Bilder aus der Südsee
Bilder aus der Südsee.
Die bunte Völkerwelt der Südsee eilt mit raschen Schritten einer völligen Umwandlung entgegen. An hundert Orten sind längst vor dem Kreuze die fratzenhaften Götzen gewichen, an tausend Stellen hat das Gewehr die Lanze, die Klinge von Stahl das Muschelmesser verdrängt, und wie von dem großen Religionsmythus oceanischer Völker nur spärliche unzusammenhängende Bruchstücke erhalten blieben, so sind es auch nur Trümmer einer eigenartigen Kultur, die heute der Forscher in den Hütten des großen Inselgewirrs im Stillen Ocean findet. Wie gering auch jene Kultur gewesen sein mag, für die vergleichende Völkerkunde ist ihre genaue Kenntniß von hoher Bedeutung, da die Stämme der Südsee Jahrhunderte lang ohne jede Berührung mit anderen Erdtheilen geblieben sind und einen besondern Typus in der Völkerfamilie gebildet haben.
Aus diesem Grunde werden seit Jahren mit unermüdlichem Eifer große Sammlungen ethnographisch wichtiger Gegenstände in jenen Gegenden veranstaltet, damit für die Forschung noch das gerettet werde, was von jener eigenartigen „Kultur der Wilden“ übrig geblieben ist.
Auch die Museen Deutschlands bergen in reicher Anzahl jene sonderbaren Waffen und Geräthe, jenen originellen Schmuck und die Trachten der Oceanier, die in ihrer tropischen Heimath mehr und mehr verschwinden oder trotz der größten Bemühungen nicht mehr aufzutreiben sind.
Den hervorragendsten Platz unter allen derartigen Sammlungen nimmt unbestritten das Hamburger Museum Godeffroy ein, das schon im Jahre 1860 von J. C. Godeffroy, einem der Kaufherren der alten Hansestadt, gegründet wurde. In geschickter Weise wußte er die ausgedehnten Handelsverbindungen, die sein Haus mit den Südsee-Inseln unterhielt, für wissenschaftliche Zwecke auszunützen, regte seine in dem Stillen Ocean beschäftigten Kapitäne zum Sammeln an, sandte selbst wissenschaftlich ausgebildete Reisende nach jenen fernen Eilanden und schuf in einer Reihe von Jahren ein Institut, das nicht allein in Deutschland, sondern auch in Europa einzig in seiner Art dasteht.
Gegenwärtig, wo die Südsee-Inseln endlich in den Bereich der deutschen Kolonisation gezogen wurden, verdient dieses Museum eine besondere Beachtung, und wir wollen im Nachstehenden versuchen, an der Hand unserer den reichen Hamburger Sammlungen entlehnten Abbildungen einige charakteristische Züge aus dem Leben der Oceanier unsern Lesern mittheilen, die als Ergänzungen der früheren Berichte von Dr. O. Finsch gelten mögen.
Die Wilden der Südsee erfreuten sich vor etwa hundert Jahren einer besonderen Sympathie vieler europäischer Schriftsteller. In einer sentimentalen Anwandlung pflegte man diese reinen Naturkinder zu verherrlichen als den Gegensatz zu den verdorbenen und schuldbeladenen Söhnen der europäischen Civilisation. Die unbefangene Forschung hat diesen Wahn längst zerstört, sie hat gezeigt, daß die Sittlichkeit jener Naturkinder auf einer tiefen Stufe stehen geblieben war, die mit einer moralischen Versunkenheit zu vergleichen ist, und unter den Lastern, die dort das Bild des Menschen verzerren, mußte sie die grausame Sitte des Kannibalismus obenan stellen. Nirgends in der Welt war dieselbe so weit verbreitet und so fest eingewurzelt, wie auf den Inseln des Stillen Oceans, und trotz aller Bemühungen der Missionäre und der weißen Händler ist sie bis jetzt noch nicht vollständig ausgerottet. Namentlich auf den Viti-Inseln trieb sie ihre scheußlichsten Blüthen, und hier ist auch das Unerhörte geschehen, daß nichtswürdige Weiße, die vor langen Jahren von den Insulanern das kostbare Sandelholz eintauschen wollten, kein Bedenken trugen, Jagd auf Eingeborene zu machen und das Gelüst der Wilden nach Menschenfleisch befriedigen zu helfen.
In die Entstehungsgeschichte des Kannibalismus vermochte selbst die neueste Forschung kein Licht zu bringen. Wohl ist es möglich, daß der Mangel an größeren Säugethieren – nur das Känguru und das Schwein sind von größeren Arten hier vertreten – den Menschen dazu getrieben hat, den unwiderstehlichen Fleischhunger mit Menschenfleisch zu sättigen. So viel steht aber auch fest, daß diese Unsitte mit der Religion jener Völker im engsten Zusammenhang steht und daß ferner Menschenfleisch wenigstens in unsern Tagen nicht aus Noth, sondern aus Gourmandise verzehrt wird. Menschenschlächtereien bilden Feste im vollsten Sinne des Wortes, Feste, die vom religiösen Nimbus umgeben werden. Auch dürfte der Aberglaube, daß die guten Eigenschaften des Opfers auf denjenigen übergehen, der dessen Fleisch genossen, viel zur Erhaltung des Kannibalismus beigetragen haben. – Eins unserer Bilder zeigt uns einen Tempel der Eingeborenen, die Bure zu Lega, gelegen am Wairikifluß auf Viti Levu, dessen Name deutsch „Wohnung des Geistes“ lautet. Es war ein grausamer Gott, der dort hauste, der unaufhörlich Menschenopfer verlangte und dessen Tempel den Mittelpunkt des Kannibalismus bildeten. Der Reisende Theodor Kleinschmidt, der im Jahre 1881 von den Eingeborenen auf Utuan in der Duke of York-Gruppe erschlagen wurde und von dem die Skizze des oben erwähnten Tempels herstammt, berichtet, daß in diesen „Gotteshäusern“ die Zahl der abgeschlachteten und verzehrten Opfer durch Aufstellen nach oben abgerundeter Steine markirt wird. Er selbst hat in einem derselben gegen 60 dieser Steine gezählt, andere Berichte melden dagegen, daß in dem größten Tempel über 840 steinerne Zeugen der Gräuelthat errichtet waren. – An gleich grausame Sitten erinnert uns die nebenstehende Abbildung, welche die Duck-Duck-Tänzer darstellt. Der Duck-Duck ist [85] auf den Inseln des neu-britannischen Archipels zu Hause. Nach den Berichten des Reisenden Hübner ist die Duck-Duck-Ceremoine eine Art religiösen Umzuges, der etwa eine Woche dauert, und wobei die Verkleideten Sammlungen vornehmen, an denen sich auch die anwesenden Europäer durch Darreichung von Tabak und Muschelgeld betheiligen müssen. Der Träger der Verkleidung wird bis an die Kniee mit Laubkränzen umhüllt und ihm dann die Kopfmaske aufgesetzt; verliert er diese oder fällt er, so wird er getödtet. Kinder und Weiber dürfen ihn nicht sehen, müssen sich also während des Umzuges verborgen halten. Die erwachsenen Männer führen aber während des Spiels Tänze und Scheinkämpfe auf.
Interessant ist die Beschreibung des Duck-Duck, die der englische Reisende J. Powell in seinem Werke „Unter den Kannibalen von Neu-Britannien“ (in deutscher Uebersetzung von Dr. F. M. Schröter 1884 bei Ferdinand Hirt u. Sohn in Leipzig erschienen) bietet:
Der Duck-Duck kann nach diesem Berichte als die personificirte Justizverwaltung bezeichnet werden; er ist gleichzeitig Richter, Polizist und Henker zusammen, legt alle Streitigkeiten bei und bestraft alle Uebelthäter.
Diese geheimnißvolle Macht ist in Wirklichkeit ein einziger vom Häuptling dazu bestimmter Mann. Sein Körper ist bis über die Lenden herunter in Blätter gehüllt; Kopf und Gesicht bedeckt ganz und gar ein auf den Schultern aufsitzender großer Helm, in seiner Form einem Lichtauslöscher ähnlich. Der Helm besteht aus Flechtwerk, so daß sein Träger athmen und sehen kann, ohne selbst gesehen zu werden, und ist mit einem scheußlichen Gesichte bemalt. Diese sonderbare Gestalt wandert durch den Busch, jedes Dorf besuchend; und wenn jemand von seinem Nachbar beleidigt oder geschädigt worden ist, so zahlt er dem Duck-Duck so und so viel Diwarra (Muschelgeld) behufs Beilegung der Sache. Der Beamte geht fort zum Hause des Angeklagten und verlangt Rückgabe der gestohlenen Habseligkeiten oder Schadenersatz. Gehorcht der Angeklagte nicht sofort, so zündet der Duck-Duck dessen Haus an oder durchbohrt ihn im äußersten Falle mit dem Speere.
Wenn die jungen Männer alt genug sind, so werden sie gegen Zahlung von etwa 100 Faden Diwarra in das Geheimniß eingeweiht; können sie diese Faden nicht ermöglichen, so müssen sie dem Duck-Duck stets aus dem Wege gehen.
Derselbe Reisende giebt uns auch eine Erzählung über die Entstehung des Duck-Duck-Systems wieder, wie sie im Munde der Eingeborenen fortlebt und die folgendermaßen lautet:
„Viele Monsune ist’s her, da zankte sich ein junger Mann mit seinem Vater und seiner ganzen Familie und ging eigenmächtig in den Busch. Da er nichts zu essen hatte, wurde er sehr hungrig und verfiel zuletzt auf ein Mittel, sich Eßfleisch zu verschaffen.
Er machte sich einen großen Kopfputz aus Rohr, malte ihn mit Betelnußsaft und brachte Augen auf ihm an wie die des Kasuars. Er bekleidete sich dann mit Blättern, sodaß seine Hände vollkommen frei und doch nicht sichtbar waren, nahm eine Keule und wanderte fort durch den Busch, wobei er, um die Leute zu erschrecken, Lärm machte. So überraschte er viele Knaben und Mädchen, welche er tödtete und aß. Schließlich wurde das so arg und Jedermann war so entsetzt, daß des jungen Mannes Vater, ein großer Krieger und Häuptling, das Ungeheuer zu besiegen beschloß. Er überwältigte den Duck-Duck im Kampfe und warf ihn zu Boden; da rief der Besiegte aus, er sei des Häuptlings Sohn, und wenn der Vater ihn leben lassen werde, so wolle er ihm zeigen, wie er mächtig werden und viel Diwarra bekommen könne.
Da schenkte ihm der Häuptling das Leben, und das Ungeheuer, welches so viele erschreckt und getödtet hatte, wurde seinem Besieger unterthan. Hinfort lebte der Duck-Duck allein in einem Tabuhause, und Jeder fürchtete sich, dem Platze nahe zu kommen.
Wenn irgend jemand so kühn war, dem Häuptlinge nicht zu gehorchen oder ihn zu beleidigen, so nahm der Duck-Duck Rache und ließ ihn seine Unbesonnenheit bitter bereuen.
Das wirkliche Geheimniß der Furcht der Leute beruhte darauf, daß sie nicht wußten, was jener Duck-Duck war; sie schrieben ihm übermenschliche Kräfte zu, und dies gab ihm natürlich großen Vortheil, namentlich im Falle eines Kampfes. Weiber und Kinder erhielten den Befehl, ihm aus dem Wege zu gehen, da er sie sonst gewiß tödten würde, wenn er sie im Busche träfe. Das ließen sie sich nicht zweimal sagen.
Im Verlaufe der Zeit stellte sich die Nothwendigkeit heraus, andere in das Geheimniß einzuweihen. Dies geschah stets unter dem Eid der Verschwiegenheit, und so verbreitete sich die Sache von einem Platze zum andern.“
Diese Erzählung erinnert uns daran, daß die Südsee-Insulaner ihren eigenen Sagen- und Märchenschatz besitzen und auch für die Erzeugnisse fremder Litteraturen nicht unempfänglich sind. So lebte einst ein Europäer recht flott mit Kind und Kegel auf einer der Inseln und seine Hauptbeschäftigung bestand in dem Recitiren der Märchen von „Tausend und einer Nacht“, für das ihn die Eingeborenen reichlich belohnten.
Der Duck-Duck führt uns außerdem in eine andere Eigenthümlichkeit der Oceanier ein: er zeigt uns ihre Vorliebe für Masken, welche den meisten Naturvölkern eigen ist. Diese Masken finden namentlich bei Aufführung von Tänzen, die oft dramatischer Natur sind, Verwendung. Der Tanz ist überhaupt das eigentliche Theater des Südsee-Insulaners. Er ist wohl hier und dort zu einem elenden Cancan herabgesunken, oder widert uns bei Menschenschlächtereien an; oft aber ist er harmloser Natur und manchmal sogar graziös und schön in der Gruppenbildung und einzelnen Bewegungen. Wer hätte z. B. nicht von jenen Tanzmaskeraden gehört, bei denen die Eingeborenen das Leben einzelner Thiere und Vögel, wie z. B. die Lebensgeschichte des Känguru oder des Pelikan darstellen? Das sind urwüchsige Ballete, bei welchen die Masken gut verwendet werden können.
Die von uns abgebildeten Masken stammen sämmtlich von Neu-Britannien her. Die erste derselben ist eine echte Schädelmaske, die aus einem wirklichen Oberschädel besteht, an den der Unterkiefer angefügt ist. Durch Auftragung von Kittmasse wird ihr eine Aehnlichkeit mit den Zügen des Verstorbenen, die sie wiedergeben soll, verliehen. Daß diese Masken mit dem Todtenkultus zusammenhängen, ist nicht unwahrscheinlich. Jedenfalls sind sie wirklich getragen worden, denn man findet an der Hinterseite des Unterkiefers ein Querholz für die Zähne des Tragenden. Als in Pompeji im vorigen Jahre bei den großen Festen das Bild eines altrömischen Begräbnisses wieder aufgeführt wurde, da sah man auch den Mimen im Zuge, der eine Maske des Verstorbenen trug. [86] Ein sonderbarer Anklang in den Sitten der weltbeherrschenden Römer und der wilden Neu-Britannier!
Die Maskensammlung des Godeffroy-Museums ist eine sehr lehrreiche, denn die verschiedenen Masken, die im Laufe vieler Jahre gesammelt sind, beweisen, daß die Kunst der Schnitzerei bei den Eingeborenen abnimmt, bis zuletzt offenbar zum Verkauf gearbeitete Nachahmungen erscheinen, denen man es schon deutlich ansieht, daß sie mit den neu erworbenen eisernen Werkzeugen und nicht wie früher in jahrelanger geduldiger Arbeit mit Muschelmessern und Obsidiansplittern verfertigt sind.
Dasselbe gilt auch von den Waffen, namentlich von den hübschen Keulen von Viti (vergl. Kopfvignette); die älteren Stücke sind sorgfältiger gearbeitet und oft höchst geschmackvoll geschnitzt mit allerhand zierlichen Zeichnungen; man kann sich denken, welche Zeit oft gebraucht worden sein mag zur Herstellung solcher Waffen, die zumeist aus recht hartem Holz bestehen. Die Formen sind sehr verschieden; man hat sie stab- und ruderförmig etc., neuere Fabrikate erinnern an die Form der Muskete, indeß ist es nicht durchaus nothwendig, daß diese Form aus der neuesten Zeit sein müsse, man findet auch ältere Stücke mit dieser Form. Die in der Gruppe vorhandenen Lanzen kommen von den Neuhebriden; die zahlreichen Spitzen am Oberende von einigen derselben sind aus geschliffenen Arm und Beinknochen des Menschen hergestellt.
Ja, die Oceanier waren überhaupt Meister in allerlei Handarbeiten. Sie sind zwar in ihrem Schiffsbau auf jener primitiven Stufe der Kunstfertigkeit geblieben, die Noah bei der Sintfluth angewendet hatte, nur daß sie statt des Erdpechs Nußkerne als Kittmasse brauchen; aber sie können doch Kriegskanoes bauen, welche zwei- bis dreihundert Mann bequem fassen. Ein solches Kanoe stellt den Mittelpunkt der Kopfvignette dieses Artikels dar, auf welcher auch ein einfaches[WS 1] neu-britannisches Boot mit einem seltenen Anker sich befindet. Dieser Anker veranlaßt uns zu interessanten geschichtlichen Erinnerungen, denn einen ganz ähnlichen können wir im Museum zu Kalmar in Schweden sehen. Nur ist der letzte nicht unter den Palmen gefunden worden, sondern er ist ein Produkt nerviger nordischer Fäuste und mußte in grauen Vorzeiten ein Vikingerboot gegen die Fluthen der See festhalten.
Die kurzen Rückblicke auf römische Begräbnisse, Noah und die Vikinger mögen dem Leser beweisen, daß in der That die in der Südsee vorgenommenen Sammlungen für die Wissenschaft von hoher Bedeutung sind, und in ihm die Lust erwecken, später einmal Einiges über die naturwissenschaftliche Abtheilung des genannten Museums zu erfahren.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: einaches