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Brief an Andres wegen den Geburtstägen im August 1777

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Matthias Claudius
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Titel: Brief an Andres wegen den Geburtstägen im August 1777
Untertitel:
aus: ASMUS omnia sua SECUM portans, oder Sämmtliche Werke des Wandsbecker Bothen, Dritter Theil. S. 111–116
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1777
Verlag: beim Verfasser
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Erscheinungsort: Wandsbeck
Übersetzer:
Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Google
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Kurzbeschreibung:
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[111]

Brief an Andres wegen den Geburtstägen im August 1777.

Mein lieber Andres,

Wir haben einen recht lustigen Tag gehabt. Du weißt wohl, ich habe vieles nicht, aber ’n Geburtstag hab ich doch, und der ist gefeyrt worden. Mein [112] Vetter stellte Vier Gevattern und Freunden, die alle im August gebohren sind, zu Ehren ’n Fest an, und da war er so gratiös, meinen Geburtstag mit einzuschliessen. »Denn, sagt er, Ihr seyd doch mein »lieber Vetter.« Wir feyerten also die fünf Geburtstäge. Merk’ aber, wie wir ihm thäten.

Des Morgens, vor Sonnenaufgang, laß ich ’n Capitel in der Bibel; legte drauf meine rothe Weste an, die ich in Japan bey der Audienz anhatte, und sah darin die Sonne aufgehen, und weckte denn alle Leut’ im Hause. Eine Stunde drauf feur’t ich ’n Pistolenschuß loß. Ich habe die Pistole noch von meinen Reisen mitbracht, und sie knallt gut, wenn sie recht geladen ist; diesmal war aber durch ’n Versehn das meiste auf die Pfanne gekommen. Nachdem nun solchermaßen dem Publiko war kund gethan worden, was den Tag werden sollte, waren wir einige Stunden ganz stille, den Effect davon abzuwarten; doch wuschen wir uns während der Zeit alle im klaren Bache das Gesicht, damit es recht fröhlich aussehe, und giengen ’n kleines am Bach auf und nieder.

Um Sieben Uhr ward ’n Signal gegeben, daß das Frühstück parat sey; und wir züngelten ’n wenig, und nach dem Frühstück gieng ’s Glückwünschen an. Die fünf Geburtstagsleute waren H–am –l, –r in W–, –y in g–, –n in –r, und ich. Die beyden letzten, als nämlich –n und ich, waren gegenwärtig, die drey ersten aber nicht. Wir beyde empfingen also von der ganzen Gesellschaft [113] einen Glückwunsch und Handschlag; die abwesenden aber wurden mit Kreide auf dem Tisch gemalt, und ’n jeder von der Gesellschaft machte ’n Strich zu ihren Füßen. Weiter wurden nun allerhand Gespräche von Geburtstägen geführt, und wie Persohnen bey dieser Gelegenheit in Excessu oder in Defectu pecciren, Geschichten erzählt, Fragen aufgegeben, z. Ex. warum ’n Geburtstag nur alle Jahr einmahl kömmt u. s. w.

Um zwölf Uhr ward zur Tafel geblasen, und weil grade keine Trompeten und Pauken zur Hand waren, mußte ich’s auf’m Triangel thun. Die Tafel war von acht Couverts, und drey Gängen. Zuerst Reißbrey in einer großen Schaale mitten auf dem Tisch, und nach kurzer Weile auch auf acht Teller rund um die Schaale; denn kam Butter und Kalbfleisch, und zuletzt Kuchen. Du siehst d’raus, daß wir hoch schmaußten; zugleich kannst du aber daraus sehen, daß der Luxus seit Abrahams Zeit um Ein Drittel gestiegen ist. Mein Vetter spendirte auch einige Flaschen guten Wein, die denn gewaltig würkten, und vor Gesundheiten, die aus dem Munde herauskamen, kaum hineinkommen konnten, und die Pistole brummte immer drein und zerarbeitete sich recht.

Es ist mir lieb, daß Deinem Jost die Knollen am Halse wieder vergangen sind. ’s ist im ganzen Menschlichen Leben so, Andres. Es werfen sich von Zeit zu Zeit Knollen auf; ich hab’ aber bemerkt, daß sie meistens auch wieder vergehen, wenn man [114] nur Gedult hat. Und denn so kommt ’nmahl so ’n Geburtstag oder sonst etwas, und macht einen auf lange Zeit alle Knollen vergessen.

Nach der Tafel ward von Jung und Alt eine große Promenade in den Wald vorgenommen. Die Schapoos machten bey der Gelegenheit allerhand Sprünge wie die Ziegenböcke, und die Weibsleute kramten mit Blumen.



Hätt’s bald vergessen, Dir zu melden. Ich habe mir seitdem eine Canone angeschaft, die gar vortrefliche Dienste thut, und viel Metall in der Stimme hat. Wenn Du nun Geburthstag, Kindtaufe, oder sonst was zu canoniren hast, lieber Andres, ’s sey was es wolle; so schreibt’s mir nur, soll so gut besorgt werden, als wenn’s meine eigne Sache wäre.

Um fünf Uhr kamen wir wieder zu Hause, und ward gleich Ordre gegeben, daß die Oper anfangen sollte. Sie war von meinem Vetter, und führte den Titel: Ahasverus und Mardochai. Es war eigentlich eine Wandoper, die so mit einem Stock an der Wand vorgestellt wird, und erhielt allgemeinen Beyfall.

[115] Nach der Oper wurden Bäume gepflanzt, damit die Kinder und Kindeskinder sich dabey dieses Tages erinnerten, und sich von den vier Gevattern und der Pistole und der Oper: Ahasverus und Mardochai, erzählten.

Abends war wieder Grand Souper von Cartoffeln und Kaltenhöfer Bier; und damit wars alle, wirst Du denken. Das dacht’ ich auch; aber höre weiter. Es hatte schon den ganzen Tag gemunkelt, daß ’n Feuerwerk abgebrannt werden sollte; nun ward es aber hautement declarirt, und die ganze Gesellschaft begab sich in Prozeßion hinten in meines Vetters Garten neben dem Echafaud, das Feuerwerk anzusehen. Es bestand aus einem Petermännchen von anderthalb Zoll und reußirte ungemein. Weil so’n Ding gar zu herrlich anzusehen ist, hab’ ich mir von meinem Vetter das Recept ausgebeten, und will’s Dir hier communiciren. »Man nimmt 2 Loth Pulver, reibt es klein und thut Brunnenwasser dazu quantum satis; denn wirds ’n Teig, und man formt es, entweder kegelförmig wie ’n Kirchthurm, oder viereckigt, wie die Pyramiden in Egypten waren, thut oben darauf einige Körner trockenes Pulver, und zündet’s an.« Du mußt aber alles Pulver, wenn Du noch welches hast, vorher auf die Seite thun, auch Dich überhaupt mit dem Pulver in Acht nehmen, sonst kannst Du Dir die Nase verbrennen. Um 10 Uhr 8 Minuten gieng das Feuerwerk an, und währte bis 10 Uhr 81/3 Minute. – Du lachst, Andres? Hör’, das Groß und Viel [116] thuts nicht immer; und ich schwöre Dir, daß der Groß-Sultan, wenn er an seinem Geburtstag ein Feuerwerk von 20000 Löwenthaler abbrennen läßt, nicht vergnügter seyn kann, als wir bey dem Petermännchen von anderthalb Zoll waren. Der Mensch ist Gottlob so gebaut, daß er mit anderthalb Zoll recht glücklich seyn kann; und wenn das die Leute nur recht wüßten, so würde ’n groß Theil Ach und Weh weniger in der Welt seyn. Da mischen sich aber gleich Eitelkeit und Stolz ein, und die hemmen allen Genuß, und das ist ein großes Unglück.

Um Eilf Uhr giengen wir zu Bett, und schliefen flugs und fröhlich ein. Dein etc.