Briefe des Herrn Dr. Nachtigal an Herrn Dr. A. Bastian
.... Was meine Ansichten über die Unterstützung betrifft, so würde die Realisation des Vorschlages des Herrn Dr. Petermann, eine Compagnie oder eine halbe Compagnie freiwilliger Soldaten zur Sicherung des Weges zu senden, den erfolgreichen Ausgang einer Expedition in Inner-Afrika vielleicht garantiren, insoweit nicht Krankheit und Tod in den centralafrikanischen Malaria-Gegenden die Berechnung zu Schanden machen würde. Während eine solche Translocirung aus dem heimischen Klima nach den Ufer des Tsad-Sees und des Schari nicht ohne ernstliches Bedenken sein würde, so wäre der Vorschlag für die Erforschung des östlichen Theils der Wüste, für Wadjanga, Ennedi, Borgu, Tibesti, wo eine relativ spärliche Bevölkerung in äußerst gesunden Gegenden lebt, [266] von ausgezeichnetem praktischen Nutzen. Doch dafür würde der patriotische Grund fehlen.
Wie dem auch sei, ich kann es kaum für gerathen halten, in der vagen Hoffnung auf die Ausführung des Petermannschen Vorschlages meinen Aufenthalt zu Murzuk, der einschließlich der vier Tibesti-Monate fast ein Jahr gedauert hat, unbestimmt zu verlängern. Der Salzsumpf, auf dem Murzuk erbaut ist, mit seinen Fiebern, die nicht einmal durch die niedrige Wintertemperatur ertödtet werden, widerrieth es mir allein schon. Außerdem sind die Sicherheits-Verhältnisse der Bornustraße etwas besser geworden. Die Tibbu Kauars kehren in ihr mehrfach von den Uelad Slimān und Tibbu Gora͑an und Dāza verwüstetes Land zurück, und wenn man den Berichten, welche der Scheikh Omar vor einigen Wochen durch einen speciellen Courier hierhersandte, Glauben schenken darf, so ist die Straße in einem befriedigenden Zustande von Sicherheit. Diese Versicherung würde natürlich nicht genügen, um darauf hin sich auf den Weg zu begeben. Doch verspricht ein Umstand, die bevorstehende Karawane, die ursprünglich nicht stark genug zu werden schien, um einigermaßen Sicherheit zu garantiren, zahlreicher zu machen. Es trifft sich nämlich, daß der Sultan der Türkei, der im verflossenen Jahre vom Scheikh Omar verschiedene wilde Thiere zum Geschenk erhielt, ebenfalls Jemand zur Erwiederung dieser Höflichkeit nach Bornu schickt Schon hat der General-Gouverneur von Tripoli den Befehl ergehen lassen, keinerlei Bornu-Karawanen bis zur Ankunft dieses Abgesandten abgehen zu lassen, und wir können auf diese Weise hoffen, eine Stärke von 50 bis 60 Flinten zu gewinnen, mit der man stets die Reise wagt. Die Zeit der großen Bornu-Karawanen, die zuweilen Tausende von Mitgliedern zählten, ist leider vorüber. Mit der Bedeutung von Murzuk als Handels-Centrum nimmt der Verkehr der Bornustraße[WS 1] in geradem Verhältnisse ab.
Ich hatte dem entsprechend, vor dem. Empfange Ihres gütigen Briefes und des Schreibens von Herrn Dr. Petermann, an die Königliche Regierung geschrieben und meine Abreise mit der Karawane des türkischen Abgesandten in Aussicht gestellt. Derselbe ist noch nicht eingetroffen, und läßt sich folglich die Stärke der Karawane noch nicht mit Bestimmtheit bemessen; doch steht zu hoffen, daß nach aller menschlichen Berechnung meine sichere Ueberkunft nach Bornu durch sie gewährleistet wird. Ich werde dabei den Rathschlägen meiner ausgezeichneten Freunde hierselbst, der bekannten Familie Ben Alua, die schon Beurmann und Rohlfs mit Rath und That zur Seite standen und die eine reiche Erfahrung mit seltener Intelligenz und noch seltenerer Uneigennützigkeit paaren, Gehör schenken. Dieselben würden mich auch ohne vollständige Sicherheit nicht ziehen lassen.
Was etwaige Gerüchte über den Reichthum der königlichen Geschenke betrifft, so habe ich Grund zu glauben, daß dieselben in keinem beunruhigenden Maßstabe verbreitet sind. Meine in den Augen der Tibbu armselige Expedition nach Tibesti hat dies zum Theil verhindert, und zum Theil hat die Ermordung und Beraubung Fräulein Tinné’s die Aufmerksamkeit der Tuareg und Tibbu von mir abgelenkt.
Außerdem ist die Sicherheit in Fezān selbst eine zweifelhafte geworden. Die hiesige Local-Regierung ist von so jämmerlicher Schwäche, daß alle heilsame [267] Furcht bei Tibbu und Tuareg verschwunden ist, und daß sogar der bekannte Tuareg-Chef Ischenukhen in Unterhandlungen mit der Uelad Slimān treten konnte, über ein allgemeines Envahissement Fezāns. So kann derselbe also ungestraft zur Ermordung Fräulein Tinné’s, der er nicht fremd gewesen zu sein scheint (sein eigener Neffe war der Anführer der Tuareg, welche die unglückliche Dame begleiteten), die Drohung hinzufügen, ganz Fezān zu überfallen.
Während Diebstahl früher unerhört in Fezān war, so habe ich jetzt sogar die Kameele zur größeren Sicherheit nach der Stadt kommen lassen müssen, was nicht unbeträchtliche Kosten verursacht. Während ich von Tripoli hierher furchtlos ohne alle Begleitung kam, würde ich jetzt den Weg nicht ohne ernstliche Vorsichtsmaßregeln zurücklegen können, so machtlos ist die Regierung nach außen und nach innen, so sehr im Zerfall begriffen....
.... Zu meinem Bedauern kann ich Ihnen den Tag meiner Abreise noch nicht melden. Eingetroffenen Instructionen zufolge hat der türkische Abgesandte, Bu Aïssa, welcher als geborener Fezāner die Verhältnisse des Landes genau kennt und der früher schon (vor drei Jahren) die Steuer-Veranlagung gemacht hatte, von Neuem die Auflagen repartirt. Diese Arbeit hat durch eine wesentliche Aenderung des Systems mehr Zeit erfordert, als früher, ist aber jetzt fast beendigt. Während früher nämlich, d. h. unter den letzten Sultanen Fezāns, unter dem Mukni, Feldherrn Yussef Bascha’s von Tripoli, unter Abd-el-Džlī und dann unter den ersten türkischen Verwaltern der Provinz die Einkünfte aus einer Art Vermögenssteuer resultirten, hat man seit einer Reihe von Jahren einzig und allein die Dattelpalmen belastet, und sucht jetzt ein gemischtes System beider Moden einzuführen. Erlauben Sie mir, einige erläuternde Worte beizufügen.
Von jeher war die Bevölkerung Fezāns der Besteuerung der Dattelbäume feindlich gesinnt. Der bekannte Mukni, den ich so eben angeführt habe, und zu dessen Zeit Lyon und Ritchie Fezān besuchten, mußte viel Geld nach Tripoli an Yussef Bascha schicken, wenn er ungestraft Land und Leute aussaugen wollte, und verfiel zuerst auf die Besteuerung der Dattelpalmen. Doch nach kurzen, mißlungenen Versuchen mußte er der Idee entsagen und sich mit der althergebrachten Vermögenssteuer begnügen, deren Repartition durch eine Abschätzung, welche die Municipien selbst vornahmen, geschah. Auch Hassan Bascha, der bekannteste der bisherigen türkischen Gouverneure, der zur Zeit Barth’s hier regierte, erlitt in seinen Versuchen, die Dattelbäume besonders zu besteuern, dieselbe Schlappe. Es blieb unter ihm bei den vier Steuerklassen, in welche die Autoritäten der einzelnen Lokalitäten mit den ihnen zur Seite stehenden Rathsversammlungen die Individuen einschätzten. Erst seit einer kurzen Reihe von Jahren verfiel man auf die monströse Idee, von jeder anderen Steuer abzusehen und einzig und allein die Dattelpalmen zu belasten. Die Ungerechtigkeit dieser Maßregel liegt auf der Hand. Die reichsten Einwohner, d. h. die Kaufleute, welche vom Sudan und Bornu über Fezān nach Tripoli, Egypten, Tunis lucrativen [268] Handel treiben, blieben frei von Auflagen, während der Arme, wenn er einige Dattelbäume besaß, über Gebühr litt. Man theilte die Bäume in Klassen, je nach ihrer Tragfähigkeit, und löste so von ½ türkischen Piaster bis zu 1½ vom Baume. Von Zeit zu Zeit erschien ein Beamter von Seiten der Central-Regierung zu Tripoli und nahm mit Hülfe der Mudir oder District-Vorstände den Bestand und die Classification derselben auf. Die endliche Erkenntniß der Ungerechtigkeit dieser Besteuerung und die geringen klingenden Resultate derselben erzeugten den jetzt einzuführenden Modus, der die beiden genannten Systeme combinirt. Die Dattelpalmen sollen in Etwas entlastet und das Vermögen im Allgemeinen mit herangezogen werden. Dies klingt allerdings im Principe viel gerechter und natürlicher, als das einseitige, bisherige System, jedoch wozu nützt alle Gerechtigkeit in der Idee, wenn die Ungerechtigkeit in der Ausführung derselben dominirt?
Aus dem bisherigen Systeme schöpfte[WS 2] die Regierung durchschnittlich 600,000 türkische Piaster, ungefähr 150,000 Frcs., zu denen aus dem Erlös der dem Staate gehörigen Datteln noch höchstens 15–20,000 Frcs. kamen. Dies stellte die Gesammteinkünfte der Provinz dar, und wurde zur Bezahlung der Gehälter der Beamten, zur Unterhaltung der Garnison und zu gemeinnützigen Ausgaben verwendet. Selten oder nie gelangte auch nur ein Piaster davon nach Tripoli. Das neue System wird vielleicht momentan etwas mehr aus den geduldigen Fezānern pressen, doch die Armuth nimmt zu und die Bevölkerung nimmt ab.
Genug, diese Arbeit beschäftigt augenblicklich noch meinen Reisegefährten Bu Aïssa, wird aber demnächst beendigt sein. Dieser Aufschub ist bedauerlich, da die Sommerhitze keineswegs eine angenehme Beigabe zu Wüstenreisen in diesen Breitengraden ist, und da wir auf diese Weise kurz vor Eintritt der Regenzeit in Bornu ankommen werden, ohne Zeit zu einer Art von Acclimatisation zu haben.
Das Ziel einer größeren Expedition scheint mir zunächst die Erforschung der Quellgebiete des Schari und Binuë und die Constatirung und Entdeckung äquatorialer Seen zu sein. Wer weiß, ob die primitiven, naiven Ideen über Zusammenhang zwischen Nil und Niger so absurd sind, als sie auf den ersten Blick scheinen?
Ein großer Erfolg würde es sein, endlich einmal die unglücklichen Grenzdistricte, über die die concentrirteren Reiche Central-Afrika’s Bornu, Wadai, Dar-Fōr ihre Sklavenjagden ergießen, zu überschreiten, und zu vielleicht harmlosen Völkerschaften zu dringen, welche noch nicht durch jene Hetzjagden verrätherisch und rachsüchtig geworden sind.
Angekommen in Bornu, werde ich mein Augenmerk auf den Süd-Osten richten, womöglich selbst nach Baghirmi gehen, um die Möglichkeit eines weiteren Vordringens zu studiren und Ihren gütigen Nachrichten entgegensehen. Sollte es gelingen eine Expedition auszurüsten, so würde mich dieselbe im nächsten Winter in Bornu finden, bereit, sofern mich Klima und andere Fährlichkeiten verschont haben werden, ihr nach Kräften zu dienen.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß der glühendste Wunsch des Scheikh von Bornu ist, einen Wagen zu besitzen, und daß man bei der Wahl der königlichen Geschenke von einem solchen, wie mir [269] G. Rohlfs sagte, nur Abstand nahm, weil man einer europäischen Begleitung, wegen der Zusammenstellung der Theile des Wagens u. s. w., nicht sicher war.
Nachschrift. Nach so eben eingetroffenen Nachrichten vom Consul Rossi in Tripoli hat Dr. Nachtigal am 14. April Murzuk mit der Karawane verlassen.