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Berliner Bilder/Der Friseur

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Textdaten
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Autor: Ernst Kossak
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Titel: Der Friseur
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 80–82
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Berliner Bilder.
Von E. Kossak.
1. Der Friseur.

Die Natur pflegt in allen nordischen Gegenden hinsichtlich der Garderobe der daselbst ortsangehörigen Vierfüßler eine sehr verständige Einrichtung zu treffen, welche vielleicht im Menschen den ersten Gedanken der Mode angeregt hat. Sobald die wenigen Pflanzen ihre kurze Blüthe beendet, ihre kargen Früchte getragen haben und nun die eisige Jahreszeit heranrückt, beginnen die Haare aller Thiere länger und dichter zu werden, um sie gegen die Einwirkungen der furchtbaren Kälte zu schützen. Tritt dann aber nach vielen traurigen Monaten der spärliche Sommer wieder ein, so lichten sich alle Vließe, die überflüssigen Haare fallen wieder aus und der pelzhändlerische Tourist gibt sich weiter keine Mühe um diese wertlosere Sommertracht. Die Wissenschaft hat mit gewohntem Scharfsinn diesen Wechsel in der Garderobe mit den Ausdrücken „Sommer- und Winterhaare“ bezeichnet.

Wie dieser oder jener wohl schon bemerkt haben wird, ist die Natur aber weit entfernt, eine ähnliche Fürsorge für den Menschen zu treffen. Unbekümmert, ob er im Winter friert oder im Sommer vor Hitze verschmachtet, hat sie ihm nur auf dem Kopfe einen Rest dichter thierischer Bedeckung gelassen, – weniger, wie anzunehmen ist, um seine Gedanken warm zu halten, als um ihm für die Momente, welche in jedem Leben häufiger oder seltener vorzukommen pflegen, wo er sich veranlaßt sieht, vor Kummer oder Verzweiflung seine Haare auszuraufen, ein anständiges und seinen Bemühungen entsprechendes Material zu bieten.

Will man aber auf die Anwendung der Theorie von Winter- und Sommerhaaren auf den Menschen durchaus nicht verzichten, so bleibt nichts Anderes übrig, als den Satz, zumal in großen Städten, vollständig umzukehren. Denn die Haare des Menschen pflegen gerade in der schönen Jahreszeit seines Lebens dichter und länger zu sein, mit dem Eintritte der kälteren Tage aber dünn zu werden oder ganz auszufallen, wenn gleich sie mit den Pelzen der Polarzone das gemein haben, im Winter des frühen oder späteren Alters grau oder weiß zu werden.

Schon frühzeitig hat sich deshalb das menschliche Geschlecht genöthigt gesehen, auch über seine Haare nachzudenken und geeignete Maßregeln hinsichtlich derselben zu treffen. Bei der mit der Civilisation zunehmenden Theilung der Arbeit bildete sich sogar bald ein eigener Stand, welcher sich ausschließlich der Wissenschaft des Haares widmete und nach der Sprache jenes Volkes, das ihm die höchste Ausbildung durch die lebhafteste Beschäftigung mit dem Haarwuchse verlieh, „Friseur“ genannt wurde.

Nur sehr einfache Nationen haben unter sich diesen Stand noch nicht entwickelt, weil sie als thatkräftige und kriegerische Individuen das Haupt des Menschen als ein Jagdgebiet auffassen, an das man so selten als möglich die Hand legen müsse, um das sich darin aufhaltende Wildpret nicht unzeitig einzuschüchtern und so den Ertrag der bisweilen anzustellenden Treibjagden zu schmälern. Trägere Völker gehen von der entgegengesetzten Ansicht aus und lassen lieber, wie die Orientalen, den ganzen Wuchs von der Hand kundiger Männer fällen, ehe sie die bei Ihrem Klima höchst wahrscheinliche Zucht einer starken niederen Jagd unbedachtsam begünstigen.

Erst der ganz civilisirte Mensch hält die richtige Mitte ein. Er pflegt sein Haar von früher Jugend an sorgsam, und wenn widrige Schicksale oder allzuhäufige Annehmlichkeiten des Lebens ihn desselben berauben, sucht er einen Künstler auf, dessen Geschicklichkeit in Anfertigung künstlicher Kopfbedeckungen er unbedingt vertrauen darf.

Eine Menge Redensarten unserer Muttersprache zeigen an, daß die gebildete Menschheit einen starken Nachdruck auf den Werth der Haare legt. Nicht ohne Grund nennt man die Absicht, einen ungewöhnlich hohen Grad von Wohlwollen gegen Jemand an den Tag zu legen: „ihn bei den Haaren nehmen“, die Fähigkeit, ein uneigennütziges Opfer zu bringen: „Haare lassen“, ja, mit wahrem Tiefsinn redet der Jüngling, der am Abend vorher durch Rebensaft oder Hopfengebräu die höchste Begeisterung der Poesie in sich angeregt hat, von dem elegischen Leiden des anderen Morgens, als von einem „Wehethun der Haare“. Deshalb dürfen wir uns auch nicht wundern, wenn der Stand der Haarkünstler sich vor sämmtlichen Handwerksgenossen auszuzeichnen trachtet und einen gewissen höheren Aufschwung nimmt.

Die Seele des Friseurs vertieft sich durch die fortwährende Behandlung menschlicher Köpfe. Seine Hand berührt den Schädel des Staatsmannes und Feldherrn, des Philosophen und frommen Geistlichen; er fühlt sich zum Nachdenken angeregt, wenn er jetzt den Haarputz einer leichtsinnigen Schönen mit Geschmeiden durchflicht und bald darauf die Perrücke eines tugendhaften Greises zurechtstutzt. Wenn er nicht vermöge der Abstammung seines Gewerbes aus Paris zu einiger Leichtfertigkeit Hinneigung zeigte, würden sich unter dem Gewerbe der Haarkräusler ebenso gut große Philosophen entwickeln, wie unter den Gelehrten, die sich mit dem Südpol des Menschen, seinen Füßen, beschäftigen und über der Anfertigung der Stiefeln brüten. Fühlte sich der große Jakob Böhme zu Görlitz durch den Anblick eines blankgescheuerten zinnernen Gefäßes zu wunderbaren theosophischen Träumen angeregt, warum sollte nicht einen hochbegabten Friseur die spiegelblanke Glatze irgend eines alten Herrn zu den wichtigsten Philosophemen veranlassen?

Aber die Friseure pflegen nur Männer von Welt und Ton zu sein; trotz der zahlreichen Aufforderungen zum Nachdenken bringen sie es nie weiter, als bis zu einer gewissen Lebensweisheit; sie entwickeln meistens eine Richtung in sich, die an den großen und doch so kleinen Voltaire erinnert. Wir sprechen freilich zunächst von den Friseuren Berlins, wo Voltaire ihnen in das Handwerk pfuschte und den großen König Haare zu lassen verstand, allein jener besondere Charakter erhält sich an vielen andern Orten. Selbst auf dem classischen Boden Italiens trafen wir einen dieser glücklichen Weisen. Zwar bestand sein Atelier schlechtweg in einem Keller, der Luft und Licht nur durch eine Thür empfing, welche, um beide edlen Elemente niemals fehlen zu lassen, selber fehlte; zwar beschränkte sich sein Frisirmantel auf eine winzige schmutzige Serviette und sein Apparat auf ein ausgebrochenes Kämmchen, wie es zärtliche Mütter zu ihren sicherheitspolizeilichen Maßregeln auf den Köpfen der lieben Kleinen anzuwenden pflegen, nebst einer winzigen stumpfen Scheere; allein er dachte gleich anmuthig von Dingen und Menschen, wie der große Geschäftsmann der Residenz, bei dem der Hof seine Pomade von Dupuytren kauft.

Jeder elegante Friseur nennt seinen Laden und das Handwerkslocal „Maison“, oft sogar „Maison de Paris.“ Zuweilen [81] nimmt er sich den römischen Kaiser Titus, den man die Freude des Menschengeschlechtes nannte, zum Vorbilde und betitelt sich „ami de la tête“. Die glänzenden Schaufenster sind mit tausenderlei zierlichen Geräthen, Oelen, Salben, Toilettegegenständen und Schmucksachen verziert, die sich auf die Pflege des Haares beziehen; selbst der Schutz desselben gegen atmosphärische Einflüsse, der modernste Hut von der Seine, darf daneben nicht fehlen. Und da viele Menschen sogar Haare auf den Zähnen haben, hält er sich für verpflichtet, auch die besten Zahnbürsten feilzubieten.

Treten mir ein, so empfängt uns der Chef des Hauses, redet uns mit „Monsieur“ oder doch mit „Mein Hörr“ an, und nöthigt uns in ein zierlich decorirtes, nach einem freundlichen Garten hinausgelegenes Gemach. Entzückte in der Verkaufshalle ein köstlicher Geruch aller Specereien Arabiens und Indiens unsere Geruchswerkzeuge, wie die französischen Novellisten zu sagen pflegen, obgleich auch in jenen Ländern nicht Alles eitel Wohlgeruch ist: so befremdet uns in diesem Atelier ein etwas unheimlicher Duft. Es riecht wie in der Folterkammer eines Inquisitionsgebäudes, und als ob ein arger Ketzer zur Vermehrung seiner Geständnisse etwas angesengt worden wäre. Ein mit Cokes geheizter großer Kamin ist wirklich vorhanden und mehrere kleine eiserne Instrumente lassen das Schlimmste fürchten. Da mehrere vor uns eingetroffene Herren bereits von den Attachés des Locales bedient werden, und wir reichlich eine Viertelstunde zur Beobachtung Zeit haben, nehmen wir neben einem marmornen Tischchen Platz, und prägen uns das Bild der Scene ein. Wir lassen deshalb einen Stoß Zeitungen, deren altes Datum und angeölte Physiognomien Zweifel erregen, ob sie zur Lectüre der Besucher, oder nur zum Abwischen der fettigen Gehülfenfinger bestimmt sind, unberührt liegen und sehen uns sorgfältig um. An allen Wänden prunken hohe Spiegel und auf den breiten Fensterbretern runde Toilettenspiegel; die Zwischenräume sind mit Kupferstichen französischer Schule und kriegerischen Inhaltes bedeckt. Wo sonst noch Platz vorhanden ist, hängen blendend weiße Frisirmäntel, liegen blinkende Scheeren, riesige Bürsten von fremdartiger Gestalt, curiose Pinsel zum Pomadiren der Haare, stehen Büchsen und gläserne Vasen mit farbigen Haarölen und conservativem wohlriechendem Essig; die vorhandene Gesellschaft ist ziemlich schweigsam.

Auf drei Drehstühlen, welche den Scheiben gleichen, auf welchen lebende Bilder ausgestellt, aber fast immer in Preußen von der Polizei verboten werden, sitzen ebenso viele Herren von ungleichem Lebensalter. Der nächste vor uns wird Herr Graf genannt und raucht eine Cigarre, deren Geruch den Herrn der Anmaßung des Adels verdächtig machen würde, wenn nicht die Umständlichkeit seiner Wünsche in Betreff der Haartracht für die Zahl seiner Ahnen spräche. Seine braunen dichten Locken sind bereits mit makelloser Genauigkeit geordnet und glänzend polirt, sein Gesicht ist mit einer weichen Bürste von allen Abschnitzeln gereinigt, aber noch immer äußert er seine Unzufriedenheit, und der Gehülfe beeilt sich, nicht entrüstet, sondern auf das Aeußerste entzückt über solchen künstlerischen Sinn, seinen Wünschen zu willfahren. Hier wird noch ein Härchen abgeschnitten, hier eines mit Oel angedunkelt, dort mit heißem Eisen gekräuselt und schließlich dem imposant nach Osten und Westen starrenden Schnauzbarte eine letzte Stärkung mit ungarischer Bartwichse gegeben. Endlich erhebt der Graf sich von dem Sessel, wirft den Frisirmantel ab, zieht den Oberrock an, legt ein Fünfsilbergrosckenstück auf den Tisch und entfernt sich mit edlem Anstande, von dem Chef bis an die Thür begleitet.

Der zweite Herr ist offenbar sein Gegentheil. Im höchsten Grade bescheiden und anspruchlos, hat er seinen Rock gleichfalls ausgezogen und sich mit der stillen Duldung eines armen Sünders, dem man das Sterbegewand anzieht, den Frisirmantel anlegen lassen. Der Hauptausdruck seiner Züge ist eine ursprünglich traurige Abgedroschenheit, die mit einer ganz und gar niederträchtig gemachten und behandelten Perrücke vollständig harmonirt. Hören wir aber lieber seine charakteristische Unterhaltung mir dem Gehülfen an.

„Sie wünschen? mein Hörr!“ sagt Letzterer, indem er nicht ohne einigen Abscheu das Mißgebilde von dem alten Schädel zieht.

„Ja, ich – ich – ich möchte – ich wünschte wohl, daß Sie mir die Perrücke aufarbeiten möchten,“ seufzt der Herr, aus dessen Kopf auch nicht mehr ein zartes Härchen keimt.

Der Gehülfe gibt dem Chef einen vertraulichen Wink, dieser nähert sich, und indem Beide die heruntergenommene Perrücke mit den Fingern verächtlich hin und her drehen und stoßen, fragt der Chef: „Mein Hörr! wie konnten Sie nur dieses Machwerk so lange tragen?“

„Ja, ich – ich bin – ich wohne in einer ke – ke – kleinen Stadt und komme nur – nur alle dr – drei Jahre nach Berlin, wenn ich in die Ka – Ka – Kammer gewählt werde!“ antwortet der gute alte Parlamentsredner.

„Diese Perrücke, mein Hörr!“ spricht nun mit hohem Fachstolze der Chef des Hauses, „können wir nicht mehr in Ordnung bringen, sie ist vollständig decomponirt, wenn ich so sagen darf. Eine künstlerische Idee war nie darin, aber sie gewährte einigermaßen leiblichen Schutz, doch geht – da –“ Zum Entsetzen des Abgeordneten fährt der Chef bei diesen Worten mit dem Zeigefinger an verschiedenen Stellen durch die Perrücke, fügt aber tröstlich hinzu: „Wir werden Ihnen noch in dieser Minute eine neue, für Sie passende aufsetzen. Haben Sie nur die Güte, mein Hörr, uns in das obere Stockwerk zu begleiten.“

Was soll der Beklagenswerthe machen? Einen schwermüthigen Blick wirft er noch auf seine durchlöcherte Verstandeshülle und folgt dann den beiden Künstlern in das obere Stockwerk, wo immer dergleichen geheimnißvolle Proceduren vor sich gehen. Die ganze Scene macht den schauerlichen Eindruck des Vorspieles einer Hinrichtung im geschlossenen Raume.

Eigentlich schon an der Reihe selbst frisirt zu werden, zaudern wir noch ein wenig, um den letzten Herrn zu beobachten. Er sitzt breit und gemächlich auf dem Drehsessel, lächelt in den Spiegel und zeigt die wenigen Zähne, welche der Umschwung aller Dinge ihm noch gelassen hat. Sein runder, wohlgestalteter Kopf ist so spärlich bewachsen, daß nur einige Härchen über den Ohren, ein kleines Büschelchen über der hohen Stirn und ein Löckchen im Nacken bemerkbar sind. Nichts destoweniger ruft der lebenslustige Greis mit einem frohen kraftvollen Basse auf die Frage, welchen Haarschnitt er beliebe: „Vorn die Haare alle frei aus dem Gesichte, seitwärts glatt hinter die Ohren gestrichen; hinten unbedingt streng militärisch!“

Was sich der Gehülfe dabei gedacht und wie er dieses Problem gelöst hat, vermögen wir nicht anzugeben, da wir in demselben Augenblicke in die Mache genommen wurden. Nur so viel vernahmen wir, als der glückliche Lockenkopf frisirt worden war, daß der Chef herbeieilte und ihm nicht allein Bärenfettpomade zur Stärkung des Haarwuchses, sondern auch Bandeauline, eine Composition zum Festhalten der geordneten Haare, mit vielem falschen Pathos anpries, auch von beiden Waaren für nicht weniger als zwei Thaler an den Herrn absetzte.

Nicht bei allen Friseuren behandelt man jedoch das Publicum mit solcher weltmännischen Sicherheit, nicht überall fragt man Jeden, ob er in Paris gewesen sei und nicht Nußöl oder einen neuen Hut, wenn nicht gar „préservatifs de Paris“ brauche; es gibt auch viele kleinere Haarkünstler, die sich erst zu dieser Höhe der sittlichen Weltanschauung hinauf arbeiten wollen. Ehe die meisten Haarkünstler für den Haarschnitt fünf oder mehr Silbergroschen beanspruchen, ehe sie in ihrem Geschäfte französische und englische Kosmetika verkaufen können, sehen sie sich genöthigt, vorbereitende Studien in kleineren Geschäften zu machen.

In einer Nebenstraße treffen wir ein solches an und wir entblöden uns nicht, unter dem Anschein, die im Schaufenster ausgestellten Gegenstände zu betrachten, in die Officin zu blicken.

Kein Graf, kein Abgeordneter, kein heitrer Lebemann ist hier zu sehen, nur ein Bruder Studio sitzt auf einem schlichten Strohstuhle und läßt seinen urwüchsigen Haarbusch von einem noch nicht ausgewachsenen Knaben lichten, der darin wie ein ungeübter amerikanischer Ansiedler in einem dichten Eichenwalde arbeitet und wüthet. Um das Passende dieses Gleichnisses zu erhöhen, stöhnt der Bruder Studio auch bange, gleich einem alten, von der Art zersplitterten Baume. Der kleine Knabe geht mit ihm gar zu unglimpflich um; es scheint ihm nur um den Gewinn möglichst vieler und langer Haare zu thun zu sein, das Gesetz der männlichen Schönheit läßt er gänzlich unbeachtet. Er scheert den künftigen Gelehrten so kahl, wie einen den Hundstagen entgegengehenden Pudel, steckt ohne Dank das Honorar von zwei und einem halben Sgr. ein, und ruft dann seinen Herrn, sobald der Studiosus das Local verlassen hat. Der Herr kommt aus der Hinterstube mit einem sauberen kleinen Besen, fegt die Hinterlassenschaft seines jungen Kunden sorglich zusammen und geht schweigend zurück, anscheinend [82] berechnend, ob das Material zu einer stattlichen Perrücke reiche. Die im Laden aufgestellten Parfumerieen stammen sämmtlich aus seiner Vaterstadt Berlin, die zahlreichen Flaschen Eau de Cologne mit eingeschlossen. Altes Baumöl, versetzt mit irgend einem nicht genauer zu bestimmenden Wohlgeruch, wird als haarstärkendes Blüthenöl verkauft, gefärbtes Schweineschmalz stellt irgend ein fabelhaftes Thierfett vor, und parfümirter Essig muß sich zu allen möglichen Dingen hergeben. Der Handel mit Seife geht aber am stärksten, da in dieser Stadtgegend am Sonntage wirklich ein lebhaftes Bedürfniß vorhanden ist.

Diese Herren Friseure beschäftigen sich überwiegend mit der Praxis außer dem Hause. Sie setzen Vormittags alte eitle Mamsellen in Stand, befestigen täglich die Haartouren reicher Kahlköpfe, und brennen jungen Schauspielern und ähnlichen müßigen Garçons die Locken zur Mittagspromenade, während ihre Gehülfen und Lehrlinge den mitunter nicht unblutigen häuslichen Dienst versehen.

Zum Amt des Friseurs gehört einige Kenntniß der französischen Sprache, weshalb ihre Gehülfen auch auf der oberen Gallerie gefunden werden, wenn französische Schauspieler in Berlin anwesend sind. Das Aeußere dieser Herren zeichnet sich nicht durch eine kühne Zusammenstellung bunter Farben aus, die bei Barbiergehülfen Sonntags sehr beliebt ist, sondern nur durch die schwungvolle und zierliche Anordnung ihrer eigenen Haare. Auch erkennt man sie an den streng kritischen Blicken, mit welchen sie die Frisuren anderer Christenmenschen beobachten. Sie stehen darin ganz mit den Schneidern auf einer Stufe. Von allem Charakteristischen an einem Menschen sehen Beide nur, was in ihr Fach fällt. Als während der Pariser Industrieausstellung der Kaiser Napoleon von einer Parade nach den Tuilerien ritt, standen vor uns ein Friseur und ein deutscher Schneidermeister. Jener machte unseren Landsmann auf den wohlgepflegten Schnurrbart des Kaisers aufmerksam. Dieser aber rief, ohne den oberflächlichen Friseur zu beachten: „Sehen Sie lieber, wie gut ihm die Hosen sitzen!“ – So sprechen nur die Genies der Toilettenkunst. –