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Bilder von der Arlbergbahn

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: C. S.
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Titel: Bilder von der Arlbergbahn
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 542–544
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[542]

Bilder von der Arlbergbahn.

(Mit Illustrationen von R. Püttner.)

Trisanna-Viaduct.

Die Jüngste der vielen kühnen Hochgebirgsbahnen, an denen die Habsburgische Monarchie so reich ist, und nächst der Gotthardbahn gewiß auch die interessanteste an verwegenen Kunstbauten – ist die im Herbste dieses Jahres nach gerade vierjähriger Bauzeit zu eröffnende Arlbergbahn. Das tirolische Innthal mit dem vorarlbergischen Illthale mittels eines mehr als zehn Kilometer langen Tunnels verbindend, bildet sie dadurch zugleich ein neues Band zwischen dem untern Donaugebiete, der Adria und dem Schwarzen Meere einerseits und dem obern Rheinthale und dem in commerzieller Beziehung so heiß umworbenen Bodenseebecken andererseits. So öffnet sie einen neuen internationalen Handelsweg zwischen Ost und West und kettet zugleich das kleine industriereiche Ländchen Vorarlberg, den letzten Rest der ehedem so ausgedehnten schwäbisch- österreichischen Vorlande – bisher von Tirol und den innerösterreichisch-bajuwarischen Provinzen durch die Querkette des Arlberges vollständig abgetrennt – mehr als je vordem an die Habsburgische Hausmacht.

Bis zur Regierung des unvergeßlichen Kaisers Joseph II. führte über den 1800 Meter hohen, im Winter und Frühling höchst lawinengefährlichen Arlbergpaß – denn einen eigentlichen Arlberg giebt es nicht, es wäre denn, man nennte den ganzen breiten von Süd nach Nord gestreckten Gebirgszug mit diesem Namen – nur ein schlechter Saumpfad; erst in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts ließ der Kaiser eine Kunststraße bauen, die, mehr oder minder abgeändert, heute noch als eine der best erhaltenen Alpenstraßen besteht. Aber bis in die dreißiger Jahre lief auf dieser kaiserlichen Straße noch keine kaiserliche Post – an ihrer Stelle fuhr ein Bote in vier Tagen oder etwas länger von Bregenz nach Innsbruck. Erst in den vierziger Jahren, also vor etwas mehr als einem Menschenalter, wurden kaiserliche Eilwägen eingerichtet, die in dreißig Stunden obige Strecke zurücklegten, nur zu oft aber durch Lawinen und Schneefall auf dem Berge festgehalten wurden.

Aber auch in den späteren Jahrzehnten der Eisenbahnen und Dampfschiffe, während von allen Seiten die Schienen an den internationalen Bodensee drängten, dachte in Wien Niemand an dieses Westportal Oesterreichs, und die praktisch-rechnenden, aber bisher von Wien aus etwas stiefmütterllch angesehenen Vorarlberger meinen noch heute, die ganze Geschichte – Arlbergtunnel und Bodensee-Emporium – komme eigentlich um zehn bis fünfzehn Jahre zu spät und werde darum immer etliche Schwäche eines „Nachgebornen“ mit sich herumtragen.

Nun aber wollen wir eine wirthschaftlich-politische Erörterung der Arlbergbahn und was drum und dran hängt, fein säuberlich bei Seite liegen lassen; denn es ist Sommer, herrlicher Hochsommer, und darum eilen wir, der Sorge und der Qual des täglichen Lebens nicht gedenkend, in’s Hochgebirge, in das uns die neue Bahn fast ohne alle Vermittelung hineinführt, und aus ihren Krümmungen und Windungen wollen wir uns die herrlichsten, bis heute noch fast unbekannten Landschaftsbilder vor Augen zaubern lassen.

Von der Station Bludenz, die als eigentlicher Anfangspunkt der Arlbergbahn, inmitten eines wunderbaren Hochgebirgskranzes gelegen, im letzten Jahrzehnt ein Sammelpunkt der Touristenwelt geworden ist, sind wir durch das Thal der Alfenz, fast immer am Abhange der nördlichen Thalseite allmählich über die hinankriechende Poststraße aufsteigend, bis zur Station Dalaas gelangt, dem obersten Bilde unseres Zeichners. Bis dahin haben wir eine der schwierigsten Baustrecken zurückgelegt, denn hoch oben an steilen Wiesenhalden läuft die Bahn, der in den brüchigen Verwitterungsproducten der Werfner Schichten überall künstlicher Grund geschaffen werden mußte. Tief unten an der schäumenden Alfenz liegt der Ort, fast senkrecht unter [543] uns, dessen kleine ahornumschattete Kirche. Westlich, thalauswärts, liegt ein sonniges Landschaftsbild, das Wallgau, darüber die matterhornartige Zimbaspitze und das Massiv der Scesaplana (Hintergrund des Bildes); thaleinwärts sieht man gegen den Arlberg zu, rechts liegt der Kalteberg (2900 Meter); dessen östlicher Fuß in Tirol steht; rechts und links von den himmelanstrebenden Felswänden stürzen schöne Wasserfälle zu Thal, der Latonser und der Fallbach. Den Anblick des Westportales des Arlbergtunnels bei Langen hat der Stift unseres Künstlers nicht festgehalten, und wenn wir die zwei folgenden Bilder, Stuben und St. Christoph in Natura sehen wollen, müßten wir die Bahn in Langen verlassen, denn wir unterfahren sie „durch den Berg“ in etwa fünfundzwanzig Minuten, um gleich am Ostportale, in St. Anton, Tiroler Boden zu betreten, während wir nach Stuben eine, bis St. Christoph weitere zwei und bis St. Anton noch eine Stunde zu gehen hätten, der Postwagen aber diese steilste Strecke der Straße nicht unter drei Stunden hinter sich bringen könnte. Diese ohnehin einsamen Hochgebirgsorte, das 1400 Meter hohe, lawinenbedrohte Stuben mit seinen niedrigen, kleinfensterigen Häuschen, und das auf der Paßhöhe gelegene Weghospiz St. Christoph, eine Stiftung des armen Heinrich, des Findelkindes, werden von nun an noch weltverlassener dastehen, wenn nicht, wie es auch am Gotthard geschieht, zur Sommerszeit Touristen den fröhlichen Wanderstab der finsteren Tunnelfahrt vorziehen. Um so besser, daß sie Meister Püttner durch seine Illustration der künftigen Vergessenheit zu entreißen versucht hat, und auch dafür sind wir ihm dankbar, daß er das Gleiche mit Langen gethan (vergl. S. 544). Vor vier Jahren noch ein stiller Weiler von fünf niedrigen Bauernhäusern, wuchs es während des Tunnelbaues zu einer Arbeiterstadt heran, die Einen fast „californisch^ anmuthete, das heißt wie die Blockhausstädte der Goldgräber jenes Landstriches; denn eine vorübergehende Unterkunft für Bauleitung, Turbinenanlagen (zu Tunnel-Bohrarbeit) und für etwa 2500 Arbeiter aus aller Herren Ländern und deren mannigfaltige Bedürfnisse war in dieser Einöde zu schaffen.

Viaduct bei Landeck.

Diese Blockhausstadt mit ihren vielsprachigen Aufschriften, ihrer lärmenden Bevölkerung, überragt vom provisorischen Unternehmerpalast, mit allen den kolossalen Turbinenhäusern, Ventilationsanlagen und Werkstätten wird in wenigen Monaten verschwunden sein, menschenleer ist sie heute schon. St. Anton, das Ostportal des Arlbergtunnels, bot nie dieses bunte Bild, weil dort die Gegend ohnehin häuserreicher und daher die Anlage einer eigenen Arbeiterstadt nicht nothwendig war. Bis zur Station Flirsch übersetzt die Bahn dreimal die aus der finsteren waldreichen Ferwallschlucht hervorbrausende Rosanna und bleibt dann bis nach Innsbruck auf der rechten, südlichen Thalseite; vorerst auch wieder hoch über dem Thale, welches sammt der am jenseitigen Ufer laufenden Poststraße in rascher Senkung absteigt, während die Bahn, in vielfachen Schleifen den Ausbuchtungen des Gebirgsstockes sich anschmiegend, erst bei Landeck die Thalsohle wiederfindet. Die Aussicht dieser Strecke geht ostwärts gegen das Innthal, namentlich auf die steilen Zinnen der nördlichen Kalkalpenkette, welche dieses vom obern Lechthale trennen; eine Fülle von Wasserstürzen erfreut das Auge, dann sehen wir vor uns plötzlich eine schöne Burgruine (Wiesberg), auf die wir scheinbar in der Luft zuschweben. Wir rollen nämlich auf dem 240 Meter langen Viaduct über die tief unter uns aus dem Paznaunerthale hervorbrechende Trisanna, diese grausige Thalschlucht überfliegend. Die Eisenbrücke selbst ruht auf zweien in die Seitenlehnen der 90 Meter tiefen Schlucht eingegründeten, je 50 Meter hohen Quaderpfeilern, und hat eine Stützweite von 120 Metern; sie gilt als das schönste, kühnste und schwierigste Bauwerk der ganzen Strecke; unser Künstler hat sie in der Anfangsvignette unter seine Bilder aufgenommen. Wer in das langgestreckte gletscherreiche Paznaunerthal will (Jamthaler-Ferner, Fluchthorn, Fimberpaß in’s Engadin), muß auf dieser Station die Bahn verlassen. Diese selbst gewährt angenehme Ausblicke auf die jenseitige sonnige, mit freundlichen Dörfchen und reichlichen Korn- und Maisfeldern besetzte Steilhalde des Trisannathales, um dann auf einer nicht minder interessanten Eisenbrücke, deren Spannwerk nach abwärts geht, unterhalb Landeck den aus Süd kommenden Innfluß zu übersetzen und in den ebenso zierlichen, als für das Publicum bequem eingerichteten Landecker Bahnhof einzumünden.

Die geradezu zauberische Lage des etwas weit abseits bleibenden Ortes Landeck an der Mündung der Innschlucht mit guterhaltener Burg auf steilem Felsen und einem schönen gothischen Kirchthurme sichert ihm einen regen Fremdenverkehr, denn von hier zweigt sich die Poststraße nach Finstermünz, in’s Engadin (Schuls- Tarasp), in’s Vintschgau, zum Stilfserjoch (Ortlergruppe) und nach Meran ab.

Die Bahn Landeck-Innsbruck ist schon im Jahre 1883 als Theilstrecke der Arlbergbahn eröffnet worden und dem Reisepublicum daher nicht mehr so fremd, als der eigentliche Arlbergdurchschlag. Von der Strecke bis Imst hat Meister Püttner uns zwei reizende eigenartige Bilder gebracht: die auf hohem Felskegel aufragende Veste Kronburg, die wir am Fuße unterfahren, und den Tschürgant. Es ist dieser letztere die Westspitze eines hohen Gebirgszuges, den wir später als breite Felsenmauer zu unserer Linken haben, wenn wir von Imst nach Silz hinab rollen. So wie er sich im Bilde zeigt, als ein echter „Pik“, präsentirt er sich schon auf der Poststraße oberhalb Pians und dann später von der Bahn aus unterhalb Kronburg. Bevor wir in das breiter werdende Innthal mit seinen schönen Dörfern und den spitzigen, schlanken Kirchthürmen eintreten, müssen wir noch durch eine enge Schlucht, in welcher hart am reißenden Innstrom und am Ausgange des Pitzthales [544] die Station Brennbichl liegt, fast da, wo einst vor 30 Jahren der König von Sachsen Friedrich August II. durch einen Sturz aus dem Wagen seinen unerwarteten Tod fand. Bald darauf geht es auf einer schönen eisernen Gitterbrücke (siehe Bild) über die Oetzthaler Achen in die Station Oetzthal, Ausgangspunkt für die Oetzthaler Ferner. Aber von diesen berühmten Eiskolossen und Firnfeldern sehen wir hier nichts, denn diese liegen noch sehr weit drinnen im Thale, wohl aber finden wir ihren eiszeitlichen Moränenschutt, in den die Bahn einschneidet. Dann bemerken wir auch gleich hier, wie zierlich und harmonisch die Stationsgebäude dieser und der Arlbergstrecke gebaut sind – im wohlthuenden Gegensatze zu den nüchternen Pappdeckelbauten der ehemaligen Vorarlbergerbahn.

Langen von der Tunnelmündung aus.

Nun tritt die Bahn in das sich erweiternde Innthal ein, auf herrlich grünen Wiesen eilen wir dahin, rechts aber auf waldgekröntem Hügel leuchtet die Wolkensteinische Veste Petersberg, links liegt Silz, der reinliche Marktort, den Touristen bekannt durch das trauliche „Herrenstübele“ seiner Post. Thalabwärts nimmt nun die Zahl der schlanken Kirchthürme zu beiden Seiten rasch zu; da kommt vor Allem Stams, die große Cisterzienser Abtei, eine Behüterin der sterblichen Ueberreste der alten Grafen von Tirol, also das tirolische St. Denis. Später zeigt sich jenseit des Inn, am Fuße der hohen Mundi, der industrielle Ort Telfs, und wieder weiter, theilweise in Obstbaumgärten versteckt, liegen die ansehnlichen Dörfer Flauerling, Hatting, Polling und Inzing. Darüber hinaus ragen die schönen Berggestalten der Umgebung Innsbrucks empor, vor Allem zunächst links die berühmte Martinswand, an welcher Kaiser Max, der letzte Ritter, sich verstieg, gerade oberhalb des malerisch unordentlich zusammengewürfelten Dorfes Zirl. Die vierhundertjährige Gedenkfeier dieses Ereignisses wurde hier am 20. und 21. Juli d. J. abgehalten. Bei der Station Kematen steigen schon hauptstädtische Ausflügler in den Zug, und vor uns auf weitem Thalplane, überragt von den Unterinnthaler Bergen, glänzen die vielen Kirchthürme Innsbrucks im letzten Abendsonnenstrahle. Hart am breiten Innstrome geht es hin, dann in weitem Bogen durch die Vorstadt Wiltau, mit Wendung nach Nord, in den Innsbrucker Bahnhof. – Etwas nach Mittag haben wir den Bodensee in Bregenz verlassen, und ehe die Sonne hinter dem Hocheder hinabgesunken, sind wir schon im Herzen Tirols, nicht ohne ein lebhaftes Dankgefühl für die Mächte, welche den Arlberg durchbrachen; denn bevor dies Werk vollendet, fuhr man 14 Stunden, theilweise zur Nachtzeit, mehrmals umsteigend, zweimal zollvisitirt, via Lindau-München-Kufstein, in einem Dreiviertelkreise aus Oesterreich – nach Oesterreich. C. S.