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Bilderschau in meinem Zimmer/2

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Textdaten
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Autor: Franz Wallner
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Titel: Bilderschau in meinem Zimmer/2
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 682–684
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[685]
Bilderschau in meinem Zimmer.[1]
Erinnerungsblätter von Franz Wallner.
II.

Da hängt ein schlechtes Bildchen des Schauspielers Börner, seiner Zeit der „Kluck-Spieler“ genannt, weil er auf die Darstellung einer einzigen Rolle, des Maurer Kluck im „Fest der Handwerker“, den er mit unübertroffener Virtuosität spielte, an allen deutschen Bühnen gastirend auftrat. Mit diesem „Kluck“ kehrte er immer und immer wieder, verdiente anfangs mit diesem Paradepferde, zu dem er leider kein zweites vorzuspannen hatte, viel Geld an großen Hofbühnen; jedoch alle übrigen Leistungen des „berühmten Kluckspielers“ waren gar erbärmlich anzusehen, und so sank der sonst überaus witzige Komödiant von Stufe zu Stufe tiefer, bis sich zuletzt auch die Directoren der kleinsten Schmieren weigerten, ihr Publicum mit der unzählige Male abgespielten Aufführung des Angely’schen Vaudevilles abermals zu langweilen. Nun warf sich Börner auf’s Collectiren bei seinen Collegen, fuhr von einem Ort zum andern, kneipte sich bei einem seiner Cameraden so lange fest, bis dem Gastfreund die Geduld riß und Börner den weißen Stab wieder weiter setzen mußte. Derart hat der arme Thespiskarrenjünger vor seinem Ende noch das ganze Elend des Theaterwanderlebens durchgekostet, nachdem er in der ersten Zeit seiner Laufbahn Summen verdient und vergeudet hatte, mehr als hinreichend, um den Mangel von ihm fern zu halten.

Börner war eines der größten Originale der an originellen Menschen so reichen Theaterwelt. Mit einer reichen Witzader und einer fabelhaften Portion Unverschämtheit begabt, war er überall ein, wenn auch manchmal lästiger, doch stets erheiternder, nicht ungern gesehener Gast. Von seiner Erfindung sind die überaus ergötzlichen Schwänke, die er dem bekannten Theaterdirector Böttner angedichtet hatte und die von den „Fliegenden Blättern“ aus die Runde durch alle Journale machten. Böttner rühmte sich gern intimer Bekanntschaften mit bedeutenden Persönlichkeiten, und so soll er, nach Börner, als Schiller einst in großer Geldverlegenheit war, diesem zugerufen haben: „Aber Mensch, schreibe doch Deine Räuber, so ist Dir gleich geholfen!“ was der geniale Dichter auch sofort gethan und folglich seinen Ruhm nur dem Rathe seines Freundes Böttner zu danken haben soll. Böttner soll auch, wie Börner behauptete, der wirkliche Lorenzo aus der Oper Fra Diavolo gewesen sein und den berüchtigten Räuber eigenhändig eingefangen haben. Durch diese Heldenthat gerührt, gab der Gastwirth Matteo in Terracina seine Weigerung auf und vereinigte die Liebenden, Lorenzo-Böttner mit seiner geliebten Zerline. Oft, wenn Böttner von Fra Diavolo sprach, pflegte er auszurufen: „Kinder, was wahr ist, muß wahr bleiben, eine prachtvolle Tenorstimme hatte der Kerl, aber – kein Spiel.“

Zu den unzähligen Vorwänden, unter welchen sich Börner in der absteigenden Linie seiner Laufbahn Geld zu verschaffen wußte, gehörte die Lage seiner Frau. Niemandem, selbst seinen nächsten Freunden nicht, war das arme Geschöpf je zu Gesicht gekommen; die Frau saß, nach seiner Angabe, stets eine oder zwei Stationen von seinem gegenwärtigen Aufenthaltsort fest, darum brauchte er stets „zwei oder drei Thaler“, um die unglückliche Frau nachkommen zu lassen. War er in Leipzig, so saß das arme Weib in Halle; befand er sich in Berlin, so bedurfte er eine Kleinigkeit, um das verlassene Wesen von Potsdam zu sich zu rufen; tauchte er in Wien auf, so mußte ihm ein Freund die bewußten paar Thaler borgen, damit, der Freund wisse es ja, ein Börner nicht genöthigt sei, sein braves Weib wie ein Schuft in Neustadt allein sitzen zu lassen.

Als der berühmte Eßlair in Innsbruck starb, gastirte Börner gerade wieder ein Mal zur Abwechslung als Kluck. Da die ganze Gesellschaft dem großen Künstler das feierliche Geleite gab, borgte sich Börner, der ja bei einer solchen Pflichterfüllung nicht zurückbleiben konnte und dessen schwarzer Frack mit seiner übrigen Garderobe bei seiner „armen Frau“ auf der letzten Station, ich glaube in Hall, zurückgeblieben war, von einem jungen Studiosus das zum Leichenbegängniß unumgänglich nöthige Kleidungsstück. Wer das Zurückstellen desselben aber vollständig vergaß, war mein Börner. Abend für Abend sah der arme Musenjünger mit Entsetzen zu, wie „Vater Kluck“ mit dem feinen Bratenrock auf der Bierbank herumwischte und den Rücksichten der Sauberkeit und Billigkeit vollkommen Hohn sprach. Da zarte Anspielungen keinen Erfolg hatten, faßte sich der junge Mann ein Herz und bat, dem Künstler seinen Wunsch leise zuflüsternd, um Zurückstellung des geliehenen schwarzen Frackes. „Unmöglich,“ entgegnete laut und lakonisch Börner, „beim besten Willen jetzt unmöglich, wir haben sechs Wochen Trauer.“

Einst gastirte er bei einem Theaterdirector, dessen Cassenabrechnungen in der Kunstwelt etwas anrüchig waren. Börner sollte den dritten Theil der Einnahme erhalten. Am ersten Abend war das Haus ziemlich leer, und um den Gast nicht gleich von vorn herein kopfscheu zu machen, fiel die Abrechnung ausnahmsweise ehrlich aus. Bei der zweiten Vorstellung, die viel besser besucht war, als die erste, erhielt Börner um ein Ansehnliches weniger auf seinen Antheil, als das erste Mal. Sein drittes Auftreten bewirkte ein in allen Räumen ausverkauftes Haus. Mißmuthig ging er zum braven Director und erklärte ihm, er wolle heute gar nicht spielen.

„Aber was fällt Ihnen denn ein, lieber Börner!“ rief der Chef aus, „es ist ja ganz überfüllt.“

„Eben darum,“ entgegnet ihm Börner, „da bekomme ich heute gar nichts.“

Unzählige kleine Gelegenheitswitze, wovon sich die besten leider in guter Gesellschaft nicht erzählen lassen, cursiren von ihm noch immer in der Theaterwelt.

Börner war bei Director Maurice in Hamburg engagirt, als sich der Letztere von seiner kleinen unansehnlichen Bühne in der Steinstraße lossagte und in das neuerbaute prachtvolle Thaliatheater übersiedelte, zu welchem ihm seine Geschäftskenntniß, seine rastlose Thätigkeit und seine unverbrüchliche Reellität verholfen hatten. Natürlich wurden in den eleganten Räumen neue, besonders in Bezug auf Reinlichkeit sehr nöthige Theatergesetze publicirt. Als Börner gefragt wurde, wie die Schauspieler im neuen Hause zufrieden wären, antwortete er mit größter Selbstzufriedenheit: „Vortrefflich, Alles sauber, nobel, elegant. Teppiche, feine Möbel – aber sehr kostspielig. Du brauchst nur zwei Mal auf der Bühne auszuspucken, so hast Du zwanzig Silbergroschen verzehrt, Du weißt nicht wie.“

Einst hielt er sein Nachtlager bei Anton Ascher, auf einem etwas baufälligen Sopha, dessen Federn immer unter dem darauf Liegenden auf die Seite rutschten. Nachdem er sich stundenlang herumgewälzt, rief ihm Ascher zu, er möchte doch Ruhe halten, damit er schlafen könne. „Entschuldige, lieber Bruder, ich möchte gern neben mir selber liegen,“ entgegnete Meister Kluck.

Jetzt hält er sich ruhig, und auch die meisten Derjenigen, die er durch seine Laune und seine Bosheit geärgert und zum Lachen gebracht hat. –

Es war ein bitter kalter Februarabend im Jahre 1838, als ein armer polnischer Schauspieler mit klopfendem Herzen durch die Straßen von Warschau in das Teatr Rozmaitoska (Théâtre des variétés) eilte, wo heute sein erstes Debüt stattfinden sollte. Wenn dieses gut ausfiel, so sollte er mit einer Monatsgage von neunzig polnischen Gulden – fünfzehn Thalern – am kaiserl. Hoftheater angestellt werden. Es schien dies dem armen Jungen ein so unermeßlicher Glücksfall zu sein, daß er standhaft dem Andrängen eines Provinzdirectors, eines gewissen Schmidtkow, widerstand, der den offenbar talentbegabten Menschen überreden wollte, mit ihm sein Glück in Wilna zu versuchen, wo er ihm einen Gehalt von eilf Ducaten pro Monat zusichern könnte. Der weite Weg aus der entfernten Vorstadt, in welcher seine Wohnung lag, ließ dem Kunstjünger hinlänglich Zeit, darüber nachzudenken, ob er mit der entschiedenen Abweisung dieses außerordentlichen Antrages auch klug gethan. Sein Gewissen gab ihm Recht. Einmal Hofschauspieler, wenn auch in noch so bescheidener Sphäre, mußte er ja, bei seinem Wissen, bei seinem eisernen Fleiß, bei seinem wunderbar klangvollen sympathischen Organ, vorwärts kommen, rasch vorwärts kommen, ja, vielleicht würde er noch die unbeschreibliche Freude erleben, seiner Mutter, seinem guten, armen Mütterchen, ein sorgenfreies Alter, eine bequeme Existenz bereiten zu können.

[686] Bei diesem Gedanken schlug sein Herz höher und heiße Tropfen drängten sich ihm aus den Augen. So kam er an den Kunsttempel, in dem er heute die ersten Sporen verdienen sollte, und eilte über die Bühne weg in seine Garderobe. Als er über das Podium schritt, ertönte im Zuschauerraum ein dumpfes Gemurmel und zwischendurch ein langgezogenes, schmerzliches Gestöhn, ein Wimmern, so markerschütternd, daß den jungen Künstler ein Schauer überlief, von dem er sich keine Rechenschaft zu geben wußte. Vergebens suchte er eine Oeffnung in der Gardine zu erspähen, um hinauszublicken; die Zeit drängte, er mußte sich in’s Costüm werfen, wollte er nicht seine ganze Existenz auf’s Spiel setzen. Auf die Frage, was denn im Theater passirt sei, erhielt er die Nachricht, eine arme Frau sei von der Galerie in’s Parterre gestürzt und habe sich schwer verletzt. Sie habe den Eingang nicht erwarten können, sei hastig vorwärts geeilt, um auf der vorderen Bank noch einen guten Platz zu finden, habe die Brüstung in dem noch nicht erleuchteten Hause übersehen und sei mit zerschmetterten Gliedern in die Reihen der glücklicherweise noch leeren Parquetsitze herabgestürzt.

Umsonst suchte der Musenjünger den unbegreiflich qualvollen Eindruck von sich abzuschütteln, welchen die bangen Schmerzenstöne aus dem Zuschauerraum auf ihn ausgeübt, diese Töne, die ihm gänzlich fremd und doch so bekannt erschienen waren und die ihn selbst während der Aufregung des Spiels in fieberhafter Spannung erhielten! Der Vorhang war, der Debütant hatte gefallen. Schon nach der ersten Scene trat der Director auf ihn zu und erklärte ihm, daß er seine Anstellung als definitiv betrachten könne. Wie kam es, daß dieses früher so heiß ersehnte freudige Ereigniß ihn jetzt kalt und zerstreut ließ? Immer weilten seine Gedanken bei jenen Tönen, die ihm durch Mark und Bein schnitten. Das Stück ist beendet; im Begriff, das Haus zu verlassen, tritt dem jungen Mann der Regisseur entgegen.

„Muth, mein Junge, Muth! Eile nach Hause, Deine Mutter –“

„Meine Mutter!“ kreischt der arme Künstler auf, „meine Mutter, sie war jene Frau –“

„Ja wohl, mein guter Bursche.“

Seiner nicht mehr mächtig, zitternd, greift der Jüngling in die Tasche, kein armer Pfennig ist darin zu finden. Woher Geld nehmen zu einer Droschke, die ihn mit Windeseile an das Schmerzenslager der armen Frau führt, die mit zerbrochenen Gliedern ihren Sohn erwartet, den zu sehen sie in’s Schauspielhaus geeilt war, wo sie vor Aufregung über die Barriere stürzte, weil sie nicht Geduld genug besaß, die Erleuchtung des Theaters abzuwarten, da ihr sonst Andere zuvorkommen und die besseren Plätze hätten wegnehmen können? Der Arme schämte sich, Jemandem seine bittere Noth zu gestehen und die paar Groschen für ein Fuhrwerk zu erbitten. So schnell ihn seine Füße tragen, läuft er wimmernd und unter Thränenströmen der fernen Vorstadt zu, wo wir ihn hingestürzt über den zerschlagenen Körper der Mutter finden, in einem dunklen Kämmerchen auf dem ärmlichsten Lager. Und nichts, nichts auf der Welt sein zu nennen, um ihr die geringste Erleichterung zu schaffen! Der Arzt hatte sich nach dem nöthigen Verband schnell entfernt, einige Nachbarn, ebenso arm wie die Verunglückte, hatten sich eingefunden, mehr aus Neugierde, als aus Theilnahme. Man denke sich den Jammer des armen Burschen! Da plötzlich zuckt ihm ein Gedanke durch’s Gehirn! „Nein, Mutter,“ ruft er entschlossen aus, „Du sollst nicht mehr hungern und darben; ich fühle es, wir stehen am Wendepunkte unseres Geschickes, ich schwöre Dir, meine arme, gute Mutter, Dein Sohn wird für Deine Zukunft sorgen.“

Mit dem Morgengrauen verkauft der junge Mann sich und sein Talent an den Bandenführer Schmidtkow, der ihm eine Monatsgage als Vorschuß bewilligt. Freudestrahlend legt er die eilf Goldstücke in die Hände seiner Mutter, entsagt den langgepflegten Hoffnungen einer schnellen Laufbahn am kaiserlichen Hoftheater und bricht am nächsten Morgen mit seinem neuen Chef, dessen Hauptstütze er wurde, nach dem fernen Wilna auf.

„Du sollst Vater und Mutter ehren
Auf daß es dir wohl ergehe auf Erden.“

Man hat von mehrern Seiten behaupten wollen, jener Unfall der armen Frau bei dem Debüt ihres Sohnes habe nicht stattgefunden, allein ich muß dabei stehen bleiben, daß sich die Scene wirklich zugetragen hat, wie ich sie schilderte, denn der Sohn selbst hat sie mir erzählt.




Eine lange Reihe von Jahren ist vergangen. Wir sind im September 1865. Am großen kaiserlichen Hoftheater in Warschau drängen sich schon um die Mittagsstunde Schaaren von Schaulustigen. Der Abend findet Alles dort versammelt, was an glänzenden Namen, an hervorragenden Persönlichkeiten in der reichen polnischen Hauptstadt zu finden ist.

Eine endlose Reihe von Equipagen harrt am Ausgange ihrer glücklichen Besitzer. Ein armer polnischer Knabe hatte sich durch seinen eisernen Willen, durch sein Genie emporgearbeitet zum hochgefeierten deutschen Künstler; heute hat er sich bewegen lassen, die Bühne seiner Vaterstadt zu einem wohlthätigen Zweck zu betreten, seiner Vaterstadt, in welcher er anwesend ist, zum Besuche seiner Mutter, seiner Mutter, der er sein Wort redlich eingelöst hatte. Wieder finden wir die arme Frau mit gebrochenem Arm, abermals hatte sie die Sehnsucht, den heißgeliebten Sohn, der ihr Segensengel geworden war, recht früh zu sehen, hinausgetrieben; sie war unglücklich gefallen und hatte dadurch das eben erwähnte Unglück erlitten. Aber wir finden die alte Frau auf einem Krankenlager, welches mit allem Comfort umgeben ist, den Wohlstand und die zarteste Kindesliebe nur ersinnen können. Da die Mutter sich nicht entschließen konnte, die wechselvollen unruhigen Künstlerfahrten des berühmten Sohnes zu theilen; da sie mit Zähigkeit an der Heimath fest hielt, so wurde ihr diese verschönt mit Allem, was der verwöhnteste Geschmack zu fordern berechtigt ist.

Jede Ovation, die ein entzücktes und dankbares Publicum erdenken kann, wurde an jenem Abend dem genialen Künstler zu Theil, aber keine hat ihn mehr beglückt, als das dankbare Lächeln, mit welchem ihm seine Mutter bei der Heimkehr aus dem Theater die gesunde Hand entgegenstreckte.

Ich erzähle diese einfache Geschichte aus der Laufbahn eines Künstlers, weil in diesem Moment mein Blick auf dessen Medaillon fällt, welches von dem trefflichen, leider bereits heimgegangenen Bildhauer Ritschel in Marmor ausgeführt ist. Die Umschrift trägt den Namen: Bogumil Dawison.



  1. S. Nr. 36, Seite 568.