Tizian! murmelte Pordenone an der Brust seines Nebenbuhlers; ich bin besiegt, um mich Dir gegenüber nie wieder zu erheben.
– Nein! Giovanni! rief Tizian mit Lebhaftigkeit; nicht mein Bild, sondern meine Liebe zu Dir hat Deinen Trotzkopf besiegt. Dein Christus mit Matthäus ist, wie ich mit stolzer Freude es ausspreche, nicht weniger unsterblich als mein Christus della Moneta.
– Du schonst mich, Vecellio! sagte Pordenone, immer noch mit unersättlichen Blicken Tizian’s Gemälde betrachtend. Du schonst mich und Du solltest wissen, daß Deine strengste Kritik gegen meine Pinselei erforderlich wäre, um aus mir einen Meister zu bilden, wie Du es bist. Liebst Du mich wirklich, so mache mich zu Deinem Schüler, statt mich Dir gleichzustellen.
Beide Maler hatten in ihren Urtheilen Recht. Pordenone war allerdings besiegt, aber die Kunst, welche er dem neuen Freunde entgegengestellt, verdiente darum nicht weniger in ihrer reizenden Schöpfung das höchste Lob. Pordenone’s Christus war der orientalische, nach jenem berühmten Sarkophag aus dem fünften Jahrhundert geschaffene, mit dem Ausdruck der unerschöpflichen, sanftmüthigen Liebe in den büstenartig regelmäßigen Zügen. Der Blick des Christus, der genialste Zug auf Pordenone’s Bilde, war ideal, aber darum nicht weniger menschlich, als derjenige des Jüngers, dessen volles Herz dem großen Lehrer entgegenzuströmen schien. Eine Art weniger geistige als seelenmäßige Wahlverwandtschaft trat an den beiden Köpfen heraus; ihre Stimmung war unendlich harmonisch und erregte dadurch bei dem Beschauer eine Ruhe des Wohlgefallens, die bei längerer Betrachtung immer noch an Tiefe und Innigkeit gewann. Die schmucklose Gewandung Christi war dürftig von dem Maler gedacht, sie machte fast den Eindruck des Steifen, dagegen war das Costüm des Zöllners, in freiem Wurfe und großem Style gezeichnet, von großer Wirkung. Es sollte diese contrastirende Costümirung, vielleicht selbst dem Künstler während des Schaffens unbewußt, die Größe des einfachen liebenden Gefühls dem blinkenden Golde gegenüber andeuten, welches die linke Hand des Matthäus gefaßt hält, um es von sich [125] zu werfen. Durch diesen untergeordneten Contrast ward jedoch, wie Pordenone vor Tizians Gemälde selbst aussprach, der Gefühlseinklang gestört, der in den Köpfen der beiden Figuren das Merkziel des Malers gewesen war.
Tizians Gemälde stellte den künstlerischen Contrast in einer solchen blitzähnlich wirkenden Vollendung auf, wie er selten in der Malerei erreicht wurde. Der heuchlerische, perfide, seiner Schlauheit sich bewußte Pharisäer, in jeder Faser seiner Gestalt die Gemeinheit repräsentirend und dennoch nicht häßlich und ekelhaft, diente dem Tizianschen Christo als eine Art von düsterer Folie zur Entfaltung seiner vergeistigten, gedankenvollen Schönheit. Wie Tizian ein ganzer Italiener war, so war auch sein Christus ein italischer, den römischen Typus tragender. Die hervorstechenden Züge des rein italischen Volksstammes, allerdings der Wirklichkeit angehörend, waren aber mit solcher Zartheit gemildert, daß sie in solcher Vollendung sicherlich nie einem Sterblichen angehörten. Die unfehlbare Macht der ewigen Weisheit strahlte in sonnenheller, ruhiger Klarheit aus den Augen des Lehrers der Menschheit, und der Mund Christi, bei Pordenone fast eine geistige Beschränktheit andeutend, war hier wahrhaft „die goldene Pforte für die unvergänglichen Worte des ewigen Lebens“. Auch hier war Liebe, selbst diesem bübischen Versucher gegenüber, welcher den unwandelbar Wahren als Empörer den Löwengruben und der blutigen Arena Roms zuzuführen gedachte; fast möchten wir diese Liebe, in dem Christuskopfe ausgedrückt, aber keine gefühl-, sondern eine gedankengeborene nennen. Und weil die Majestät des Geistes klar und feierlich aus diesem Christusbilde spricht, ist dasselbe mit einem „reizenden und doch unnahbaren Ernste“ umkleidet, den wir, im Vereine mit dem vollen Leben desselben, geradezu unvergleichlich nennen.
Pordenone’s Colorit, kräftig und wahr, ward aber machtlos und schal neben dem Farbenzauber des Tizian’schen Gemäldes. Auch hier dieser Contrast: das lederfarbene Gesicht des triefäugigen Pharisäers, die sonnenverbrannte Faust und der Arm mit der verschrumpften Haut und den Adern wie Hanfstricke neben dem blüthenzarten Antlitz Christi und seiner von den Kennern fast vergötterten Hand, in welcher man den lebenswarmen Pulsschlag des unter der sammetweichen Haut wallenden Bluts sehen zu können glaubt.
Tizian hatte gesiegt, glänzend gesiegt. Venedig bezeugte es, als der ehrwürdige Rathsherr Domenico Foscari die ihm zu diesem Zwecke von dem Senate übergebenen Gemälde voll gerechten Stolzes in seinen Sälen öffentlich ausstellte. Pordenone ward, so resignirt er früher gewesen war, schwermüthig und düster, als die den Tizian bewundernden Kritiker an seinem Gemälde immer neue Aussetzungen machten, ihm namentlich die Zeichnung der Hand Christi gegenüber der berühmten Hand, welche sein Nebenbuhler malte, zum Vorwurfe machten und hinzufügten, Pordenone besitze außerdem nicht Varietà del colore.
Seine künstlerische, ausgezeichnete Begabung richtete ihn wieder auf und bewahrte ihn vor dem tragischen Ende, das mehr als ein Künstler aus gekränktem Stolze sich bereitete. Giovanni fing wieder an, die Elemente seiner Kunst, namentlich der Farbengebung und zwar nach Tizian’schen Werken zu studiren, und er erlangte, was er zu erreichen fähig gewesen. Sein Colorit wetteiferte bald an Schönheit mit demjenigen seines großen Freundes, sein Styl ward größer, schwungreicher, und der Name Giovanni Antonio Pordenone hatte nicht mehr durch Anmaßung, [126] sondern durch künstlerische Errungenschaften den Triumph, mit demjenigen Tizian’s und Giorgione’s den Lorbeer in der Zeit der höchsten Kunstblüthe Alt-Venezia’s zu theilen.
Tizian blieb für immer der Freund seines Nebenbuhlers, den ihm ein früher Tod nur zu bald entriß, während es dem Farbenzauberer beschieden war, neunundneunzig Jahre lang sich des vollen glücklichen Menschenlebens zu erfreuen, das er in seinen zahlreichen Schöpfungen herrlich wie kein anderer wiederspiegelte.
Wir schließen nicht, ohne noch einmal der schönen Giuditta Farsani zu gedenken. Sie gestand ihren Weg nach dem Dogenpalaste und erntete dafür Tizians lebhaften Dank statt der Vorwürfe, die sie erwartete. Daß die Liebe des flatterhaften Meisters zu ihr länger dauerte, als es bei ihm in der Regel der Fall war, läßt sich daraus schließen, daß er später öfter ihr Bild, bald als Venus, bald als Diana und zwar in einer Art malte, die deutlich die Begeisterung des Künstlers für sein Modell verräth. Wahrscheinlich ist es ebenfalls das Portrait Giuditta’s, welches der Louvre in Paris unter dem Titel „Tizian’s Geliebte“ als einen seiner vorzüglichsten Schätze bewahrt.