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Christliche Symbolik/Pilatus

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Pilatus,

der berühmte römische Statthalter in Jerusalem, der bei völliger Gleichgültigkeit gegen die Händel, welche die Juden unter sich hatten, und trotz der Ueberzeugung, dass Christus unschuldig sey, denselben doch aus politischen Rücksichten dem Hasse des jüdischen Volkes aufopferte und kreuzigen liess. Das Vorbild aller weltlichen Herren, die sich indifferent gegen das Heilige verhalten. Die christliche Legende von Pilatus erhielt eine dreifache Ausbildung, indem sie zuerst von Römern, dann von Galliern, endlich von Deutschen aufgenommen wurde. Vgl. Mone, Anzeiger 1835, S. 421. 1838, S. 526.

Was zuerst die biblische Auffassung betrifft, so ist der Contrast des gefangenen Erlösers vor dem weltklugen Römer von hoher Schönheit. Dem Stellvertreter der römischen Weltherrschaft gegenüber sagt Christus auf die Frage, ob er der Juden König sey: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ Ev. Joh. 18, 26 f. Nach den andern Evangelien spricht Christus: „Ich bin in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit zeugen soll.“ Da fragt Pilatus blasirt: „Was ist Wahrheit?“ – aber der Sinn ist derselbe. Pilatus erkennt seine Unschuld und Reinheit, will die Verantwortung seiner Hinopferung nicht übernehmen, mag aber auch die Juden nicht allzusehr reizen und überlässt daher ihnen selbst die Sache in der Art, dass er, indem er der Ostersitte gemäss, an der ein Verbrecher begnadet zu werden pflegt, ihnen die Wahl zwischen [232] Christus und dem Mörder Barabbas lässt, welchen sie sich freibitten wollen. Zugleich wäscht er sich die Hände, d. h. sagt sich sinnbildlich von aller Schuld frei, wenn sie Christum nicht wählen, Matth. 27, 24. Dass Pilatus den Juden nachgegeben, wurde ihm durch die treue Anhänglichkeit belohnt, die ihm Herodes seitdem widmete, da sie vorher Feinde gewesen waren. Lucas 23, 12. Pilatus wollte jeden Anlass vermeiden, die ohnehin zu Empörungen geneigte jüdische Provinz aufzustacheln. Als ihr Statthalter hatte er das Interesse, die Ruhe zu erhalten. — Matth. 27, 19. ist der Frau des Pilatus gedacht, die ihn bat, er solle Christum schonen, weil sie im Traume seinetwegen geplagt und gewarnt worden sey. Diese Frau heisst bei Nicephorus I. 30. und im Evangelium Nicodemi 2. Procla oder Claudia Procula.

Die sogenannte acta Pilati oder die Protokolle des Verhörs Christi vor Pilatus bilden den ersten Theil des apokryphischen Evangeliums Nicodemi, und sind schon sehr alt, schon von Eusebius (Kirchengesch. I. 9.) als falsch erkannt. Als poetisch ist darin zu bemerken, dass wie Christus zu Pilatus eintritt, alle Bilder auf den Fahnen sich vor ihm neigen. Im Uebrigen enthalten die Acten nur eine langweilige Paraphrase des Evangeliums Johannis und eckelhafte Zänkereien der Juden über die angeblich uneheliche Abstammung Christi. Vgl. Borberg, Apokryphen I. 287. Winer, bibl. Realwörterbuch s. v. Pilatus.

In der spätern Legende ist der Gedanke durchgeführt, dass sich indifferent gegen das Heilige verhalten, schlimmer sey, als es offen anfeinden. Die kalte Weltklugheit, die ein vorübergehendes zeitliches Interesse wichtiger nimmt, als das ewige Heil, kann nicht stark genug verdammt werden. Der unbarmherzige Tyrann Herodes, der grausame Mörder der unschuldigen Kindlein, ist daher dem wahren Christen nicht so verdammlich und verhasst, wie der glatte, kühle Diplomat Pilatus.

Das schwedische Volksbuch von Judas Ischarioth, welches in Hagens Germania VI. 144 f. mitgetheilt ist, enthält [233] Folgendes: In der Nacht, in welcher Judas erzeugt wurde, hatte Liboria, seine Mutter, so ängstliche Träume und eine solche Furcht befiel sie, dass sie zu ihrem Manne Ruben sagte, wenn sie einen Sohn bekäme, würde sie ihr ganzes Leben lang traurig bleiben. Er wollte es ihr ausreden; als sie aber wirklich den Judas gebar, entsetzte sich auch der Vater selbst vor seinem Anblick. Beide Eltern beschlossen, dieses schreckliche Kind von sich zu thun, und setzten es in einem kleinen Kasten in’s Wasser. Es schwamm zur Insel Scharioth. Hier fand es die Königin, die längst sich ein Kind gewünscht hatte, gab es für das ihrige aus und erzog es fürstlich. Nachher bekam sie selbst noch einen Sohn und bereute bitterlich, den Judas angenommen zu haben, denn dieser plagte ihren eigenen Sohn auf alle Art, und als sie ihm einmal im Zorne sagte, dass er nicht ihr Sohn, sondern nur ein Findelkind sey, brach die ganze Teufelsgewalt in ihm hervor und er erschlug den Sohn der Königin. Darauf entfloh er und nahm Dienste beim Pilatus. Da sah Pilatus einmal reife Aepfel in Rubens Garten und wünschte davon. Judas stieg über den Zaun, holte die Aepfel und schlug seinen Vater, der es wehren wollte, todt, nahm aber nachher seine eigne Mutter zur Frau. Als beide erkannten, wer sie seyen, rieth die fromme Mutter dem gottlosen Sohne, sich um Trost an Jesum zu wenden, der damals aufgetreten war, und so wurde Judas Jesu Jünger, um ihn zu verrathen. Das Uebrige nach der heiligen Schrift.

Pater Abraham a St. Clara hat in seinem humoristischen Werke über „Judas den Erzschelm“ diese Legende benutzt. Sie findet sich auch in einem lateinischen Gedicht des Mittelalters, abgedruckt in Mone’s Anz. VII. 532. Hier heisst die Mutter Cyborra.

Schon sehr früh bildete sich die Sage aus, Pilatus habe sich aus Verzweiflung selbst umgebracht. Euseb. II. 7. Orosius hist. VII. 5. Freculfi chron. II. 1. 12. Vgl. Mone, Anzeiger 1835, S. 422. Wie die Sage nach Gallien hinübergeleitet wird, zeigt am besten das chron. S. Aegidii in Leibnit. [234] script. rer. Brunsv. III. Hier heisst es, Pilatus sey zu Rom von Kaiser Caligula bedroht und bedrängt worden, habe sich deshalb umgebracht und der Kaiser habe seine Leiche in die Tiber werfen lassen, aber die bösen Geister hätten seine Leiche besessen und im Tiber Ueberschwemmungen und Ungewitter erregt, bis man die Leiche wieder herausgenommen und in die Rhone gebracht habe bei Vienne; als sie aber auch hier Sturm und Ungewitter erregte, habe man sie in die Alpen in irgend einen tiefen Brunnen versenkt. Vgl. Döbeneck, Volksglauben II. 117. Dagegen die Lokalsage von Vienne (Mylius, Reise I. 2. 257.) bemerkt, Caligula habe den Pilatus in einen Thurm gesperrt, in dem er sich gehenkt habe. Der Thurm heisst Pilatusthurm und steht noch. Die Sage von der und dem Tiber, mascul.[WS 1] wiederholt sich in einer alten Freiburger Handschrift. Mone, Schauspiel des Mittelalters I. 59.

Von Gallien verbreitete sich die Sage nach der deutschen Schweiz. Jener Brunnen in den Alpen, wohin die Leiche von Vienne aus versenkt wurde, ist der See auf dem Pilatusberge bei Luzern. Wenn man etwas in diesen See wirft, soll er aufbrausen und ein Ungewitter erzeugen, immer noch die alte Eigenschaft der Leiche, wie im Tiber und Rhone. An den Felsen umher zeigt man Spuren der Teufelsklauen, indem die Teufel des Pilatus Leiche jährlich am Charfreitage in eisernen Ketten aus dem See herausschleppen und auf einen Thron setzen, auf dem er sich die Hände wäscht. Conr. Gessneri descr. montis Pilati. Zürich 1555. Kircheri mundus subterr. VIII. 4. 2. Kornmann, mons Veneris 394. Nieremberg, hist. nat. 432. Berckenmeyer, Antiquit. I. 317. Dass man gerade diesen Berg auswählte, hat einen etymologischen Grund, der Berg heisst pileatus wegen des Nebelhutes, den er zu tragen pflegt. — In einer Romanze von Reithart in den Alpenrosen 1832, S. 320, wird auf eine sehr empfindsame Weise die Seele des armen Pilatus aus dem wüsten Bergsee befreit und steigt zu den Seligen empor; durchaus sagenwidrig.

Man hat eine in lateinischen Hexametern geschriebene [235] Legende von Pilatus, die auch im 13ten Jahrhundert in altdeutsche Verse gebracht wurde, jedoch in dieser Form nicht vollendet auf uns gekommen ist. Vgl. Mone, Anzeiger 1835, S. 424. Vilmar, Nationallit. S. 208. Dieselbe Legende steht auch im altdeutschen Passional (herausg. von Hahn 1845, S. 81). Nach dieser Legende war Pilatus von dem deutschen König Atus mit der Pila, Tochter eines einsam im Walde wohnenden Müllers, gezeugt, brachte aber nachher den rechtmässigen Sohn des Königs, seinen Bruder, um, und wurde von seinem Vater nach Rom geschickt als Geissel. Auch hier lud er Blutschuld auf sich und wurde nach dem Pontus geschickt, die dortigen Barbaren zu bezwingen, daher er Pontius zubenannt wurde. Als er sich hier durch Tapferkeit und Grausamkeit ausgezeichnet, schickte man ihn in's heilige Land, die Juden im Zaume zu halten. Hier nun ward er Schuld am Tode des Erlösers, was ihn nachher so reute, dass er, nach Rom zurückgekehrt, sein Leben freiwillig im Tiber endete. Aber sein Geist fand keine Ruhe und erregte im Fluss solche Ueberschwemmungen, dass man den Leichnam aufsuchte und aus dem Tiber über Meer in die Rhone führte. Nun tumultuirte er aber dermassen auch in der Rhone, dass man sich endlich entschloss, ihn in einen tiefen See in den Alpen auf dem nach ihm benannten Pilatusberge bei Luzern zu versenken, wo er nun noch immer haust und böse Wetter erregt.

Zu der Annahme, er sey aus Deutschland gekommen, gab der Söldnerdienst der Germanen in den römischen Legionen Veranlassung, zumal da die in Jerusalem stationirte Legion wahrscheinlich Deutsche unter sich zählte. Daher auch die mancherlei Spottreden über die Westphalen, die eigentlich Christum sollen gekreuzigt haben.

Die abyssinischen Christen haben den Pilatus als Heiligen in ihrem Kalender (19. Juni), weil sie seine Unschuld am Tode Jesu voraussetzen. Harris Schoa II. 107.

Christus vor Pilatus, gemalt von Tintoretto in Venedig. Ein berühmtes Bild von Schiavone ist gestochen von Groensvelt [236] und Henriquez (Waagen, England I. 325. 509. Passavant, England 275.). Ein Bild von Holbein d. Aelt. in der Pinakothek in München, von Quintin Messis in Antwerpen. Das Bild von Rembrandt ist seiner erstaunlichen Hässlichkeit wegen berühmt (im Pallast Esterhazy in Wien. Kugler, Mal. II. 180.). Ein Bild von Honthorst in Lucca, von Smirke (Fiorillo V. 795.). Ein grosses Bild von Hensel (Kunstbl. 1835, S. 18).

Das poetische Motiv sollte in diesen Bildern immer seyn der Contrast des himmlischen Reichs in Christo mit dem von Pilatus vertretenen römischen Weltreich.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Berichtigung Band II. In der Vorlage: 'der Tiber'