Zum Inhalt springen

Chemische Briefe/Einunddreissigster Brief

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
<<< Einunddreissigster Brief >>>
{{{UNTERTITEL}}}
aus: Chemische Briefe
Seite: {{{SEITE}}}
von: Justus von Liebig
Zusammenfassung: {{{ZUSAMMENFASSUNG}}}
Anmerkung: {{{ANMERKUNG}}}
Bild
[[Bild:{{{BILD}}}|250px]]
[[w:{{{WIKIPEDIA}}}|Artikel in der Wikipedia]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wikisource-Indexseite
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe

[261]


Einunddreissigster Brief.


In den beiden vorhergehenden Briefen ist gewissen Bestandtheilen der Samen, Wurzeln, Knollen, der Kräuter, Früchte und des Fleisches das Vermögen zugeschrieben worden, die Processe der Ernährung und Athmung zu unterhalten, und es wird als ein sehr auffallender Widerspruch erscheinen, dass keine der genannten Substanzen, weder der Käsestoff für sich, noch die Substanz der Muskelfaser, das Albumin der Eier oder des Blutes, noch die entsprechenden Pflanzenstoffe, die plastischen Processe, dass das Stärkmehl, der Zucker, das Fett den Respirationsprocess zu unterhalten vermögen, ja was noch mehr Erstaunen erregen dürfte, dass diesen Substanzen, mit einander gemengt, in welchen Verhältnissen es auch sei, ohne die Mitwirkung gewisser anderer Materien die Eigenschaft der Verdaulichkeit abgeht, so zwar, dass sie beim Ausschluss dieser anderen Bedingungen gänzlich unfähig sind, die Fortdauer des Lebens und der Lebenserscheinungen zu vermitteln.

In den zahlreichen von Physiologen und Chemikern angestellten Versuchen, Thiere mit diesen Substanzen, für sich oder gemengt, zu ernähren, starben alle nach kürzerer oder längerer Zeit mit den Erscheinungen, welche den Hungertod begleiten; nach wenigen Tagen schon war selbst der quälendste Hunger nicht vermögend, diese Thiere dahin zu bringen, die vorgelegte Speise zu fressen, indem die bereits gewonnene Erfahrung und der im Anfang betrogene Instinct ihnen sagte, dass die Aufnahme dieser Nahrungsstoffe in ihren Magen für den Ernährungszweck eben so gleichgiltig sei, als wenn sie Steine genössen.

Auf der anderen Seite ist es eine seit Jahrtausenden bewährte Thatsache, dass Fleisch und Brod für sich oder mit einander gemengt, so wie die Milch der Thiere das Leben ohne weitere Mitwirkung irgend eines anderen Stoffes in voller Energie zu erhalten vermögen, und es folgt hieraus von selbst, dass diese Nahrungsmittel, so wie die Pflanzen und Pflanzentheile, welche das gras- und körnerfressende Thier geniesst, diejenigen anderen Bedingungen in dem richtigen Verhältnisse enthalten müssen, deren Gegenwart und Mitwirkung unerlässlich nothwendig für den Verdauungs- und Ernährungsprocess ist.

Diese nothwendigen Vermittler der organischen Processe, durch welche die plastischen Nahrungsmittel und die Respirationsmittel diejenigen Eigenschaften erlangen, die sie geschickt und geeignet zur Erhaltung des Lebens machen, sind die unverbrennlichen Bestandtheile oder die Salze des Blutes.

Die unverbrennlichen Bestandtheile des Blutes aller Thiere sind von einerlei Natur und Beschaffenheit; von den zufälligen oder wechselnden abgesehen, enthält das Blut stets und unter allen Umständen gewisse Mengen von Phosphorsäure, von Alkalien (Kali, Natron), alkalischen Erden (Kalk, Bittererde), Eisen in oxydirtem Zustande und Kochsalz (Chlornatrium).

Alle diese Materien waren, ehe sie zu Bestandtheilen des Blutes wurden, Bestandtheile der Speisen, welche der Mensch, oder des Futters,

[262] welches das Thier genoss. Wenn es nun wahr ist, dass diese Substanzen einen bedingenden und nothwendigen Antheil an den Vorgängen nehmen oder genommen haben, um die Bestandtheile der Speisen zu Bestandtheilen des Leibes zu machen, so folgt von selbst, dass keine Art von Nahrung das Leben wird erhalten können, worin diese Stoffe fehlen, dass alle Nahrungsstoffe der Menschen und Thiere, welche die volle Ernährungsfähigkeit besitzen, diese Materien in den zur Blutbildung geeigneten Verhältnissen enthalten müssen, und dass wir der Nahrung ihre Fähigkeit zur Blutbildung nehmen können, wenn wir ihr diese Vermittler ihrer Eigenthümlichkeiten entziehen.

Für die Richtigkeit dieser Schlüsse hat die analytische Chemie die strengsten Beweise geliefert, indem sie gezeigt hat, dass die Rüben, Kartoffeln, die Kräuter, welche das pflanzenfressende Thier geniesst, die nämlichen unverbrennlichen Bestandtheile, sehr nahe in demselben Verhältnisse wie sein Blut enthalten[1]. Die Bestandtheile der Asche des Blutes der körnerfressenden Thiere sind identisch mit der Asche der Körnerfrüchte; die unverbrennlichen Bestandtheile des Blutes der Menschen und der Thiere, welche gemischte Nahrung geniessen, sind die Aschenbestandtheile des Brodes, Fleisches und der Gemüse. Das fleischfressende Thier enthält in seinem Blute die Aschenbestandtheile des Fleisches[2].

Das Blut aller Thiere besitzt unveränderlich eine alkalische Beschaffenheit, welche von einem freien unverbrennlichen Alkali herrührt.

Alle Nahrungsmittel, welche für sich, wie Brod und Fleisch, oder gemengt mit Vegetabilien den Process der Blutbildung und Ernährung zu unterhalten vermögen, enthalten Kohlensäure, oder Phosphorsäure und Alkalien, die beiden letzteren in einem solchen Verhältniss, dass, wenn wir uns diese Bestandtheile in Auflösung denken, die Alkalien unveränderlich vorwalten.

Dass dieses freie Alkali in dem Blutbildungsprocess und in den Functionen des Blutes eine nothwendige Rolle übernimmt, sehen wir unverkennbar aus den bereits erwähnten Versuchen der französischen

[263] Akademiker; denn die Hunde, welche mit Thierfibrin, mit Käsestoff[3], mit ausgekochtem und ausgepresstem Muskelfleisch ernährt, den Hungertod starben, empfingen in diesen Nahrungsstoffen eine für die Blutbildung bei weitem nicht zureichende Menge von Alkalien. Das ausgepresste Muskelfleisch enthält Phosphorsäure und Alkalien in einem solchen Verhältniss, dass, in Lösung gedacht, die Phosphorsäure, und nicht das Alkali vorwaltet; wenn beide gleichzeitig zu Bestandtheilen des Blutes werden könnten, so würde das Blut eine saure und nicht eine alkalische Beschaffenheit annehmen.

Eine saure Beschaffenheit des Blutes erscheint aber bei näherer Betrachtung völlig unverträglich mit den Functionen, welche das Blut in dem Ernährungs- und Athmungsprocess übernimmt. Das freie Alkali ertheilt der Blutflüssigkeit eine Menge sehr merkwürdiger Eigenschaften; durch das Alkali werden die Hauptbestandtheile des Blutes in ihrer flüssigen Beschaffenheit erhalten; die ausnehmende Leichtigkeit, mit welcher sich das Blut durch die feinsten Gefässe bewegt, verdankt es der geringen Durchdringlichkeit der Gefässwände für die alkalische Flüssigkeit. Das freie Alkali im Blute wirkt als Widerstand gegen eine Menge Ursachen, welche bei Abwesenheit des Alkali’s das Albumin zum Gerinnen bringen; je mehr Alkali das Blut enthält, desto höher steigt der Gerinnungspunkt des Albumins; bei einem gewissen Verhältniss von Alkali gerinnt es nicht mehr durch die Hitze. Von dem Alkali hängt die merkwürdige Fähigkeit der Blutflüssigkeit ab, die Oxyde des Eisens, welche Bestandtheile des Blutfarbstoffs sind, so wie andere Metalloxyde zu völlig klaren Flüssigkeiten zu lösen.

Eine besonders wichtige Rolle übernimmt das freie Alkali in dem Athmungs- und Secretionsprocess, die wir bei Betrachtung des Harns näher beleuchten wollen.

Die Bedeutung der Phosphorsäure für den Lebensprocess ist in die Augen fallend, wenn wir beachten, dass diese Säure einen nie fehlenden Bestandtheil aller geformten Theile des thierischen Körpers ausmacht; die Substanz der Muskelfaser, das Blutfibrin, die Gewebe der Lunge, Leber und Nieren enthalten in chemischer Verbindung eine gewisse Menge Phosphorsäure. Die unverbrennlichen Bestandtheile der Flüssigkeiten des Fleisches sind bei allen Thieren von einerlei Natur und Beschaffenheit, sie bestehen aus phosphorsauren Alkalien, phosphorsaurem Kalk und phosphorsaurer Bittererde. Die Knochen der Wirbelthiere enthalten als unverbrennlichen Bestandtheil über die Hälfte ihres Gewichts an phosphorsaurem Kalk und Bittererde. Die Gehirn- und Nervensubstanz enthalten eine mit einem Fette oder einer fetten Säure gepaarte Phosphorsäure, die letztere zum Theil in Verbindung mit einem Alkali[4].

[264] Die in diesen Gebilden enthaltene Phosphorsäure stammt vom Blute. Das Blut enthält unter allen Umständen eine gewisse Menge Phosphorsäure.

Es ist auf dem gegenwärtigen Standpunkte der Wissenschaft noch nicht möglich, eine ganz bestimmte Ansicht über die Art und Weise der Mitwirkung der Phosphorsäure in dem organischen Process zu äussern, und wir müssen uns begnügen, ihre Nothwendigkeit für die vitalen Vorgänge aus ihrem constanten Vorhandensein in allen Flüssigkeiten und geformten Theilen des Thierkörpers zu erschliessen[5].

Wenn wir uns den thierischen Organismus in zwei Theile getheilt denken, so zeigt die Beobachtung, dass die darin vorgehenden Processe in dem einen Theil durch die Mitwirkung einer vorherrschenden alkalischen Base, in dem anderen durch die einer freien Säure vermittelt werden.

Alle geformten, festen Theile enthalten alkalische Basen und Phosphorsäure in einem solchen Verhältnisse, dass wenn beide mit einander verbunden gedacht werden, die Phosphorsäure vorwaltet. (S. die Note.)

[265] Das Blut enthält vorwaltend ein unverbrennliches Alkali; aber auch die Lymphe und der Chylus besitzen eine alkalische Reaction, und es scheint hieraus hervorzugehen, dass von dem Alkali nicht blos gewisse Eigenschaften, sondern auch die Bildung und Erzeugung des Blutes abhängig sind.

Die Bildung und Erzeugung der geformten Theile des Körpers kann ohne vorwaltende Phosphorsäure nicht gedacht werden.

Einen ähnlichen Gegensatz beobachten wir im Ei; das Eiweiss des Hühnereies enthält unter seinen unverbrennlichen Bestandtheilen vorwaltend eine alkalische Basis, der Dotter freie Phosphorsäure.

Wenn wir die unverbrennlichen Bestandtheile des Blutes der gras-, körner- und fleischfressenden Thiere mit einander vergleichen, so beobachten wir in dem Verhältniss der Alkalien zur Phosphorsäure ganz ausserordentliche Abweichungen.

Das Blut des Schweines und Hundes enthält 36 Procent, das des Huhns über 40 Procent, das des Ochsen und Schafes nicht über 14 bis 16 Procent Phosphorsäure. (Siehe die Note S. 262.)

Wie lassen sich, kann man fragen, so grosse Verschiedenheiten in Uebereinstimmung bringen mit den constanten Functionen des Blutes? Wenn die unverbrennlichen Bestandtheile des Ochsenblutes in den darin vorkommenden Verhältnissen nothwendig sind für die vitalen Vorgänge im Körper des Ochsen, wie kann man sich erklären, dass das Blut im Leibe des Schweines und Hundes bei einer so abweichenden Zusammensetzung zu denselben Zwecken tauglich ist, die wir in beiden ganz in derselben Weise sich vollenden sehen, wie im Körper des pflanzenfressenden Thieres? In der That giebt die Analyse in den Organen oder den Theilen des Leibes, die sich ausserhalb der Blutgefässe befinden, in Beziehung auf diese unverbrennlichen Bestandtheile keinen Unterschied in der Zusammensetzung zu erkennen. Während die Aschenbestandtheile des Blutes eines kräuter- und eines fleischfressenden Thieres in dem Grade von einander abweichen, dass wir durch die Analyse derselben sogleich und mit Bestimmtheit beide an ihrem Phosphorsäuregehalt unterscheiden können, ist es völlig unmöglich, durch die Analyse der unverbrennlichen Bestandtheile des Fleisches das eines Ochsen von dem eines Hundes oder Schweines zu unterscheiden und zu sagen, welche von dem Fleische des Fleischfressers oder dem des kräuterfressenden Thieres gewonnen worden sind. Die unverbrennlichen Bestandtheile der Fleischflüssigkeit des Ochsen, Schafes, Kalbes, Schweines, Hundes, Marders, Fuchses, der Fische enthalten stets Phosphorsäure und Alkalien in dem Verhältnisse, wie die pyrophosphorsauren Salze. Die in kaltem Wasser nicht löslich feste Substanz der Muskeln, des Bindegewebes, der Membranen, der Gewebe der Lunge und Leber enthalten stets überschüssige Phosphorsäure, so dass sich beim Einäschern derselben constant gewisse Mengen von metaphosphorsauren Salzen bilden.

Wenn aber die Theile der Organe und aller Gebilde des Kräuterfressers auch in Beziehung auf ihre unverbrennlichen Bestandtheile gleich zusammengesetzt sind wie die des Fleischfressers, wenn der Wechsel oder die Zunahme des Phosphorsäuregehaltes im Blute das Verhältniss dieser Säure in den Flüssigkeiten des Muskelsystems, den Geweben etc. nicht

[266] vergrössert und die Abnahme im Blut dasselbe nicht kleiner macht, so folgt hieraus von selbst, dass der Mehrgehalt an Phosphorsäure im Blute auf den Bildungsprocess ohne allen Einfluss ist.

Das Blut führt allen Körpertheilen die diesen nöthige Phosphorsäure zu und muss deshalb stets eine gewisse Menge dieser Säure enthalten, aber die Phosphorsäure spielt keine Rolle in dem Bildungsprocess und den Functionen des Blutes, weil ihre Eigenschaften als Säure gänzlich untergehen in dem im Blute vorherrschenden Alkali.

In dem Blute der verschiedenen Thierclassen nehmen wir einen Wechsel in zwei Bestandtheilen, in der Phosphorsäure und Kohlensäure wahr, aber diese Ungleichheit in der Zusammensetzung ist ohne allen Einfluss auf die Eigenschaften des Blutes, es behält seine alkalische Beschaffenheit. In dem Blute des Pflanzenfressers finden wir das Alkali zum Theil verbunden mit Kohlensäure, in dem des Fleischfressers sehen wir diese Kohlensäure vertreten und ersetzt durch Phosphorsäure, ohne Aenderung der Eigenthümlichkeit oder der Functionen des Blutes[6].

Es ist dies wieder eine der unzähligen Thatsachen, welche die Seele des Beobachters der Einrichtungen in der Natur mit unaussprechlicher Bewunderung erfüllten, dass eben das phosphorsaure Alkali sich gegen Kohlensäure ganz ähnlich verhält, wie ein neutrales kohlensaures Alkali. Allen ihm bekannten Gesetzen entgegen erscheint es dem Chemiker einem Wunder gleich, dass zwei Säuren, eine gasförmige und eine feuerbeständige, eine der schwächsten und eine der stärksten, welche durch ihre Zusammensetzung unter allen Säuren am weitesten von einander entfernt stehen, mit den Alkalien, welche Bestandtheile des Blutes sind, Verbindungen von demselben chemischen Charakter zu bilden vermögen. Das phosphorsaure Natron schmeckt und reagirt alkalisch wie das kohlensaure Alkali, und nimmt in seiner Lösung bei Gegenwart von freier Kohlensäure eben so viel Kohlensäure wie dieses auf, die es in ganz gleicher Weise, nur leichter, beim Schütteln mit Luft, im luftleeren Raum oder beim Verdampfen wieder abgiebt, ohne sein Absorptionsvermögen für Kohlensäure unter anderen Umständen zu verlieren.

Es ist hieraus vollkommen verständlich, dass wenn dem Blute gewisse Functionen angehören, die auf seinen chemischen Eigenschaften, auf seiner alkalischen Beschaffenheit beruhen, dass für diese Zwecke der Wechsel der mit dem Alkali verbundenen Säuren, der Ersatz der Kohlensäure des kohlensauren Alkali’s durch Phosphorsäure und umgekehrt, ohne Einfluss ist, weil durch denselben keine Aenderung in den Eigenschaften des Blutes verursacht wird.

[267] Das Blut ist der Boden, von dem aus sich alle Theile des lebendigen Leibes in allen Thieren auf einerlei Weise und von gleicher unveränderlicher Zusammensetzung entwickeln, aber es ist gleichzeitig die Quelle der thierischen Wärme, und seine Canäle sind die Wege, auf denen die für die vitalen Processe untauglichen und die im Lebensprocesse verbrauchten Stoffe (die Producte des Stoffwechsels) den Apparaten der Secretion zugeführt und wieder aus dem Körper entfernt werden.

Für diese Vorgänge muss das Blut alle nothwendigen Bedingungen enthalten: in den verbrennlichen Bestandtheilen den Stoff, welcher zum Träger der vitalen Thätigkeit werden oder zur Wärmeerzeugung dienen soll, in den unverbrennlichen die unentbehrlichen Vermittler von dessen Wirksamkeit. In dem Bildungsprocess sehen wir die Phosphorsäure (und neben ihr keine andere unverbrennliche Säure) eine unbestimmte Rolle übernehmen, der Process der Blutbildung, Wärmeerzeugung und Secretion stehen unter dem chemischen Einflusse eines vorherrschenden Alkali’s.

Aus der theilweisen Ersetzbarkeit der Phosphorsäure durch Kohlensäure und umgekehrt im Blute, ohne Aenderung von dessen Eigenschaften, erklärt es sich, dass durch den Wechsel von vegetabilischer und thierischer Nahrung im Leibe des Menschen keine in den gewöhnlichen Zuständen wahrnehmbare Veränderung der normalen Lebensprocesse herbeigeführt wird, obwohl dadurch in Beziehung auf seine unverbrennlichen Bestandtheile eine wesentliche Verschiedenheit in der Zusammensetzung des Blutes bedingt wird.

Mit der grössten Leichtigkeit und Sicherheit lässt sich jetzt aus der bekannten Zusammensetzung der Aschenbestandtheile der Nahrung die Natur des Blutes vorherbestimmen, da man weiss, dass die des Blutes von der Nahrung stammen, und beide identisch sind.

Besteht die Nahrung aus Brod oder Fleisch, welche nur phosphorsaure, keine kohlensauren Salze in ihrer Asche hinterlassen, so enthält das Blut nur phosphorsaure Salze; setzen wir der Brod- oder Fleischnahrung Kartoffeln oder grüne Gemüse hinzu, so empfängt das Blut damit einen Gehalt an kohlensauren Alkalien; ersetzen wir das Brod oder Fleisch ganz durch Früchte, Wurzeln oder grüne Gemüse, so nimmt das Blut des Menschen die Beschaffenheit und Zusammensetzung des Ochsen- oder Schafblutes an.

Wenn auch der Austausch der Kohlensäure und Phosphorsäure im Blute beim Wechsel der vegetabilischen und animalischen Nahrung auf die Processe der Blutbildung, Ernährung und Wärmeerzeugung ohne bemerklichen Einfluss zu sein scheint, so wird durch diesen Wechsel der Secretionsprocess dennoch sehr wesentlich der Form nach geändert.

Es ist einleuchtend, dass im normalen Gesundheitszustand, in welchem sich das Körpergewicht des Menschen und Thieres nicht ändert, die in den Speisen und im Futter genossenen Alkalien, alkalischen Erden, Phosphorsäure und Eisenoxyd sich im Körper nicht anhäufen, sondern täglich in eben der Menge wieder austreten, in welcher sie in der Nahrung genossen wurden.

Wir wissen mit der grössten Bestimmtheit, dass diese Ausscheidung durch zwei Secretionsorgane, durch die Nieren und den Darmcanal vermittelt wird.

[268] Die Aschenbestandtheile des Harns und der Fäces sind im normalen Zustande dem Gewichte nach gleich dem Gewichte der unverbrennlichen Bestandtheile der Nahrung; nur wenn das Individuum an geformten organischen Theilen, d. h. an Körpergewicht zunimmt, bleiben in diesen als Theile, welche zu ihrer Zusammensetzung gehören, gewisse Mengen von phosphorsauren Salzen zurück.

Die Bekanntschaft mit den unverbrennlichen Bestandtheilen der Speise des gesunden Menschen oder des Futters der Thiere setzt uns in den Stand, aus der Kenntniss der Nahrung mit mathematischer Sicherheit die des Harns und der Fäces zu erschliessen und vorherzusagen, welche Reaction der Harn besitzen muss und in welchen Verhältnissen diese Bestandtheile in dem Harn und den Fäces enthalten sind.

Die unverbrennlichen Bestandtheile des Brodes, Fleisches, der Samen, Wurzeln, Knollen, Kräuter und Früchte sind in allen diesen Nahrungsmitteln von einerlei Natur und Beschaffenheit, aber in sehr ungleichen Verhältnissen vorhanden; sie lassen sich leicht an ihren Eigenschaften von einander unterscheiden.

Die Alkalien (Kali, Natron) sind für sich und die Verbindung mit Phosphorsäure, Schwefelsäure und Kohlensäure leicht im Wasser löslich.

Die alkalischen Erden (Kalk und Bittererde) sind in ihrer neutralen Verbindung mit Phosphorsäure und Kohlensäure im Wasser nicht löslich.

Die kohlensauren und alkalischen Erden lösen sich hingegen in Wasser, welches freie Kohlensäure, die phosphorsauren Erden in Wasser, welches freie Phosphorsäure, eine Mineral- oder eine organische Säure enthält.

Die eben genannten Materien sind die nie fehlenden Bestandtheile der Asche der Speisen des Menschen, oder des Futters der Thiere. Phosphorsäure, die Alkalien und alkalischen Erden (nebst Eisenoxyd und, wie im Futter der Thiere, Kieselerde) sind als solche vor der Verbrennung vorhanden, Schwefelsäure und Kohlensäure sind Producte der Verbrennung des Schwefels und Kohlenstoffs. Wenn wir uns diese Asche mit Wasser in Berührung gebracht denken, so findet eine Theilung der Aschenbestandtheile statt, die löslichen werden vom Wasser aufgenommen, die darin nicht löslichen bleiben im Rückstande.

Enthält die Asche Phosphorsäure und Schwefelsäure (und Kieselsäure) in einem solchen Verhältniss, dass sie zusammen ausreichen, um die vorhandenen Alkalien und alkalischen Erden zu neutralisiren, so erhalten wir:

in Lösung im Rückstande (ungelöst)
Phosphorsäure
(Schwefelsäure)
Kali
Natron
Phosphorsäure
(Kieselsäure)
Kalk
Bittererde
Eisenoxyd.

Reichen die vorhandenen alkalischen Erden hin, um alle Phosphorsäure in der Asche zu binden, fehlt es also an Phosphorsäure, um mit den Alkalien eine Verbindung einzugehen, so bleibt alle Phosphorsäure im Rückstande und man erhält alsdann:

in dem Wasser gelöst im Rückstande
Kohlensäure
(Schwefelsäure)
Kali
Natron
Phosphorsäure
(Kohlensäure)
(Kieselerde)
Kalk
Bittererde
Eisenoxyd.

[269] Im lebendigen Körper erleidet die Nahrung ganz dieselbe Veränderung, wie wenn wir sie in einem Ofen verbrannt hatten, und es findet in Beziehung auf die unverbrennlichen Bestandtheile derselben eine vollkommen gleiche Theilung statt.

In dem Verdauungsprocess werden die im Wasser, alkalischen und schwach sauren Flüssigkeiten löslichen verbrennlichen und unverbrennlichen Bestandtheile der Speisen und des Futters löslich gemacht und in den Blutkreislauf aufgenommen. Durch die Wirkung des im Athmungsprocess aufgenommenen Sauerstoffs werden die verbrennlichen in letzter Form verbrannt. Die stickstofffreien werden in Wasser und Kohlensäure, die plastischen in Harnsäure, Hippursäure, Harnstoff, deren Schwefel in Schwefelsäure übergeführt.

Durch die Apparate der Secretion, die Nieren und den Darmcanal werden die obengenannten Producte des organischen Verbrennungsprocesses und die Aschenbestandtheile der Nahrung, in so fern sie für eine weitere Verwendung zu vitalen Zwecken untauglich sind, aus dem Organismus entfernt. Der Harn enthält die löslichen, die Fäces die unlöslichen Aschenbestandtheile der Nahrung.

Die Alkalien sowohl, wie die Producte des Stoffwechsels, welche damit lösliche Verbindungen bilden, sind im Harn, die übrigen in den Fäces enthalten.

War die Nahrung Brod oder Fleisch, welche in ihrer Asche nur phosphorsaure Salze hinterlassen, so enthält der Harn die Alkalien in der Form von phosphorsauren Alkalien.

Bestand sie aus Wurzeln, Gemüse, Früchten, die in ihrer Asche als lösliche Salze nur kohlensaure Alkalien enthalten, so enthält der Harn kohlensaure Alkalien.

Die im Leibe erzeugten Producte des organischen Verbrennungsprocesses, Schwefelsäure, Harnsäure, Hippursäure, besitzen zu den Alkalien eine starke Verwandtschaft; wenn wir diese Säuren einer Auflösung von phosphorsaurem Natron (PO5,2MO,HO) oder kohlensaurem Alkali zusetzen, so theilen sie sich mit der Phosphorsäure oder Kohlensäure in das Alkali; indem sie den Salzen dieser Säuren einen Theil der Basis entziehen, wird eine gewisse Menge Phosphorsäure oder Kohlensäure in Freiheit gesetzt.

Ganz dasselbe geht vor sich bei der Absonderung des Harns vom Blute. Die Alkalien enthalten in chemischer Verbindung alle im Blute vorhandenen oder erzeugten Säuren.

Der Harn der Menschen und Thiere enthält stets eine freie Säure, oder ein saures Salz.

Bei der Absonderung des Harns wird in Folge des Hinzutretens von Schwefelsäure, Hippursäure, Harnsäure zu dem phosphorsauren Alkali diesem Salz ein Theil des Alkali’s entzogen, ein entsprechender Theil der damit verbundenen Phosphorsäure wird frei, das ursprünglich alkalisch reagirende Salz wird neutral oder nimmt eine saure Reaction an. Bestanden die löslichen Aschenbestandtheile des Futters aus kohlensauren Alkalien, so treten diese im Harn, indem sie sich mit freier Kohlensäure aus dem Blute verbinden, in der Form von sauren kohlensauren Alkalien aus.

[270] Da nun aber eine durch Phosphorsäure (oder eine nicht flüchtige Säure) saure Flüssigkeit die Eigenschaft besitzt, posphorsauren Kalk und phosphorsaure Bittererde zu lösen, und eine durch Kohlensäure saure Flüssigkeit für kohlensauren Kalk und kohlensaure Bittererde ein ähnliches Lösungsvermögen besitzt, so enthält der durch Phosphorsäure saure Harn stets phosphorsaure Erdsalze, der durch Kohlensäure saure Harn stets kohlensaure Erdsalze in Auflösung.

Bei Fleischnahrung, Brod, Erbsen, Bohnen, Linsen enthält der Harn: Bei Pflanzennahrung, Heu, Klee, Rüben, Kartoffeln etc. enthält der Harn:
Freie Phosphorsäure, Freie Kohlensäure,
phosphorsauren Kalk
Bittererde
kohlensauren Kalk
Bittererde
phosphorsaure
schwefelsaure
harnsaure
hippursaure
Alkalien. kohlensaure
hippursaure
schwefelsaure
Alkalien.
Dieser Harn reagirt bleibend sauer. Der saure Harn enthält (in der Regel) Harnsäure. Dieser Harn reagirt vorübergehend sauer, bleibend alkalisch.
Der alkalische Harn enthält keine Phosphorsäure und keine Harnsäure.

Aus diesen Untersuchungen erhellt, dass die saure, alkalische oder neutrale Beschaffenheit des Harns gesunder Menschen oder Thiere, so wie die Gegenwart der Phosphorsäure und Harnsäure, von phosphorsauren oder kohlensauren Erdsalzen im Harn, in letzter Quelle von der Natur und Beschaffenheit der Aschenbestandtheile der Speisen oder des Futters abhängig ist.

Der Harn eines mit Kartoffeln ernährten Schweines, welcher alkalisch ist, wird sauer, sobald das Thier Korn oder Erbsen in seiner Nahrung empfängt; in ganz ähnlicher Weise verliert der Harn des Menschen seine gewöhnliche saure Reaction und wird neutral oder alkalisch, wenn der Speise saftige Früchte, Kirschen, Aepfel, Kartoffeln, Wurzeln und grüne Gemüse in einem gewissen Verhältniss zugesetzt werden.

Die Salze des Harns werden von dem Blute abgesondert durch die Nieren; vor dieser Absonderung waren sie Bestandtheile des Blutes.

Die chemische Analyse des Harns setzt uns in den Stand, die unverbrennlichen Bestandtheile desselben mit denen des Blutes zu vergleichen, und es zeigt die Beobachtung, dass in Beziehung auf das Verhältniss der im Wasser löslichen Salze mit alkalischen Basen kaum ein Unterschied zwischen beiden besteht[7]. Wenn wir das Blut von einem gesunden Individuum und gleichzeitig dessen Harn einäschern, und die Asche mit Wasser auslaugen, so sind die im Wasser löslichen Salze des Blutes von denen des Harns ihrer Natur nach nicht verschieden, und

[271] es ist ausnehmend wahrscheinlich, dass auch in Beziehung auf ihre relativen Mengen ein constantes Verhältniss besteht.

Wir haben demnach alle Hoffnung, dass wir durch eine sehr einfache chemische Operation im Stande sein werden, von dem Harn rückwärts zu bestimmten Schlüssen auf die Beschaffenheit und Zusammensetzung des Blutes zu gelangen, und es bedarf nur einer kleinen Anzahl von vergleichenden Untersuchungen des Harns und Blutes in den verschiedenen Krankheiten, um die Krankheitslehre mit einem, in der Sicherheit seiner Anzeigen unschätzbaren Mittel zu bereichern, durch dessen Hülfe der Arzt die Veränderungen in der Zusammensetzung des Blutes in Krankheiten feststellen, und deren Einfluss auf die Functionen des Blutes und damit auf die wichtigsten vitalen Vorgänge beurtheilen kann.

Es gehören nicht viel chemische Kenntnisse dazu, um einzusehen, dass die Ermittelung des Gesetzes der Abhängigkeit der Functionen und Beschaffenheit des Blutes von der Natur und Quantität der unverbrennlichen Bestandtheile desselben, der unterste Stein der Grundlage der Medicin und Physiologie, und dass es vollkommen thöricht ist, vor der Legung dieses Steins, welcher die Lösung aller Fragen der thierischen Oekonomie trägt, an eine rationelle Heilwissenschaft nur zu denken. Für den Chemiker ist es ganz unmöglich, zu verkennen, dass die alkalische Beschaffenheit des Blutes eine der ersten und wichtigsten Bedingungen des organischen Verbrennungsprocesses, der Wärmequelle und des Stoffwechsels ist.

Eine Menge organischer Verbindungen empfangen bei Berührung oder in Gegenwart von freiem Alkali das Vermögen, sich mit Sauerstoff zu verbinden (zu verbrennen), was sie für sich oder bei gewöhnlicher Temperatur oder bei der Temperatur des thierischen Körpers durchaus nicht besitzen. (Chevreul.) Ganz besonders in die Augen fallend beobachtet man den Einfluss des Alkali’s an solchen Stoffen, welche gefärbt sind und unter diesen Umständen entfärbt werden, oder an farblosen, die sich färben, indem sie zerstört werden. Der Carmin, der dauerhafteste organische Farbstoff, den wir kennen, die Farbstoffe des Campeche- und Brasilienholzes, der Blutfarbstoff lösen sich in Kalilauge und erhalten sich monatelang unverändert; aber in dem Augenblick, wo man Luft oder Sauerstoffgas zu dieser Mischung treten lässt, wird dieses Gas mit Schnelligkeit absorbirt und diese Farbstoffe zerstört. (Chevreul.)

Die farblose Auflösung von Pyrogallussäure oder Gallussäure färbt sich in ihrer alkalischen Lösung bei Sauerstoffzutritt (s. S. 228) dunkelroth und wird in wenigen Minuten zerstört. Selbst der Alkohol oxydirt sich, wenn er ein freies Alkali enthält, bei gewöhnlicher Temperatur und färbt sich braun.

Der Milch- und Traubenzucker entziehen bei Gegenwart einer alkalischen Base in gelinder Wärme selbst Metalloxyden ihren Sauerstoff (s. S. 245).

Eine ganz ähnliche Wirkung bringen die Alkalien im Blute hervor, sie vermitteln und erhöhen die Verbrennlichkeit der Respirationsmittel.

Auf eine entscheidende Weise zeigt sich der Einfluss der Alkalien in dem Verhalten der Salze der organischen Säuren in dem Kreislauf

[272] des Blutes. Seit langem hatte man die Beobachtung gemacht, dass beim Genuss von saftigen Früchten, Kirschen, Erdbeeren, Aepfeln etc., der Harn alkalisch wird. Alle diese Früchte, so wie die Säfte der Wurzeln, Knollen und Kräuter, enthalten diese Alkalien in der Form von pflanzensauren Salzen, in der Regel als äpfelsaures (alles Kernobst, Ananas), citronensaures (Steinobst, Johannisbeeren, Kartoffeln), weinsaures (Weintrauben) Alkali. Es ist von Gilbert Blane und Wöhler nachgewiesen worden, dass sich die Salze für sich genau verhalten wie die Salze in diesen verschiedenen Pflanzentheilen; durch den Mund (oder in einem Klystier) genommenes citronensaures, weinsaures, äpfelsaures, essigsaures Kali erscheinen in dem Harn als kohlensaures Kali.

In ihren neutralen oder sauren Salzen dem Blute zugeführt, verbrennen die Säuren dieser Salze eben so vollständig wie in dem vollkommensten Verbrennungsapparate. Die in dem Harn der Pflanzenfresser vorherrschenden kohlensauren Alkalien stammen von derselben Quelle, von den in dem Futter enthaltenen pflanzensauren Alkalien her.

In ganz gleicher Weise wird die Harnsäure bei Gegenwart von Alkali in dem Organismus zerstört. In dem Harn von Kaninchen, denen man verhältnissmässig grosse Gaben Harnsäure in der Form von harnsaurem Kali (bis 2 zu 2½ Gramm) gegeben hatte, liess sich keine Harnsäure mehr entdecken; die Harnsäure war übergeführt in Oxalsäure und Harnstoff, dessen Menge den gewöhnlichen Gehalt des Harns in demselben wenigstens um das Fünffache überstieg. (Frerichs.) Der Harnstoff entspricht aber, wie man weiss, der Kohlensäure; es ist Kohlensäure, in welcher die Hälfte des Sauerstoffs ersetzt und vertreten ist durch sein Aequivalent Amid (NH2).

Der Grund der ausnehmend gesteigerten Verbrennlichkeit aller dieser Substanzen ist offenbar, wie die einfachsten Betrachtungen beweisen, die alkalische Beschaffenheit des Blutes.

Die pflanzenfressenden Thiere verzehren in ihrem Futter eine Menge Pflanzensäuren in freiem Zustande, welche gleich den an die alkalischen Basen gebundenen Säuren im Blutkreislauf zerstört werden und verschwinden; in ihrem Organismus wird, wie kaum zu bezweifeln ist, gerade so wie im Leibe des Fleischfressers, Harnsäure als unvollkommenes Verbrennungsproduct der im Stoffwechsel verbrauchten plastischen Bestandtheile erzeugt, aber diese Harnsäure erscheint im gesunden Zustande niemals in ihrem an freiem Alkali reichen Harn.

Wir erklären uns diese Erscheinung auf eine befriedigende Weise aus dem Gehalt ihres Blutes an kohlensaurem Alkali.

Die Pflanzensäuren, indem sie in das Blut gelangen, oder die Harnsäure, die im Leibe erzeugt wird, zersetzen die kohlensauren Alkalien im Blute und bilden neutrale Salze, welche durch den vorhandenen Sauerstoff eben so schnell zerstört werden, als sie sich bilden. Die freigewordene Kohlensäure entweicht durch die Lunge.

Die nämlichen organischen Säuren, welche in der Form von Salzen, d. h. begleitet von alkalischen Basen, auch in dem Blute des Menschen mit Schnelligkeit verschwinden, erscheinen, wenn sie ohne diese Alkalien genossen werden, zum grossen Theil unverändert im Harn; selbst die verbrennlichsten unter ihnen, wie die Weinsäure und

[273] Gallussäure, werden unter diesen Umständen im Blute des Menschen unverbrennlich. Die genossene Gallussäure ist besonders leicht im Harn an der Eigenschaft zu erkennen, mit Eisenoxydsalzen eine dintenschwarze Flüssigkeit zu bilden.

Der Grund dieser Unverbrennlichkeit ist der Mangel an dem die Wirkung des Sauerstoffs bedingenden freien Alkali.

Das Blut des Menschen (und des Hundes, mit welchem eine grosse Anzahl dieser Versuche angestellt wurden) enthält kein kohlensaures, sondern phosphorsaures Alkali.

Es ist nun ganz gewiss, dass die neutralen pflanzensauren Salze die alkalische Beschaffenheit dieses Blutes nicht ändern, während die freien Säuren bei ihrem Uebergang in das Blut, indem sie sich eines Theils des Alkali’s bemächtigen, eine entsprechende Menge der damit verbundenen Phosphorsäure in Freiheit setzen müssen, welche nicht wie die Kohlensäure gasförmig und ausathembar ist, sondern die ihren Platz im Blute nur dann verlässt, wenn sie durch eine Ursache dazu genöthigt wird. Wir müssen uns denken, dass der Theil des Blutes, zu welchem die Säuren gelangen, seine alkalische Beschaffenheit gänzlich verlor, dass er sogar vorübergehend sauer wurde (eine Beschaffenheit, welche durch die Function der Nieren wieder aufgehoben wurde), und dass in Folge dieses Zustandes die genannten Säuren oder ein Theil derselben in dem Blutkreislauf ihre Veränderlichkeit und Verbrennlichkeit verloren; wäre das Blut, welches die freie Gallussäure aufgenommen hatte, alkalisch geblieben, so würde diese Säure zerstört worden sein; denn ein freies Alkali und Sauerstoff sind völlig unverträglich mit dem Bestehen der Gallussäure.

Die Eigenthümlichkeiten des Blutes des Menschen und der fleischfressenden Thiere, welche durch ihren überwiegenden Gehalt an Phosphorsäure bedingt werden, zeigen sich in dem Secretionsprocess in vollem Lichte. Der chemischen Wirkung des Alkali’s setzt sich in der damit verbundenen Phosphorsäure ein gewisser Widerstand entgegen, welcher in dem Blute des kräuterfressenden Thieres fehlt. Mit der Gegenwart der Phosphorsäure im Blute steht die bleibend saure Beschaffenheit des Harns und die Secretion der Harnsäure, mit der überwiegenden alkalischen Beschaffenheit des Blutes der Kräuterfresser das Verschwinden der Harnsäure in deren Harn in genauester Beziehung.

Der Gehalt an freier Kohlensäure in dem Harn der Pflanzenfresser ist zum grossen Theil durch die Verwandtschaft des kohlensauren Alkali’s zur Kohlensäure bedingt; die Absonderung der freien Säuren in dem Harn der Fleisch- und Körnerfresser ist hingegen offenbar eine nothwendige Bedingung zur Erhaltung der alkalischen Beschaffenheit ihres Blutes.

Wenn wir uns denken, dass diese Absonderung auch nur vorübergehend in Folge einer Störung in der Function der Nieren unterdrückt sei, oder dass durch einen krankhaften rascheren Umsatz in den Gebilden (Entzündung, Fieber) die in diesen Theilen gebundene Phosphorsäure frei wird und zu dem Blute tritt, so muss die Aenderung in der alkalischen Beschaffenheit des Blutes sich sogleich durch vermehrte Secretion von Harnsäure und durch eine Aenderung des Respirationsprocesses zu erkennen geben.

[274] Man versteht nach diesen Betrachtungen die oft wunderbaren Erfolge, welche die Aerzte durch eine rationelle Diät, durch eine mit Kenntniss und Ueberlegung gemachte Wahl der Speisen, durch Mineralwasser, Kräuter- und Molkenkuren in vielen Krankheiten erzielen.

Wenn man das Fleisch und Brod in der gewöhnlichen Nahrung durch saftreiche Pflanzennahrung, durch Obst und Früchte ersetzt, so wird ohne allen Zweifel das Blut in seiner chemischen Mischung verändert, aber diese Aenderung beruht in keiner Weise auf einem Wechsel in seinen organischen oder verbrennlichen Bestandtheilen, denn das Fibrin und Albumin des Ochsenblutes weichen in ihrem chemischen Bestand nicht im Geringsten ab von dem des Blutes des fleisch- und körnerfressenden Thieres, sondern in einem Wechsel in den unverbrennlichen Bestandtheilen, in einem Ersatz des in so vielen (typhösen und Entzündungs-) Krankheiten störenden Einflusses der Phosphorsäure oder des phosphorsauren Alkali’s durch kohlensaures Alkali.

Es giebt wohl keine Thatsache, welche überzeugender für die Function des Darmcanals als eines Secretionsorgans zu sprechen scheint, als der Mangel des Eisens im Harn überhaupt und die Abwesenheit der phosphorsauren Salze im Harn der Pflanzenfresser.

Wir begreifen, dass keine Substanz im Harn enthalten sein kann, welche unlöslich in dieser Flüssigkeit ist, und dass phosphorsaurer Kalk und phosphorsaure Bittererde in dem Harn des Pferdes und der Kuh deshalb fehlen, weil eine Flüssigkeit, welche so beträchtliche Mengen kohlensaure Alkalien und kohlensaure Erden enthält, kein Lösungsvermögen für phosphorsaure Erden besitzt[8]. Wir finden in dem Harn der Kuh und des Pferdes keine Phosphorsäure, obwohl beide in ihrem Futter täglich eine grosse Menge von Phosphorsäure in der Form von löslichen phosphorsauren Alkalien geniessen, welche Bestandtheile ihres Blutes wurden; die chemische Analyse des Harns[9] von den nämlichen Thieren, von welchen die Fäces[10] und das Futter [11] analysirt worden war, zeigt

[275] uns, dass diese letzteren alle genossene Phosphorsäure in der Form von phosphorsaurem Kalk und phosphorsaurer Bittererde enthalten (PO5,2MO), und es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass die in Folge des Stoffwechsels freigewordene Phosphorsäure, welche vermöge der chemischen Beschaffenheit des Harns durch die Nieren nicht austreten konnte, von dem Blute aus dem Darm zugeführt werden muss, dass mithin ein Theil des Darmcanals die Function der Nieren als Organ der Absonderung übernimmt. Es ist schwer, vom anatomischen oder chemischen Standpunkt aus sich eine klare Vorstellung von diesem Absonderungsprocess zu machen, von dessen Vorhandensein wir in krankhaften Zuständen (in Diarrhöen z. B.) die überzeugendsten Beweise erblicken; aber die Schwierigkeit der Erklärung hebt in der Naturforschung die Wahrheit einer Thatsache nicht auf.

Ausser den genannten unverbrennlichen Bestandtheilen enthält das Blut der Menschen und Thiere eine gewisse Menge Kochsalz und Eisen. Die Menge des Kochsalzes beträgt in der Regel über die Hälfte des Gesammtgewichtes aller übrigen unverbrennlichen Bestandtheile des Blutes.

Die Verschiedenheit der Nahrung ist ohne bemerklichen Einfluss auf den Kochsalzgehalt des Blutes; das Blut eines Hundes, welcher 18 Tage lang mit Fleisch gefüttert worden war, enthielt dieselbe Menge Kochsalz wie nach zwanzigtägiger Fütterung mit Brod. Der Kochsalzgehalt des Blutes des Menschen, Schafes, Schweines, Ochsen, Kalbes beträgt zwischen 50 und 60 Procent von dem Gesammtgewicht aller Aschenbestandtheile. Der Unterschied der in den verschiedenen Analysen erhaltenen Kochsalzmengen rührt zum Theil von der Schwierigkeit her, bei der Einäscherung des Blutes die Verflüchtigung von Kochsalz zu vermeiden, theils ist der ungleiche Procentgehalt in dem Blute verschiedener Thiere durch den ungleichen Gehalt an anderen Aschenbestandtheilen, an Phosphorsäure oder Kohlensäure bedingt.

Der grosse Gehalt an Kochsalz im Blute ist bemerkenswerth genug, um in Beziehung auf die Frage über dessen Nothwendigkeit für den Lebensprocess in Betrachtung gezogen zu werden.

Es bedarf keiner besonderen Hervorhebung, dass alles im Blute vorhandene Kochsalz von der Nahrung stammt; wenn wir aber die Aschenbestandtheile

[276] der vegetabilischen Nahrung, welche die Kuh, das Pferd etc. geniessen, mit den Aschenbestandtheilen ihres Blutes vergleichen, so beobachten wir einen auffallenden Unterschied; der Kochsalzgehalt der Blutasche ist weit (oft zehnmal) grösser als der der Futterasche; die Vergleichung der Aschenbestandtheile des Harns mit denen des Blutes ergiebt ferner, dass der Kochsalzgehalt der Harnasche stets kleiner ist als der der Blutasche, er entspricht dem Kochsalzgehalt der Nahrung. Diese Verhältnisse scheinen den Schluss zu begründen, dass in dem Blutgefässsystem eine Ursache wirksam ist, die sich (da der Kochsalzgehalt des Blutes nicht über eine gewisse Grenze steigt) der Vergrösserung und eben so einer Verminderung dieses Gehaltes entgegensetzt, dass das Kochsalz also nicht blos ein zufälliger, sondern ein constanter Bestandtheil der Blutflüssigkeit und dessen Menge bis zu einer gewissen Grenze unveränderlich ist.

Unter den Nahrungsmitteln aus dem Pflanzenreich enthalten die Samen die kleinste Menge Kochsalz, die Gemüsepflanzen und das Wiesengras (vorzüglich Lolium perenne) unter den Pflanzen des Continents am meisten.

Es ist nicht leicht, die ganze Bedeutung des Kochsalzes für den Lebensprocess mit eben der Bestimmtheit festzusetzen, wie wir dies für die Phosphorsäure und den Kalk können, deren absolute Nothwendigkeit für den Bildungsprocess eine feststehende Thatsache ist, indem sie Bestandtheile aller Gebilde sind. Das Kochsalz dient im Organismus zur Vermittelung der allgemeinsten Vorgänge, ohne durch seine Bestandtheile Antheil an dem Bildungsprocess zu nehmen, kein Theil der organischen Gebilde enthält Chlor in chemischer Verbindung; es giebt aber keine Flüssigkeit des thierischen Körpers, in welcher Chlor als Bestandtheil fehlt. Wir finden in Thieren, welche wie die des Continents in ihrer Nahrung nur Kalisalze und ausser Kochsalz keine Natrium- und keine Chlor-Verbindung geniessen, die Elemente des Kochsalzes, aber getrennt an verschiedenen Orten, wieder. In dem ganzen Muskelsystem, in der Fleischflüssigkeit ist eine reichliche Menge Chlor an Kalium, nicht an Natrium gebunden; dieses Chlor stammt von Kochsalz. In dem Secret der Leber, der Galle der Landthiere finden wir eine überwiegende Menge Natriumoxyd, dessen Natrium in der Nahrung als Kochsalz genossen wurde. In dem Blute des Pferdes, der Kuh und im Allgemeinen der kräuterfressenden Thiere überwiegt die Menge des kohlensauren Natrons die des Kali’s um das doppelte bis dreifache, obwohl die Asche ihrer Nahrung kaum eine Spur von kohlensaurem Natron enthält. Diese Verhältnisse sind durch ihre Beständigkeit ganz zuverlässige Merkzeichen, dass das Natrium oder Natron vermöge seiner Eigenthümlichkeiten für die Vorgänge im Blute und Blutgefässsystem, und das Kalium oder die Kalisalze aus gleichem Grunde für die in dem Muskelsystem sich vorzugsweise eignen, und dass diese beiden Alkalien, so ähnlich sie sich auch in anderen Eigenschaften sind, in Beziehung auf alle Zwecke, zu welchen sie dienen, sich gegenseitig nicht ersetzen können. In dem Blute der Menschen und der körnerfressenden Thiere ist das darin enthaltene phosphorsaure Kali stets begleitet von Kochsalz; wir wissen aber, dass diese beiden Salze neben einander nicht bestehen können, ohne sich gegenseitig umzusetzen in

[277] phosphorsaures Natron, welches in seinen chemischen Eigenschaften dem kohlensauren Natron am nächsten steht, und in Chlorkalium[12].

Wenn man ferner berücksichtigt, dass die in dem Magensafte häufig vorkommende bei der Verdauung wirksame Säure freie Salzsäure ist[13], welche von dem Kochsalz stammt, so scheinen alle diese Thatsachen zusammengenommen als unwiderlegliche Beweise der Nothwendigkeit des Kochsalzes für den Lebensprocess und des Kochsalzzusatzes zu der Speise des Menschen und des Futters der Thiere angesehen werden zu müssen.

Die Wirkung der freien Salzsäure auf die plastischen Bestandtheile der Speisen ist sehr bemerkenswerth; der Kleber der Getreidearten, das Fleischfibrin lösen sich z. B. in Wasser, welches durch Zusatz von Salzsäure kaum sauer ist, in der Körperwärme leicht und mit Schnelligkeit auf, und diese Löslichkeit nimmt nicht zu, sondern ab, wenn man die Menge der Säure in der Flüssigkeit vermehrt, so dass alles Aufgelöste durch mässig concentrirte Salzsäure wieder niedergeschlagen werden kann. Aehnlich wie die concentrirte Salzsäure wirkt eine Kochsalzlösung. Das nämliche Wasser, welches durch Zusatz von 1/1000 Salzsäure ein kräftiges Lösungsmittel für die genannten plastischen Bestandtheile wird, verliert sein Lösungsvermögen bei einem Gehalt von etwas mehr wie 3 Procent Kochsalz, und es lässt sich aus einer sauren Auflösung von Kleber oder Fleischfibrin alles Gelöste durch eine Kochsalzlösung wieder abscheiden.

Die soeben hervorgehobenen Beziehungen der Bestandtheile des Kochsalzes zu den organischen Processen sind sicher nicht die einzigen, welche dieser durch ihre Verbreitung und Allgegenwart in den organischen Wesen so merkwürdigen Verbindung zukommen; es ist mehr als wahrscheinlich, dass es für sich durch seine eigenthümlichen Eigenschaften als Kochsalz gewisse Vorgänge vermittelt, vielleicht bedingt.

Man darf sich nur daran erinnern, dass das Kochsalz die unter den Salzen ganz ungewöhnliche Eigenschaft besitzt, mit Harnstoff eine in schönen, grossen, wasserhellen rhombischen Prismen krystallisirbare chemische Verbindung zu bilden, welche in dem kochsalzhaltigen Harn stets vorhanden ist[14]. Selbst in der Glasfeuchtigkeit des Auges findet sich der Harnstoff begleitet von Kochsalz. Durch seine Verbindung mit Kochsalz verliert der Harnstoff gewisse Eigenschaften, die demselben als einer organischen Verbindung zukommen, und es dürften genauere Beobachtungen vielleicht darthun, dass die Abwesenheit des Harnstoffs, des Endproductes des organischen Stoffwechsels, so wie die des Kochsalzes im Muskelsystem, und die Aufnahme oder der Uebergang des Harnstoffs in

[278] das Blutgefässsystem und dessen Absonderung durch die Nieren in engerem Zusammenhange mit der Gegenwart des Kochsalzes stehen, als man gewöhnlich sich denkt.

Wenn man ferner in’s Auge fasst, dass der Instinct der stärkmehlreichen Nahrung Kochsalz in weit grösserer Menge zusetzt, als anderen Speisen, dass Kartoffeln ohne Kochsalz für die meisten Menschen kaum geniessbar sind, so wird man unwillkürlich an die merkwürdige Verbindung erinnert, welche das Kochsalz mit Traubenzucker, dem Producte der Verdauung des Stärkmehls eingeht; es ist bekannt, dass der diabetische Harn in der Regel diese Verbindung enthält, und auf die Absonderung des Zuckers durch die Nieren kann die Gegenwart des Kochsalzes nicht ohne Einfluss sein.

Es kann bei dieser Gelegenheit nicht übergangen werden zu erwähnen, dass die Landwirthe die Frage der Nothwendigkeit oder Nützlichkeit des Kochsalzzusatzes zu dem Futter der Thiere in ihrer Weise zu lösen sich bemühten. Das Resultat der werthvollen Versuche von Boussingault ist in dieser Beziehung entscheidend, klar und verständlich; der Salzzusatz zum Futter war ohne Einfluss auf den Fleisch-, Fett- oder Milchertrag; aber, sagt Boussingault, „das Salz schien auf das Ansehen und die Beschaffenheit der Thiere eine günstige Wirkung zu haben; nach den ersten 14 Tagen bemerkte man zwischen den beiden Losen (jedes von drei Stieren) keinen bemerklichen Unterschied, aber im Laufe des darauf folgenden Monats war der Unterschied im Ansehen selbst für ein wenig geübtes Auge offenbar; bei den Thieren beider Lose zeigte das Befühlen eine feine, markige Haut, aber die Haare der Stiere, welche Salz bekommen hatten, waren glatt anliegend und glänzend, die der anderen matt und in die Höhe stehend. Mit der Verlängerung dieses Versuches wurden diese Kennzeichen noch hervorstechender. Bei den Thieren des zweiten Loses, welche während eines Jahres kein Salz bekommen hatten, war das Haar durcheinander und die Haut war hie und da nackt und ohne Haare. Die des ersten Loses hingegen behielten das Ansehen von Stallthieren, ihre Lebhaftigkeit und häufige Anzeichen des Bedürfnisses zu bespringen stachen auffallend ab gegen den trägen Gang und das kalte Temperament, welche man an den Thieren des zweiten Loses wahrnahm. Es ist kein Zweifel, fährt Boussingault fort, dass man für die Stiere, welche man unter dem Einflusse des Salzes erzogen hatte, auf dem Markte einen vortheilhafteren Preis erhalten haben würde.“

Diese Versuche sind im hohen Grade lehrreich; bei den Stieren, welche nur so viel Salz empfangen hatten, als im Futter enthalten war, war diese Salzmenge unzureichend für den Secretionsprocess; einer Menge von Stoffen, die ausserhalb des Körpers Ekel erwecken, fehlte das Transportmittel, ihr ganzer Körper, das Blut, Fleisch und alle Säfte waren damit angefüllt; denn die äussere Haut ist der Spiegel für die Beschaffenheit des Innern. Die anderen Stiere, welche täglich Salz bekommen hatten, blieben selbst in der ihrer Natur sehr wenig entsprechenden Lebensordnung, der sie ausgesetzt waren, bei einem Uebermass von Nahrung und Mangel an Bewegung gesund, ihr Blut blieb rein und geeignet für alle Zwecke der Ernährung; sie empfingen mit dem

[279] Salz ein mächtiges, in den gegebenen Verhältnissen unentbehrliches Mittel des Widerstandes gegen äussere Störungen ihrer Gesundheit; der Körper der anderen war in Hinsicht auf Krankheiten einem Heerde gleich, angefüllt mit dem leichtentzündlichsten Brennmaterial, dem nur ein Funke fehlte, um in Flamme auszubrechen und verzehrt zu werden.

Das Salz wirkt nicht fleischerzeugend, sondern es hebt die Schädlichkeit der Bedingungen auf, welche sich in dem unnatürlichen Zustande der Mästung vereinigen müssen, um Fleisch zu erzeugen, und es kann der Nutzen seiner Anwendung nicht hoch genug angeschlagen werden.

Manche Landwirthe haben übrigens aus den erwähnten Versuchen ganz andere Schlüsse gezogen. Da der Salzzusatz ihnen, den Landwirthen keinen Nutzen gewährt, indem sie mit der Ausgabe für Salz an Fleisch nichts gewinnen, so schlossen sie daraus, dass derselbe überhaupt unnütz sei, ja diese Versuche sind als Beweismittel und Gründe gegen die Herabsetzung der hässlichsten, den Verstand des Menschen entehrenden und unnatürlichsten aller Steuern auf dem Continente, der Salzsteuer, missbraucht worden; man sieht, dass in dem Instinct eines Schafes oder Ochsen mehr Weisheit sich kund giebt, als in den Anordnungen des Geschöpfes, welches seltsamer Weise häufig genug sich als das Ebenbild des Inbegriffs aller Güte und Vernunft betrachtet.

Neben den chemischen besitzt das Kochsalz noch eine physikalische Eigenschaft, die es von besonderer Bedeutung für die vitalen Vorgänge macht, weil die anderen Salze, mit welchen es diese Eigenschaft theilt, weder von Menschen noch von Thieren in der gewöhnlichen Lebensordnung genossen werden.

Mit Hülfe eines sehr einfachen Apparates kann man leicht diese höchst interessante Eigenschaft sichtbar machen.

Wenn man z. B. die eine Oeffnung einer 4 bis 6 Zoll langen und etwa ¼ Zoll weiten Glasröhre durch Ueberbinden mit einer in Wasser aufgeweichten Membran (von einem Darm, einer Harnblase etc.) verschliesst und bis zur halben Höhe mit Brunnenwasser füllt und in ein Glas mit demselben Wasser so stellt, dass das Wasser inwendig in der Röhre und auswendig im Glas sich in gleicher Ebene befindet, so bemerkt man in dem Stand beider Flüssigkeiten nach Stunden und Tagen nicht die geringste Aenderung.

Setzt man nun dem Wasser in der Röhre mit der Blase einige Körner Salz zu, so sieht man nach wenigen Minuten das Wasser darin sich über den Stand des Wassers in dem Glase erheben, es steigt in die Höhe.

Setzt man dem Wasser im Glase gleichfalls und so viel Kochsalz zu, dass sein Salzgehalt vollkommen dem Salzgehalt in der Röhre gleich ist, so findet keine Aenderung im Niveau des Wassers in der Röhre und ausserhalb statt. Wenn man aber dem Wasser im Glase mehr Kochsalz zusetzt als wie dem Wasser in der Röhre, so tritt jetzt der entgegengesetzte Fall ein; das Wasser in der Röhre fällt und das im Glase steigt.

Es ist hieraus ersichtlich, dass das Brunnenwasser zum salzhaltigen Wasser, das salzarme zu dem salzreicheren überströmt, wie wenn es

[280] durch einen äusseren Druck durch die Membran, dem Gesetz der Schwere entgegen, getrieben würde.

Durch den einfachen Zusatz von Kochsalz zum Wasser empfängt die Röhre mit der Blase die Eigenschaft einer Pumpe, sie saugt Wasser mit einer Kraft auf, welche dem Druck einer Quecksilbersäule von 2 bis 3 Zoll Höhe in manchen Fällen gleichkommt.

Wenn man die Röhre mit einer sehr dünnen Membran verschliesst, zur Hälfte mit fibrinfreiem Ochsenblute füllt und in ein Glas mit warmem Wasser (v. 37–38° C.) in der beschriebenen Weise stellt, so sieht man nach wenigen Minuten das Blut ganz wie das Salzwasser in die Höhe steigen, das Wasser fliesst zu dem Blute über.

Dass der Gehalt der Blutflüssigkeit an Salzen an diesem Aufsaugen einen grossen Antheil hat, sieht man daran, dass die Flüssigkeit, welche sich leicht von in der Hitze geronnenem Blute abpressen lässt, und welche Kochsalz und die anderen Salze des Blutes enthält, in die Röhre statt des Blutes gebracht, ganz dieselbe Erscheinung wahrnehmen lässt.

Das Vermögen der Membran, Wasser nach der Seite hin überfliessen zu machen, wo sich das Salz befindet, hängt mithin ab von dem Salz; wenn die Flüssigkeiten auf beiden Seiten gleich viel Salz enthalten, so findet kein Ueberströmen statt; immer strömt die Flüssigkeit nach der Seite hin, wo sich das meiste Salz befindet, und um so schneller, je grösser der Unterschied im Salzgehalte beider Flüssigkeiten ist.

Wenn man der Kochsalzlösung ein freies Alkali (kohlensaure oder phosphorsaure Alkalien) zusetzt, so wird das Aufsaugungsvermögen sehr merklich erhöht, und wenn die äussere Flüssigkeit schwach sauer und die kochsalzhaltige in der Röhre alkalisch ist, so findet das Ueberströmen (der sauren zu der alkalischen) am raschesten statt.

Ein Jeder, welcher sich die Mühe macht, diese anziehenden Versuche zu wiederholen, gewinnt durch die blosse Anschauung eine vollkommene Einsicht in das Wesen des organischen Aufsaugungsprocesses.

In dem thierischen Leibe vereinigen sich in der That alle Bedingungen, um durch das Blut das Gefässsystem zu der vollkommensten Saugpumpe zu machen, welche ihre Dienste verrichtet ohne Hahn und Klappen, ohne mechanischen Druck, ja ohne eigentliche Canäle oder Wege für den Uebergang der Flüssigkeiten. Die im Magen in der Verdauung der Speisen entstehende Auflösung ist sauer, das Blut ist eine salzhaltige und alkalische Flüssigkeit. Der ganze Verdauungscanal ist umgeben von einem System von unendlich verzweigten Blutgefässen, in denen sich die Blutflüssigkeit mit einer grossen Geschwindigkeit bewegt; durch die Harnwerkzeuge wird das übergeströmte Wasser sogleich abgeseiht und die Blutflüssigkeit stets auf einem gleichen Zustande der Concentration erhalten.

Man versteht jetzt leicht die Wirkung, welche Wasser von verschiedenem Salzgehalt in dem Organismus hervorbringt.

Wenn man nämlich in nüchternem Zustande von zehn zu zehn Minuten ein Glas gewöhnliches Brunnenwasser trinkt, dessen Salzgehalt weit kleiner ist als der des Blutes, so tritt schon nach dem Trinken des zweiten Glases (zu vier Unzen gerechnet) eine Quantität gefärbten Harns aus, dessen Volum dem des genossenen ersten Glases Wasser sehr nahe

[281] gleich ist, und wenn in dieser Weise zwanzig Gläser getrunken werden, so hat man neunzehn Harnentleerungen, deren letztere beinahe ungefärbt und in ihrem Salzgehalte nur um etwas grösser als der des Brunnenwassers ist.

Macht man denselben Versuch mit Brunnenwasser, dem man etwas Kochsalz, so viel etwa, als das Blut enthält (¾ bis 1 Procent), zusetzt, so zeigt sich keine von der gewöhnlichen abweichende Harnentleerung; es ist kaum möglich, von diesem Wasser mehr als drei Gläser zu trinken, ein Gefühl des Gefülltseins, Druck und Schwere im Magen deuten an, dass Wasser, welches einen dem Blute gleichen Salzgehalt besitzt, eine weit längere Zeit zu seiner Aufnahme in die Blutgefässe bedarf.

Nimmt man zuletzt Salzwasser zu sich, dessen Salzgehalt um etwas grösser ist als der des Blutes, so tritt gerade das Gegentheil von Aufsaugung, nämlich Purgiren ein.

Je nach seinem Salzgehalte ändert sich, wie man deutlich sieht, das Aufsaugungsvermögen der Blutgefässe für das Wasser; ist dessen Salzgehalt kleiner als der des Blutes, so wird er mit grösster Schnelligkeit aufgenommen; bei einem gleichen Salzgehalt tritt ein Gleichgewicht ein; enthält das Wasser mehr Salz als das Blut, so tritt dieses Salzwasser nicht wie das salzarme durch die Nieren, sondern durch den Darmcanal aus[15].

  1. Asche von
    Schafblut Ochsenblut Weisskraut Weisse Rüben Kartoffeln
    (Dr. Verdeil.) (Dr. Stölzel.) (Stammer.) (Stammer.) (Dr. Griepenkerl.)
    Phosphorsäure 14,80 14,043 13,7 14,18 16,83
    Alkalien 55,79 59,97 49,45 52,00 55,44
    Alkalische Erden 4,87 3,64 14,08 13,58 6,74
    Kohlensäure 19,47 18,85 12,42 8,03 12,00

    Die Aschen sind in Procenten nach Abzug des Kochsalzes und Eisens berechnet, das an 100 Fehlende sind zufällige Bestandtheile wie Schwefelsäure, Kieselerde etc.

  2. Asche von
    Hunde-
    blut¹)
    Ochsen-
    fleisch
    Schweine-
    blut²)
    Erbsen Hühner-
    blut
    Roggen
    (Dr. Verdeil.) (Dr. Stölzel). (Dr. Strecker.) (Will u.
    Fresenius.)
    (Dr. Henneberg.) (Will u.
    Fresenius.)
    Phosphorsäure 36,82 42,03 36,5 34,01 47,26 47,29
    Alkalien 55,24 43,95 49,8 45,52 48,41 37,21
    Alkalische Erden 2,07 6,17 3,8 9,61 2,22 11,60
    Kieselerde
    Schwefelsäure
    5,87 7,85 9,9 10,86 2,11 3,90
    ¹) Nahrung mit Fleisch. – ²) Mit Erbsen und Kartoffeln.
  3. Der mit Lab gefällte Käse (Schweizerkäse) enthält nach der Analyse von Johnston auf 45 Th. Phosphorsäure nur 13,48 Alkalien und 41 Th. Kalk und Bittererde.
  4. Asche von Freie
    Phosphorsäure.
    Phosphorsaure
    Alkalien.
    Phosphorsaure
    Erden.
    Pferdefleisch
    (Dr. Weber.)
    2,62 80,96 16,42
    Ausgelaugtes Ochsenfleisch
    (Dr. Keller.)
    17,32 48,06 26,26
    Ochsenhirn
    (Dr. Breed.)
    16,57 74,41 9,02
    Eigelb
    (Dr. Polek.)
    36,74 27,25 34,70
    Die phosphorsauren Salze sind nach der Formel PO5,2MO berechnet. Das Pferdefleisch war vom Vorderarm eines magern Pferdes, vom Blute durch Ausspritzen der Arteria brachialis vollkommen befreit.

    WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt

  5. Einige Thatsachen scheinen dafür zu sprechen, dass die Phosphorsäure und ihre sauren Erdsalze mit dem Albumin, der Substanz der Membranen, wahre chemische Verbindungen einzugehen vermögen, und dass viele Eigenthümlichkeiten der Letzteren, namentlich ihre Unlöslichkeit in Wasser und in alkalischen Flüssigkeiten, davon abhängig sind. Wenn man z. B. Milch mit einer verdünnten Säure vorsichtig bis zum Verschwinden der alkalischen Reaction versetzt und zum Sieden erhitzt, so tritt eine Gerinnung wie beim Eiweiss ein. Der in dieser Weise gefällte Käsestoff unterscheidet sich aber von dem reinen Käsestoff sehr wesentlich durch seine Unlöslichkeit in alkalischen Flüssigkeiten; in gleicher Weise verhält sich der aus Milch durch Lab coagulirte Käsestoff; es sind Verbindungen des Käsestoffs mit phosphorsauren Erdsalzen (Kalk und Bittererde), oder wenn man den sogenannten reinen Käsestoff als eine mit Phosphorsäure gepaarte Säure betrachtet, so ist der unlösliche Käsestoff das coagulirte Kalk- oder Bittererdesalz dieser Säure. An dem Gestehen oder dem Gelatiniren des gewöhnlichen Leims hat der in chemischer Verbindung darin vorhandene phosphorsaure Kalk einen ganz bestimmten Antheil. Man weiss, dass man durch anhaltendes Sieden der Häute und Knochen eine Leimauflösung erhält, welche beim Erkalten zu einer festen Gallerte gerinnt; wenn diese Gallerte in ihrer Lösung für sich oder mit Alkalien versetzt längere Zeit im Sieden erhalten wird, so verliert sich ihre Eigenschaft zu gelatiniren, und zwar geschieht dies unter Abscheidung von phosphorsaurem Kalk.

    Das ganz eigenthümliche Verhalten des Blutfibrins gegen Salzsäure ist S. 174 hervorgehoben worden. Wenn das in der salzsauren Flüssigkeit gallertartig aufgequollene Blutfibrin damit zum Sieden erhitzt wird, so löst es sich zu einer filtrirbaren Flüssigkeit auf, in welcher sich jetzt Phosphorsäure und Kalk durch Reagentien nachweisen lassen, und mit der Trennung dieser beiden Körper von dem organischen Bestandtheil wird das Blutfibrin ganz wie die Leimsubstanz in kaltem Wasser löslich; es ist wahrscheinlich, dass das Gerinnen des Albumins, des Blutserums und der Eier in der Hitze auf dem Austreten von Alkali und auf der Bildung einer neuen, in Wasser, verdünnten Säuren und Alkalien in der Kälte unlöslichen Verbindung des Albumins mit Phosphorsäure und Kalk beruht.

  6. Asche von Menschenblut Kalbsblut Schafblut
    (Dr. Verdeil.) (Dr. Verdeil.) (Dr. Verdeil.)
    Phosphorsäure 31,787 20,145 14,806
    Alkalien und alkalische Erden 58,993 66,578 60,576
    Kohlensäure 3,783 9,848 19,474

    Diese Analysen sollen zeigen, dass mit der Abnahme der Phosphorsäure der Gehalt an Kohlensäure steigt. Die Abweichung in der Menge der Alkalien ist zum Theil nur scheinbar, da unter den Alkalien Kali und Natron begriffen sind, von denen man weiss, dass sie sich in sehr ungleichen Gewichten vertreten; Kochsalz und Eisen sind abgerechnet; das an 100 Fehlende sind zufällige Bestandtheile.

  7. Analysen von Menschen-Harn nach Abzug des Kochsalzes:
    Phosphorsäure. Alkalien. Alkalische Erden. Schwefelsäure,
    Kieselsäure.
    Harn
    (Porter)
    Giessen.
    34,24 47,76¹) 7,62 12,38
    Harn
    (Dr. Fleitmann)
    Berlin.
    34,03 48,03 9,02 8,92
    ¹) darunter 4,06 Natron als Kali berechnet
  8. Eine Auflösung von kohlensaurem Kalk in kohlensäurehaltigem Wasser, welche mit so viel Brunnenwasser verdünnt ist, dass kohlensaures Kali oder Natron darin keinen Niederschlag bewirkt, giebt beim Zusatz der kleinsten Menge phosphorsauren Natrons sogleich eine bleibende Trübung von phosphorsaurem Kalk.
  9. Harn (nach Abzug von Kochsalz)
  10. Fäces
    Pferd. Kuh. Pferd. Kuh.
    (Arzbächer.) (Arzbächer.) (Buchner.) (Buchner.)
    Kali 28,97 56,74 9,33 17,15
    Natron 1,31 0,61 6,30
    Kohlensäure 27,28 31,04
    Kalk 27,75 1,74 5,22 7,31
    Bittererde 4,22 4,09 2,03 4,50
    Eisenoxyd 0,79 0,31 2,03 3,34
    Schwefelsäure 6,48 4,63 3,92 3,23
    Kieselerde 59,96 41,00
    Phosphorsäure 7,92 17,05
    100 100 100 100
  11. Das Pferd erhielt täglich im Durchschnitt 3½ Pfund Hafer, 4 Pfund Roggenbrod, 10 Pfund Heu, 5 Pfund Kornstroh; die Kuh circa 52 Pfund Branntweinschlempe, 12 Pfund Roggenstroh, 2 Pfund Heu, l Pfund Erbsenstroh, 1 Pfund Haferstroh, 1 Pfund Gerstenstroh, 12 Pfund Runkelrüben. Von diesem Futter wurde die Asche der Kartoffelschlempe, des Hafers und des Heues durch Herrn Porter der Analyse unterworfen.
    Heu Hafer Branntwein-
    schlempe
    deren im Wasser
    lösl. Bestandtheile
    Kali 20,08 12,94 38,52 54,18
    Natron 10,84 2,02 4,47 6,17
    Phosphorsäure 17,35 15,43 16,78 11,99
    Kalk 8,24 3,00 5,19 11,99
    Bittererde 4,00 7,08 7,33
    Eisenoxyd 1,82 0,60 1,50
    Schwefelsäure 2,10 0,49 6,10 8,72
    Kochsalz 5,09 4,00 5,91
    Kieselsäure 30,00 53,97 2,84 12,12
    Kohlensäure 0,67 12,27
    100 100 100 100

    WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt

  12. Wenn man eine mässig concentrirte Lösung von phosphorsaurem Kali mit einer Kochsalzlösung vermischt und in der Kälte ruhig stehen lässt, so krystillisirt sehr bald phosphorsaures Natron in schönen Krystallen aus.
  13. Die früheren Erfahrungen von Prout und L. Gmelin haben in der neuesten Zeit durch Dr. Schmidt in Dorpat für viele Fälle Bestätigung erhalten.
  14. Unter den Salzen gehen nur manche salpetersaure Salze ähnliche Verbindungen mit dem Harnstoff ein. Von dem Vorhandensein der Kochsalzverbindung im Harn der Thiere und Menschen rührt es her, dass man oft aus mässig concentrirtem Harn durch Salpetersäure keinen salpetersauren Harnstoff erhält, und dass in concentrirtem nach dem Zusatz von Salpetersäure mehr Harnstoff zurückbleibt als der Löslichkeit des salpetersauren Harnstoffs entspricht.
  15. „Das Kochsalz ist selbst den rohesten Nationen meistens ein sehr grosses Bedürfniss geworden. In nicht wenigen Ländern ist es einer der werthvollsten Handelsartikel. In mehreren afrikanischen Ländern dient es statt des Geldes. In manchen Gegenden Afrika’s werden Menschen gegen Salz verkauft; bei den Galla und an der Sierra-Leone-Küste verhandelt der Bruder die Schwester, der Mann das Weib, die Aeltern die Kinder gegen Salz; in der Gegend von Akkra (Goldküste) bekommt man für eine Hand voll Salz, der vornehmsten Waare nach dem Golde, einen, wohl auch zwei Sclaven!“

    „Nur sehr wenige Nationen enthalten sich des Gebrauchs des Salzes gänzlich?“ (der Verf. führt kein Beispiel für eine solche gänzliche Enthaltung an) „oder suchen es durch Surrogate zu ersetzen.“ In den nördlichen Bergländern Sudans wird das Salz durch den langen Transport durch die Wüste so theuer, dass es nur von Wohlhabenden genossen werden kann. „Schon Mungo Park erwähnt, dass bei den Mandingo und anderen Negerstämmen im Innern des Landes der Ausdruck: er würzt seine Speise mit Salz, gleichbedeutend mit dem Urtheil sei: er ist ein reicher Mann. M. P. empfand selbst durch die Nothwendigkeit, sich des Genusses des Salzes, besonders bei dem langen Gebrauch vegetabilischer Nahrung, zu enthalten, eine Sehnsucht nach dem Salzgenuss, die er mit Worten zu schildern nicht vermochte. Auch Callié versichert, dass die Bewohner von Rankan selten Salz zu ihren Speisen anwenden können, weil es zu theuer und ein Gegenstand des Luxus sei. Die Mandingo-Neger und die Bambaras bedienen sich des Salzes nur an besonders festlichen Tagen.“ (S. Lehrb. d. Salinenkunde von Karsten. Berlin 1846. S. 720. 724. 754. 755.)

    Es giebt Gegenden, wo man den Thieren Salz reichen muss, um sie am Leben zu erhalten; z. B. nach Warden starben in den nördlichen Ländern Brasiliens die Hausthiere, wenn man ihnen nicht eine bestimmte Portion Salz oder Salzsand gab; und nach Roulin wurden in Columbien, wenn das Vieh nicht Salz in Pflanzen, in Wasser oder Erde vorfand, die weiblichen Thiere weniger fruchtbar und die Herde kam schnell herunter. Möglin’sche Annalen II. 1847. S. 29.

    In einer von der Akademie der Medicin in Brüssel gekrönten Preisschrift über den Gebrauch des Salzes sagt Dr. de Saive: das Kochsalz erhöht die Fruchtbarkeit des männlichen und die Empfänglichkeit des weiblichen Geschlechts und verdoppelt die Mittel den Foetus zu ernähren. In der Zeit der Säugung macht das Salz, welches die Mutter empfängt, den Säugling stärker und die Milch reichlicher und nahrhafter. Das Salz beschleunigt das Wachsthum – macht die Wolle der Schafe feiner. Das Fleisch der Thiere, welche reichlich Salz erhalten, ist schmackhafter, nahrhafter und leichter zu verdauen, als das der fleischfressenden Thiere, die kein Salz in ihrer Nahrung empfangen. Journal de Chemie médicale. 1849. S. 127.