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Briefe eines Wissenden/3

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Titel: Briefe eines Wissenden
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aus: Die Gartenlaube, Heft 50, S. 702–705
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[832]

Briefe eines Wissenden.

Dritter Brief. Hoher Adel. Die Herzöge von Ujest und Ratibor. Adelige Speculationen und Heirathen.

Wenn man über den preußischen Adel und sein Dichten und Trachten urteilen will, so verlangt die Gerechtigkeit, eine strenge Grenze zu ziehen zwischen den zahlreichen Mitgliedern dieses Standes, welche als Besitzer von Landgütern mit Fleiß und Umsicht der Bestellung von Grund und Boden ihre Kraft und Fähigkeiten widmen oder im Dienste des Vaterlandes ihre Kenntnisse und Gaben verwerthen, und denjenigen Herren von Adel, welche als Drohnen im Bienenkorbe des Staats nur genießen, aber nicht arbeiten, Geld erwerben, aber nicht verdienen wollen. Es liegt mir sicherlich sehr fern, einen ganzen Stand anzugreifen, weil vielleicht der größere Theil seiner Angehörigen sich zu abweichenden politischen Anschauungen bekennt, und ich werde mit jedem billig denkenden Manne niemals außer Acht lassen, daß der würdigere Theil des Adels keine von der übrigen Nation geschiedene Gesellschaftsclasse bildet, sondern an den Ehren und den Neigungen des Volks ebenso theilnimmt, wie er sein Genosse in der Arbeit ist. Ich fasse hier jene andere geldgierige Art von Edelleuten in’s Auge, welche ich in zwei Lager scheiden möchte, in deren eines diejenigen von ihnen zu verweisen sein werden, welche schon Reichtümer in beträchtlichem Maße besitzen, deren aber ohne Mühe noch mehr anzuhäufen suchen, während in dem andern die große Zahl der Mittellosen auf einen Sonnenblick des Schicksals harrt.

[833] Die ersteren, also diejenigen, welche schon im Besitze eines nicht blos auskömmlichen, sondern so bedeutenden Vermögens sind, daß sie ohne Arbeit und ohne Sorgen, über die Befriedigung leiblicher und geistiger Bedürfnisse hinaus, die feinsten und höchsten Genüsse eines reichen Culturlebens sich zu eigen machen können, welche aber dessenungeachtet in der Unersättlichkeit der Genußgier oder von gemeiner Habgier getrieben nach müheloser Vermehrung ihrer Schätze trachten, zählen fast ausschließlich zu dem sogenannten hohen Adel, beiläufig gesagt, einer historisch wie juristisch unrichtigen Bezeichnung, die indessen so gebräuchlich ist, daß ihre Anwendung keinem Bedenken zu unterliegen braucht. – Es sind erst wenige Jahre verstrichen, als selbst auf dem preußischen Landtage aus der Mitte der liberalen Parteien gegen den begüterten Theil des Adels der Vorwurf erhoben ward, daß er sich der Thätigkeit und dem Aufschwunge der Industrie gegenüber passiv verhalte. Es wurde auf England hingewiesen, wo überall die Nobility an der Spitze der großen industriellen Unternehmungen stehe und kaum eine Eisenbahn gebaut werde ohne die Mitthätigkeit und finanzielle Hülfe des reichen und mächtigen Landesadels.

Diese Fingerzeige blieben nicht unbeachtet; der reichere und vornehmere Theil des preußischen Adels machte sie sich schnell zu Nutze. Die Landwirthschaft, aus der diese Herren bisher ihre Hauptrevenüen bezogen, lieferte nur unsichere und mäßige Erträge; die Einnahmen aus diesem mit Mühen und mancherlei Sorgen verkauften Besitze erfuhren nur eine sehr langsame Steigerung; schneller und bequemer Gewinn war auf diesem Wege nicht zu erzielen. Werthpapiere, Actien schienen schon angenehmer; die Einlösung von Coupons und Erhebung von Dividenden verursachten wenigstens keine Arbeit; doch blieb der Zinsgenuß immer ein mäßiger, und um das Capital zu vermehren, bedurfte es der Sparsamkeit und Geduld. War es denn nicht möglich, schneller zu diesem Ziele zu gelangen, nicht blos für Kinder und Enkel zu sammeln, sondern selbst und sofort die Früchte der Unternehmungslust zu genießen? – Ja, es gab solche Wege, die mühelos und schnell das Geld in den Säckel des Kühnen leiteten und diesen zudem als Gönner und Förderer großartiger, nützlicher Werke mit einem die Eitelkeit kitzelnden Nimbus schmückten.

An dem Himmel der Berliner Finanzwelt war plötzlich ein Stern erster Größe erschienen, der ein so strahlendes Licht verbreitete, daß Alles von Bewunderung und Neid ergriffen wurde. Ein Handelsmann israelitischen Glaubens aus dem kleinen masurischen Städtchen Neidenburg in Ostpreußen, der sich bereits in mehreren zum Theil abenteuerlichen Unternehmungen in Deutschland, England und Amerika versucht hatte, aber mit allen gescheitert war, fand in dem verhältnißmäßig soliden Berlin den Grund, auf dem er in rapider Schnelligkeit ein so wunderbares, goldglänzendes Gebäude aufrichtete, wie es Stadt und Land in dem deutschen Norden noch nicht erblickt hatten. Strousberg oder Dr. Strousberg, wie er sich hier zu nennen beliebte, war in London Zeitungsreporter gewesen, hatte in Amerika mit alten Kleidern gehandelt, wieder in England in den Bureaux einer Versicherungsgesellschaft gearbeitet und war nach Berlin als Generalagent der Waterloo-Lebensversicherungsgesellschaft gekommen. In dieser Stellung – durch die berüchtigte Verschmelzung der Gesellschaft mit der schon bankerotten Versicherungsgesellschaft „Albert“ wußte er sich sein erstes Capital, man sagt dreißigtausend Thaler, zu verschaffen, mit denen er an sein erstes Eisenbahnunternehmen ging, die ostpreußische Südbahn. Der englische Eisenbahnbauunternehmer Joh. Bray hatte diesen Bau in Entreprise genommen, einigte sich aber einige Zeit darauf mit Strousberg dahin, daß dieser den Bau weiter führte. Bray behauptete, dabei von Strousberg tüchtig über das Ohr gehauen zu sein, und Beide bezeichneten sich gegenseitig und in aller Oeffentlichkeit viele Jahre hindurch mit den ehrenrührigsten Titeln. Jetzt hat ein Sohn von Strousberg die Tochter Bray’s geheirathet, und die beiderseitigen Eltern sind über die Verbindung höchlich erfreut. – Die ferneren Unternehmungen des Ersteren sind bekannt. Ein Eisenbahnbau folgte dem andern, bis die rumänischen Bahnen das Schiff des kecken Lootsen zum Scheitern brachten.

Im Laufe mehrerer Jahre schien das Glück den klugen Speculanten mit seinen Gunstbezeigungen zu überschütten. Was er ergriff, schien zu gelingen. In Ostpreußen, in Posen, in der Mark, in Schlesien, in Böhmen kaufte er Güter von so gewaltigem Umfange, daß er der größte Grundbesitzer in Norddeutschland wurde. In Berlin legte er einen neuen Viehhof mit dem Aufwande einer Million an, im Hannoverschen kaufte er Eisenwerke für mehrere Millionen, in Belgien die Festung Antwerpen für vierzehn Millionen; daneben mehrere der größten Häuser in Berlin; eine eigene große Zeitung wurde zur Vertretung seiner Interessen gegründet. Das Gold schien auf ihn zu regnen; sein Haushalt war auf mehr als fürstlichen Fuß gestellt; die luxuriöse Lebensweise seiner beiden Söhne streifte an das Fabelhafte; und selbst die vorsichtige königliche Hauptbank, die sich eine Zeitlang abweisend verhalten hatte, gab schließlich ihren Widerstand auf und honorirte seine Wechsel. Auch an stattlichen Auszeichnungen und Ehren fehlte es nicht; er wurde in den Reichstag gewählt und erhielt eine Reihe von Orden. Als er seine silberne Hochzeit feierte, wurde der neue Krösus behandelt, wie dies in Deutschland noch keinem Staatsmann oder Feldherrn bei solcher Veranlassung widerfahren ist; unter Anderem wurden ihm zu diesem Feste drei Orden überreicht.

Dies märchenhafte Treiben verleitete nicht allein das unwissende Publicum, sein Geld den Strousberg’schen Unternehmungen zuzuwenden, sondern weckte auch in mehreren großen Herren die Begierde, direct aus den Geldquellen des großen Zauberers zu schöpfen. Hier waren Schätze schnell und mühelos zu heben; es wurde nichts weiter verlangt, als die alten, vornehmen, stolzen Namen zu einer kleinen Manipulation, wenn sie auch etwas zweideutig sein mochte, zu leihen. So wurde die berüchtigte rumänische Eisenbahnangelegenheit in Scene gesetzt. Die beiden Herzöge von Ujest und Ratibor und Graf Lehndorff (ein anderer Fürst, der sich aber alsbald zurückzog, mag eben deshalb ungenannt bleiben) bewarben sich um die Concession, die auch auf ihren Namen ausgestellt wurde, riefen in den Zeitungen zur Actienzeichnung unter volltönender Anpreisung des sicheren Gewinns auf, und setzten ihre Namen auf die Obligationen, wobei nur der kleine bedenkliche Punkt mit unterlief, daß auf dieser letzteren die Bedingungen ein wenig anderslautend waren, indem eine Verpflichtung der rumänischen Regierung aufgenommen wurde, welche diese durchaus in Abrede stellte. Es hatten aber diese Herren gar nicht im Sinne, sich irgendwie weiter um das Gedeihen der ganzen Sache zu kümmern; alles Andere überließen sie ihrem Compagnon Strousberg. Sie hatten diesem nur ihre Namen geliehen, um auf der einen Seite die rumänische Regierung zur Concessions-Ertheilung, auf der anderen das Publicum zum Actienkaufe zu verleiten, wofür ein jeder von ihnen einhunderttausend Thaler von Strousberg erhielt. Einhunderttausend Thaler für eine Gefälligkeit, die gewiß nicht sehr anständiger Natur war!

Dem Publicum gegenüber erreichte Strousberg vollständig seinen Zweck. Die Namen von drei der vornehmsten Magnaten des Landes, deren Reichthum bekannt ist, und von denen zwei dem königlichen Hause nahe stehen, konnten nicht anders, als das Vertrauen in das von ihnen protegirte Unternehmen wecken, und die Actien fanden schnellen Absatz. War an der Berliner Börse doch noch niemals ein Papier emittirt worden, das sich auf so glänzende Namen gestützt hätte! – Und jetzt? Nachdem Strousberg wieder Millionen in die Tasche gesteckt, fordern die Actionäre vergebens ihre Zinsen, und die Herren Concessionäre sehen sich für ihre Hunderttausende einer Verpflichtung gegenüber, die beim Schlusse dieses Jahres über zwanzig Millionen betragen wird. Die Nemesis hat sie rasch ereilt, und es ergeht ihnen übler als dem Schatzgräber, der am folgenden Tage doch nur das gefundene Gold in werthlosen Heckerling verwandelt sah, während sie auch mit ihrem übrigen Vermögen den betrogenen Actionären haften.

Freilich wird die Strafe die Schuldigen nicht in gleichem Maße treffen. Strousberg hat bereits vor zwei Jahren seinen ländlichen Besitz innerhalb und außerhalb Landes seiner Frau verschrieben und alles andere unbewegliche Vermögen versilbert; er wird also hinreichende Summen bei Seite gebracht haben, um dem Rest seines Lebens mit großer Gemüthsruhe entgegensehen zu können. Die beiden Herzöge werden sich wohl auf die fideicommissarische Eigenschaft ihrer Herrschaften stützen und so ihren Grundbesitz den andrängenden Gläubigern entziehen. Graf Lehndorff aber, dessen prächtiger Landsitz Steinort in Ostpreußen freies Allod ist, wird [834] ohne empfindlichste Verluste kaum aus der Angelegenheit hervorgehen. Und die moralische Einbuße muß doch wohl, wie wir hoffen wollen, wenigstens bei den drei Letzteren der empfindlichste Verlust sein. Der Herzog von Ujest wird nicht wieder Präsident einer gesetzgebenden Versammlung werden, nachdem ihm diese Auszeichnung wiederholt auf dem Reichstage zu Theil geworden; und Graf Lehndorff wird auf das Ober-Präsidium in der Provinz Preußen verzichten müssen, um das er so eifrig ambirt hat, und das ihm seine einflußreiche Verwandtschaft, sein Vetter, der Minister Eulenburg, und sein Bruder, der Flügel-Adjutant des Kaisers, zu garantiren schien. – Neugierig kann man sein, wie sich das Verhältniß dieser Herren bei Hofe gestalten und ob sich diese Stätte der höchsten Ehren ihnen nicht ganz verschließen wird.

Es möchte übrigens die Annahme nicht unbegründet sein, daß die rumänischen Eisenbahnen nicht das einzige Band sind, welches die Genannten mit Strousberg verbindet, denn schon jahrelang, bevor dies Unternehmen in die Oeffentlichkeit trat, war die Intimität zwischen beiden Theilen sehr bemerkbar. Lehndorff soll als Mitglied des Verwaltungsraths der ostpreußischen Südbahn schon früher Strousberg Gefälligkeiten erwiesen haben, und die beiden Herzöge waren fast tägliche Besucher des Strousberg’schen Arbeitscabinets. Dies beständige Beisammensein veranlaßte den König im Winter 1868 zu 69 zu der scherzhaften Begrüßung des Herzogs von Ujest auf einem Hoffeste: „Nun, mein lieber Doctor Ujest, was macht der Herzog von Strousberg?“

Leider steht zu fürchten, daß die Zahl der hohen Herren, die in unliebsamer Weise in die Strousberg’schen Speculationen verwickelt sind, sich nicht auf die genannten Drei beschränkt. Schon werden Graf Münster, Fürst Puttbus und Andere genannt. – Auch von Bestechungen wird gesprochen und unter Anderem auf einen Hochgestellten gewiesen, der von Strousberg ein Gut gekauft, in der That es aber ohne Bezahlung erhalten haben soll. Es ist nur zu wahrscheinlich, daß noch viel Schmutz an’s Tageslicht kommen wird.

Und doch fragt es sich, ob die Handlungsweise der eben Genannten, so wenig ehrenvoll sie ist, nicht auf ein milderes Urtheil Anspruch hat, als das Verfahren von einzelnen ihrer Standesgenossen, die, um ihren Gelddurst zu befriedigen, sich in die unsaubersten Speculationen stürzen, zum Beispiel methodisch Wucher treiben. Schwerlich wird man an vielen Orten wissen, daß sich hier in Berlin große Herren damit abgeben, auf hohe Zinsen (etwa fünfzig bis hundert Procent) Wechsel mit Unterlage, Damno und Provision, und wie die Teufelserfindungen alle heißen, Gelder in kleinen und großen Beträgen auszuleihen. Der vornehme Name der Herren Darlehnsgeber wird dabei sorgfältig geschont, indem für sie eine Mittelsperson eintritt, welche das Geschäft abschließt und hierfür sowie für die Hergabe ihres Namens zu der ganzen Manipulation mit bestimmten Procenten an dem erzielten Vortheile participirt. Häufig betrügen diese Agenten außer den armen Clienten auch ihre hohen Auftraggeber durch Vorwegnahme eines Theils des Gewinns, falsche Angabe des auf den Wechsel wirklich Gezahlten und wohl in noch mancher anderen Form, so daß dann die edlen Mandanten die feine Rolle der „betrogenen Betrüger“ spielen. – Zur Ehre einzelner der betreffenden Herren mag man annehmen, daß in einigen Fällen die Auftraggeber ihre Agenten für ehrliche Leute halten und von den abscheulichen Gaunereien derselben, von dem Wucher, den sie mit dem anvertrauten Gelde treiben, keine Ahnung haben, obwohl es dann höchst merkwürdig bleibt, daß sie, die große Capitalien solchen Menschen übergeben, von deren Charakter, stadtkundigem Rufe und Geschäftsführung keine Kenntniß haben.

Die Speculationswuth und Sucht, sich schnell auf Kosten des minder schlauen Theils der Gesellschaft zu bereichern, hat hier gerade die höchsten Kreise auf bedenkliche Weise inficirt. Es wird kaum noch eines der zahllosen Finanzprojecte, Actienunternehmen etc., die Tag für Tag auftauchen, zu finden sein, für welches nicht ein oder der andere vornehme Herr oder hohe Beamte seinen Namen und Einfluß in die Schale wirft. Mit Recht fragt man sich, ob lediglich allgemeine Menschenliebe diese Herren zur Förderung der bezüglichen Speculationen, die denn doch schließlich auf Kosten des Publicums in’s Leben treten oder auch scheitern, bewegt, oder ob sie für ihre mäßige Mühwaltung nicht gewisse Vortheile ernten.

Sicherlich ist dies nicht das Gebahren, das die Mitglieder eines Standes, der den ersten Rang in der Gesellschaft beansprucht, in den Augen Unparteiischer besonders heben kann. Gewiß würde man Vielen Unrecht thun, wenn man Allen, die sich an den Modespeculationen des Tages betheiligen, unlautere Motive unterschieben wollte; eine größere Vorsicht und ernstere Prüfung der Unternehmungen liegt aber im Interesse Aller.

Ein bei Weitem harmloseres und mitunter recht humoreskes Bild bietet die große Schaar von irrenden Rittern – einstweilen noch von der traurigen Gestalt –, welche nach einer Gelegenheit spähen, pour reparer la fortune, aber ohne viele Mühe. Es sind der Mehrzahl nach junge Leute und ausnahmslos Heirathscandidaten. Nun kann man es einem vermögenslosen jungen Mann nicht zum Verbrechen anrechnen, wenn er in der heutigen theueren Zeit Umschau unter den Töchtern des Landes hält, welche von ihnen die Mittel besitzen, um die Verbindung mit einem Manne ohne Geld überhaupt zu ermöglichen. Das Sprüchwort sagt schon: „Reichthum schändet nicht“, und ebensowenig herrscht ein Naturgesetz, das die reichen Mädchen der Schönheit, Anmuth und Bildung beraubt. Es entwürdigt daher den Mann keineswegs, um ein weibliches Wesen zu werben, welches außer von den Grazien auch von dem Gott Plutus gnädig bedacht worden ist. Das aber ist unwürdig und unedel, einem Mädchen Liebe zu lügen, ihm eine Treue zu schwören, die von Anfang an nicht vorhanden gewesen ist, ihr Geld an sich zu raffen und sie dafür um Liebes- und Lebensglück zu betrügen. Aber leider betrachtet ein Theil der männlichen Jugend gerade aus den Gesellschaftskreisen, in denen edle Gesinnung und feine Sitte vorzugsweise Hut und Pflege finden sollten, solche Grundsätze für antiquirt und sieht in der Ehe nur eine Armenversorgungsanstalt, für welche das Geld der Frau als der einzige in Erwägung zu ziehende Punkt gilt. Von einem ehelichen Glück kann bei so geschlossenen Bündnissen freilich weder für den frivolen Mann noch für die getäuschte Frau die Rede sein.

Bei Geldheirathen zieht der junge Adel hier vorzugsweise drei Kategorien von Damen in Betracht:

1) die natürliche Tochter,
2) die Jüdin,
3) die Künstlerin.

Die erstere, die natürliche Tochter, selbstverständlich von königlichem oder fürstlichem Geblüte, ist die gesuchteste und geschätzteste Waare, einmal weil gemeinhin ihr Vermögen disponibel ist, zum Andern weil sie als Brautschatz außer dem Vermögen auch die Connexion einbringt, für den Ehrgeizigen und den Eiteln ein wesentlicher Reiz. Keine andere Art von Connexionen ist so fruchttragend und weitreichend wie diese; wirkt sie doch selbst über die Grenzen des Heimathlandes hinaus und hilft ihren Schützlingen in schönem Wechselspiele auch in der Ferne, wie denn auf diese Weise schon Hofmarschälle und Ceremonienmeister in gegenseitiger Gefälligkeit von verschiedenen Höfen creirt worden sind.

Die Jüdin ist eine fast unerschöpfliche Ressource, und ihre Einführung in die sogenannte große Welt stößt heute nicht mehr auf die Schwierigkeiten und Bedenken, die noch vor dreißig Jahren bei einem solchen Ereigniß sich erhoben. Er war damals eben noch ein Ereigniß, während gegenwärtig die Verbindung geldbedürftiger Edelleute und geldbesitzender Jüdinnen ein von der Natur gefordertes Verfahren zu sein scheint. Zu wessen Bestem derartige Verträge, die oft zugleich Friedensschlüsse und Kriegserklärungen sind, ausschlagen, kann nur ein Blick hinter die Gardinen verrathen, und dieser steht selbst einem Wissenden nur in vereinzelten Fällen frei. Diese Frage ist auch ziemlich gleichgültig, denn warum soll die Frau, die der Befriedigung der Eitelkeit nachgeht, ein lebhafteres Interesse ansprechen dürfen als der Mann, der die Heirath als Mittel seine leere Börse zu füllen benutzt? Der sittliche Werth Beider steht auf derselben Stufe. Freilich sollte ein Vorgang wie die Ehe des Majors v. X., der die Tochter eines berühmten Musikers von jüdischer Abstammung geheirathet hat, ein vernünftiges Mädchen von der Nachfolge einer solchen Verbindung abschrecken. Es ist bekannt, daß er seine Frau mit sehr feinem Witze sein „Portemonnaie“ nennt und dies auch den Kindern beigebracht hat, die, wenn der Wagen zur Spazierfahrt gemeldet wird, den Vater fragen: „Kommt auch das Portemonnaie mit?“ – Aber der bunte Kragen und die Aussicht, die Hofbälle besuchen zu dürfen, scheinen Lockungen zu sein, denen die Herzen der Töchter Israel nicht zu widerstehen vermögen.

[835] Die Künstlerin ist zu allen Zeiten dem Jünglingsherzen gefährlich gewesen, ihr flog noch immer die Jugend zu und gerade diejenigen, welche sich die Naivetät der Unschuld zu bewahren vermochten, sind für den Schimmer des Ruhms, den Glanz der Erscheinung, den Reiz des Außergewöhnlichen stets am empfänglichsten. Auf der anderen Seite glaubte die Künstlerin der vergangenen Tage, größtentheils von den Freuden des Familienlebens geschieden, oft mit Mangel und Entsagung ringend, zu einem Ersatze der ihr versagten Genüsse in der Ungebundenheit von conventionellen Fesseln und der Freiheit ihrer Neigungen berechtigt zu sein. So gestalteten sich einst die zahlreichen bald flüchtigen, bald leidenschaftlichen, aber immer romantischen Verhältnisse, von denen uns die Blätter und Sagen aus einer erst jüngst entschwundenen Zeit zu erzählen wissen. – Jetzt ist es anders. Sängerin, Schauspielerin und Tänzerin, sie alle wollen heirathen, glänzend heirathen, zum wenigsten glänzende Namen, und die Anforderungen des Herzens müssen vor diesem Streben zurückweichen. Der heirathslustige junge Adel aber sieht in den verschwenderisch bezahlten Damen der Bühne wünschenswerthe Gegenstände einer Finanzspeculation und wirbt nicht mehr um ihre Liebe, sondern um ihre Hand. Es gehört dasselbe bereits zu der Ordnung des Tages, daß unsere Künstlerinnen von Ruf und vor allem von Geld arme Edelleute, zumeist Officiere, heirathen, und sie lassen sich nicht einmal durch den demüthigenden Umstand zurückschrecken, daß eine solche Verbindung den Mann nöthigt, aus dem Officierstande auszuscheiden.

Von diesem Schicksale blieb allein Graf von der Goltz, der Mann unserer Erhardt, verschont, weil der König die treffliche Schauspielerin nicht verlieren wollte, diese aber erklärte, falls ihr Mann den Abschied erhalte, nach Weimar übersiedeln zu wollen. Es war diese Heirath übrigens von beiden Seiten auf herzliche Neigung gegründet, und es knüpfte sich auch ein Stückchen Romantik daran. Um die Vorschrift oder das Herkommen (es weiß Niemand, welches von Beiden hier eigentlich maßgebend ist), wonach der Ehemann einer am Theater fungirenden Künstlerin nicht Officier bleiben darf, zu umgehen, hatten die beiden Liebenden sich heimlich im Auslande trauen lassen, und sie wußten ihre Verbindung so geschickt zu verbergen, daß Niemand auch nur ein Verhältniß zwischen ihnen ahnte. Zwei Jahre deckte dies Geheimniß den zärtlichen Bund – und daß dies in dem neugierigen und klatschsüchtigen Berlin möglich war, zeugt gewiß von der Schlauheit des Pärchens –, als eines Morgens die Zeitungen unter der Ueberschrift „Verspätet" die Heirathsanzeige und wenige Tage darauf die Meldung von der glücklichen Entbindung der schönen jungen Gräfin brachten. Das süße Geheimniß war also so lange bewahrt worden, als es überhaupt angänglich war. An lachenden und boshaften Bemerkungen fehlte es nicht; doch scheint mir die Mutter des Ehemannes das Richtige getroffen zu haben, als sie sich auf den freundlichen Vorwurf beschränkte, daß der Sohn nicht einmal sie zur Vertrauten gemacht habe. – Die ohne Consens geschlossene Ehe war übrigens nichtig, und es mußte auch in dieser Beziehung die Gnade des Königs angerufen werden.

Der angeführte Fall steht indessen ganz vereinzelt da, denn selbst der allbeliebten Pauline Lucca, oder richtiger Frau v. Rhaden, gelang es nicht ihren Mann in seinem Regimente zu halten, trotz der zahlreichen und angesehenen Gönner, die sich in ihrem Interesse verwendeten.

Das hier berührte Thema bietet so reichen Stoff, daß ich, um mich nicht in das Unendliche zu verlieren, abbrechen muß. Lassen Sie mich deshalb für heute mit der Erwähnung zweier Verbindungen aus dem hiesigen high Life schließen, die zwar im Verwandtschaftsgrade sich sehr nahe liegen, deren Entwickelung aber eine sehr verschiedene ist. Vor Kurzem verlobte sich der jüngste Sohn des Fürsten zu Sayn-Wittgenstein auf Wittgenstein mit der Tochter des berühmten Componisten Dreyschock, einer musikalisch hochbegabten Dame, der er freilich nichts als Hand und Herz zu bieten vermag, die aber gewiß ihren Werth haben, da er sie nicht gegen Schätze eintauscht. Den Gegensatz bildet die Heirath eines anderen Fürsten, der, als ihm die Schulden über den Kopf stiegen, sich nicht anders aus seinen Verlegenheiten zu retten wußte als durch die Heirath mit der Tochter seines Hauptgläubigers, des jüdischen Handelsmannes X., der übrigens über eine außergewöhnlich zahlreiche weibliche Nachkommenschaft zu verfügen haben müßte, wenn alle jungen Prinzen und Grafen, deren Wechsel er in der Tasche hat, diese in gleicher Weise einlösen könnten.