Besuch im Felde
[608] Besuch im Felde. (Mit Illustration S. 597.) In neuerer Zeit entnimmt E. Henseler mit Vorliebe die Stoffe zu seinen Bildern dem Landleben, und er thut recht daran. Seine Begabung, die sich zuerst in jenen prächtigen Jägertypen dem größeren Publikum bemerkbar machte, weist sein künstlerisches Schaffen hauptsächlich auf dasselbe hin. Dazu kommt die, wenn auch realistische, so doch poesievolle Wiedergabe der Natur des platten Landes. In seinen sommerlichen Landschaften glauben wir jenen warmen, fruchtbringenden Hauch zu fühlen, wie er bei beginnender Ernte über die wogenden Aehrenfelder zieht; wir sehen das Zittern, das Flimmern der von den Sonnenstrahlen durchglühten Luft und freuen uns des lichtblauen Himmels, wie er auf unsere fruchtbaren, norddeutschen Ebenen niederlacht.
Im Vordergrunde steht, die Sense an die Schulter gelehnt, ein kräftiger, schlanker Bauersmann. Er trägt keine originelle Nationaltracht, durch die etwa seine Gestalt malerisch gehoben werden könnte; nüchtern und prosaisch ist auf den ersten Blick die ganze Erscheinung. Wir werden, wenn wir ihn oberflächlich betrachten, an seine scheinbar so unpoetische Heimat erinnert; aber wie dieselbe dem ihr ganzes warmes Herz entgegenbringt, der sich die Mühe nimmt, sie kennen lernen zu wollen, so gewinnt uns auch der einfache Landmann Interesse ab, wenn wir aufmerksamer sein offenes, ehrliches Gesicht betrachten, über welches ein frohes, zufriedenes Lächeln zieht, indem das Auge auf dem bausbäckigen Buben ruht, dessen Händchen ihm einen Strauß bunter Feldblumen entgegenstreckt.
Und wie der Vater den Kleinen mit väterlichem Stolze betrachtet, so blickt auch die Mutter, die ihn hinausgetragen ins Feld, mit demselben Ausdruck auf den Buben. Sie ist ein kräftiges, gesundes Bauernweib, in keiner Weise idealisirt, sondern dargestellt, wie der Himmel dem norddeutschen Landmann sein Weib beschert. Eugen Friese.