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Benutzer:Mhandschug/Vogelwelt

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Adolf und Karl Müller
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Titel: Originalgestalten der heimischen Vogelwelt
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[817]

Originalgestalten in der heimischen Vogelwelt.
Thiercharakterzeichnungen von Adolf und Karl Müller.
1. Herrscher: Stein- und Goldadler.

Wohl ebenso gut hätten wir überschriftlich sagen können: Stein- oder Goldadler, denn es sind trotz langem Hin- und Herstreiten, peinlichem Aufsuchen und Beschreiben von Abänderungen im Kleinen und Unbedeutenden bis jetzt mit schlagendem, überzeugendem Erfolge noch keine durchgreifenden, endgültigen Merkmale der Unterscheidung dieser Adler in zwei Arten aufgefunden worden.

Die Gesammtlänge des Adlers geht bis zu 90 cm, und die Flugspannung umfaßt beinahe das Zweieinhalbfache dieser Länge. Diese Maße zeigen schon, daß wir es mit einem Riesen der Vogelwelt zu thun haben, der mit seiner außerordentlich ausgestatteten Wehrhaftigkeit, seiner Kühnheit in Raub- und Mordsinn die Kolosse der Vogelwelt an Kraft und Bedeutung weit überragt. Wie der Löwe der König der Thiere überhaupt genannt wird, so ist der Adler der König der Vögel, ein Herrscher der Lüfte.

Wir wollen hier in allgemeinen Umrissen seine Charakterisirung nach unseren früheren Werken geben: „Schon in der Ruhe bekundet die aufrechte Haltung und vor allem sein großes, prächtiges Auge, der wahre Spiegel der Seele, das ungewöhnliche Thier. Das hellleuchtende Feuer in des Adlers Blick kündet Kühnheit und Majestät, während die Federn, die sich über den obere vorragenden Augenbeinrand die glänzende hochrothe Iris hold bedeckend, in wagerechter Linie ziehen, dem Auge den Ausdruck der Verschlagenheit, Wildheit und Raublust verleihen. Dieses große Auge voll herrlichen Glanzes ist der edelste Sinn dieser Könige der gefiederten Welt. Auf diesen Sinn sind sie, wie alle Raubvögel, wesentlich beim Auffinden ihrer Nahrung hingewiesen, weshalb er auch bedeutend entwickelt ist.“

Es interessirt gewiß höchlich, dies ausgezeichnete Gebilde hier in den Grundzügen seiner Einrichtung zur allgemeinen Verständnis gebracht zu sehen, weshalb es gestattet sei, jene in kurzen Umrissen zu zeigen, um so mehr, als in den meisten Werken davon ganz allgemein die Rede zu sein pflegt. – Obgleich der Augapfel selbst wenig oder gar nicht bewegungsfähig ist, so hebt diesen Mißstand die große Wendbarkeit des Halses auf. Die Form des Augapfels ist eine kegel- oder birnförmige, [818] nach hinten sich bedeutend verbreiternde, ein Vortheil, welcher Raum- und Gewichtsersparniß zur Folge hat. Der Kopf des Steinadlers ist ja verhältnißmäßig klein, und in ihm gestaltet sich dennoch ein wahres Master optischer Fähigkeit. Durch die plötzliche Erweiterung des Augenraumes nach hinten wird die Sehachse, das ist die Linie von der Mitte der äußeren Haut des Augapfels, der „Hornhaut“ (cornea), bis auf den Grund des Auges gedacht, möglichst lang und die bildempfangende Fläche im Augengrunde eine bedeutend breite. In der unter der Hornhaut befindlichen „weißen“ oder „Lederhaut“ (sclerotica) theilen sich zwei platte Aeste, die knochige, ziegelförmig in einander geschobene Ablagerungen aufnehmen in Gestalt eines Ringes, so daß hierin der Augapfel wie von einer oben und unten offenen Kapsel eingefaßt ist, die dem Auge Halt und Stütze verleiht. Eine flache Wölbung zeigt die Hornhaut. An ihrer inneren Fläche sitzen feine Muskelfasern, die durch ihr Anziehen die äußere Wölbung der Hornhaut noch mehr abflachen können, wodurch eine Kürzung der Sehachse entsteht. Ebenso erhält die Regenbogenhaut (Iris) durch ausgebildete Muskeleinrichtungen das Vermögen, sich zusammenzuziehen und auszudehnen. Hierdurch kann der von ihr eingeschlossene Sehraum der Pupille (des „Fensters“) – wie manche Forscher behaupten – jeden Augenblick nach Bedürfniß des Fern- oder Nahesehens erweitert oder verengert werden. Hinter der Hornhaut entwickelt sich noch ein anderes Hautsystem, die „Traubenhaut“, in welcher sich die „Aderhaut“ (chorioidea), nach innen mit einem dunklen Farbstoffe angefüllt, eine natürliche camera obscura) bildend, und der mit der Aderhaut verbundene Strahlenkörper (corpus ciliare), sowie endlich die schon erwähnte Iris absondert. Der Strahlenkörper umfaßt die Kapsel oder Hülle der Linie mit einem Kranze strahliger Muskelfasern, der Ciliarmuskeln, die – mit Hosch zu reden – wie ein Kautschukring das ganze Auge umgeben. Diese Muskelfasern mit ihren sich verzweigenden Fortsetzungen sind sogenannte quergestreifte Muskeln, die im thierischen Organismus die Rolle der dem freien Willen unterworfenen Bewegungen der Sinneswerkzeuge übernehmen.

Aus der Naturlehre weiß man, daß in der konvex-konvex gestalteten Linse, welche im vorderen Raume des Glaskörpers vom Auge sich befindet, die durch die Pupille gehenden Strahlen eines Gegenstandes gebrochen werden und durch den mit krystallheller Flüssigkeit angefüllten Glaskörper bis auf die im Augengrunde, im Brennpunkte der Linse befindliche Membran, die „Netzhaut“, gehen. Hier empfängt das Bild der Sehnerv, der sich, die erwähnte weiße und die Hornhaut durchbrechend, rechts und links bis an den Strahlenkörper verzweigt und das Bild dem Gehirne, das ist dem Bewußtsein, mittheilt. Ueber so manche Einrichtungen des Adlerauges sind die Forscher noch theils im Unklaren, theils getheilter Meinung. Die Annahme von Helmholtz ziehen wir so mancher anderen vor. Nach ihm erschlafft das Band, worin die Augenlinse hängt, wenn sich der Strahlenkörper um die Linse zusammenzieht. Hierdurch erhält dieselbe eine konvexere Form; geht der Strahlenkörperring wieder in den gewöhnlichen Zustand über, so spannt sich das Aufhängeband der Linse und diese wird an ihren Wölbungen flacher. Diese Muskelthätigkeit verleiht dem Auge die Fähigkeit der Accommodation oder der dem deutlicheren Erkennen von näheren und entfernteren Gegenständen sich anbequemenden Stellung des Auges. Diese Hauptvorrichtung hat noch eine zweite im Gefolge. Sobald sich die Muskelfasern des Strahlenkörpers zusammenziehen, schieben sie mit ihren Verzweigungen die Aderhaut und mit ihr die Netzhaut nach vorn, wodurch ein Druck auf die Flüssigkeit im Glaskörper nach vorn entsteht, dem auch die Linse folgt. Hierdurch flacht sich die letztere ab, eine Form, welcher sie oft in der großen Flughöhe des Adlers zum Fernsehen bedarf.

Ja, dieses optische Spiel ist die Folge der sich so schnell und vielfach verändernden Verhältnisse des Auges zu den Gesichtsobjekten im Fluge des Vogels. Was wäre der in den höchsten Flugregionen so oft sich bewegende Adler mit all seiner Wehrhaftigkeit ohne dieses natürliche Fernglas? Erst dies macht ihn zum Beherrscher der Lüfte, verleiht seinem Raubwesen den großartigen Stil, die ausgedehnte Gewalt, vermöge welcher er aus dem Aether und von den höchsten Bergesgipfeln die kleinste Beute bemerkt.

Das Adlerauge.
N Seite der Augenwölbung nach der Nase hin. S Seite der Augenwölbung nach den Schläfen hin. a Hornhaut. b Lederhaut. c Knochenring. f Ciliarmuskel. l Glaskörper. q Aderhaut. r Netzhaut. u Regenbogenhaut. v Linse. w Kamm oder Fächer. x Sehnerv. z Pupille („Fenster“).

Dem vorzüglichen Sehvermögen stehen zwei gleich ausgebildete Gliedmaßen zu Diensten: die mächtigen Schwingen und die großen, scharfbewehrten Füße, die „Fänge“. Mit jenen hebt er sich, seinem gewaltigen Drange zufolge, über die Sehweite des menschlichen Blickes hoch in die Lüfte, mit diesen packt er überwältigend und würgend die Beute. „Des Adlers Flug“ – sagen wir in unseren „Thieren der Heimath“ – „ist hochstrebend, majestätisch, dem ganzen Wesen des edlen Vogels angemessen; hehr und bewegungslos ist sein Schweben, rauschend und unwiderstehlich sein Herabstoßen.“

Doch beschäftigen wir uns mit seiner Lebensweise, um ein Gesammtbild von ihm zu bekommen. Der Steinadler wählt Gegenden und Orte, die ihm Sicherheit und Nahrung bieten, felsige Gebirgszüge, umfassende, große Wälder. Riesenthal giebt als ständige Brutorte die Gegenden von Breslau über Oels, Trebnitz, Ohlau nach Polen hin an, woselbst sich die reichen Jagdgebiete von Trachenberg, Polnisch-Wartenberg, Medzibor etc. öffnen, ferner die Wälder Oberschlesiens, Ost- und Westpreußens. Derselbe Kenner der einheimischen Raubvögel vergleicht drastisch unseren Vogel mit den Großen der Erde, welcher, wie diese zum befestigten Grundbesitz gehörend, seinem Standreviere und auch dem Stammschlosse, seinem Horste, treu bleibt. Während des Winters verbessert und vergrößert er ihn, so daß er im Frühjahr oft wohl um 20 bis 30 cm höher aufgebaut erscheint. Dies ist die auf Felseneinschnitten und Nischen erbaute mächtige, umfangreiche Brutstätte aus Holzknüppeln und Reisern, auf welcher sich nach Brehm ein Mensch bequem lagern kann.

Gewöhnlich weilt nur ein junger Adler im Horste, dem anfangs der hintere, flachmuldige Raum am Felsgestein, begrenzt nach der Tiefe von der bis 2 Meter hohen Holzschicht, angewiesen ist.

Zur Zeit der Paarung, von Mitte März bis Mitte April, fallen wüthende Kämpfe zwischen männlichen Adlern vor, denn kein Paar duldet ein anderes in seinem Brutbereiche. Die Kämpfe werden in der Luft ausgeführt und enden oft blutig, so daß die Streitenden sich ineinander verfangen und wirbelnd zur Tiefe fallen. Wir lassen Riesenthal weiter sprechen:

„Die außerordentliche Flugkraft des Adlers, seine Schnelligkeit und Gewandtheit, die furchtbare Gewalt im Stoß mit Flügeln und Krallen, kurz, die ungebändigte wilde Kraft, welche aus den blitzenden, im Zorn sich blutroth färbenden Augen sprüht, machen den Steinadler zum furchtbarsten Feinde der Thierwelt vom Reh bis zum Kaninchen und Murmelthier, vom Schwan und der Trappe [819] bis zu. Lerche hinab. Er frißt das geschlagene Thier oft schon an, ehe er sich die Mühe gegeben hat, es vollends zu tödten; wie berauscht von dem dampfenden Blut des Schlachtopfers steht er mit gesträubtem Gefieder auf ihm und kröpft sich oft so voll, daß er nur schwer auffliegen kann. Seine Stimme ist der des Bussards ähnlich, aber natürlich viel durchdringender und schärfer, und mit Entsetzen sucht das Wild schleunigst seine Schlupfwinkel auf, wenn er sie auf seinen Streifzügen ertönen läßt. Aengstlich schüchtern rennt das Rudel durcheinander, da! noch ein gellender Pfiff, und mit angelegten Flügeln herabbrausend, stößt er unter die verwirrte Schar und schleppt das Opfer in den Klauen mit Gedankenschnelle fort. Wenngleich der Steinadler nicht vermag, einen schnell fliegenden Vogel zu schlagen, so versucht er doch häufig mit Glück, ihn zu ermüden, bis er sich drückt und ihm verfällt. Dagegen entgeht ihm kein noch so schnell laufendes Thier. – Enten stößt er mit großer Vorliebe, indem er sie von der Wasserfläche aufhebt, wenn sie nicht schnell genug untertauchen. Vögeln rupft er vor dem Kröpfen die Federn aus. Auch Füchse schlägt er. Nicht allein mit den furchtbaren Krallen würgt er seine Opfer ab, sondern auch seine gewaltigen Flügelschläge betäuben und tödten dieselben.“

Der Mensch, als Beherrscher der Erde, hat schon seit langer Zeit gegen diesen Schrecken der Vögelschar und der kleinen und mittelgroßen Säugetiere den Vernichtungskrieg gerichtet, und der Herrscher der Lüfte muß allmählich in diesem Kriege erliegen.

[317]

Originalgestalten der heimischen Vogelwelt.[1]

Thiercharakterzeichnungen von Adolf und Karl Müller. Mit Abbildungen von Fr. Specht.
2. Die Gravitätischen.
a. Der weiße Storch.

Die erste Frühlingsregung zieht durch das Gemüth, wenn die Kunde durch das Dorf, durch die Stadt geht: unser Storch ist da. Aller Augen richten sich auf den Horst, das allen bekannte Storchnest, und siehe, dort steht der hochbeinige Stelzvogel auf dem Rande der Wiege seiner Jungen, die er im vorigen Jahre groß gefüttert hat; vielleicht hat auch er selbst vor Jahren in derselben Wiege das Licht der Welt erblickt. Seine Ehehälfte weilt noch zögernd unterwegs, in wirthlicherer Gegend sich aufhaltend, wo die Nahrung nicht kärglich geboten ist. Das Männchen ist vorausgezogen und prüft unverkennbar die Wohnstätte, besucht die bekannten Plätze der Umgebung in Wiese und Flur und treibt sich längere Zeit als Einsiedler im gewohnten Heim umher, bis eines Tags sein plötzliches Wiederverschwinden dem Beobachter auffällt. Doch nur wenige Tage vergehen, da kommt das Paar aus fernen Höhen in Bogenflügen immer tiefer und näher dem Wohnplatz, immer enger ziehen sich seine Kreise, bis es sich schließlich niederläßt und auf dem Reste fußt. Das Freudengeklapper verkündet die Einkehr des treuen Paares. Wenn sie so stille stehen auf dem hohen Thurm, dem Haus oder dem abgestutzten Ulmenbaum, nichts Gravitätisches, nichts Stolzes und Würdevolles zeigt da ihre Haltung; vielmehr erscheinen sie plump bei aller Hochbeinigkeit. Wie anders, wenn sie im Riede sich niedergelassen haben und da umherstolzieren gemessenen Schrittes und wachsam nach allen Richtungen hin auf Beute bedacht und doch auch ihre Sicherheit nicht außer Acht lastend trotz der Schonung, die ihnen allenthalben das Volk angedeihen läßt! Ja, dieser Gang ist wirklich gravitätisch.

Während des Auf- und Abschreitens beherrscht der Storch mit scharfblickendem Auge den Plan vor sich und zur Seite. Was an Verschlingbarem sich regt, entdeckt der geweckte Sinn, die lüsterne Aufmerksamkeit, welche stets angespornt wird durch die angeborene Gefräßigkeit. Die Waffe hält er stets zum Einhauen bereit, der lange, spitze Schnabel fährt wie ein Pfeil hernieder und trifft mit großer Sicherheit die huschende Maus, den stoßenden Maulwurf, den flüchtenden Käfer, den hüpfenden Frosch, die sich schlängelnde Eidechse. Oft faßt er mit dem Nager oder dem Maulwurf einen ganzen Bündel Moos, Gras oder Genist, und er verzehrt entweder auf der Stelle die Beute oder trägt sie dem brütenden Gefährten, den Jungen im Neste zu. Wenn er sich zum Aufflug anschickt hüpft er erst in weiten Sprüngen flügelschwingend, um dann den Boden zu verlassen und scheinbar unbehilflich der Höhe zuzustreben. Ebenso ungeschickt ist sein Fußen am Ziele des Flugs. Nicht von unten herauf oder auch in wagrechter Linie kommt er an, sondern von oben her, die Stelzfüße vorstreckend, läßt er sich vorsichtig nieder.

Hat er eine vorzügliche Nahrungsquelle entdeckt, dann kehrt er immer wieder zurück, um sie gründlich auszubeuten. Sein Ortsgedächtniß kommt ihm dabei sehr zu Hilfe, denn wenn er z. B. einen Satz kleiner Häschen entdeckt hat, so weiß er genau die Stellen wiederzufinden, wo sich die Kleinen zu verbergen suchten, und eins nach dem andern wird von ihm davongetragen. Aber er begnügt sich nicht mit dem Rauben zur Befriedigung des Ernährungsbedürfnisses oder zur Fütterung der Familienglieder, denn er ist nicht bloß gefräßig, sondern auch wahrhaft mordsüchtig und mordlustig. An einem Bach, der einen Teich speist, fanden wir in der Frühe Dutzende von Kröten frisch getödtet, denen der Storch den Leib aufgeschlitzt hatte, ohne daß er auch nur ein Stückchen der Eingeweide oder eines Körpertheils verschlungen hätte.

Eine andere Charaktereigenschaft des Storches ist Bosheit und Eifersucht. Wenn die jungen Störche ihren Horst im Frühjahre aufsuchen, oder wenn ein fremder Eindringling von demselben Besitz nehmen will, entwickeln sich heftige Kämpfe, und wir haben es mehrmals erlebt, daß das gemeinschaftlich seinen Horst verteidigende Paar den Fremdling oder den eignen vorjährigen Nachkommen jämmerlich zerfetzte und mordete. Eine verwandte Eigenschaft bekundet der Storch auch als gezähmter Hofbewohner unter dem Geflügel. Wir sahen ihn in einem großen Schloßhof herrisch umherstolzieren, in immer enger gezogenen Bogengängen das Hühner- und Entenvolk umkreisen, das sich sklavisch zu Paaren treiben ließ und schließlich mitten im Hofe zu einem Häufchen zusammenkauerte. Nichts anderes als Herrschsucht verleitete hierzu den Storch, denn jedesmal beendete er dieses Unternehmen mit plötzlichem derben Zufahren, so daß gackernd und quakend die geängsteten Thiere auseinanderstoben. Solchen gezähmten Störchen darf man kleinen Hühnerchen und Entchen gegenüber niemals trauen. Sie wissen trotz der ängstlichen Wachsamkeit der alten Glucke oder Mutterente das eine und andere Küchlein zu spießen, zu zerfetzen und hinabzuwürgen. Uebrigens zeigt sich der zahme Storch auch zu allerlei amüsanten Neckereien mit Hunden und Katzen aufgelegt. Possirlich nehmen sich seine Versuche aus, die Sperlinge, welche ihn umgeben, zu erhaschen. Natürlich sind die Sperlinge flinker als der zufahrende Storch, der wohl seine Unzulänglichkeit aus den fortwährenden Mißerfolgen erkennt, aber dennoch neue Versuche nicht unterläßt.

Ein hervorragender Charakterzug unseres Storchs ist schließlich neben seiner Treue zum alten Wohnorte auch seine Treue in der Ehe. Bei der Trennung der Geschlechter durch den Tod wird [318] wenigstens seitens des Weibchens entweder aus Abneigung oder aus Mangel an entsprechend dargebotener Gelegenheit eine neue Ehe nicht so leicht geschlossen. Wer weiß, ob nicht tiefgehende Trauer Ursache eines streng eingehaltenen ehrbaren Witwenstandes ist!


b. Der schwarze Storch.

Dieser Vogel ist und bleibt vielen gänzlich unbekannt, da er wohl in Deutschland an geeigneten Plätzen, aber doch selten vorkommt; am häufigsten nistet er in den wasserreichen nordöstlichen Strichen, in Pommern und Ostpreußen. Es bedarf seiner Seltenheit wegen einer kurzen Beschreibung der äußeren Erscheinung. Kleiner und schlanker als der weiße Vetter, überragt er ihn in der Flugweite bedeutend. Weiß sind nur der untere Theil der Brust, der Bauch und die Schenkelfedern; der übrige Theil des Gefieders erscheint mattschwarz mit metallischem grünpurpurnen Schiller. Das Korallenroth des Schnabels, der nackten Stellen an den Augen und den Beinen tritt bei den alten Exemplaren lebhaft hervor. Einsame, entlegene, alte Waldungen, die das Vorhandensein feuchter oder sumpfiger Wiesen, Bäche oder Flüsse nicht ausschließen, wählt er zum Aufenthalt und legt da seinen Horst auf einer Eiche, einer Buche oder Kiefer an. Dabei ist er darauf bedacht, daß er vom Horst oder dem wipfeldürren Nistbaume aus freie Umschau halten kann, denn ein Grundzug seines Wesens ist Scheu und Mißtrauen. Deswegen trifft man seine Familienwohnung auch gewöhnlich am Rande eines alten räumlichen Schlags oder in einer Gruppe alter Stämme auf einem Lichtschlage oder in der Nähe eines solchen an. Selten nur kommt es vor, daß der Horst in kleinen Feldgehölzen und Auen gefunden wird. Um den scharfsichtigen, sehr scheuen Vogel zu beobachten, muß man einen gut verborgenen Standort einnehmen und einen guten Tubus zur Hand haben. Interessant und lohnend ist aber die Verfolgung seines heimlichen Wandels. Geschieht dies nicht mit Vorsicht und sieht sich das Paar irgendwie belästigt oder von Nachstellungen umgeben, so verläßt es wenigstens für einige Zeit, wenn nicht ganz, Standort und Ernährungsgebiet, um sie mit anderen zu vertauschen. Indessen finden auch nicht selten derartige Veränderungen statt, ohne daß die Ursachen zu ergründen wären. Eigenwilligkeit, Eigensinn, irgend welche Unzufriedenheit veranlaßt die schwarzen Störche, eine Ansiedelung zu verlassen, einen anderen Ort, ebenso räthselhaft für uns, zu erwählen, wo vorher kein solcher Vogel zu sehen war.

Schwarze Störche.

Entzückend schön ist der Kreisflug des männlichen schwarzen Storchs in der Höhe zur Zeit, da das Weibchen brütet. In stetigen, kaum von einem Flügelschlag unterbrochenen Schraubenwindungen erhebt sich der im Sonnenschein purpurstrahlende Vogel und durchzieht den Aether in majestätischem Kreisen, oft stundenlang dieses schöne Luftspiel fortsetzend. Sein Flug ist gewandter, leichter als derjenige des weißen Storchs, seine Haltung diejenige des wilderen Vogels. Sein ganzes Erscheinen und Gebahren ist flinker, behender und mit einer gewissen Anmuth begleitet. Vom Horst aus durchstreift er die Gegend, um die Nahrungsquellen in sumpfigen Waldwiesen, Erlenbrüchen, an Teichen, Gräben, Bächen und Flüssen auszubeuten. Das geschieht mit großer Vorsicht, wenn er sich nicht völlig sicher fühlt, was sich namentlich in dem mehrmaligen Kreisen um den Ort zeigt, wo er sich niederlassen will. Beim Einfallen führt er hohen Flügelschlag aus und hebt den Hals, um möglichst weite Umschau zu halten. Dann erst schreitet er langsam, noch langsamer als der weiße Vetter, mehr schleichend wie jener, aber ebenso gravitätisch, umher. Seine Nahrung ist noch vielseitiger, allem Kleingethier ist er gefährlich; was ihm von Nagern, kleinen Raubthieren, Lurchen, überwindbaren Schlangenarten, Insekten und erreichbaren Vögeln in den Weg kommt, danach greift hastig sein zuschnellender Schnabel, der die Beute tödtet, in die Höhe wirft und alsdann schlinggerecht wieder auffängt zur Beförderung in den würgenden Schlund.

Stellt schon der weiße Storch Fischen nach, so betreibt der schwarze diese Jagd mit wirklicher Leidenschaft. Er watet tief und schnellt mit dem Schnabel nicht leicht fehl, so daß manche Forelle aus dem Gebirgswasser von ihm an die Oberfläche befördert und in den unersättlichen Kehlsack versenkt wird. Nach dieser Richtung hin würde bedeutende Schädigung unausbleiblich sein, wenn der schwarze Storch ein häufig vorkommender Vogel wäre. Hat sich der Unersättliche mit allerlei Kleingethier im wahren Sinne des Wortes voll und steif gepfropft, dann begiebt er sich an seine Lieblingsstandorte, um in Ruhe der Verdauung sich hinzugeben. Während der Jungenpflege raubt er natürlich das Doppelte und wechselt öfter zwischen dem Horst und den ergiebigen Nahrungsplätzen. Früher als die jungen weißen Störche verlassen die schwarzen den Horst, geführt und angeleitet von den Eltern. Mit der Familie schlagen sich im Nachsommer wohl auch andere zusammen, doch ist der Geselligkeitstrieb beim schwarzen Storch bei weitem nicht so stark wie bei dem weißen, der sich bekanntlich vor dem Wegzug in die Fremde in großen Wiesengründen, wasserreichen Ebenen zu Hunderten, ja Tausenden zusammenthut. Nach zuverlässigen Beobachtungen sieht man den schwarzen Storch höchstens in kleinen Flügen reisen.



[556]

Originalgestalten der heimischen Vogelwelt.[2]

Thiercharakterzeichnungen von Adolf und Karl Müller.
3. Sonderlinge und Käuze.
a. Sonderlinge. Unsere Rohrdommeln.

Wenn zwei auch dasselbe thun, ist’s doch noch nicht dasselbe“ – sagt das Sprichwort, was, auf unseren Fall angewendet, heißt: „Wenn zwei dasselbe hören, so ist es nicht dasselbe, oder es klingt anders.“ Dies Sprichwort sollte sich bewahrheiten, als wir an einem Frühlingsabend im hohen Vogelsberge Hessens an dem einsamen großen Rothemarkteiche auf dem Entenstriche mitten im dichten Röhrichte, mit Wasserstiefeln versehen, anstanden. Erschreckt auffahrend, vernahmen wir urplötzlich ganz in der Nähe ein ungewöhnlich dumpf und stark schallendes Tönen, so merkwürdig und außerordentlich, daß es sich unvergänglich unserem Gedächtnisse eingeprägt hat. Die große Rohrdommel, wissenschaftlich Ardea sive Botaurus stellaris benannt, balzte unweit von uns und ließ ihr mächtiges Liebeslied erschallen. Man verglich dies merkwürdige Getön schon von Albertus Magnus’ und Geßners Zeiten her mit dem Brüllen eines Ochsen und gab dem Vogel deshalb in früheren Zeiten die Namen „Moorrind“, „Meerrind“, „Mooskuh“. „Der erste Anfang des Balzens,“ – um unsere eigene Schilderung zu gebrauchen – „hat wohl etwas Aehnlichkeit mit dem Ansatz von Bullengebrüll; allein wenn die ganze Strophe erschallt, glaubt man ein Stück vom ‚wilden Heer‘ zu vernehmen. Es ist nicht zu beschreiben, dieses infernalische Getön. Naumann und später Wodzicki haben es versucht, dasselbe in Worten wiederzugeben. Die ersten abgebrochenen Silben, womit es anhebt, sind mit dem Naumannschen Zeichen ‚Ue-ü‘ zu geben. Wenn wir sie aber mit dem Rufe eines Säugethieres vergleichen sollen, so wäre es mit den ersten Ansätzen des Schreies eines starken Edelhirsches, namentlich ähnelt der Silbenfall und die Modulation dem Schreien dieses Hirsches. Das dann im vollen Balzen angesetzte, mit ‚prumb‘ oder ‚prump‘ von Naumann und andern wiedergegebene Getön läßt sich durch Klangsilben nicht versinnlichen. Es sind Laute, als kämen sie aus einem tiefen Ziehbrunnen mit begleitendem Wassergeräusche, dem sich’s manchmal wie Seufzen beimischt. Kurz, man muß die sonderbaren, schauerlichen Töne in der Nähe des Vogels selbst vernommen haben, um sich nur einigermaßen einen Begriff von den unvergleichlichen Naturlauten bilden zu können.“

Der Vogel, der uns wahrscheinlich gewahr worden war, flog auf, und wir beklagen es noch heute, ihn, den wir das erstemal in unserem Leben in seinem Liebesrausch gehört hatten, bei seinem „Aufstehen“, d. h. seinem Erheben im Fluge, in unbesonnenem Jagdeifer erlegt zu haben, wodurch wir uns um die weitere Gelegenheit brachten, das sonderbare Thier in seinem seltsamen Gebahren eingehender zu beobachten. Lebendig gegenwärtig ist uns indessen immer noch, wie es in eigenthümlich eulenartig schwankendem Fluge aufstand und wie uns das freilich nur kurz andauernde Weiterfliegen auffiel. Dieses gemahnte uns lebhaft an das Flattern eines riesigen Schmetterlings oder auch der jungen unbeholfenen Fledermäuse während ihrer ersten Ausflüge.

Der Abbildung auf S. 557 liegt eine Schilderung des Grafen Wodzicki zu Grunde. Nach ihm beharrt die weibliche Rohrdommel bei dem Brüllkonzert des Männchens mit gesträubten Kopffedern und halb geschlossenen Augen in hockender Stellung, liebeselig verzückt. Der eben genannte Forscher, welcher nach langen vergeblichen Bemühungen endlich nahe zu einem Liebespaar von Rohrdommeln herangeschlichen war, beschreibt folgendermaßen seine Beobachtungen: „Der Künstler“ (die männliche Rohrdommel) „stand auf beiden Füßen, den Leib wagrecht gehalten, den Schnabel im Wasser, und das Brummen ging los; das Wasser spritzte immer fort. Nach einigen Noten hörte ich das Naumannsche ‚Ue‘, und das Männchen erhob den Kopf, schleuderte ihn zurück, steckte den Schnabel sodann schnell ins Wasser, und da erschallte das Brummen, so daß ich erschrak. Dies machte mir klar, daß diejenigen Töne, welche nur im Anfang so laut tönen, hervorgebracht werden, wenn der Vogel das Wasser tief in den Hals genommen hat und mit viel größerer Kraft herausschleudert als sonst. Die Musik ging weiter, das Thier schlug aber den Kopf nicht mehr zurück, und ich hörte auch die lauten Noten nicht mehr. Es scheint also, daß dieser Laut die höchste Steigerung des Balzens ist, und daß er, sobald die Leidenschaft befriedigt ist, nicht mehr wiederholt wird.“

Wir aber hörten aus dem nur einmal vernommenen Gesang heraus, daß er aus mehreren Notengängen besteht und auch in verschiedenen Tonarten und Tiefen klingt. Der Balzgang übersetzt sich ungefähr mit „Uü-ü-prumb, üprumb, ü prumb, ü prumb-buh“, welch letzte Silbe dumpf und nicht laut erschallt, da sie nach Wodzickis Beobachtung durch das Ausstoßen des in den Kiefernscheiden befindlichen Wassers beim Herausziehen des Schnabels aus dem Gewässer hervorgebracht wird. Die brüllenden Rufe sind aber in ihrer ungewöhnlichen Stärke auf weite Strecken, bisweilen in stiller Nacht wohl auf eine Stunde Entfernung hörbar.

Gewiß ein Sonderling, ein seltener und eigenartiger, eine Vogelgestalt mit einem Wesen, wie es im ganzen Reiche der sumpfigen Einöden, ja in der gesammten heimischen Vogelwelt nicht mystischer, absonderlicher vorkommt. Das Brüllen der Rohrdommel bildet ein Seitenstück zu dem wilden Getön des Uhus, das wir demnächst kennzeichnen werden. Es sind Laute, einzig und merkwürdig in ihrer Art, da sie sämmtlich nicht unmittelbar aus des Thieres Stimmorganen hervorgehen, sondern mit Hilfe des Sumpfwassers, worin der Vogel haust, entstehen.

In einsamen versumpften Rieden, auf Teichen, weitgedehnten Brüchen und Seen, überall da, wo der Rohrwuchs nicht fehlt, ist dies seltsame Wesen in unserem Vaterlande zu finden, doch mehr in seinem nordöstlichen, als in seinem westlichen Theil. Aber wenigen nur wird es vergönnt sein, den versteckten Gesellen zu entdecken. Seine derben, für einen „Stelz“- oder „Watvogel“ nach der neueren Systemsprache verhältnißmäßig kurzen Füße, woran die mittlere Zehe als besonderes Sippenkennzeichen merklich über die gestreckten äußeren hinausragt, verleihen ihm die Fähigkeit [557] geschickt im Röhricht herumzuklettern, ein Vermögen, das den Jungen schon frühe innewohnt. Der Körper ist der absonderlichsten Stellungen fähig. Gewöhnlich hockt die Rohrdommel da, den Hals tief zur Brust eingezogen und den Kopf mit dem spitzen, reiherartigen Schnabel zum Rücken gedreht, eine bucklige, kuriose Figur mit losem Gefieder darstellend. Nicht selten, besonders bei nahender Gefahr und nachhaltiger Verfolgung, wird ihre Haltung noch ausfallender. Sie drückt sich auf die Fußwurzeln nieder und streckt Leib und Hals mit aufgerichtetem Kopfe und Schnabel fast senkrecht in einer Linie in die Höhe, so daß sie mehr einem Pfahle, einem Stummel Holz gleicht als einem lebenden Wesen. Ganz ihrer schleichenden, bedächtigen Natur gemäß ist auch ihr Gang. In merklichen Pausen setzt sie einen Fuß vor den andern, eine schleppende, halb träge, halb vorsichtige Fortbewegung ist ihr eigentümlich. Naht ihr unverhofft ein Mensch oder ein Hund, vor dem sie „zu halten“ pflegt d. h. den sie nahe herankommen läßt, so bläht sie ihr eulenartig lockeres Gefieder mit auffallender Hals- und Kopfkrause auf und stellt sich kampfbereit zur Wehr. Hinterlistig fährt sie dem ihr nahekommenden Hunde mit blitzartig hervorschnellendem Schnabel nach den Augen und kann gefährliche Wunden mit ihrer harten, spitzen Stoßwaffe beibringen. Auch gegen den Menschen wehrt sich das unheimliche Geschöpf, wie überhaupt gegen jedes feindliche Wesen, wuchtig um sich fahrend bis zum letzten Athemzuge. Unser Hund empfing bei dem Erlegen der oben erwähnten Rohrdommel noch einige empfindliche Schnabelhiebe von dem verendenden Vogel.

Die Rohrdommel. Zeichnung von F. Specht.

Gleichsam die verkleinerte, aber im Farbenton des Gefieders und in der Gestaltung sehr verschönerte und verfeinerte Ausgabe der großen Rohrdommel ist die kleine oder Zwergrohrdommel oder der Quartanreiher, Ardetta minuta. Diese niedliche, den eigentlichen Reihern etwas näherstehende Rohrdommel ist nicht größer als ein Turteltäubchen. Die dunklen Partien des Oberkörpers zeigen einen metallisch grünen Schimmer, die Flügelmitte und der Unterkörper sind rostgelb, letzterer ist seitlich schwarzgefleckt, die Regenbogenhaut der Augen und die Zügel erscheinen lebhaft gelb. Trotz dieses bunten Kleides weiß sich der ebenso behende wie schlaue Vogel den Blicken zu entziehen. Immer noch ist uns der Anblick zweier solcher Zwerge gegenwärtig, auf welche wir gelegentlich der Bekassinenjagd im Riedgras sumpfiger Wiesen bei Michelstadt an der Mümling im hessischen Odenwalde stießen. Unbeweglich wie spitzige Holzpflöckchen, mit aufgerichteten Hälsen und Köpfen starrten sie ins Blaue, so daß wir unwillkürlich einige Augenblicke stutzten, ehe wir die absonderlichen Thierchen mit raschem Doppelschusse erlegten.

Dank ihrem geschmeidigen Körper durchklettert, durchkriecht und durchschleicht die Zwergrohrdommel das Röhricht noch viel gewandter und heimlicher als ihre große Base. Im dämmerigen Verstecke der Rohrhalme oder der Binsen treibt sie ihr behendes, anmuthiges Wesen. Sie schreitet viel rascher als ihre große Verwandte dahin, beugt den Hals etwas vor, watet hochaufgeschürzt mit wippendem Schwänzchen im seichten Wasser oder klettert, meist mehrere Rohrstengel und Binsen mit einem Zehengriffe umfassend, mit staunenswerther Geschicklichkeit umher. Ihren Standort hält sie für gewöhnlich treu ein; findet sie sich aber von dem Röhricht, wie es wohl vorkommt, durch irgend ein Hinderniß abgeschnitten, so nimmt sie das Strauchwerk oder die Bäume des Ufers zur Zuflucht. Ganz sonderbar sind ihre Stellungen und Verdrehungen, wenn sich der suchende Hühnerhund ihr nähert. Ihr Leib scheint ein Theil des Erlenstumpfes oder des Weidenastes geworden zu sein, auf dem sie Schutz gesucht hat, so dicht weiß sie sich anzuschmiegen, und in solcher Stellung läßt sie den Verfolger nahe herankommen, heftet aber beständig den durchdringenden, heimtückischen Blick auf den Feind, um demselben mit dem Bajonettschnabel unversehens wuchtige Stöße zu versetzen. Bei der Brut offenbaren die Alten eine große Liebe. Die lange in dem flachmuldigen, plumpen Binsenneste verweilenden Jungen erhalten die Fisch-, Lurchen- und Kerfennahrung vorgewürgt. Nähert man sich dem Nistorte, so umkreist die Mutter sehr besorgt den Störenfried, in der Angst um ihre Jungen alle sonstige Scheu und Vorsicht ablegend, bläht das Hals- und Kopfgefieder und ruft „Gäth, gäth!“ Der Vater umschwärmt in weiteren Bogen den Feind und antwortet der Gattin mit denselben Angstrufen. Uebrigens verstehen die rostbraunen Nestlinge, mit frühentwickelter Kletterkunst der Gefahr sich zu entziehen, und so kommt es häufig vor, daß man schließlich nur das leere Nest findet.

[242]
Originalgestalten der heimischen Vogelwelt.[3]
Thiercharakterzeichnungen von Adolf und Karl Müller.
3. Sonderlinge und Käuze.
b. Käuze: Zwergkauz. Uhu.


Wir wählen für unsere Charakterzeichnungen zwei ganz entgegengesetzte Originalgestalten aus einer und derselben Vogelgruppe: die niedlichste Eule aus der Familie der „Tageulen“, Surniae, und einen Vertreter aus der Familie der „Ohreulen“, Bubones. Die erstere ist die Zwerg- oder Sperlingseule, auch „Zwergkauz“ oder „Käuzchen“ genannt, der letztere der Riese Uhu.

Lichtscheu und Nachtvögel sind sie zwar beide wie alle unsere Eulen. Allein die Zwergeule ist von der Wissenschaft nicht mit Unrecht in die Reihe der Tageulen versetzt worden, oder vielmehr, das Käuzchen hat es selbst gezeigt, daß es sich auch bei Tage sehen lassen kann und im hellen Lichte sogar ganz gut fortzukommen weiß.

Besonders die Minnezeit benimmt dem Käuzchen ein gut Theil seiner Zurückgezogenheit, und aus seinen dämmerigen Verstecken in Baumhöhlen, hinter Mauern und Steinrissen und aus dunklem Baumwuchs treibt es die Liebe mehr denn je hervor an den hellen Tag. Es ist freilich immer noch ein sonderbares Käuzchen, bei dessen Anblick die anderen Vögel des Lichtes in große Aufregung und Unruhe gerathen. Namentlich ist es die aufmerksame, rührige Wache der Meisenschaar, die das Käuzchen gewaltig auszuschimpfen pflegt, sobald es sich im Bereiche des hellen, sonnigen Lebens, der lustigen Tagvögelgesellschaft zeigt. Doch Erfahrung und eine untrügliche vererbte Furcht läßt sogar die kecke Kohlmeise Vorsicht gebrauchen, wenn sie den fremden Gast umschwirrt. Denn der ungefährlich scheinende Zwerg, der nicht viel größer als ein Sperling und nur 16-18 cm lang ist, benimmt sich manchmal riesig räubermäßig und packt unversehens, flink wie er ist, den ersten besten Vogel am Kragen und rupft und würgt ihn zum Entsetzen der ihn umgebenden Schar trotz allen Schimpfens und Wetterns. Er ist ein Kauz - - aber ein solcher, der für den Thierfreund so außerordentlich viel Anziehendes, Unterhaltendes und Drolliges hat, daß man nicht müde wird, sein niedliches Bild und sein ergötzlich komisches Betragen zu betrachten.

Manchmal sitzt das Kerlchen längere Zeit in dem Laube eines Obstbaumes oder auf seinem Lieblingsorte, einer dichtbeasteten Eiche, sodaß man es mit einem Fernrohre ungestört beobachten kann. Da hockt es in der Ruhe mit dem etwas gesträubten, mausgrauen, mit weißen Flecken gezierten Mäntelchen und der weißen, braungestrichelten, ebenfalls leis aufgebauschten Unterseite, das [243] niedliche aschgraue Affengesichtchen tief eingezogen auf die Brust. Nur versteckt unter den kurzen weißbündigen Flügeln schaut das viermal weiß quergestreifte Schwänzchen hervor.

Jetzt hebt das Käuzchen den einen Fuß unter den aufliegenden Bauchfedern hervor, als wollte es in die Luft greifen. Es hat lebhaft den Anschein, als ob der kleine Federbalg aus einem Traum erwache und, noch halb in diesen verloren, eine phantastische Bewegung ausführe. Wie niedlich und zierlich sehen sich die dichtbefiederten Füßchen an, und doch wie wehrhaft mit scharfen Fängen versehen sind sie! Plötzlich streckt sich der Vogel, und siehe: aus dem Federball wird stracks ein schlanker glatter Vogel, dessen Gefieder sich gar nicht ansieht wie das weiche, lockere seiner Eulenverwandten, sondern eher dem Kleide eines Sperbers oder andern Tagräubers gleicht. Auch sein Köpfchen mit dem stark übergehakten, gezahnten Oberschnabel erinnert, namentlich im Profil, an die Räuber des Tages. Doch mit einem Male empfangen wir einen Blick von dem uns zugewandten Auge, aus dessen Tiefe der nächtliche Schimmer des Eulengesichts dringt. Aber kaum hat sich dieser Zug wie ein übergleitender Schatten der Nacht einen Augenblick verrathen, so zeigt sich auch schon wieder ein freundlicheres Bild ist des Vogels behenden Wendungen, womit er sich auf dem Geäste bewegt. Mit Hilfe des Hakenschnabels klettert er papageiartig herum, lüftet die Flügel ein wenig und hält schelmisch Umschau. Gleich darauf verfällt der Kauz in eine wahre Possenreißerei. Mit dem hellkreischenden Rufe „Kirr kirr“ nickt er rasch mit dem Kopfe, schaut, denselben abwechselnd schief haltend, bald zur rechten bald zur linken, streckt sich jetzt mit glattanliegendem Gefieder senkrecht in die Höhe, um sich kurz darauf wie in übermüthiger Laune aufzublasen, oder unter Knappen des Schnabels sich zu schütteln; er verdreht den Hals, wobei sich das Gesicht unter auf- und zugehendem Schnabel und unter Sträuben der Wangen. und Kopfseitenfedern affenartig verzerrt.

Zwergeule von Meisen ausgeschimpft.
Zeichnung von Adolf Müller.


Sein Ab- und Zuflug von Baum zu Baum geht rasch in bogigen Linien wie derjenige seines nahen Verwandten, des Steinkauzes, ganz anders also als der Flug der Nachtkäuze oder der Ohreulen. Auch sein Betragen zur Minnezeit im März bietet Eigenartiges. Aus der Höhle einer Eiche, Föhre oder Buche erklingt dann der hohle Ruf des Männchens in den Silben „Klululu“; des Abends aber verläßt es das Nestloch, fliegt in fast senkrechter Richtung am Stamme herunter und streift meist ganz niedrig über die Triften und Schläge dahin. Erwähnt muß werden, daß das Käuzchen sich sehr nützlich von Kerfen aller Art ernährt; so ist es auch nach dieser Seite hin unserer Schonung und Theilnahme würdig.

Das gerade Gegentheil von dem Zwergkauze lernen wir in dem Riesen der Ohreulen, dem Uhu, kennen. Die ansehnlichen Federbüschel über dem Gehöre und seine bedeutende Leibesgröße, (er wird über 60 cm lang) machen ihn zum urbildlichen Vertreter der Familie der Ohreulen. Ist die Zierde seines Kopfes schon auffallend, so vollendet dessen Dicke und Größe das Absonderliche dieses Nachtvogels; sein großes, abgeplattetes, mit goldgelber Iris leuchtendes Auge, der ausgebauchte Schnabel und die stämmigen befiederten Beine mit der Räuberwehr von starkgebogenen, festen und langen Krallen verrathen schon im Aeußeren einen mächtigen Gesellen der Nacht.

Düster wie die Nacht ist auch sein massiges Gefieder. Unbestimmt rostgelb erscheint es in seiner Grundfärbung, oberseits dunkler als unterhalb, hier schwarz längsgestreift, dort schwarz geflammt, nur die Kehle und das Innere der sonst schwarzen Federbüsche zeigen hellere Töne. Der männliche Uhu, obgleich kleiner als der weibliche, hat erheblich höhere Ohrenbüschel, die sich etwas nach hinten biegen.

Sein Gebahren ist verschlossen, scheu, linkisch und täppisch am Tage; in der Nacht aber entfaltet sich sein Wesen; da wird er ein wilder, ungestümer, räuberischer Gesell.

Seine eigentliche Heimath sind Gebirgswaldungen mit schroffen Hängen und Felsgeklüften. Hier in diesen versteckten düsteren Schluchten und Winkeln sitzt er Tags über wie ein versteinertes Bild. Findet er keine passende Felsspalte, so wählt er auch wohl Waldstellen, wo das Laubdach der Bäume den Blick in seine Einsiedelei verschließt, oder versenkt sich in eine finstere Baumhöhle.

Im Odenwald und Taunus haben wir den scheuen, unheimlichen Vogel der Nacht eingehend zu beobachten Gelegenheit gehabt. Merkwürdigerweise trat dabei zu Tage, daß der Uhu da, wo er selten war, in der Zurückgezogenheit wilder Waldnatur hauste, bei häufigerem Vorkommen aber nahe an Plätzen menschlichen Verkehrs und bewohnten Stätten lebte und hier sogar nistete, so bei Winterkasten im Odenwalde. Dort war das Thier früher häufig vertreten, und es ist gewiß kein Zufall, daß von dort auch die Sage vom Auszuge des wilden Ritters Rodenstein entstammt.

Wild wie die Einöde, in der sie leben, ist auch die Liebe der Uhus. Die männlichen verursachen bei ihren Kämpfen der Eifersucht ein gespensterhaftes Geräusch, das übertönt wird von den eigentümlichsten, schauerlichsten Rufen, die weithin aus den Wäldern dringen. Neben dem bekannten hohlen „Uhu“ entstehen krächzende, ächzende Laute, stöhnende und wie fernes Heulen schallende Töne, verbunden mit Knappen der Schnäbel und Klatschen der Flügel. Die weiblichen Uhus begleiten dieses unheimliche Konzert der erzürnten Kämpfer mit Tönen, die menschlichem Jammergeschrei [244] zu vergleichen sind. Dieses Lärmen und Toben erhebt sich in manchen Stunden der Nacht zu wilder Raserei, so daß den Beherztesten ein Grauen erfaßt. – Sobald es des Abends zu dämmern anfängt, wird der Uhu auf seinem Sitze („Stande“) unruhig; er tritt einige mal hin und her, schüttelt sich und ordnet sein Gefieder, um darauf sofort abzustreichen. Dieser Abstrich ist fast unhörbar leis, der Weiterflug, namentlich wenn er wie gewöhnlich dem Raub gilt, geht mit unglaublicher Raschheit und Gewandtheit durchs Geäste in mäßiger Höhe über dem Boden dahin. Diese Raubzüge durchs Waldesdunkel gelten nicht sowohl den Mäusen und Ratten, seiner Lieblingsspeise, sondern vielmehr vorherrschend dem Klein- und Mittelgeflügel. Er scheucht mit klatschenden Flügelschlägen, namentlich an Nadelholzbäumen herstreifend, die schlafenden Vögel auf und fängt die wirr Aufflatternden mit Leichtigkeit.

In den Reihen der Säugethiere ist das Rehkitzchen, selbst das Wildkalb nicht sicher vor seinen wuchtigen Angriffen. Und wie sein Raubwesen eine große Menge von Thieren gefährdet, so ist auch das Feld seiner räuberischen Thätigkeit ein großes und mannigfaltiges. Aus dem Walde lenkt sich sein nächtlicher Flug zur Steppe und zu den Feldern, zu Bächen, Flüssen und Teichen, und er schlägt hier die auf der Wasserfläche oder am Ufer ruhenden Wildenten so sicher, wie er auf Wiesen und Feldern die Lerche, im Busch das Rothkehlchen erhascht, oder wie er an andern Orten den Hasen, das Kaninchen, den Marder, Iltis und das Wiesel bewältigt. Selbst seine Verwandten überfällt er mit Mordgier, und mit dem Erbeuten von Lurchen und Kerbthieren beschließt er seinen ergiebigen Raubzug. Die überwiegende Schädlichkeit des Thieres aber wird durch die Ueberreste der Gewölle bewiesen, welche er an seinen "Ständen" und in seinen Schlupfwinkeln auswürgt.

Im März erbaut der Uhu seinen Horst, einen zusammengetragenen Mischmasch von derbem Gezweig, Geäst, Laub und Moos in einer Felsenspalte, einer Mauer- oder Erdhöhle, auf Ruinen und altem Gemäuer eines einsamen Gebäudes, selbst auf dem Boden an einem Abhange, oder er wählt den verlassenen Horst eines Tagraubvogel, eines Raben oder des schwarzen Storchs zum Nistplatze.

Sind die flaumigen Jungen aus den zwei bis vier runden, weißen, grobkörnigen Eiern geschlüpft, dann beginnt der Höhepunkt des Raubwesens, das weit über das Maß des Bedürfnisses hinausgeht. Wie die Jungen schon anfänglich ihr boshaftes Wesen dem Nahenden dadurch zeigen, daß sie sich auf den Rücken werfen und die Fänge vorstrecken, so wird die Wildheit des alten Uhus in diesem Zeitpunkte selbst dem Menschen gefährlich, sobald der Brut Gefahr droht. Ja, der so unbändige, räuberische Unhold der Nacht liebt seine junge Nachkommenschaft dermaßen, daß er sie im Falle der Noth vom Nistplatze nach einem sichereren Orte fortträgt - ein Lichtstrahl in dem Bilde des einsiedlerischen Kauzes.



[485]

Waldschnepfe.
Zeichnung von F. Specht.

[499]

Originalgestalten der heimischen Vogelwelt.[4]

Thiercharakterzeichnungen von Adolf und Karl Müller.
4. Deutsche Hinterwäldler.
a. Waldschnepfe. (Mit Abbildung Seite 485.)

Die Jagd ist eine gute Schule für die Beobachtung des Lebens der Thiere, und wir verdanken diesen Sport die Entdeckung vieler verborgenen Züge. Bon unseren braven Hühnerhunden war es die leichtfüßige, gewandt schleichende Bella. die uns gar oft vor die Werkkammer der Schnepfe, dieses Waldvogels mit dem versteckten Wesen und Wandel, brachte. Bella überraschte manchmal die Schnepfe so sehr, daß diese sich mit gesträubten Federn, aufgerichtetem Schwanze, hängenden Flügeln und mit aufgesperrtem Schnabel zischend wie eine erboste Ente dem Hunde entgegenstellte. Gewöhnlich aber schlich sich der Hund, von der Schnepfe unbemerkt, an den Lagerplatz. Wir, denen an der Beobachtung des Wandels der geheimnißvollen Waldschwester viel gelegen war, nahten uns, wenn der Hund vorstand, mit der größten Behutsamkeit und forschten bald den Gegenstand unseres Interesses aus.

Da lag nun oft die Entdeckte, im Gefieder täuschend ähnlich dem Waldbodenlaube, wie ein todtes Wesen an der Erde, den Schnabel seitwärts nach dem Boden gedrückt, mit schlaff herabhängendem Kopfe. Das war die Lage der Ruhe. Oder der Vogel war dem Ernährungsgeschäfte, dem sogen. Bohren, so emsig hingegeben, daß er nichts zu hören und zu sehen schien.

Den langen Tastschnabel bei jedem wackeligen Schritte auf den Boden vorstoßend, macht die Schnepfe mit gekrümmtem Rücken und losem Federkleide lebhaft den Eindruck eines am Stabe sich bewegenden alten Weibchens. Dabei stechen die großen dunklen Augen des viereckigen Kopfes, der halb nickend, halb vorstoßend sich bewegt, hervor. Plötzlich biegt sich die obere Kinnlade zangenartig und der Schnabel schickt sich an, Blätter und Geniste des Waldbodens emsig und behende umzuwenden. So thut die Schnepfe, wenn sie Kerfen in jeder Form und Gewürm über dem Boden sucht. Doch nun senkt sich auf einmal das rührige Tastwerk tiefer und tiefer in die Erde, um sodann mit den Sehnen des Oberkiefers ein ruckweises Zittern zu beginnen. Dies scheucht hier und dort einen Regenwurm aus den Gängen empor, der, blitzschnell von den leuchtenden, wachen Augen der Schnepfe entdeckt, mit der lebendigen Greifzange gepackt und verschlungen wird. Doch gleich darauf bereitet das Thier uns noch einen viel merkwürdigeren Anblick seiner Ernährungsart. Tief bis zur äußersten Ecke der Mundspalte ist wieder der Schnabel in den Boden gebohrt, und der Vogel arbeitet mit sichtlicher Anstrengung in der Erde. Mit einem Mal fährt er rückwärts und schnellt den Schnabel mit solcher Heftigkeit heraus, daß das Thier sich förmlich überschlägt und auf den Rücken fällt. In dem Schnabel unter dem Bohrknopfe der oberen überstehenden Kinnlade zappelt ein Regenwurm, die Beute des Erdbohrens, die sogleich verschlungen wird.

Die merkwürdige Einrichtung dieses Tast- und Greifschnabels erweckte zuerst unsere Aufmerksamkeit, als wir an einigen geschossenen Schnepfen wiederholt sahen, daß sich die obere Kinnlade beim Todeskrampfe in einem starken Bogen nach oben krümmte. Der Schnabel besteht aus vielen großen langgestreckten Knochenzellen; von der Mitte an bis zur Spitze kann der Oberkiefer mittels eines starken Muskelpaares nach oben und das knopfartig übergreifende Ende etwas nach unten gebogen werden, so daß der ganze Schnabel in der oben beschriebenen Form einer Greifzange erscheint. Die Kinnladen führen viele feine Nerven, welche sich in der Schnabelhaut verzweigen und hierdurch den Schnabel zum vorzüglichen Tastwerkzeuge gestalten. Mit diesem untersucht, wie beschrieben, das Thier den moderigen Waldboden nach den Gängen und Kammern der Würmer und Kerfe, findet dieselben kraft eines seinen Gefühls und ergreift den gefundenen Gegenstand, so daß er hinter den vergreisenden Bohrknopf der Spitze des Oberschnabels zu liegen kommt. Nachdem die Muskelvorrichtung diesen sodann gewaltsam in dem weichen Boden gehoben und dadurch den Bohrgang erweitert hat, schnellt der Vogel sich mit um so größerer Kraft rückwärts, je tiefer im Erdreich er die Beute gepackt hat.

Aber wenden wir weiter unsere Blicke der eigentümlichen Leibesbildung des Vogels zu! Zuerst fällt die Gestaltung seines Kopfes auf. Das Auge hat eine ungewöhnlich hohe Stellung weit zurück am Hinterkopfe. Dies rührt von der sonderbaren Verschiebung des Kopfknochengerüstes her, infolge deren die Stirn sehr hoch erscheint und auch die Ohren nicht wie bei den übrigen Vögeln hinter den Augen, sondern dicht unter denselben stehen. Auch auf die Stellung des Genicks wirkt diese Verschiebung, indem [500] der Hinterkopf mit dem Halswirbelgerüste einen spitzen Winkel bildet, wonach die Richtung des Schnabels mehr nach unten als gerade aus geht. Ein so sonderbares, auffallendes Aussehen diese Einrichtung der Schnepfe verleiht, insofern der Schnabel beim Gang und Fluge senkrecht nach unten gerichtet ist, ein so großer Vortheil bei dem Ernährungsgeschäfte ist damit verbunden, denn der Vogel kann den Schnabel mit dem Hebel des Halses vermöge der senkrechten Stellung zum Boden um so leichter und nachhaltiger anwenden.

Einer eingehenden Beschreibung der Färbung bedarf es nicht. Es genügt, wenn wir uns die Zeichnung des Federkleides in seinen dunkelsten Stellen schwarz, in den mittelstarken und feineren Wellenformen mehr oder weniger dunkelbraun, in den helleren Schattirungen braun- und graugelb denken. Der in der Größe einer Haustaube gleichende Vogel erscheint wegen seines kurzen, von den Flügelspitzen fast ganz bedeckten Schwanzes kürzer, als er in Wirklichkeit ist, ein Umstand, der dem Vordertheile mit dem 7 cm langen Schnabel und dem großen, eckigen Kopfe noch mehr Auffallendes verleiht.

Und in Wahrheit, das Aeußere sowohl als das Betragen geben dem Vogel ein eigenthümliches Gepräge, das an Anziehungskraft noch gewinnt durch die Heimlichkeit und Abgeschiedenheit seines Lebens. „Hinterwäldler“ haben wir die Schnepfe benannt, und ein solcher ist sie in der That. In ihrem über fast ganz Europa, den hohen Norden ausgenommen, über Mittelasien und Nordafrika sich erstreckenden Verbreitungsgebiet erweist sie sich als echter Waldvogel. Die tiefen, einsamen Gebirgswaldungen in unserem Vaterlande zieht sie jedem anderen Aufenthalte vor. Hier ist sie das im dämmerigen Verstecke der Dickichte oder des Unterholzes vereinsamt ein geheimnißvolles Wesen treibende Thier, der unbestritten interessanteste Gegenstand der sogenannten niederen Jagd, ja für uns Weidmänner das anregendste Wildgeflügel. Sie eröffnet nach der Einförmigkeit des Winters den Reigen der Frühlingsjagd. Ein unbeschreiblich süßer Zauber überkommt den Jäger beim ersten Ruf der Singdrossel, die sich im Wehen der erwachenden Natur in den heimischen Forst geschwungen, oder bei den jauchzenden Rufen eines Kranichzuges hoch in den Lüften; denn mit den ersten Klängen dieser Frühlingsboten mischt sich die Erinnerung an den romantischen Reiz der Schnepfenjagd, und in der Brust jedes echten deutschen Jägers ertönt es lebhaft. „Oculi – da kommen sie!“

Die Kenntniß des Familienlebens unseres Vogels liegt noch sehr im Dunkel. Verbände der Jäger und der Forstmann mit seinem Jagdeifer gleichzeitig auch stets einen regen Trieb nach Erforschung des Lebens unserer Waldthiere, dann wäre schon das Dunkel mehr gelichtet. Offenbar ist es, daß die Schnepfe im Vergleich mit anderen nahestehenden Vögeln beim „Atzen“ ihrer Brut eigenartig genug verfährt. Sie füttert die zartbeflaumten Kleinen anfangs aus dem Schnabel, erst später wirft sie die Atzung den Jungen, wie der Storch und Reiher, vor. Ebenso eigentümlich weiß das Schnepfenpaar die Brut aus dem Bereiche drohender Gefahr zu entführen. Die unselbständigen Jungen trägt die alte Schnepfe fliegend im Schnabel davon, größere, aber noch nicht flügge Nachkommenschaft wird zwischen die „Ständer“ (Beine) geklemmt und so durch die Luft getragen. Dabei lassen die Alten durchdringende pfeifende Angstrufe hören, die man sonst nicht vernimmt.

Neuerdings begegnet man der Angabe, die Schnepfe verbände sich selbst zerschossene Gliedmaßen, besonders die Füße. Thatsächlich verhält sich die Sache aber, wie wir in unserem Werke „Thiere der Heimath“ näher ausgeführt haben, folgendermaßen: Der verletzte Vogel hebt den kranken Fuß und zieht ihn am Leibe unter die Bauchfedern ein oder legt sich ausruhend nieder, wobei der Fuß unter die Federn kommt. Diese kleben fest, der „Schweiß“ (das Blut) gerinnt und beim Aufstehen oder bei der Trennung des Fußes vom Leibe gehen die anklebenden Federn los und legen sich allmählich rund um die Umgebung der Wunde. Bei den leicht vorkommenden Anstößen schweißt die Wunde nach, und neue Wundfedern gesellen sich zu den alten, und zwar in verschiedener Lage, so daß eine Art Geflecht entsteht. Zur Bildung eines solchen natürlichen Verbandes ist gar keine Schnabelhilfe nöthig, es formt sich alles von selbst. Eine Baumlerche (Alauda arborea) und neuerdings ein Kanarienvogel, der das eine Bein gebrochen hatte, haben uns dies in der Gefangenschaft zur Genüge klar gemacht. Also zu einem geschickten Chirurgen können wir doch unsere Waldschnepfe nicht stempeln.

Die Schnepfe brütet in einer flachen Mulde frei im Bodenlaube des Waldes, ohne immer auf eine leichte Bedeckung durch Gestrüpp und Farnkraut Bedacht zu nehmen, so hingebend und fest, daß man sie fast berühren kann. Schon anfangs Juni sind die jungen Schnepfen flügge. Dann „streichen“ sie bis Ende Juli mit der Alten in der Morgen- und Abenddämmerung auf den Brutplätzen in Gebirgswaldungen umher, bei welchen Ausflügen die alten Männchen laut balzen. Diese Balzlaute – die wie „Pst – Quak“ klingen – kündigen eine zweite Brut an, aus welcher wahrscheinlich die thatsächlich in Menge vorkommenden kleineren und etwas abweichend von den größeren Exemplaren gefärbten, sogenannten „Dorn“- oder „Steinschnepfen“ hervorgehen. Die männlichen Schnepfen allein lassen diese Balzrufe in der Luft hören, während die Weibchen in der Regel still im Holze liegen und den vorbeistreichenden Männchen nur mit pfeifenden Lauten antworten, zuweilen aber auch fliegend, von den hitzigen Männchen verfolgt, zwitschernde Töne vernehmen lassen. Die in der Luft beim Striche vorfallenden Kämpfe – das sogenannte „Stechen“ – sind Raufereien der eifersüchtigen Männchen, die sich mit Schnäbeln und Zehen unter Pfeiflauten oft stark zusetzen, so daß die Federn stieben.

Es liegt ein romantischer Zauber in dem Jagen der Schnepfen im Frühjahr, und leidenschaftlich folgt der deutsche Jäger seinem erwachenden Jagdeifer in das rauschende Waldrevier, das von dem melodischen Rufen der heimgekehrten Drosseln und dem glöckchenhellen Liede des Rothkehlchens erschallt.



[264]
Originalgestalten der heimischen Vogelwelt.[5]
Thiercharakterzeichnungen von Adolf und Karl Müller.
4. Deutsche Hinterwäldler.
b. Der Auerhahn.

In den ersten Wochen des einziehenden Frühjahrs, unmittelbar sich anreihend an den „Schnepfenstrich“, beginnt auch die Minnezeit des Auerwilds. Der Auerhahn erhebt sein merkwürdiges, berühmt gewordenes „Balzen“.

Tief im vereinsamten Gebirgswalde „steht“ (verweilt) dieser Hinterwäldler, der die Kultur flieht, ja haßt. In die urwaldliche Natur der Gebirge hinein muß der Jäger steigen, um das im ewigen Düster des Nadelholzes oder in den von Mischhölzern bewachsenen Einöden hausende Wild in seinem geheimnißvollen, abgeschlossenen Lebenswandel kennenzulernen.

Hier ist es vorzugsweise, wenn nicht ausschließlich, die Jagd, welche zur Beobachtung dieser ungemein scheuen Waldwesen führt, [266] und wir verlassen gern den trocken beschreibenden Ton und ergreifen die Gelegenheit, eigene Erlebnisse vorzuführen.

Wir genossen einmal das Vergnügen, ganz unverhofft bei einer Waldtour in nächster Nähe eine höchst unterhaltende Liebesbegrüßung der pathetischen Waldwesen zu belauschen. Gedeckt, ohne Jagdgewehr, im Gehölze stehend, um den Auerhahn zu „verhören“, das heißt den Stand oder Aufenthalt desselben während seiner Balzzeit auszukundschaften, sahen wir nach und nach acht Hennen auf einige Kiefern sich einschwingen und alsbald darauf einstreichen auf eine mit Heide bewachsene Blöße ganz in unserer Nähe. Nach einer Weile kam in der Dämmerung ein starker Hahn angestrichen und „stand" unter lautem Geprassel auf die nächste Kiefer „ein". Sofort entfalteten die Huldinnen ihre Netze, indem sie ihre Hälse aus der Heide emporreckten und mit Bücklingen sich präsentirten. Von diesen Artigkeiten gereizt, stand der Hahn sogleich vom Baume ab und fiel auf die Blöße ein. Erst ließ er ein Grunzen hören, das Zeichen verliebter Ueberschwänglichkeit, dann hob er fächernd das „Spiel“ (Schwanz), ließ die Flügel hängen und rauschte zur nächsten gackernden Henne. Kaum stolzirte er vor dieser einher, da ließen die anderen Hennen sich mit hellem „Gack! Gack!“ vernehmen, so daß der von einer Seite zur anderen sich wendende Galan in einem wahrhaften Komplimentirtanze auf der Lichtung herumgetrieben wurde. Da urplötzlich brauste ein Nebenbuhler heran, ein sehr starker Hahn, der, kaum auf einer Kiefer gebaumt, blindlings auf den Courschneider da unten stürzte. Nun entstand ein hartnäckiger Kampf. Unter lauten Flügelschlägen sprangen die riesenhaft aufgeblasenen Kämpen in hohen Sätzen aneinander in die Höhe, bis einer derselben endlich wich - welcher von beiden es war, konnte in der eingebrochenen Düsterheit nicht mehr festgestellt werden. Doch mitten in der noch etwas schimmernden Blöße stand der mit Hennengegacker begrüßte Sieger aufgerichtet, eine dunkle Waldmajestät, geringschätzig dem davonstreichenden „abgekämpften“ Gegner nach „äugend“. Darauf baumte der Hahn sammt den Hennen, und einige Zeit darauf schlichen wir behutsam mit dem Vorsatze davon, im folgenden ersten Morgengrauen den so unverhofft verhörten Hahn auf der Balze zu erlegen.

In einer Köhlerhütte übernachteten wir, nachdem wir uns von einem der Köhler von zu Hause Jagdgeräthe nebst etwas Erfrischungen für den nächsten Morgen hatten holen lassen.

Schon in der zweiten Stunde nach Mitteenacht trieb uns die rege Erwartung auf den Weg zum Balzplatze, den wir noch in der Dunkelheit erreichten. Das Werter war still, und der klare, gestirnte Himmel ließ eine gute Morgenbalze erwarten. Etwas über hundert Schritte an die Kiefer, worauf der siegende Hahn am gestrigen Abend eingestanden, „gepürscht“, warteten wir in weidmännisch geduldiger Haltung das erste Zeichen des kommenden Tages ab.

Ein leiser Luftzug begleitete eben die im fernen Osten sich bildenden matten Silberstreifen und brachte die sanfte abgebrochene Strophe der feierlichen Weise des erwachenden Rothkehlchens zu unserem Gehöre. Aufmerksamer horchend, vernahmen wir plötzlich, wie sich's auf der Kiefer regte: - der Hahn schüttelte sein bethautes Gefieder und ließ sein unbeschreibbares „Wurgen“ oder „Kröpfen“ hören. Jetzt hub ganz leise, wie verzagt, das Vorspiel des Balzens an in einem abgebrochenen Satze „Bö - lü - bö“ - und tiefe Stille trat ein. Der alte, mißtrauische Waldvogel „sicherte“ (äugte umher).

Eine Weile - dann hebt das „Knappen“ wieder an - leise, zögernd, unbestimmt, wie ein Hall von ferne, nach einigen Pausen aber stärker, bestimmter, nach einer neuen Tour entschiedener und in beschleunigtem Tempo. Endlich geht das rascher und immer rascher fortschreitende Knappen - ein Geräusch, als wenn zwei Stöcke leise aneinander geschlagen würden - über in das „Trillern“, und sofort erfolgt der Ruck des „Hauptschlags“ mit dem Laute „Glack“ und das ersehnte „Schleifen“: dies sind die zischenden, einige Sekunden währenden Laute, bei welchen der Balzende im Höhepunkte der Liebesleidenschaft nichts hört und dem Jäger so Gelegenheit giebt, näher heranzukommen.

Die ersten drei Gangschritte sind gethan, und wir haben die Genugtuung, den Hahn noch „ausschleifen“ zu hören. Beim Einsatze der zweiten und dritten Schleiftour gelangen wir bis zur Blöße, auf welcher der gestrige Kampf stattfand. Vor uns steht, unweit der Kiefer, ein starker Busch, den mir uns beim nächsten Schleifen in einiger rascher und weiter ausholenden Sätzen zur Deckung ausersehen. Nach dem Ueberspringen über die Blöße setzt der Hahn plötzlich im Balzen ab. zu unserer Freude aber nur einige Sekunden, um dann aufs neue feuriger als zuvor zu beginnen.

Hierdurch gelingt es, bis zu einem Horste deckender junger Föhren etwa 40 Schritte von der Kiefer heranzukommen. Aber durch die sehr dichte Beastung derselben vermag das Auge beim schärfsten Hinsehen in der schwachen Dämmerung nur allmählich und undeutlich einen schwarzen Klumpen zu erkennen. Auf diesen richtet sich während erneuten Schleifens des versteckt Balzenden der Schuß - doch unbeweglich bleibt der dunkle Gegenstand in der Kiefer, aus der nur in leisem Geriesel Aestchen und Nadeln statt des Hahnes herunterfallen.

Der Donner des Schusses verhallt, unverändert bleibt der schwarze Punkt im Baume, nichts regt sich, ein Zeichen, daß die Ladung Nr. 1 in eine dichtverwachsene Astpartie gegangen ist und der in der Schleiftour taube Hahn den Knall des Gewehres nicht vernommen hat. Jetzt gilt es, aufs vorsichtigste den Stand des räthselhaft Verborgenen zu erspähen. Ein wiederholt verschärftes Aufhorchen während des wieder beginnenden Balzens erzeugt in uns die Vorstellung, als wechsele der Hahn während des Balzens seine Stelle. Der hier sich plötzlich aufdrängende Grundsatz, daß man sich ein zu erforschendes Ding von mehreren Seiten betrachten müsse, treibt uns an, einige Schritte seitwärts um die Kiefer herumzugehen. Jetzt mit einem Male bietet sich uns der überraschendste Anblick: - der Hahn zeigt sich gegen den Himmel in scharfer Silhouette auf einem wagrecht abstehenden dürren Aste. In seiner steif feierlichen Gangart hat er eben das Ende des Astes erreicht und ausgeschleift, als er erneut in der Dur-Tonart zu knappen und bei dem Moll des Schleifens gravitätisch rückwärts zu rauschen beginnt. Der im Taumel der höchsten Liebesverzückung Getroffene stürzt zu Boden. Im weidmännischen Triumphe hoben wir den „Verendeten“ empor - ein wahres Kabinettstück von einem Auerhahn.

Fürwahr, dieser Vogel ist das Urbild seiner Sippe, ja der ganzen Familie der Hühner. An Leibesgröße einer Truthenne gleich, bietet ein alter, ausgefiederter Hahn ein dunkelprächtig glänzendes Gefieder im Metallschimmer. Den sammetschwarzen Kopf ziert über den Augen eine hochrothe warzige Haut, die sogenannte „Rose“, die Kehle ein schwarzer Federbart, der hakige, kurze Schnabel spielt ins Gelbliche, Hals und Brust tragen eine schwarzblaue, gewässerte Zeichnung, seitlich sieht sich der Hals aschgrau an, die Brust schillert vorn grün metallisch und heißt in der Jägersprache das „Schild“. Der Rücken und die Decken der kurzen, muldigen Flügel sind schwärzlich wellenförmig durchschossen. Das Achselgelenk zeigt einen charakteristischen dreikantigen, blendendweißen Fleck, weidmännisch ausnahmsweise bei diesem Wilde der „Spiegel“ genannt. Der schwarze Bauch ist spärlich mit weißlichen Punkten versehen und den schwarzen Schwatz, „Stoß“ oder bezeichnender „Spiel“ genannt, ziert am Ende ein Kranz weißlicher Punkte. Die „Ständer“, oder „Tritte“, sind am Laufe bis zu den drei am Grunde gehefteten Zehen haarartig braungrau befiedert. Die Seiten der Zehen haben steife, hornartige Fransen, die sogenannten „Balzstifte“.

Bei dieser Beschreibung der äußeren Gestaltung des Hahnes, der hier unserer Aufgabe gemäß hauptsächlich in Betracht kommt, mag es sein Bewenden haben. Nur vorübergehend sei erwähnt, daß die um ein Drittel kleinere, schwarz, aschgrau , braun und rostgelb gescheckte Henne eine stärkere Befiederung an den Ständern trägt, also nach unserer Bezeichnung gewissermaßen die „Hosen“ anhat.

Merkwürdigere Aufschlüsse giebt die Betrachtung der Organe in Hinsicht auf die Bedeutung mancher Gliedmaßen und Gebilde an dem Vogel.

Nach Nitzsch ist die Luftröhre durchaus weich und enthält nur Knorpelringe, von welchen eine ziemliche Anzahl der letzten Strecke hinten oder auch zugleich vorne mit einander in einem mittleren Längsstreifen verschmolzen sind, während sie an den Seiten getrennt bleiben und da häufige Zwischenräume zwischen sich lassen. Der unterste Theil der Luftröhre, die Trommel, ist nach demselben Forscher noch weiter ausgezeichnet durch eine Umhüllung mit einer rundlichen, gallertartigen, mit Zellengeweben durchsetzten Masse. Die Luftröhre erscheint locker und nachgiebig angeheftet durch sehr breite, lange und geschmeidige, Bänder, sowie [267] durch gestreckte, schmale Muskeln und weiter – wie der aufmerksame Dr. Wurm nachgewiesen hat – durch zwei feste, halbkreisförmige Biegungen in ihrem unteren Theile, von welchen die erste, obere, nach außen, die andere, untere, nach innen mit ihrer Wölbung gebogen ist. Der Umstand, daß der Kinnmuskelapparat sehr verlängert erscheint und die Eigenschaft besitzt, Zunge und Luftröhre auffallend zu heben oder zu senken, ist die Ursache, daß in der Ruhe oder dem Tode die schlaff gewordenen Bänder und Muskeln in den Hals sinken und die Biegungen der Luftröhre sich zu einer Schleife gestalten. Diese auffallende Erscheinung führte bei dem phantasiereichen Jägerstande zu dem Glauben, der Auerhahn habe keine Zunge oder beiße sich dieselbe beim Verenden ab. Die Henne entbehrt dieser organischen Merkmale, mit ein Beweis, daß dieser Apparat wesentlich das Stimmwerkzeug abgiebt, das die sonderbaren Balztouren hervorbringt.

Die Aufklärung der Ursache, weshalb der Auerhahn während des Schleifens tatsächlich nichts hört, verdanken wir wiederum Wurm. Er gewahrte bei der Sektion, daß ein beiderseits vom Unterkieferwinkel entspringender, etwas ausgebogen und sich verjüngend nach oben und wenig nach hinten verlaufender, 23 bis 25 mm langer Knochenfortsatz nach vorne sich über die Ohröffnung zieht, sobald sich der Schnabel des Hahnes weit öffnet, was thatsächlich beim Schleifen stattfindet. Dieser Verschluß des Gehörganges wird um so dichter, als in dieser Zeit die Ohröffnung durch die angeschwollene Haut daselbst ohnedies verengert ist. Das Gesicht zeigt sich jedoch beim Vorspiel des Knappens thätig, ist aber ganz gewiß während der hohen Erregung des Schleifens umflort, denn der Hahn hebt in solchen Augenblicken auch noch die Nickhaut der Augen. Die Erregung und die körperliche Anstrengung hierbei ist aber auch so stark, daß das Vibriren des balzenden Vogels sich dem Standbaum mittheilt, also daß die an den Stamm angelegte Hand das Zittern verspürt. Schließlich verdient erwähnt zu werden eine ebenfalls von Wurm zuerst beobachtete merkwürdige Eigenthümlichkeit des Vogels, daß nämlich alljährlich die Hornscheide des Schnabels wie auch die Nägel der Zehen sich ablösen und neu gestalten.


Sind das nicht absonderliche Eigenthümlichkeiten eines so vielfach interessanten Wald- und Jagdthieres? Ja, der Auerhahn ist eine der hervorragendsten Originalgestalten in den Reihen unseres vaterländischen Wildgeflügels. In ihm verkörpert sich die Majestät, die Abgeschiedenheit und Mystik des Gebirgswaldes, in der Jagd nach ihm die hohe Romantik des Weidwerkes. Wer ihn je in seiner vollen Pracht gesehen hat, den Hahn des einstigen Urwaldes, der vergißt seine auffallende Erscheinung nimmermehr. Hoch aufgerichtet wie ein krähender Haushahn oder mit weit vorgestrecktem Halse und Kopfe steht er während des Knappens, um dann mit dem Einsetzen des Schleifens den Hals höher zu recken und das gefächerte Spiel aufzurichten. Es nähern sich so Kopf und Spiel während des Schleifens und gehen wieder auseinander nach vollendeter Balztour; oder der Vogel balzt, je nach seiner Individualität, so, „als ob er auf die Erde herabfliegen wollte, mit gesenkter Brust und wagrecht vorwärts, selbst etwas nach abwärts gestrecktem Kragen.“

In diesem von heftiger Leidenschaft getragenen Minnespiele mag der prächtige Hinterwäldler noch eine Weile unter seinem grünen Laubdache sein abenteuerliches Wesen treiben; bald wird er nur noch in traurigen Resten als ausgestopfter Balg in den Museen oder als Jagdtrophäe in der Gewehrstube des Jägers an die entschwundene Poesie unseres einst wildreichen deutschen Waldes wehmütig gemahnen! Laßt ihn unbehelligt, ihr Männer im grünen Kleide, seine Knospen äsen, die der Wald in seiner Lebensfülle alljährlich wieder durch Millionen anderer ersetzt; laßt ihn in überschwänglicher Minne noch eine Zeit lang balzen zum Hochgenuß des „unterspringenden“ Weidmannes! Wie lange wird es währen, da balzt der Auerhahn im deutschen Wald nicht mehr, wie der Edelhirsch bald seinen letzten Brunftschrei in den immer wildleerer werdenden Revieren durch die Morgendämmerung geschickt haben wird!


[478]

Originalgestalten der heimischen Vogelwelt.

Thiercharakterzeichnungen von Adolf und Karl Müller.
5.0 Rokokofiguren.
a.0 Der Wiedehopf.

Fremd und absonderlich, wie eine veraltete Seltenheit, welche das Gepränge einer vergangenen Zeit in die neue hineinträgt, so erscheint der Wiedehopf, wenn er sich von dem Boden in zuckendem Fluge mit bald schnellerem, bald langsamerem Flügelschlage erhebt und dem Hochwalde oder den Bäumen der Trift zustrebt. Wenn er sich niedersetzen will auf den derben Ast einer alten Eiche, dann schwebt er einige Augenblicke über der Stelle und lüftet wie ein Prachtfächer den herrlichen Federbusch seines Kopfes. Dann schreitet er dahin wie eine Figur aus dem Zeitalter der Allongeperücken. Ja, eine Rokokoerscheinung ist er, in Gestalt, Haltung, und eigenthümlichem Aufbau des Putzes. Alles an ihm ist auffallend: der lange schlanke, sanftgebogene Schnabel, welcher seitlich zusammengedrückt spitz zuläuft; der merkwürdige Kopf mit dem hohen, dunkel rostgelben Federbusch, dessen Spitzen schwarz gefärbt sind; die im Vergleich zum pomphaften Aufbau des 29 Centimeter großen Vogels kurzen, derben Füße; der mittellange, am Ende gerade abgeschnittene, schwarze, in der Mitte weißgebänderte Schwanz mit den breiten Federn, endlich das weiche lockere Federkleid. Es ist auf der Oberseite lehmfarbig, auf dem Mittelrücken, den Schultern und den Flügeln schwarz und gelblichweiß quer gestreift, auf der Unterseite hoch lehmgelb, an den Flanken entlang schwarz gefleckt.

Der Wiedehopf.
Nach einer Zeichnung von Karl Müller.

Das Weibchen, welches sich vom Männchen durch ein etwas schmutzigeres Gefieder unterscheidet, schaut aus der Nisthöhle neugierig hervor oder sitzt mit nach hinten gelegter Haube in gebeugter Stellung auf dem Aste und empfängt den Gefährten mit unverkennbarer Theilnahme. Im Bewußtsein der Sicherheit und in der behaglichsten Laune giebt das Männchen einen dumpfen Ton von sich, während sein Minneruf, ein ewig wiederholtes, in Pausen erklingendes „Hup, hup“, den Hörer in hohem Grade langweilt. Dieser jedenfalls dem Weibchen höchst zärtlich erscheinende Laut ertönt bis zum Juli. Eifersüchtig antworten sich [479] im Frühling die nicht weit von einander wohnenden Männchen in dieser eintönigen Sprache, nur daß bei besonderer Erregung zuweilen ein wie aus heiserem Hals hervorgestoßenes „Puh“ dem „Hup“ angehängt wird. Nicht selten nehmen die Nebenbuhler auch einen ergötzlichen Anlauf zum Zweikampf, der jedoch niemals zu einem blutigen Austrag kommt. Der ganze Auftritt besteht in Verfolgungen, zornigen Drohungen und Gebärden, die sich wie unschädliches Säbelgerassel prahlender Renommisten darstellen. Gegenüber andern Vögeln zeigt sich der Wiedehopf sehr zurückhaltend; er sondert sich mit Seinesgleichen streng ab, als fühlte er, daß seine vornehme Figur nicht in die lichten Haufen der gesellig Lebenden paßt. Die Ursache dieses Verhaltens liegt in seiner Arteigenthümlichkeit und scheint im Grunde auf eine hochgradige Aengstlichkeit und nervöse Erregbarkeit zurückgeführt werden zu müssen. Schon sein sehr scheues vorsichtiges Wesen, welches er bei uns zu Lande – im Gegensatze zu seinem Gebahren im Süden – zur Schau trägt, zeugt von Furchtsamkeit. Diese äußert sich aber unverkennbar, wenn er von schreckenerregenden Erscheinungen oder erschütternden Naturereignissen überrascht wird. Dann drückt er sich auf den Boden nieder, lüftet den Federbusch weit auseinander, spreizt den Schwanz, breitet die Flügel kreisförmig aus, legt den Kopf zurück und richtet den Schnabel senkrecht in die Höhe. In dieser Stellung verharrt er so lange, bis die Gefahr vorübergegangen ist. Offenbar hat der ganze Vorgang den Zweck des Schutzes, der Sicherstellung durch Täuschung.

Wenn nur einzelne Individuen zu diesem Mittel ihre Zuflucht nehmen würden, dann müßten wir das Schlußvermögen des Vogels bewundern. Aber es hat mit der Sache doch eine andere Bewandtniß. Da alle Individuen ohne Ausnahme in derselben Weise sich benehmen, so kann es sich nur um eine vererbte Gewohnheit handeln. Wohl ist der Vogel sich dessen bewußt, was er thut, auch kommt der Anstoß von außen; allein nicht Ueberlegung, nicht Nachdenken beherrscht sein Thun, sondern lediglich der Naturtrieb. Der Nervenreflex übt seine unwillkürliche Wirkung aus auf Grund jener vererbten Gewohnheit, die in ihrer Aeußerung ganz feststehende und übereinstimmende Formen annimmt. Es liegt eine irrthümliche Auffassung sehr nahe, die für den oberflächlichen Kenner des thierischen Seelenlebens etwas Wahrscheinliches und Ueberzeugendes hat: man meint vielfach, die jungen Wiedehopfe ahmten nur die alten in der Ausübung ihrer Verstellungskunst nach, es sei das Täuschungsmittel nichts anderes als das Ergebniß getreuer Nachbildung auf Grund eigener Anschauung jedes einzelnen Individuums. Aber wie die Nestbaukunst des Vogels kein Werk der Nachahmung sein kann, weil die Jungen gar nicht sehen, wie es die Alten machen, so sind die zahlreichen ähnlichen Erscheinungen im Thierleben als Arteigenthümlichkeiten, als vererbte Gewohnheiten zu betrachten, wie z. B. das Bemühen der Rebhühner und der Grasmücken, durch den Schein einer Lähmung an Flügeln und Füßen den Feind von der Verfolgung ihrer Brut abzulenken. Die Art und Weise ist bei allen Individuen der einzelnen Gattungen so treu übereinstimmend, daß schon darum eine erlernte Nachbildung ausgeschlossen erscheint, denn letztere würde unbedingt zu mancherlei Verschiedenheiten, zu größeren oder kleineren Abweichungen führen.

In der Berechnung der Größe einer Gefahr erweist sich der Wiedehopf oft recht unsicher; der Grund liegt in seiner Nervosität. Die Schwalbe z. B. muß er doch als ungefährliche Erscheinung kennen, dennoch erschreckt ihn ihr nahes Vorüberfliegen, und sofort bekundet sich ein Anflug von Angst in dem beweglichen, feinfühligen Spiel seines Federbusches.

Der Aufenthalt des sonderbaren Vogels, der in unseren Gegenden etwa von Ende März bis Anfang September verweilt, erstreckt sich mit Vorliebe auf baumreiche Ebenen, Landstriche mit Feldern und Wiesen, Viehtriften mit einzeln stehenden Bäumen. Seine Ansiedlung ist durch das Vorhandensein der Lieblingsnahrung bedingt, die in Mistkäfern und Aasfliegen besteht. Darum hält er sich gern in der Nähe von Kuhherden auf. Die Fliegen nimmt er mit dem rasch zufahrenden Schnabel und verschlingt sie ohne weiteres, dagegen behandelt er den großen und hartbepanzerten Käfer umständlicher; er stößt ihn wiederholt mit dem Schnabel auf den Boden, so daß Flügeldecken, Füße und Brustschilder davonfliegen und der weichere Körperrest übrig bleibt. Diesen wirft er dann in die Höhe, fängt ihn auf und würgt ihn in den Schlund hinab. So verfährt er mit den Mist- und Aaskäfern, den Mai-, Brach- und Rosenkäfern, sowie mit den Heuschrecken und Grillen. Der lange Schnabel dient ihm aber ebenso zum Bohren im Erdboden, und er verschmäht es auch nicht, durch Pochen das Kerbthier aus dem Schlupfwinkel zu treiben. Wir haben ihn schon an Ameisenhaufen beobachtet, wo er sich eifrig mit dem Aufpicken von Ameisenpuppen beschäftigte.

Als Nistplatz sucht sich der Wiedehopf in den meisten Fällen Baumhöhlen aus, ausnahmsweise in Deutschland hier und da auch Mauerlöcher; manchmal nimmt er sogar mit dem flachen Boden vorlieb, dann bereitet er nur eine etwas sorgfältigere Unterlage von trockenen Halmen und feinen Wurzeln. Nur einmal nistet er im Jahr, und obgleich er als Zugvogel, wie gesagt, schon im März zur Heimath zurückkehrt, wird das Gelege doch erst im Mai vollzählig.

Unserem Rokokovogel haftet bekanntlich eine recht schlimme Nachrede an. Man benutzt seinen Namen, um einen hohen Grad von üblem Geruch zu bezeichnen, und leider nicht mit Unrecht, denn es ist Thatsache, daß solch ein junger Wiedehopf von frühester Jugend auf ein höchst unreinliches Dasein führt. Unterläßt es das Weibchen schon teilweise während des Brütens, das Nest rein zu halten, so strotzt letzteres zur Zeit der Jungenpflege vollends von Schmutz und wimmelnden Maden, und die Folge ist, daß die Jungen wie die Alten ein pestienzialisches Aroma ausströmen. Erst nach dem Ausflug der jungen Wiedehopfe, die von den Eltern noch eine Zeitlang draußen gefüttert, fortwährend aber geführt und angeleitet werden, verliert sich der üble Geruch, der wahrlich zu dem stolzen, buntprangenden Federaufputz nicht paßt.

b.0 Der Wendehals.

Wenn auch nicht in dem ausgeprägten Maße wie der Wiedehopf, so tritt doch auch der Wendehals, zumal wenn er erregt die Kopffedern zum Schopfe aufrichtet, als Rokokofigur auf. Schon die Zeichnung seines Farbenkleides ist eine ganz absonderliche. Die Grundfarbe der Oberseite ist licht aschgrau und mit feinen dunklen Wellen und Punkten bedeckt, während die weiße Unterseite dunkle Flecke von Dreiecksform in weiten Abständen von einander trägt. Das Gelb der Kehle wie des Unterhalses ist mit Querwellen überzogen. Ein auffallender schwärzlicher Längsstreifen läuft vom Scheitel über den Rücken hinab; außerdem überziehen den Oberkörper schwärzliche, rost- und hellbraune Flecken. Die Schwingen sind mit roth- und schwarzbraunen Bändern durchzogen, die Schwanzfedern fein schwarz gesprenkelt und mit fünf schmalen Bogenbändern geziert. Die Beine sind grüngelb wie der Schnabel, das Auge leuchtet gelbbraun.

Sogleich nach der Rückkehr aus der Fremde zur Heimstätte, die etwa zu Anfang April erfolgt, macht sich dieser echte Frühlingsverkündiger in unseren Feldgärten, Feldgehölzen und Obstbaumpflanzungen, wo alte Bäume ihm Höhlen als Niststätten bieten, bemerkbar durch seinen eintönigen, in regelmäßigen Pausen wiederholten Ruf, der wie „didididididididi“ klingt und die Nachbarmännchen zum Wetteifer herausfordert. Wir folgen der Richtung, woher wir die Töne vernehmen, bis in die Nähe eines Apfelbaums; da verstummt mit einem Male der Vogel. Leise schleichen wir uns dicht an den Baum heran, aber trotz genauen Spähens können wir den Wendehals nicht sogleich entdecken. Das mit der Baumrinde so ziemlich gleichfarbige Gefieder erschwert die Unterscheidung, und das ängstliche, mißtrauische Thierchen bleibt anfangs regungslos sitzen. Doch plötzlich nehmen wir, nachdem unser Hühnerhund uns gefolgt ist, an dem umwulsteten Astloch über dem Stamme eine schlängelnde Bewegung wahr, und jetzt erfaßt das Auge deutlich den Vogel. Er hat den Hals weit ausgereckt, die Kopffedern gelüftet, den Schwanz fächerförmig ausgebreitet und ist mit seinen Kletterfüßen in halb aufrecht hängender Stellung wie angeheftet. Sein ganzer Leib dehnt und beugt sich vor nach der gefürchteten Erscheinung des Hundes, er verdreht förmlich die Gegend um die Augen und läßt unter sichtbarer Bewegung der Kehle gurgelnde Töne vernehmen. Dann wieder dreht er den Hals in Schlangenwindungen und macht eigenthümliche langsame Verbeugungen.

Wir führen dieses Gebärdenspiel ganz auf denselben Beweggrund zurück wie dasjenige des Wiedehopfs, das wir oben geschildert haben; es ist wiederum nichts anderes als das Bestreben des geängstigten Vogels, sich durch Täuschung vor dem Gegenstande [480] seiner Furcht zu schützen. Aber auch hier haben wir es nicht mit etwas Erlerntem, sondern mit etwas Ererbtem zu thun.

Der Hund wird zurückgejagt und der Wendehals von neuem beobachtet. Nach und nach beruhigt er sich, bleibt indessen noch längere Zeit an derselben Stelle, bis er sich endlich entschließt, wegzufliegen, und zwar in abwärts gehender Richtung bis beinahe zum Boden, dann in geradem Zuge mit raschem Flügelschlag und endlich in großem flachen Bogen einem andern Baume zu. Läßt er sich auf den Boden nieder, dann bewegt er sich plump hüpfend in Sprüngen.

Bei der Wahl der Nisthöhle ist der Wendehals auf ein enges Eingangsloch bedacht, durch welches sein Leib gerade noch hindurchgeht. Wir entdeckten an ihm eine Vorliebe für nicht allzu hoch gelegene Baumhöhlen. Sehr oft richtet sich ein Paar Wendehälse unten in der Nähe des Stammes in einem Astloch häuslich ein, während in den höher gelegenen Höhlen desselben Baumes Meisen, Rotschwänzchen, Feldsperlinge oder andere Höhlenbrüter nisten. In diesem Falle läßt der Wendehals, mit seiner Wohnung zufrieden, die Mitbewohner des Baumes unbehelligt. Anders aber, wenn er um eine häusliche Unterkunft verlegen ist und die ihm passenden Plätze bereits besetzt findet. Dann kann es vorkommen, daß er einfach ein fremdes Nest in Beschlag nimmt, ohne viel nach Recht und Billigkeit zu fragen.

Der Wendehals.
Nach einer Zeichnung von A. Specht.

Geräth solch ein Paar in Angst oder Schrecken, so stößt es vereinigt den Laut „Schächt“ aus; das Weibchen läßt bei hochgradiger Erregung auch ein Zischen vernehmen. Die Jungen, welche wie die Wiedehopfe im Koth der Nisthöhle aufwachsen, schwirren wie die Heuschrecken, wenn die Eltern mit Futter bei ihnen einkehren. Erwähnenswerth ist noch das besonders hingebende Brüten des Weibchens, welches sich durch das heftigste Klopfen nicht von dem Gelege scheuchen läßt. Aber wenn man es unmittelbar berührt oder aufs äußerste bedrängt, dann läßt es jenes eigenthümliche Zischen gegen den Störenfried vernehmen.

Die Nahrung des Wendehalses sind Kerbthiere, in überwiegender Menge Ameisen und deren Puppen. Deswegen trifft man ihn auch häufig bei den Ameisenhaufen an. Nach Art der Spechte, vermag er die Zunge sehr weit vorzustrecken, die durch ihre dünne, wurmartige Gestaltung und ihre feine Zuspitzung in alle Ritzen und Löcher einzudringen imstande ist. Ganz merkwürdig ist die Verwendung dieser Zunge beim Ameisenfang. Der Vogel steckt sie in den Ameisenhaufen; an ihrem klebrigen Überzug bleiben eine Anzahl der Thierchen haften – und blitzschnell fährt sie beladen in den Schlund zurück, um, der Beute ledig, alsbald zu neuem Fange ausgesandt zu werden. Der Muskelapparat arbeitet dabei so schnell, daß man an einem gefangenen Wendehals selbst mit Aufbietung der ganzen Sehkraft nicht deutlich unterscheiden kann, ob die Beute angespießt oder wie mit einer Leimruthe gefangen wird. Wir glauben indessen, daß das letztere anzunehmen ist. – Nachdem die Jungen mehrere Wochen noch unter Führung der Eltern herangewachsen sind, zerstreuen sich die Familienglieder, und so trifft man sie im Nachsommer, von der Mitte des Juli an, mehr denn vorher einzeln auf dem Boden, im Rasen, auf Gemüseländern, an Wegen und Rainen. Vom August an führt der Wendehals ein unstetes Leben, später, am Ende dieses Monats, sammeln sich kleine Gesellschaften, die zur Nachtzeit die Wanderung nach dem Süden, ins Land der Pharaonen oder des Mahdi, unternehmen.

[352]

Originalgestalten der heimischen Vogelwelt.[6]

Thiercharakterzeichnungen von Adolf und Karl Müller.
6.0 Unsere Meistersänger.

Die Heimath der besten Singvögel der Welt ist vorzugsweise unser wald- und stromreiches deutsches Vaterland. Das Lied dieser Meister ist es, welches unseren Gärten, Fluren und Wäldern so hohen Reiz auch für das Ohr verleiht, welches der Natur, die uns entzückt, erst die rechte Seele giebt.

Unter allen Sängern möchten wir in der folgenden Schilderung drei herausheben, gewissermaßen je einen Vertreter des Parkes, des Waldes und des Feldes: die Nachtigall, die Singdrossel und die Feldlerche.

Die Nachtigall, die schon im Alterthum als die Königin der Singvögel verherrlicht wurde, nimmt unstreitig den ersten Rang ein, selbst vor dem ungarischen Sprosser, der ihr an Mannigfaltigkeit der Liedesstrophen und des Ausdrucks entschieden nachsteht. Freilich reden wir hier nicht von mittelmäßigen oder geringeren Exemplaren, wie man ihnen oft an Plätzen begegnet, wo Paare in großer Anzahl nahe beieinander wohnen, sondern von besonders begabten Sängern, welche sich in der Einsamkeit zur höchsten Vollendung entwickelt haben. In dem Bestreben nämlich, sich gegenseitig zu überbieten, bekommen die Thierchen eine Vorliebe dafür, besonders durchgreifende Schmettertouren häufig vorzubringen, und die Folge ist eine den Hörer ermüdende Einseitigkeit. Anders bei der guten, in der Einsamkeit aufgewachsenen Nachtigall. Was sie auszeichnet, ist gerade der Reichthum der Touren oder Strophen, die nicht selten die Zahl dreißig und darüber erreichen. Ferner ist das Austragen der Strophen in vollendeter Form hervorzuheben. Ein Zerhacken derselben zeugt von schlechter Entwicklung des Schlags. Je rascher die Touren aufeinanderfolgen, je feuriger, hingebender und ausgeführter sie ertönen, desto vorzüglicher ist der Vogel. Hiermit muß sich dann noch der Schmelz, das Crescendo und Diminuendo, mit einem Wort, das Seelenvolle im Ausdruck verbinden, ja der Ton an sich muß als etwas Angeborenes sympathische Eigenthümlichkeit besitzen. Es ist dies beim Vogel überhaupt nicht anders wie beim Menschen, dessen Stimme ohne die Beigabe des natürlich Sympathischen trotz aller Kunst nicht zum Herzen spricht. Endlich liegt ein großer Reiz für das fein unterscheidende Ohr des Kenners in der interessanten Verbindung der Touren, in den Uebergängen und überraschenden Zugaben nach dem Aushalten von athemerschöpfenden Flötenpartien.

Uebrigens kann Ueberreizung zur Zeit der Minne auch bei vorzüglichen Sängern dem fließenden Gesang Eintrag thun. Außerdem scheint die Morgenfrühe zu einem mehr abgebrochenen Vortrag geneigt zu machen. Sonst kann als Regel aufgestellt werden, daß die abgebrochene Gesangsweise zu Ende der Singzeit, in ihrer zweiten Hälfte oder auch schon früher Platz greift, während unmittelbar nach der Ankunft in der Heimath der Gesang am raschesten, während des Brütens des Weibchens aber am vollsten, lautesten und beseeltesten ertönt.

Eine interessante Frage ist die nach der Vererbung des Nachtigallengesanges. Man glaubt gewöhnlich, die jungen Nachtigallen erlernten den Gesang des Vaters durch Anhören. Dies ist jedoch darum nicht der Fall, weil zur Zeit der Jungenpflege der Gesang zurücktritt und, wenn er wirklich noch dann und wann gehört wird, sehr unvollkommen und bruchstückweise erschallt. Die junge Nachtigall dagegen übt schon an schönen Augustmorgen ihren sehr stümperhaften Gesang ein und bildet ihn dann im Lenz des Südens zur Vollendung aus. Ausgeschlossen ist dort das Vorbild alter Männchen nicht, aber das Hauptsächlichste besteht nicht in der Nachahmung, sondern in der Ursprünglichkeit des Vermögens, in der Herausbildung des Gesanges aus der eignen Seele des Vogels. – –

Treten wir nun aus dem Parke, wo wir dem Sänger der Liebe gelauscht haben, in unseren Buchenwald mit seinen Laubhallen und seinen jungen Gehegen. Der junge Frühling bricht herein, die schlafenden Triebe erwachen, in tausend Formen und Gestalten offenbart sich die ewige schöpferische Kraft der Natur. Und diesen herrlichen Frühlingswald durchschmettert der Liederschall aus den lenzfrohen Kehlen der gefiederten Welt.

„Waldnachtigall“ ist die schöne, treffende Bezeichnung Welkers für unsere urwüchsige Singdrossel. Mit den Stürmen der Nächte schwingt sie sich im Monat März in den heimathlichen Forst zurück. Noch ist ihr der Baum, der Ast, der Zweig genau bekannt, auf welchem sie im vorhergehenden Jahre den Lenz und die Liebe besungen. Wer den Schnepfenstrich kennt, weiß, welch einen Zauber die Frühlingsrufe dieses Waldsängers auf das Gemüth des Hörers ausüben. Es sind sprechende Rufe, die zum Ohre schallen und oft in Worte und Namen sich ausdeuten lassen. Das Volk hat viele derselben übersetzt, und diese Uebersetzungen bilden immer ein Stück frischer Waldpoesie. Unvergeßlich sind uns die Abende auf dem Schnepfenstrich, wo wir dem Konzert des Meistersängers unserer Wälder mit Hingebung lauschten, wo der Wettkampf der Männchen begann und sich immer feuriger entwickelte. Es ist, als wollten die Eifersüchtigen noch alle Kunst und Kraft aufbieten, um den Tag glanzvoll zu beschließen. Welch ein großer Abstand in Bezug auf Schönheit, Mannigfaltigkeit und Kunstfertigkeit des Vortrags herrscht aber auch unter den Sängern! Hier ein elender Stümper, welcher neben einem einförmigen Gezwitscher nichts andres hören läßt als ein paar grell hervorgestoßene Rufe; dort eine mittelmäßige Leistung, die neben Rühmenswerthem gewisse Unarten und Geschmacklosigkeiten aufweist; über alle erhaben aber an einer dritten Stelle ein Virtuose, der berufen ist, mit der Nachtigall um den Vorrang zu streiten.

Was gehört nun zu einem solch hervorragenden Künstlerthum? Wir wollen die Haupterfordernisse im folgenden hervorheben: markig, voll, nicht schreiend, aber dennoch weithin schallend muß die Stimme sein, ausgestattet mit dem eigenthümlichen Metallklang, der wohlthuend wirkt. Der Umfang der Stimme muß es ferner dem Vogel ermöglichen, den Tönen die nöthige Abwechslung in ihrer Lage zu geben, womit aufs engste die ansprechende Bildung der Strophen und deren Reichthum zusammenhängt. Sei an und für sich der Ruf, die Strophe noch so schön und wohlklingend – wenn sie zu oft wiederholt wird, dann ermüdet der Hörer bald und vermag auch das Schönste nicht mehr zu genießen. Andererseits dürfen die besten Theile des Gesanges und die interessantesten Wendungen nicht zu selten wiederkehren. Je deutlicher und sprechender, desto fesselnder und unterhaltender ist der Drosselgesang.

Jeder Bezirk oder wenigstens jeder größere Waldbestand hat seine charakteristischen Drosselrufe, die zwar immer als solche unverkennbar bleiben, aber doch auf die feinsten Unterschiede sich zuspitzen. Diese Thatsache nun ist vollauf nach dem Sprichwort zu erklären: „Wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen.“ Denn die jungen Drosseln hören nicht bloß im Neste, sondern auch nach ihrem Ausflug noch lange den Vater und prägen sich seine ganze Art und Weise genau ein; ihre Nachbildung des väterlichen Gesanges ist deshalb, einzelne untergeordnete Abweichungen abgerechnet, so getreu, daß sich das Charakteristische fortdauernd erhält. Nun ist es uns aber nicht selten vorgekommen, daß wir mitten unter diesen übereinstimmenden Individuen das eine oder andere entdeckten, welches auffallend abweichende Gesangsstrophen hören ließ und uns wie ein Fremdling auffiel. Diese Erscheinung können wir nur darauf zurückführen, daß einzelne Drosseln auf dem Zuge durch irgend welches Verhängniß aufgehalten oder aber vielleicht vom Wandertrieb weit über die Grenze ihrer früheren Heimath hinausgeführt worden sind. Sie erscheinen demnach als Einwanderer, was ja bei der in der Vogelwelt herrschenden Freizügigkeit nicht wunder nehmen darf. – –

Der Leser folge uns nun in die Flur, mitten in das junge Getreidefeld, um den Sänger des Feldes in seinen Gesangsleistungen kennenzulernen!

Der schöne Vorsommertag neigt sich zu Ende. Still ist die [353] Luft. Wohlthuende Abendkühle umhaucht uns und führt uns den würzigen Duft der Feldgewächse zu. Das Gezirp der Grillen stört nicht den Eindruck der Einsamkeit, und das Liedchen der Dorngrasmücke, die vom Blüthenschnee des Dornstrauchs mehrere Fuß hoch flatternd und zögernd und dann wieder in Zickzackwendungen emporsteigt, trägt zur Vollendung der Stimmung bei. Jetzt erhebt sich eine Lerche in schiefer Richtung aus dem Dunkel der Saat. Die Töne aus ihrer Kehle klingen unserem Ohre in der Nähe etwas scharf und schrill, aber wohlthuender berühren sie unser Ohr, sobald sich die Sängerin in bogenförmigen Windungen zur Höhe gleichsam emporgeschraubt hat.

Nachtigallen im Wettgesang.
Nach einer Zeichnung von Adolf Müller.

Auffallend erscheint dem verfolgenden Auge der Umstand, daß die Schraubenwindungen des Aufflugs von der Rechten zur Linken gehen, während eine andere benachbarte Lerche umgekehrt verfährt, eine dritte mit diesen Windungen nach der einen und andern Richtung abwechselt. Ununterbrochen nimmt dabei der Gesang seinen Fortgang, und kaum hält man es für möglich, daß die Sängerin dabei den nöthigen Athem schöpfen kann. Aber man betrachte die der Lerche zu Gebote stehenden Werkzeuge: diese starke gewölbte Brust, diesen feinen, freien Hals, diese großen kräftigen Schwingen, die den Flug nach oben ungemein fördern. Man beobachte den stürmischen Drang der Vogelseele, sich zu erheben hinauf in den reinen Aether, zu den Wolken, das leicht erregbare Gemüth, das sich selbst im Gange, in der Haltung und in dem beweglichen Spiele der Kopffedern kundgiebt! Das alles erklärt die ungewöhnliche Kraftäußerung der kühnen Luftsteigerin. Das Lied der Lerche sprudelt mit wahrhaft elementarer Gewalt hervor. Im allgemeinen läßt sich sagen, daß es eine in engen Grenzen sich haltende Melodie, eine ewig wiederkehrende, im Einerlei fortgesponnene Weise ist. Die Töne an sich sind schwirrende, trillernde und flötende. Doch fällt dem verständnißvollen Hörer nicht bloß bei dem Vergleich der einzelnen Exemplare, sondern auch bei dem der Bewohner der Ebene einerseits, der Gebirgsgegenden andererseits ein merklicher Unterschied auf. Wohl kommen auch in der Ebene vorzügliche Sänger vor, aber die besten haben wir doch immer im Gebirge gehört. Die Ebene birgt vorzugsweise solche Lerchen, die sich in schwirrendem und trillerndem Gesang ergehen, während das Gebirge viele aufweist, welche klangvollere Flötenpartien und interessantere Wendungen, größeren Tonumfang hauptsächlich in der Tiefe und reichere Abwechslung bekunden. Offenbar ist die Ursache darin zu suchen, daß im Gebirge, wo die Felder kleiner sind und in der Nähe der Wälder liegen, die Lerchen vieles von den Waldsängern annehmen und in ihr eigenes Lied verweben.

[354] In der That giebt es Sänger im Gebirge, die soviele melodische Tone hören lassen und ihren Gesang dadurch so reichhaltig gestalten, daß von Eintönigkeit nicht mehr die Rede sein kann.

Die junge Lerche besitzt die Nachahmungsgabe in nicht geringem Grade; davon überzeugt man sich bei flügge eingefangenen Jungen, die man im Käfig in die Umgebung guter Sänger anderer Art oder vor ein Fenster nahe einem Parke versetzt. Eine Menge Gesänge wird unter solchen Umständen von der Lerche erlernt und treu wiedergegeben. So nimmt auch die junge Lerche draußen im Freien von Sängern des Waldes wenigstens Strophen und einzelne melodisch klingende Töne auf, die aber nicht für sich vorgetragen, sondern geschickt in das Lerchenlied wie Schmuck in ein Gewebe eingewoben werden. In der Freiheit verleugnet die Lerche ihr eigenartiges Lied nicht; nur in der Gefangenschaft läßt sie, jung eingefangen, das Eigenthümliche des Lerchenliedes fast gänzlich fallen und wird zur Nachahmerin anderer Sänger.

[508]

Originalgestalten der heimischen Vogelwelt.[7]

Thiercharakterzeichnungen von Adolf und Karl Müller.
7.0 Segler der Lüfte.0 Mit Abbildungen von Marie Laux.
a.0 Unsere Schwalben.

Segler der Lüfte!“ Ja, das Luftmeer ist das wahre Element ihres Lebens! Selten kommen sie zur Erde, ihre körperliche Ausrüstung hat sie zum ewigen Fluge bestimmt, ihr Sinn strebt nach der Höhe und Weite, nach der Freiheit, der ungebundenen, schrankenlosen Bewegung. Auch ihre Nahrung bietet sich ihnen nur im Reiche der Luft.

Als die geflügelten Boten des Lenzes, als treue Mitbewohner unserer Städte und Dörfer und als unermüdliche Vertilger der Insekten in der Luft sind die Schwalben überall willkommen, und gern wird ihnen der wohlverdiente Schutz zu theil. Wenn auch viele der neuerrichteten Häuser nur in sehr geringem Grade den Bedingungen entsprechen, unter welchen die Schwalbe gerne nistet, wenn auch nicht wenige Hausbewohner des Schmutzes halber die Anfänge des Nestbaues mit Stöcken und Stangen zu entfernen bemüht sind, so giebt es doch unzählige Plätzchen mit warmer Lage, rauher Fläche und schützender Decke, welche den lieben Gästen friedlich winken, und Tausende von Hausbesitzern nehmen gern eine kleine Unannehmlichkeit mit in den Kauf, wenn sie den treuen, anhänglichen Thierchen Obdach zu bieten imstande sind. Freilich ist es der Schwalbe, der Rauch- wie der Hausschwalbe, am liebsten, wenn die menschlichen Wohnungen die Spuren des Alters und des Zerfalls an sich tragen, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil damit die Gelegenheit zu bequemem Nisten sich mehrt. Wie manches Rauchschwalbenpaar ist schon durch das Ausbessern einer Fensterscheibe am Pferde- oder Kuhstall in bittere Verlegenheit gesetzt worden, weil ihm damit der einzige Weg zu seinem Neste verschlossen wurde!

Mit Sehnsucht wird die Ankunft der Schwalben im Frühling erwartet. Sind sie doch die Vorboten der schönen Sommerzeit. Einen eigenthümlichen Zauber haben die Töne der Rauchschwalbe, wenn sie am Morgen nach ihrem Erscheinen an der heimischen Stätte ihr „Wittwitt“ hören läßt, wenn sie zum ersten Male wieder mit ihrem Liedchen das Frühroth besingt. Und welch einen fesselnden Anblick bietet sie, wenn sie in kunstvollem Fluge die Luft durchschneidet, hier sanft dahinschwebt und nur zuweilen die Schwingen regt oder auch im plötzlich flatternden

[509]

Rauchschwalben.  

Aufschwung ein Kerbthier über sich hascht, dort in sausender Eile mit kühnen Zickzackwendungen dahinschießt, oder drüben über der Spiegelfläche des Teiches, über den schäumenden Wellen des Flusses in abwärts geschweiftem Bogenflug das Gefieder netzt und im Auftauchen es schüttelt! So sicher ist ihr Flug, daß sie durch Oeffnungen, welche nur den Umfang einer Mannsfaust haben, ohne Anstoß hindurchschlüpft. Nicht minder unterhaltend erscheint sie, wenn sie auf einem Gebäudevorsprung fußt, um zu ruhen oder ihre Federn zu putzen und zu ordnen. Umspielt vom lauen Windhauch, umschmeichelt von den Strahlen der Sonne, schlägt sie wohlig mit den Flügeln und singt eine Zeitlang, wetteifernd mit den Nachbarmännchen, ihr kurzes, aber angenehmes Liedchen.

Plötzlich verstummen die wohlgelaunten Sänger, denn es erscheint unter dem Warnruf „Dewihlik“ ein Gefährte, der den gefährlichen Räuber, den Baumfalken, erblickt hat. Hastig erheben sie sich alle in die Luft, weitausstrebend, als wollten sie in weite Ferne von dannen ziehen, oder sie flüchten, wenn die Gefahr nahe rückt, bestürzt in die sicheren Ställe und Scheunen.

Snell hat über die Signaltöne der Rauchschwalben eingehende Beobachtungen gemacht. „Sie signalisieren den Wanderfalken ebenso wie den Baumfalken. Die Rauchschwalben haben nämlich wie die meisten Vögel zweierlei Signaltöne: der eine, ein helles lautes Aufschreien, drückt mehr Zorn und plötzlichen Schrecken aus, der andere, ein tiefer flötender Ton (‚flüh, flüh‘), ist der Ausdruck der äußersten Angst. Diesen letzteren Alarmruf nun stoßen die Rauchschwalben beim Anblick des Wanderfalken aus, wofern er ihnen nicht schon unmittelbar auf den Fersen ist, und ergreifen zugleich eilends die Flucht. Dies ist so auffallend, daß man hiernach schon unterscheiden kann, ob ein Falco palumbarius (Habicht) oder ein Falco peregrinus (Wanderfalke) in Sicht ist.“

An schönen sonnigen Tagen erblickt man die Rauchschwalbe gleich ihren Verwandten in höheren Luftschichten, weil unter diesen günstigen Witterungsverhältnissen auch so mancherlei Kerbthiere sich zur Höhe erheben. Anders an rauhen naßkalten Tagen oder bei Sturm: da halten sich die stets auf Nahrung bedachten Vögel dicht an die Erde, um an geschützten Plätzen der so viel wie möglich trockene und warme Lagen suchenden Zwei- und Netzflügler habhaft zu werden. Dabei bekundet die Rauchschwalbe ein scharfes Sehvermögen. Im raschesten Fluge entdeckt sie die an den Wänden oder Fenstern der Häuser still sitzende Beute, streift sie mit einem Flügelschlag ab, um sie sofort mit dem weiten Sperrvogelschnabel zu erfassen. Das Nest der Rauchschwalbe haben wir in Ställen, Scheunen, Schornsteinen, gemauerten Ziehbrunnen, unter Balken, über Thorwegen und in Hausfluren gefunden. Sie liebt einen Vorsprung über dem Neste als Schutz und eine Erhebung unter demselben als Stützpunkt. Das Material besteht aus Erdklümpchen mit Halmen untermischt, welche mit Speichel verarbeitet werden. Die Absonderung dieses Speichels ist mit einer zitternden Bewegung des Kopfes und anstrengendem Würgen verbunden. Sind eine Anzahl Klümpchen auf- und aneinander geklebt, so lassen die Schwalben erst eine gewisse Zeit zum Trocknen verstreichen, ehe sie weiterarbeiten. Da nur der Morgen zum Baugeschäft verwendet wird, so dauert es längere Zeit, bis das Werk vollendet ist. Die Form des fertigen Nestes bildet den vierten Theil einer Hohlkugel, die Breite desselben beträgt etwa 25, die Tiefe etwa 12 Centimeter. Innen wird es mit zarten Halmen, Haaren, Federn und filzigen Stoffen mannigfacher Art ausgepolstert, und die Erneuerung dieses Polsters ist oft jahrelang die einzige Bauarbeit eines Rauchschwalbenpaares, da es ein und dasselbe Nest gern wieder benutzt. Nicht selten nimmt jedoch ein Paar aus irgend welchem unbekannten Grunde Anstand, das alte Nest zu beziehen, und baut lieber ein neues daneben oder darüber; so kann es kommen, daß nach und nach eine ganze Anzahl von Wohnungen an einem Balken des Stalles entsteht. Uebrigens trifft man auch kleine Kolonien von Nestern mehrerer Rauchschwalbenpaare an.

Vier bis sechs dünnschalige, blendendweiße, mit grauen und röthlichbraunen Punkten versehene Eier bilden das Frühjahrsgelege, welches von dem Weibchen zwölf bis dreizehn Tage bebrütet wird, während das Männchen für die Nahrung besorgt ist. Sind die Jungen einigermaßen flugfähig, so wagen sie sich gar bald auf die in der Nähe befindlichen, zum Fußen geeigneten Gegenstände, hocken im Gefühl ihrer Unsicherheit gern dicht nebeneinander und locken wie die Alten „witt witt“, welchen Ton sie rasch hintereinander ausstoßen, wenn die vor ihnen in der Luft stehenden Eltern sie füttern. Nach und nach erweitern sie ihren Flugkreis, kehren aber zu ihrer größeren Sicherheit abends zur Wohnstätte zurück. Sie halten sich noch längere Zeit vereinigt, bis sie selbst die Insektenjagd verstehen und betreiben. Zum zweiten Male brüten die Rauchschwalben im August, und beide Bruten sammeln sich im Herbste mit Scharen ihrer Brüder und Schwestern im Rohrdickicht, auf Thürmen und Häusern und verlassen uns des Nachts. Nur einzelne bleiben etwas länger und folgen endlich auch den vorangezogenen Schwärmen.

Zur Zeit der Herbstwanderung sieht man mit der Rauchschwalbe öfters eine andere Schwalbenart vereinigt, welche sonst gänzlich von jener geschieden ist, ja zuweilen mit ihr wie unter sich in Zank und Streit geräth: die Mehlschwalbe (Chelidon urbica). Sie bildet eine andere Sippe, ähnelt aber der Rauchschwalbe sehr in der Lebensweise. Ihre Ankunft fällt in den April, einige Tage nach der Rückkehr der Rauchschwalbe. Da sie einer außerordentlichen Menge von Kerbthieren zur Nahrung bedarf, so wird sie durch den zeitweisen Rückschlag der Witterung manchmal in Noth versetzt, und oft haben wir solche Thierchen traurig und matt durch die Straßen fliegen sehen, die tags zuvor noch fröhlich im Aether sich gewiegt hatten.

Während das Rauchschwalbennest nur den vierten Theil einer Hohlkugel ausmacht und demnach oben offen steht, bildet das Mehlschwalbennest in der Regel die Hälfte einer solchen und hat nur seitlich ein Flugloch. Aeußere Umstände können freilich diese Halbhohlkugel etwas verändern, auch bauen viele Schwalbenpaare ihre Nester kolonienweise neben- und selbst aufeinander. Das Baugeschäft wird ebenfalls nur morgens vorgenommen. Man sieht gewöhnlich mehrere Paare eine in Frage kommende Stelle umkreisen und untersuchen. Sie probieren und prüfen erst, ohne Material herbeizutragen, wobei es zu Zänkereien und Drohungen mit dem geöffneten Schnabel kommt. Wird ein besonders günstiges Plätzchen entdeckt, so sammelt sich alsbald wie auf Verabredung die ganze baulustige Schwalbengesellschaft der Nachbarschaft, und nun bietet sich dem Beobachter ein wirklich unterhaltendes Schauspiel dar, wenn die trippelnden, im Gehen so unbeholfenen Vögel bohnengroße Klümpchen Erde im Schnabel ansammeln und den Nestern zutragen. Selten, weit seltener als die Rauchschwalben, mischen sie der Erde Strohhälmchen bei. Die Füße klammern sich mit großem Geschick an der Wand fest, und der ausgebreitete seicht gegabelte Schwanz dient zur Stütze.

Die Klümpchen werden in derselben Weise wie von der Rauchschwalbe mit Speichel bereitet und sorgfältig aufgeklebt, [510] keineswegs aber geglättet, sondern rauh gelassen. Zuerst entsteht ein halbbogenförmiger Kranz von unten, auf welchem die Schwalbe nun einen bequemen Sitz hat und rüstig weiter mauern kann. Dabei wechselt sie nach Bedürfniß ihre Stellung. Bald hängt sie sich außen an die Nestwand an, bald schaut sie von innen heraus. Letzteres geschieht insbesondere dann, wenn das Flugloch angelegt wird. Im Innern füttert die Mehlschwalbe gleich ihrer Verwandten das Nest mit Stroh und Grashälmchen, Federn, Wolle und sonstigen weichen Stoffen aus. Das Weibchen brütet allein über den vier bis sechs dünnschaligen, weißen Eiern, bei günstigem Witterungsverlauf zwölf bis dreizehn Tage, bei ungünstigem etwas länger, weil es alsdann wegen der mangelhaften Fütterung von seiten des Männchens das Gelege verlassen und sich selbst auf die Jagd begeben muß. Die flügge gewordenen Jungen bleiben verhältnißmäßig lange im Neste; kommen die Eltern mit Speise zurück, so machen sich die älteren von der Brut zirpend an das Flugloch vor und die jüngeren müßten bei der Fütterung zu kurz kommen und bald verhungern, wenn die Alten nicht ein Einsehen hätten und sich in die Tiefe des Nestes zu ihnen drängten. Noch des Nachts hört man die Brut unruhig zirpen, und es ist nur zu verwundern, daß alt und jung in dem engen Raume überhaupt Platz findet. Manchmal giebt freilich auch die Nestwand nach, und die ganze Gesellschaft wird an die Luft gesetzt. Infolge dessen bemerkt man wohl da und dort ein noch nicht flugfähiges Schwälbchen, welches verlassen auf dem Bauche liegt, mühsam mit den Flügelchen sich stützt und sehnsüchtigen Blickes nach der Höhe um Hilfe schreit. Sind die Jungen ausgeflogen, so besuchen sie noch eine Zeitlang allabendlich ihre Geburtsstätte, bis es ihnen von den Eltern verwehrt wird, die zu einer zweiten, weniger fruchtbaren Brut schreiten. Die Atzung findet nunmehr in der Luft statt. Die alte und junge Schwalbe fliegen sich entgegen, steigen ein wenig voreinander in die Höhe, und unter Gezirp empfängt der Pflegling die Liebesgabe. Mitten unter großen Flügen erkennen alle Schwalbenpaare unfehlbar ihre eigenen Jungen.

Uferschwalben.

Ein merkwürdiges Beispiel von der Fürsorge eines alten Mehlschwalbenpaares für die Erhaltung seiner Jungen müssen wir noch erzählen. Das Nest der Familie war gesprengt worden, und die Jungen lagen halb flügge am Boden. Menschliche Hilfe bereitete den Kleinen einen bequemen Sitz auf einem am geborstenen Neste angebrachten Brette. Doch gerieth das eine und andere Schwälbchen infolge seiner Unruhe über den Rand hinaus, so daß es wieder hinabfiel. Da fingen plötzlich die Eltern an, Baumaterial herbeizutragen und um die noch auf dem Brette sitzenden jüngsten Kinder einen Kranz zu kitten, auf welchem sie alsdann weiter mauerten, bis eine genügende Wölbung hinlänglichen Schutz gegen das Hinabfallen bot. Es ist dies der erste Fall von einer derartigen Veranstaltung zum Schutze der Brut nach Zersprengung des ersten Nestes, welcher uns bekannt geworden ist.

Bewundernswürdig erscheint unter den Seglern der Lüfte die Uferschwalbe durch die Art, wie sie ihre Nisthöhlen bereitet. Diese sind nämlich mit Vorliebe und meist in großer Anzahl nebeneinander in die steilen Wände und Böschungen eines Flußufers, Hohlwegs oder dergleichen gegraben.

Bei oberflächlichem Blicke hält man es für unmöglich, daß das schmächtige Vögelchen eine solche Arbeit vollbringen kann, aber bei näherer Betrachtung erkennen wir in dem kurzen, harten, schneidig gekanteten und scharf zugespitzten Schnäbelchen sowie in den außerordentlich scharfkralligen Füßen die wirksamsten Werkzeuge zur Herstellung der tiefgehenden Höhlungen, welche nicht bloß in Lehm-, sondern sogar in Sandsteinwänden zu finden sind. Wir haben die kleinen Vögel in ihrer mühevollen Arbeit eingehend beobachtet und das Ergebniß unserer sorgfältigen Bemühungen in der Schilderung der Nestbaukunst der Vögel in unserem Werke „Thiere der Heimath“ niedergelegt. Das Schnäbelchen des kleinen Minierers vertritt die Stelle des Spitzhammers, die Füße dienen als natürliche Steigeisen; hin- und herrückend oder in kurz abgesetzten Bogenflügen sucht er nach einer passenden Stelle, die nicht zu locker und auch nicht zu fest ist für seinen Zweck; hier und da hackt der Schnabel versuchsweise in die Wand, bis endlich das richtige Plätzchen gefunden ist. Dann beginnt ein ganz eigenthümliches Verfahren: das Schwälbchen beschreibt mit dem Hinterleib und den Füßen einen Kreis um seinen Kopf, dessen Schnabel sich in die Wand bohrt.

Emsig und ausdauernd wird so weiter gegraben, nach allen Seiten springt das Material weg und in kurzer Zeit hat das scharfe Werkzeug eine runde Vertiefung geschaffen – das zukünftige Flugloch der Nisthöhle – in welcher das Thierchen festen Fuß fassen kann. Rasch fördert es die Arbeit, so daß es bald in der Wand verschwunden ist. Mit dem Fernrohr gewahrt man es nun bald seitlich, bald oben oder unten in der erweiterten Höhlung hängend, die es fortwährend im Kreise mit dem Schnabel bearbeitet. Der sich ansammelnde Schutt wird mit den Füßen herausgescharrt, größere Brocken schiebt der Vogelleib gemächlich nach dem Ausgang, um sie dann durch ein plötzliches Anstemmen über den Rand hinabzustoßen. So schafft sich der kleine Erdarbeiter allmählich ins Innere, indem er einen etwas schräg nach oben verlaufenden runden Gang herstellt, so daß eindringendes Regenwasser sogleich wieder abfließen kann. Das am höchsten liegende hintere Ende wird für das kunstlose, aus einer einfachen Unterlage von Genist und Federn bestehende Nest ausgehöhlt. Der Gang ist meist in gerader Richtung angelegt, bisweilen muß er sich aber auch um Steine oder Wurzeln herumwinden; er dringt gewöhnlich einen halben Meter, manchmal aber auch bis zu dreiviertel Meter tief in die Erde.

Die Wände, an welchen sich die kolonienweise nistenden Uferschwalben ansiedeln, erscheinen wie vielfach durchlöchert. Ueberall nimmt man Stellen wahr, wo Versuche, Anfänge zu Höhlungen gemacht worden sind, die aber wegen irgend eines Hindernisses, vielleicht auch aus Laune wieder aufgegeben wurden. Um sich vor den Wasserratten, den Wieseln etc. zu schützen, legen die vorsorglichen Vögel ihre Nestlöcher nie in der Tiefe an, sondern ungefähr von der Mitte der Wand an aufwärts bis zu einem [511] Meter von dem oberen Rande. Häufig sind die Wohnungen so dicht neben- und übereinander gelegen, daß nur eine Handbreite sie voneinander trennt. Die Kolonie bietet den Anblick eines äußerst bewegten, munteren Treibens. Unaufhörlich schaffen die fleißigen Gesellen, ganze Abtheilungen fliegen plötzlich ab, um ein Luftspiel vorzunehmen oder sich mit Nahrung zu versehen, andere Abtheilungen kehren zurück, um von neuem an die unterbrochene Arbeit zu gehen.

b.0 Segler.

Mauersegler.

Auf hohen steinernen Gebäuden, die mit geeigneten Mauerhöhlen und Ritzen versehen sind, liegt die Wohnung des Mauerseglers.

In Friedberg, dieser alten Festung, namentlich in dem Burgtheil, lernten wir als Knaben zuerst ihn kennen; dort war er Kamerad der Seminaristen an dem steinernen Seminargebäude und Hausgenosse der Familie des Thurmwächters an dem alten runden Thurme, sowie an der Stadtkirche. Vom ersten Mai an bis zum August umschwärmte er die hohen Gebäude und jagte mit solch gellendem Geschrei durch die Straßen, daß man seines Treibens oft müde ward. Am frühen Morgen schon folgte das Auge dem unvergleichlichen Segler, wenn er aus einer Mauerspalte hervorkam und in niedertauchendem Bogen gleichsam erst Luft fing, um seine Bewegungen im weiten Luftmeer, seinem wahren Lebenselement, zu beginnen. Hoch schwang sich bei hellem Himmel der mit außerordentlich langen, spitzen Schwingen ausgerüstete Vogel empor und schwebte dann wie ein Adler mit ausgebreiteten Flügeln kreisend dahin.

Wie der Mauersegler in der Luft sich nährt, so vermeidet er es selbst beim Ansammeln der Baustoffe für sein Nest, sich auf den Boden niederzulassen; er greift das Nothwendige soviel wie möglich fliegend auf; wird er jedoch gezwungen, die Erde zu berühren, so zeigt er sich da gänzlich unfähig zum Sitzen, geschweige denn zum Gehen. Auf seine Schwingen gestützt, liegt er da und schnellt sich beim Aufschwung kräftig mit denselben empor. So macht er es auch, wenn er an Pfützen und seichten Ufern trinkt. Sein Gesicht ist scharf und die Größe seines Auges auffallend, während er im übrigen nicht als feinsinniges Thier bezeichnet werden kann. Sein Charakter drückt sich in stürmischem, unfriedlichem Wesen und in einer großen Stumpfheit gegenüber allem aus, was nicht in den einförmigen Bereich seines Wandels gehört. Oft geräth er mit seinem Nächsten in blutige Raufereien, die in der Luft ausgekämpft werden und manchmal tödliche Folgen haben, oder er stört in der herrschsüchtigsten Weise den häuslichen Frieden anderer Vogelarten, so z. B. der Sperlinge, wenn ihm ihre Höhle als Nistplatz zusagt. Unwillig schleudert er Eier und junge Sperlinge aus dem Neste, um sich selbst darin wohnlich einzurichten. Und seine Wohnung ist eben nichts anderes als eine Lage von buntem Allerlei in der Höhle. Der Geruch, der von ihr ausströmt, erregt Ekel, und sie dient vielem Ungeziefer zur Herberge. Anfang August aber, früher als die Schwalben, zieht auch er in die Fremde, dem warmen Süden zu.


[691]

Originalgestalten der heimischen Vogelwelt.[8]

Thiercharakterzeichnungen von Adolf und Karl Müller.
8.0 Kavaliere oder Patrizier.

Kavaliere! Patrizier! – Mancher unserer Leser mag uns wohl schon beim Anblick der in unseren Ueberschriften gewählten Benennungen im stillen den Vorwurf gemacht haben, daß wir mit solchen Ausdrücken allzusehr vermenschlichten. Aber man betrachte sich einmal einen Distelfinkenhahn im Mai, wenn er sich wiegt auf dem schwanken Zweige eines blühenden Obstbaums! Man beobachte sein zierliches, so offenbar selbstgefälliges Schwenken, Wenden und Drehen, begleitet von jenem wohllautenden hellen Minneton, mit dem er um die Gattin wirbt! Man schaue ihm zu, wie er, echt finkenhaft stets zum Kampfe bereit, mit dem Nebenbuhler anbindet und unter schmetterndem Geschrei, unter streitbaren Schnabel- und Krallenhieben mit dem Gegner rauft – man betrachte dieses ganze Gebahren im Verein mit seiner so außerordentlich schmucken Außenseite, und man wird unsere Taufe gerechtfertigt finden.

Fürwahr, ein feiner stolzer Vogel, dieser Distelfink! Niemals läßt er sich ein mit dem „süßen Pöbel“ der Gassen oder gar der Miststätten. Und wenn er auch mit den Scharen anderer Vögel im Herbste in die Hanf- oder Mohnfluren geräth; wenn ihn auch der strenge Winter zeitweise mit seinem Vetter Hänfling zusammen zu den Stauden und Gräsern an den Wegen und auf der Steppe treibt – er ist und bleibt dabei doch immer der vornehme Herr, der sich fernhält von dem übrigen Vogelgemenge.

Der Distelfink – so benannt nach seiner Lieblingsnahrung, dem Distelsamen – oder Stieglitz – nach seinem Lockruf „Stieglit“ – ist vermöge seiner allgemeinen Verbreitung in Europa ein in Stadt und Land so bekannter Bewohner der Vorhölzer, Baumreihen, Hage und Lustgärten, daß wir ihn nicht nach trockener Schablone zu beschreiben brauchen. Unsere Abbildung giebt ihn ja auch so deutlich und natürlich wieder, daß es nur noch der Uebersetzung der Zeichnung in die Farbe bedarf, um uns seine schöne geschmackvolle Erscheinung vor Augen zu rücken. Der degenspitze feste Schnabel ist beim alten Männchen elfenbeinweiß, am Grunde mattfleischfarben durchscheinend, mit einem schmalen schwärzlichen Striche über der oberen Spitze. Der Vorderkopf erscheint um Schnabel und Augen schwarz umsäumt, sonst bis über die feurigen braunen Augen hochkarminroth; das den Scheitel deckende helmförmige schwarze Feld zieht sich am Hinterkopf auf beiden Seiten wie ein Sturmband hinter den Wangen herunter, daselbst spitz verlaufend und mit dem Roth des Vorderkopfes die weißen Wangen einfassend. Die Hauptfarbe des Oberkörpers ist hellbraun, im Genick bis ins Weißliche übergehend. Die Unterseite ist weiß, mit zwei lichtbraunen, ins Gelbe spielenden nierenförmigen Flecken auf der Brust. Die Schwingen und den leicht gehaltenen Schwanz – beide beim Fliegen des Vogels einem schönen Husarenmäntelchen nicht unähnlich – ziert das gleiche Sammetschwarz wie den Scheitel, mit weißlichen Punkten an den Spitzen, die Schwingen zeigen außerdem auf ihrem Mittelfeld einen prachtvollen, lebhaft citronengelben Spiegel. Ist in diesem Kleide der Kavalier nicht fix und fertig? –

Und in der That, wie fein säuberlich hält er sein Gefieder durch fleißiges Baden, durch emsiges Putzen und Ordnen, wie glatt liegt es an seiner schlanken Figur!

Aber damit soll nicht etwa gesagt sein, daß der Distelfink nur ein schöner Vogel sei. Im Gegentheil, in ihm leben, der glänzenden Außenseite entsprechend, vorzügliche innere Eigenschaften, von denen uns hier nur eine beschäftigen soll, sein Gesang.

In der Gefangenschaft, im Zusammenleben mit Kanarienvögeln nimmt der Distelfink zuweilen deren Weisen an; im Freien aber behauptet er entschieden seine Eigenthümlichkeit. Die Freiheit ist sein Element.

„Flüchtig und flink,
Frei wie der Fink
Auf Sträuchern und Bäumen
In Himmelsräumen!“

Dieser Wahlspruch des Rekruten in „Wallensteins Lager“ paßt vortrefflich auf unseren prächtigen Gesellen. Wie er sich in kühnen scharfabgesetzten Bögen, in galoppartiger Bewegung elegant durch die Luft schwingt, so ist auch sein Lied eine wahre Reitermelodie. Es lassen sich zwei Abtheilungen heraushören, welche oft jede für sich allein erschallen, ebenso oft aber auch in kleinen Zwischenpausen hintereinander ausgeführt werden. Die erste Abtheilung ist eigentlich eine Einleitung zur zweiten, etwas längeren, dem Hauptgesang. Sie setzt sich zusammen aus des Vogels Locktönen oder aus ähnlichen, hüpfend-pfeifenden Lauten und einem geschlossenen, trompetenschmetternden Schlußsatz. Man fühlt sich an eine angaloppierende Reiterschar erinnert, welche mit dem Schlußsatz plötzlich pariert und hält. Feurig, kriegerisch klingen die raschen Rhythmen, die an Schwung noch gewinnen, wenn sie der Vogel bei seinem Niederschwingen auf einen Baumwipfel in der Luft schmettert. Der Hauptgesang ist im Grundton dem Vorgesang ähnlich, setzt aber in der Mitte eine abändernde rhythmische Partie ein, die bei guten Sängern die Silbe „Fink“ gewöhnlich dreimal hintereinander wiederholt, dann in einige etwas gehaltene hohe Noten übergeht und hierauf gewöhnlich mit dem schmetternden Schlußsatz des Vorgesanges endigt.

Im Mai heftet das Weibchen des Stieglitzpaares sein zierliches Nest – gleichsam ein lustiges Dachstubenkämmerchen – in die Gabelzweige der äußersten Wipfel von Obstbäumen, auch wohl auf die niederen Stämmchen der Baumschulen, ja auf Rosenbäumchen oder aber auf die höchsten Fichten, Pappeln, Eschen und Ahorne. Die luftige Wiege der Kleinen ist ein wahres Kunstwerk, dessen nette, zierliche Gestalt und feines Filzgewebe mit den schönsten Gebilden der Nestbaukunst unserer heimischen Vögel sich messen kann. Die jungen Distelfinkchen sind allerliebste niedliche Geschöpfe, denen es bald nach echter Kadettenart zu eng im Hause wird. Ein Ruck von Menschenhand am Aste scheucht oft das ganze lose Völkchen aus dem Neste. Man hat von namhafter Seite in Abrede gestellt, daß man das Geschlecht der flüggen Nestlinge unterscheiden könne. Wir behaupten entschieden, daß ein helleres Braungelb mit spärlicherer Punktierung die Männchen von den dunkleren, graueren und dichter punktierten Weibchen unterscheidet, und daß wir uns von unserer Jugendzeit an niemals bei diesen Kennzeichen getäuscht haben. Frischer Muth und Selbstvertrauen regt sich früh bei den Jungen. Wohl fehlt ihnen noch das Prachtkleid der Alten; aber schon hat die Natur ihrem gemeinen sperlingsgrau punktierten Kleide gleichsam ein Portepeeabzeichen aufgedrückt: die gelben Aufschläge auf den schwarzbraunen Flügelchen. Schnell wachsen die aus dem Kropfe gefütterten Kleinen heran, ihre Kindersprache „Zibit“ geht bald, gegen den Nachsommer, in den echten Stieglitzenton „Stieglit“ über, und nun sind dem hoffnungsvollen Junker die ersten glänzenden Federsprossen – sagen wir die „Lieutenantsepauletten“ – verliehen worden. Der Karmin wächst mit allen Prachtfarben an unserem jungen Vogel, bis dieser als vollkommener Distelfink in herrlicher Gala den Winter antritt.

Haben wir den Distelfinken als kriegerischen Kavalier kennengelernt, so findet sich diese Neigung zu Streit und Kampf vollends ausgeprägt bei dem Edel- oder Buchfinken. „Da giebt es,“ wie wir in unserem Buche „Charakterzeichnungen der Singvögel“ ausgeführt haben, „lustige schallende Turnei, daß die vom Winter noch gestählten weißlichen Schnäbel unserer Kämpen hell aneinander knappen, wenn sie sich an dem gewölbten Harnisch ihrer Brüste oder am Helme ihrer Scheitel versuchen, daß der Schlag der Flügel mit ihrem glänzenden Wappenfeld bei dem wirbelnden, echt finkenmäßigen Luftkampf laut erschallt wie einst die dröhnenden Schilder der vergangenen Geschlechter in Stahl und Eisen. Und über allem diesem schmettert der süße, stürmische Minnesang der Heinriche von Osterdingen und der Wolframe von Eschenbach zum Lobe der holden Frauen. Beglückt, wer sich die Gattin erobert im heißen Kampfe!“

Auf unserem Bilde S. 693 schauen wir im Vordergrund den Anfang eines solchen Minnestreites, der sich bei einem hitzigen Paare im Hintergrund schon in den heißesten Luftkampf verwandelt. Aber [692] es wäre ungerecht, wollte man bloß diese Seite des edeln Vogels hervorheben. Wer den Edelfinken in der Noth des Winters beobachtet, erkennt in ihm das Noble seines eigentlichen Wesens. „Während der süße Pöbel der Miststätten in buntem Durcheinander mit hängenden Flügeln und Köpfen kleinmüthig und hastig Futter sucht, rückt der Finke abseits in fester Haltung voran und senkt nur das Haupt, wenn er Nahrung aufnimmt. Er fällt nie mit ungestümer Gier philisterhaft über irgend einen Brocken oder ein Korn her, noch weniger balgt er sich um einen Bissen pueril und niedrig wie der Spatz ... Unwillkürlich werden wir bei solchem Anblick an die Haltung eines Mannes von Charakter erinnert, der sich vom Schicksal nicht entmuthigen läßt, die durch Entbehrungen erregten Begierden zu beherrschen vermag und seinen Werth durch die Art und Weise zu erkennen giebt, wie er das Seinige genießt.“ Sein Aeußeres entspricht seiner ritterlichen Natur. Das prangende Frühlingskleid des Hahnes – leuchtet es nicht vom bläulichen gesträubten Scheitel her wie eine Sturmhaube? Kriegerisches Feuer spricht aus den Augen unter dem schwarzen Sturmbande der Stirn, Liedes- und Kampfeslust aus dem lebhaften Weinroth der Kehle und Brust. Vom schneeweißen Spiegel der dunklen Flügel und dem grünbraunen Hauche seines Oberkleides glänzt die helle Zierde der Noblesse wie ein Wappenschild. Und unter diesem äußeren Schmucke schlägt ein urkräftiges Herz voll schallenden Sanges. –

Gruppe von Distelfinken.
Zeichnung von Adolf Müller.

Noch haben wir eines Vetters, des Hänflings, zu gedenken. Freilich steht er hinter dem Stieglitz und Edelfink in vielem zurück, aber dennoch ist auch er ein so schmucker, schlanker und feiner Vogel, eine vollkommene Patriziergestalt in seinem Frühlingskleid und ein so herrlicher Sänger, daß ihm an der Seite seiner Verwandten in der Familie der Finken ein lobendes Wort wohl gebührt.

Das Volk hält den Hänfling sehr gern im Käfig, denn der aufgeweckte, nach kurzer Zeit sehr zutrauliche Vogel lernt leicht die Liedchen, die man ihm vorpfeift oder auf der Vogelorgel vorspielt, sowie die Weisen anderer Vögel. In der freien Natur prangt der Hänflingshahn auf der Stirn und an den Seiten der Brust prachtvoll blutroth, an Hals und Kehle frisch gelbweiß, auf dem Kopf und im Nacken röthlich-aschgrau; sein schwarzer, schlanker Fischschwanz ist weiß berandet. Indessen wechselt sein Kleid je nach Jahreszeit und Alter. Nach der Federung im Herbste erscheint das Roth der Brustseiten nur matt und spärlich, während gegen das Frühjahr hin besonders beim alten Männchen ein entschiedeneres Bluthroth auf den Federspitzen an Brust und Stirn hervortritt, ein Schmuck, der dem Hänfling vorzugsweise zu seinem Namen „Bluthänfling“ verholfen hat. Am jungen Männchen ist das Roth in dem Aschgrau des Scheitels und Nackens nur angedeutet, weil die äußeren Ränder der rothen Federn in diesem Alter noch grau gefärbt sind; erst der zweite und dritte Frühling giebt dem Hahne den purpurnen Hochzeitsschmuck. In der Stube geht dies Prachtkleid zu dem unscheinbaren gestrichelten Rostbraun des Weibchens und der Jungen zurück. Man erblickt dann außer der netten Gestalt, dem allerliebsten niedlichen Köpfchen und Schnäbelchen und dem munteren Wesen nichts besonders Hervorragendes an dem Aeußeren des Vogels, ein Beweis, daß er hauptsächlich durch seine inneren Vorzüge so beliebt geworden ist. Und in der That ist sein echter [693] Originalgesang nicht zu unterschätzen. Wie herrlich belebt er damit die jungen Fichten- und Kiefernbestände, die kleinen Gehölze und buschreichen Raine! Beim ersten Frühroth schon erklingt die frische weckende Weise.

Wie auf Bäumen und Büschen, so läßt er auch hoch in den Lüften sein schwungvolles Jodeln und Jubeln emsig erschallen. Namentlich im einsamen Gebirge fesselte uns dieser Gesang, der neben einem ziehenden, oft wie von einem Ueberschnappen der Stimme begleiteten Krähen tief melodische Klangpartien enthält und von einer Reinheit und einem Wohlklang durchdrungen ist, wie er selten oder nie in der Ebene gehört wird.

Aus Moos und Halmen baut das Hänflingsweibchen die Wandungen des Nestes und füttert sie im Innern mit Pferdehaaren und Thierwolle nett und sauber, wenn auch nicht mit der vollendeten Kunst des Edel- und des Distelfinken aus. Die Alten nahen sehr heimlich dem Nistplatz mit der Brut und zögern lange, bis sie ihn besuchen. Die so versteckt gehaltenen Jungen empfangen die Atzung aus dem Kropfe der Eltern, verlassen aber wie die Stieglitze bald die Wohnung, um Vater und Mutter in das Schlaraffenland der Rüb- und Mohnsamenfelder oder der Hanfäcker des Spätsommers zu folgen.

Buchfinken im Minnestreit.
Zeichnung von Adolf Müller.

Der Hänfling bleibt als Strichvogel das ganze Jahr über bei uns. In kleineren Flügen wandert er von Flur zu Flur, manchmal, wie öfters im Spätjahr und auch im Winter, Stieglitzen und Edelfinken zugesellt. Der rüstige Vogel weiß sich durch die Dürftigkeit der unwirthlichen Jahreszeit mit Erfolg durchzuschlagen, denn immer findet er trotz Schnee und Eis an Wegen, Rainen und auf Grashalden in den Rispen, Kölbchen und Knöpfen von Gräsern, Wegerich, Kletten und anderen Stauden seine Winterkost.

In Vogelhäusern, in welchen Luft und Sonnenschein einen großen Theil des Jahres wirken, behält der Hänflingshahn hin und wieder einen Anflug seines rothen Brustkleides. Den frischen Purpurschmuck kann ihm aber hier keine noch so überzuckerte Pflege ersetzen. „Wo hätte er auch“ – um mit einer Stelle aus unseren „Charakterzeichnungen der Singvögel“ zu schließen – „den weiten sonnigen Himmelsraum, um seine Flügel im kühnen Bogenschwung zu versuchen; wo die grünen Haine, die freundlichen Raine mit den lachenden Auen, um auf Baum und Strauch sein schmetterndes Lied der Freude und des Jubels erschallen und in den Samenfeldern sich’s wohl sein zu lassen? Das arme blaßgrüne Fichtenstämmchen in der Vogelhecke ist ein nur zu dürftiges Abbild der grünen Waldhege, und die schönsten Kanarienhuldinnen im hochgelben Putz und den weißen Staatsfüßen vermögen dem Hähnchen dennoch nimmer die treue schlichte Gattin in ihrem häuslich grauen Kleide, die liebevolle Hänflingsmutter zu ersetzen. Darum glücklich, ihr Hänflinge, die ihr noch das klare Wasser der Wiesen und Haine, den Hanf- und Rübsamen der Fluren kostet, glücklich ihr, denen noch das duftende Reis der Tanne und Fichte rauscht, oder der Blüthenschnee der Raine entgegennickt, denen noch das holde Sonnenlicht leuchtet und die noch die frische Luft des Himmels umweht! Dreimal glücklich, denn ihr seid Kinder der Freiheit!“


[424]
Originalgestalten der heimischen Vogelwelt.[9]
Thiercharacterzeichnungen von Adolf und Karl Müller.


9. Philister und Plebejer

Vom feinen prächtigen gesangreichen Distelfink zum plumpen, schmutzig gefiederten, piependen Gesindel der Sperlinge – welch ein Gegensatz!

Da sitzt auf knospenreichen Obstbaumzweigen eine Gesellschaft Haussperlinge in der wärmenden Frühlingssonne. Ihre Strahlen erwecke auch in den Spatzen ein Gefühl des Behagens, aber wie äußert es sich? Nicht in melodiösem Gesang – wie zum Spotte gab die Natur dem lungernden Gaste unserer menschlichen Wohnstätten ein verkümmertes Gezwitscher, einen Mischmasch von Piepen und Gezirp. „Tschell, bell, dill! Zip, zip, schip, dell!“ so hämmert es aus den rauhen Kehlen der dickschnäbeligen Geschöpfe. Der Philister Spatz singt, oder vielmehr, er giebt sich den Anschein, als ob er ein Singvogel wäre. Aber bald macht diese pseudomusikalische Frühlingsanwandlung einer andern Laune Platz, die aus den Charakter unseres Helden ein bedenkliches Licht wirst. Statt mit Piepen beginnen sich seine Kiefer mit Picken zu beschäftigen, und das Opfer sind die Blüthen- und Blattknospen seiner Umgebung; eine um die andere verfällt den unbarmherzigen Beißmuskeln des derben Gesellen. Und es ist nicht einmal Nahrungstrieb, was ihn dazu verführt: es ist ein muthwilliges, unartiges Spiel, der reine Baumfrevel Wie könnte der Kerl sonst die abgebissenen Knospen, kaum daß er sie zwischen den [425] Kiefern hält, übermüthig zu Boden werfen! Wohl hat man geglaubt, der Sperling suche in solchen Fällen nach Insektenlarven und -eiern, aber genauere Beobachtung hat gelehrt, daß das nur Schein ist, denn keine Spur von Kerf-Resten zeigt sich in dem Mageninhalt der verschwenderischen Knospenvertilger.

Haussperlinge.
Nach einer Zeichnung von Adolf Müller.

Noch sind wir mit der Betrachtung der Gruppe auf dem Obstbaum beschäftigt, da fährt urplötzlich in das Gezweig der Nachbarbäume ein Haufe von Spatzen, die sich mit lautem Gezänk in einem Knäuel herumbalgen und denen sich im Nu auch einige von der Gesellschaft des Obstbaums zugesellen. Mitten in dem Wirrwarr von männlichen Sperlingen bemerken wir ein weibliches Exemplar, das sich seiner Haut verzweifelt wehren muß, denn von allen Seiten wird es gezerrt und gerupft daß die Federn stieben, Das ist – sollte man es denken – das Liebeswerben der Sperlinge! Auch hier erweisen sie sich als derbe, ungeschlachte, rohe Geselle. Plump und täppisch benimmt sich der Spatz vor der blaßgrauen Genossin, die er endlich gefunden, und wie in der Minne, so zeigt das Paar auch bei der Nestbereitung ein ungeschicktes linkisches Wesen. Da schleppen beide Gatten in unbehilflichem Flatterfluge wahllos aufgerafftes Geniste, darunter oft meterlange Strohhalme, nach der Spalte im Dachfirst oder nach dem Mauerloche, das sie sich zur Wohnung auserkoren; [426] unordentlich häufen sie dort die Baustoffe aufeinander und lassen sie obendrein noch liederlich in langen Enden heraushängen. Kaum haben sie dann durch einiges Drehen und Wenden dem Haufen eine flache Mulde gegeben und das Innere mit Garn, Zwirn oder dergleichen aus dem Hauskehricht oder mit Federn, die sie aus andern Nestern gestohlen oder Schwalben abgejagt haben, leidlich ausgestopft, so ist der Bau schon fertig. Hin und wieder wandelt den Sperling wohl die Sucht an, auch seinerseits als Baukünstler zu prahlen; er häuft dann einen unsauberen Klumpen von allerlei Zeug in den Zweigen eines Baumes zusammen. Aber weit häufiger siegt in ihm die Bequemlichkeit und er wird dann einfach zum Räuber an der Schwalbe. Als schlauer Gauner wartet er, bis die fleißige Arbeiterin das Gemäuer der Nestwand bis auf eine Oeffnung vollendet hat, die seinem beleibteren Körper noch hinlänglich Raum zum Einschlüpfen bietet, setzt sich ins beinahe fertige Nest und lauert hinterlistig, bis die emsige Künstlerin ebenfalls hereinschlüpfen will. Dann packt er sie mit seinem groben Schnabel und läßt sie eine Weile jämmerlich vor dem Flugloch zappeln, so daß sie den Muth zur Wiederkehr verliert. Der freche Unhold aber freut sich seines Raubes und macht sich breit im fremden Eigenthum.

Bald, oft noch im März, sind aus dem Gemisch des außerordentlich mannigfaltigen Geleges vier bis sechs junge Spätzchen geschlüpft. In der ersten Zeit des Ehelebens und der Familiensorgen nun lenkt auch unser Sperling in die Bahn einer ökonomisch nützlichen Beschäftigung ein. Man sieht ihn jetzt suchen auf den Gartenbäumen und u. a. die schädlichen Räupchen des Frostspanners aus den zusammengerollten Gespinstblättern herausklauben, auch weiterhin seine Jagd auf Kerfen aller Art in Garten, Wiese und Feld ausdehnen. Aber leider dauert dieser lobenswerthe Eifer nicht lange. Sobald die Jungen befiedert sind, wenden sich die Alten anderen Fütterungsmitteln zu, vor allem ihrer Hauptnahrung, den Körnerfrüchten. Bequemlichkeit ist unter allen Umständen die Losung des Haussperlings. Die Federviehhöfe, die Fruchtböden, Mälzereien, die Plätze mit dem Abfall der Metzgereien, das alles sind Erntefelder, deren Plünderung unser Lumpaci-Vagabundus der mühsamen Kerfjagd bei weitem vorzieht. Dieser Hang zur Bequemlichkeit im Aufsuchen der Nahrung für die Jungen macht sich bei der zweiten Brut Ende Mai in verstärktem Maße geltend, und gar bei der dritten vermag die genaueste Untersuchung der Mägen alter Sperlinge nur äußerst wenig Kerf-Reste zu entdecken.

Daß der Spatz eine lange Pflege seiner Sprößlinge nicht liebt, versteht sich nach dem Gesagten von selbst: auch sie wird ihm auf die Dauer zu unbequem. Die jungen Spätzchen dagegen zeigen ebenso natürlich als die getreuen Erben des elterlichen Geistes das Bestreben, den behaglichen Zustand des langen Verbleibens im Neste möglichst lange auszudehnen. Da kann man denn die pfiffigsten Anschläge der Alten beobachten, die ihre Nachkommenschaft um jeden Preis zum Verlassen der heimischen Niststätte bewegen möchten. Sie lassen die Brut eine Zeit lang darben, nähern sich dann mit den ausgesuchtesten Leckerbissen, die Freßgier der Nestlinge aufs äußerste zu reizen, flattern hierauf unter langgezogenen Locktönen in die nächste Umgebung, um hier das Locken noch eifriger fortzusetzen und wiederholt das verführerische Futter anzubieten. Endlich treibt der Hunger die Sippschaft aus den Löchern, und siehe da, das junge Volk vermag bereits den nächsten Baum, das nächste Dach flatternd zu erreichen. Will aber der beschriebene Kunstgriff allzu lang nicht wirken, so brauchen die Herren Eltern, wie von uns mehrfach beobachtet worden ist, einfach Gewalt. Sie packen ein Junges um das andere und zerren es aus dem Neste.

Da sitzt nun die hoffnungsvolle Schar im Spatzenschlaraffenland! Mit unheimlicher Geschwindigkeit wächst sie heran und vermag bald den Alten überall hin zu folgen. Die Schule der Erfahrung beginnt, eine wahre Gaunerabrichtung, und bald haben die gelehrigen Sprößlinge alle Schliche und Kniffe der Eltern los. Es geht hinaus auf die Straßen, in die Höfe und Gärten, vom Futter des Federviehs werden die Zehnten erhoben, die Abfälle der Küchen durchwühlt, die Beete der Hausgärten ihrer Sämereien beraubt, die Erbsenrabatten geplündert. Wenn die Kirschen reifen, ist unser Spatz gewiß mit seiner gesamten Sippschaft der erste auf dem Platze, um Auslese zu halten. Und so geht’s fort, die ganze liebe Sommers- und Herbstzeit von einem Obstsegen zum andern, und regelmäßig genießen die edelsten Sorten seine besondere Bevorzugung. Mit seinem harten Kegelschnabel pickt er die Frucht an, schluckt lüstern den herausfließenden Saft, um dann auch das Mark auszuhöhlen. In Flügen bis zu vielen Hunderten sammeln sich die Familien, deren junge Glieder indessen zu vollkommenen Ebenbildern der Eltern ausgewachsen sind, und fallen plündernd in die Fruchtfelder in der Nähe der Ortschaften. An dem noch nicht reifen Weizen wird angefangen. Unter dem Gewicht der aufsitzenden Vögel knicken die Halme zur Erde, die Aehren werden auseinandergezerrt, und oft fällt ein Viertel des Ertrags den wiederholten Raubzügen zur Beute. Was helfen da die abgestellten Wächter mit Flinten und Klappern. Höchstens wenn ein paar Kameraden, von Schroten getroffen, zu Boden gestürzt sind, verläßt das Gelichter die gefährliche Gegend, um einen anderen, unbewachten Acker heimzusuchen. Bloße Vogelscheuchen aber in Form von ausgestopften menschlichen Figuren erkennt der pfiffige Spatz sofort als ungefährliche Popanze, unbeirrt haust er rings um sie herum und hält dann wie zum Hohn auf dem ausgestreckten Arme des Schreckbildes Siesta. Wie dem Weizen, so spielt er auch dem Hafer, dem Hanf, der Hirse und dem Mohn mit.

Jetzt reift die Traube – und damit ist der Höhepunkt im Genußleben des Sperlings gekommen. Wie macht er sich's bequem im schattigen Versteck des Spaliers. Und ist es auch vom schützenden Netze überspannt, immer weiß er ein Loch, einen Eingang zu finden, um hinter die Maschen zu schlüpfen und da drinnen zu schlemmen und zu prassen bis er keucht vor Uebersättigung. Draußen aber in den Weingärten hausen seine Genossen in dichten Schwärmen, und auch hier vermögen die menschlichen Gegenmaßregeln sie nicht ganz und dauernd zu verscheuchen.

Selbst im Winter weiß der mit allen Einrichtungen menschlicher Betriebsamkeit Vertraute Rath. Jetzt ersieht er sich die Scheunen und Fruchtböden zum Tummel- und Futterplatz, dringt in die Vorrathskammern, geht an das Fleisch der Metzgerläden, an das vor den Küchenfenstern ausgehängte gerupfte Geflügel – und ist bei aller Frechheit doch so mißtrauisch und vorsichtig, wie nur der geriebenste Schlingel es fertig bringt. Tritt wirklich einmal in einem langen und strengen Winter Mangel und Noth auch an ihn heran, so bietet das menschliche Mitleid ihm, all seiner sommerlichen Spitzbübereien vergessend, die milde Hand und schafft ihm künstliche Futterplätze. Und nirgends tritt die gewaltthätige herrische Natur des Sperlings greller zu Tage als hier: mit bissigen Schnabelhieben verjagt er die anderen hungernden Vögel, so daß es dem Menschen oft schwer wird, den freundlichen Sängern des Lenzes ihren Antheil zukommen zu lassen. – –

Des Haussperlings naher Verwandter, der Feld- oder Ringelsperling, ist zwar im Aeußeren jenem ähnlich, aber kleiner und niedlicher von Gestalt. Die Färbung entspricht im allgemeinen der charakteristischen Spatzenfarbe, nur ist sie entschieden röthlicher und lebhafter als die des Haussperlings und der schwarze Kehlfleck kleiner und zierlicher. Die Seiten des Halses sind von einem weißen Halbring umgeben, woher der Name „Ringelspatz“ rührt, und auf den Flügeln erscheinen zwei Reihen weißer Binden.

Die Untugenden und das täppische plumpe Wesen treten bei dem Feldsperling nicht so schroff auf. Er ist geschmeidiger in Haltung und Bewegung, bescheidener und zurückhaltender in seinem Gebahren, kurz eine etwas verfeinerte Ausgabe seines derben Vetters. Schon mit Rücksicht darauf, daß er vorherrschend Kerbthiere, besonders Blattläuse vertilgt, verdient er mehr Anerkennung und Schonung. Er schädigt nicht das Obst und die keimenden Gartenpflanzen; nur seine Brut füttert er zeitweilig mit unreifem milchigen Getreide, und die Weizen- und Hirsefelder sucht auch er nach dem Vorbilde seines Vetters heim. Nichts ist bezeichnender, als daß selbst der stolze Patrizier Hänfling auf seinen Rundflügen im Herbste und Winter den artigeren Feldsperling wenn nicht in seinen Reihen, so doch in seiner Nähe duldet, während er den Tölpel Hausspatz niemals seiner Gemeinschaft würdigt.


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Originalgestalten der heimischen Vogelwelt.[10]

Thiercharakterzeichnungen von Adolf und Karl Müller.
10.0Zwerge.
a.0Der Zaunkönig.


Einer unserer volksthümlichsten Vögel ist der Zaunkönig, der uns nicht bloß im Schatten der Wälder an Bächen, in Schluchten und an Teichen, in Feldgehölzen und an umbuschten Rainen unmittelbar am Walde begegnet, sondern auch in unseren Feldgärten, in den Zäunen und Hütten unserer Hausgärten, in Oekonomiegebäuden und im heimlichen Düster der epheumrankten Burgmauern. Die Ebene wie das Gebirge, die Einsamkeit wie die bewegten Städte und Dörfer beherbergen den kleinen, kecken, ewig munteren, launigen Gesellen, der eine charakteristische Figur bildet durch das hochgetragene, im Affekt über die senkrechte Stellung emporgerichtete Schwänzchen und seine häufig wiederholten Bücklinge, welche bei lebhafter Erregung von dem allbekannten Laute „Zerr“ begleitet sind. Wer hat den gewandten Burschen nicht schon durch Gestrüpp, aufgeschichtetes Holz, durch Wirrsale aller Art, durch Löcher und Mauerritzen geschickt hindurchschlüpfen sehen, wer fand sich nicht gleichsam geneckt von dem kleinen Schelme, der wie ein versteckspielender Knabe bald hier bald dort hervorlugt, rasch verschwindet und auf geheimen Wege in einiger Entfernung wieder zum Vorschein kommt! Da sitzt das Kerlchen, der Kleinste unter dem europäischen Vogelgeschlecht, auf der Oberseite in einem Kleide von dunkelrostbraunem Grunde, über den schwärzliche Querstreifen laufen, mit bräunlich-weißer Brust und Bauchmitte, am übrigen Körper hellroth-grau oder blaßroth-gelblich gefärbt, überall aber mit verloschenen dunklen Querlinien, namentlich auf den Seiten des Leibes und an den unteren Schwanzdecken, versehen. Nimmermüde Unruhe und rastloses Suchen nach Nahrung bilden einen Grundzug seines Wesens. Jetzt fliegt das Zwerglein einer andern Stelle zu. Seine kurzen runden Flügel lassen es nur schwerfällig in schnurrendem Flug dicht am Boden hin weiterflattern. Selten erhebt sich sein Flug zu den oberen Baumkronen, nur die Minne treibt es zur Höhe.

Schon im Februar scheint das kleine Herzchen ein Vorgefühl von Lenz und Liebe zu verspüren, denn wir hören an sonnenhellen Tagen, selbst mitunter bei Schnee, den männlichen Zaunkönig vom hohen Dachfirst aus sein hübsches Kanarienvogelliedchen in verkürzter Ausgabe vortragen, wobei sich das Schnäbelchen dem leuchtende Himmel zurichtet. Kommt aber erst der März, dann nimmt der Zwergkönig öfter den hohen Thron ein und wirbt mit größerer Kunstentfaltung, mit höflicheren Verbeugungen und schmeichelnderem Gebahren um die tiefer und bescheidener sich haltende Gefährtin. Das verliebte Hähnchen bietet einen wahrhaft possierlichen Anblick. Bolzenartig aufgeblasen, scheinbar flügellahm, zitternd, mit aufgerichtetem Schnabel liegt es gleichsam flehend dem Gegenstand seiner Wünsche gegenüber und stößt unter Zuckungen seine Sehnsuchtslaute aus. Zur Zeit der Minne beobachtet man bei dem Männchen eine eigenthümliche Beschäftigung. Es baut sich besondere Wohnungen, die theils unvollendet bleiben, theils mehr ausgeführt und sehr fest gefügt erscheinen. Wir haben solche ganz von grünem Moos verfertigte Nester sehr häufig gefunden und niemals ein Polster darin entdeckt; auch sind sie kleiner als die spätere Familienwohnung. Offenbar handelt es sich hier nur um wohlige Spielereien des Männchens, die sofort aufhören, wenn das Weibchen in der Stille ein Plätzchen zur Anlegung des Familiennestes erwählt und den Gefährten zur Theilnahme zugezogen hat. Nun gehört die ganze Thätigkeit des geschäftigen Zwergpaares der wichtigen Bauarbeit.

Der Zaunkönig ist ein recht vielseitiger Baukünstler. Wir wissen von einem Neste zu erzählen, welches einzig und allein aus Platanenblättern und Spinnweben bestand und an die senkrechte Wand einer Brücke mit Vogelspeichel als einzigem Bindemittel fest angeheftet war. Ein anderes Nest sahen wir an dem Rain einer alten Steinkaute (Steinbruch) kunstvoll angebracht. Als ovaler Beutel hing es an der wurzelreichen Lehm- und Steinwand. Die Hauptstoffe bildete Moos mit durchgeflochtenen Halmen und Bastschnüren. Inwendig fanden wir ein Polster von hellgelben Hahnenfedern. Verhältnißmäßig groß wie das Nest sind auch die 6 bis 8 rundlichen gelblich-weißen Eier, die mit kleinen rothbraunen und blutrothen Pünktchen bedeckt sind. Eigenthümlich ist die Art und Weise, wie die Eltern zuweilen die ihnen zu lange im Neste verbleibenden Jungen herausnöthigen; sie zerren an ihnen herum, bis die Kleinen nach und nach dem Neste entfliehen und nun irgendwo in der Nähe desselben eine anmuthige Familie mit den Alten [665] bilden. Nach mehreren Wochen wandelt schon jedes für sich seine eigenen Wege.

Durch alle Altersstufen besteht ihre Nahrung aus Kerbthieren, die sie von Blättern, Zweigen, vom Boden, aus Mauerspalten, Löchern, unter Rindenblättchen hervor erbeuten. Namentlich lieben die Zaunkönige Spinnen; die ihnen ja auch in ihren Schlupfwinkeln in Menge begegnen. Als treue Anhänger bestimmter Oertlichkeiten wiederholen sie täglich fast dieselbe Wanderung. An den Meisenzügen nehmen sie einen gewissen Antheil, indem sie ihnen in der Tiefe, an Hecken und Büsche sich haltend, eine Zeit lang folgen, dann aber hinter den Weitereilenden zurückbleiben. Auch im Herbste suchen sie gerne die Gesellschaft beerenfressender Vögel, aber doch immer nur so, daß sie in sehr losem Verband mit ihnen stehen.

Der Zaunkönig bleibt uns auch im Winter treu, und erfreut uns durch seine Beweglichkeit und Heiterkeit, die ihn nicht verlassen trotz aller Ungunst der Witterung.

Zaunkönige beim Nest.
Nach einer Zeichnung von Adolf Müller.

b. Das Goldhähnchen.

Auch die Goldhähnchen sind Zwerge, denn ihre Größe stimmt mit der des Zaunkönigs überein. Auch sie sind schlanke niedliche Geschöpfchen, welche von der Natur mit der Unruhe und Flinkheit der Meisen ausgestattet sind, bald oben, bald unten auf den Bäumen alles durchsuchen und in Stellungen jeglicher Art sich sehen lassen. Das Nadelholz wird immer von ihnen bevorzugt, hauptsächlich die Fichte. Selbst in Gärten ober Parkanlagen nistet das Goldhähnchen, wenn ihm ein Fichtenwäldchen oder auch nur einzelne Fichtenbäume sich bieten. Man kennt zwei Arten, die sich äußerlich durch die Färbung unterscheiden.

Das „safranköpfige Goldhähnchen“ hat eine zeisiggrüne Oberseite, olivenbräunlich-weiße Schläfen und Halsseiten, hellere Augenbrauenstreifen und eine ebenfalls etwas heller gefärbte Stirne. Inmitten des Scheitels läuft ein safrangelber, nach den Seiten ins Hochgelbe übergehender und endlich schmal schwarz eingefaßter Streifen. Auf den Flügeln treten zwei helle Binden hervor.

Das „feuerköpfige Goldhähnchen“ trägt oberseitig ein dunkleres und lebhafteres Grün, ist an den Halsseiten orangegelb, an der Stirn rostbraun, hat einen schwärzlich-grauen Augenrand sowie einen gleichfarbigen Strich durch das Auge und unter demselben. Der feuerrothe Scheitelstreifen, welcher auf beiden Seiten in Feuergelb übergeht, wird von dem Vögelchen in der Erregung gelüftet und bietet dann in seiner Entfaltung und Verbreiterung einen entzückenden Anblick. Beide Arten unterscheiden sich auch noch insofern, als die erste im Winter bei uns bleibt, die zweite nicht.

Während der Minnezeit leben die Goldhähnchen abgeschlossen zu Paaren. Betritt man im Frühling ein Fichtenwäldchen, worin sie herbergen, so vernimmt man die feinen Locktöne und vor allem die trillerartige Gesangsstrophe des feuerköpfigen Hähnchens. Die Vögelchen geben sich voll und ganz dem Genuß der heiteren Sonnentage hin und umtrippeln mit gesträubten Kopffedern, hängenden Flügeln und hochaufgerichtetem Oberkörper die Gefährtinnen. Oefters entsteht auch Eifersucht, Zank und Streit unter den verliebten Hähnchen, welche sich begegnen. Ihre Bewegungen sind immer gewandt, flink, anmuthig. Allerliebst sieht es aus, wenn ein Vögelchen einem Insekt bis in die Tiefe, ja bis auf den Boden nacheilt, um es zu ergreifen, oder wenn es in der Luft vor dem Zweige flatternd stehen bleibt. Geschickt wissen die Zwerge sich im Gezweig zu decken oder unter dasselbe zu flüchten. Unaufhörlich, vom frühen Morgen bis zum späten Abend, sind sie thätig im Erspähen und Vertilgen der Nahrung, die in Mücken, Fliegen, Käferchen, glatten Räupchen, Spinnen, sowie in Kerbthiereiern und -Puppen besteht. Tannen-, Fichten- und Kiefernsamen verschmähen sie jedoch auch nicht; wenn diese Samen im Winter das safranköpfige Goldhähnchen nicht ernährten, so würde es sicherlich ein Opfer der strengen Jahreszeit werden.

Auch diese Zwerge sind wie die Zaunkönige geschickte Baumeister, ihre Nester sind so kunstvoll gebildet, daß wir an ihnen nicht vorübergehen dürfen.

In der Regel bringt das Goldhähnchen das Nest an dem Zweig eines Nadelbaumes, zuweilen jedoch auch an dem einer Esche an. Dabei verfährt das Weibchen, welches die Bauarbeit allein übernimmt, sehr vorsorglich, indem es zur Deckung der Wohnung überhängende Zweige benützt. Um den Anfang zu dem Hängeneste zu machen, zieht es einige benachbarte Zweige zusammen und umschlingt sie mit Moos und Raupengespinsten. Nun begiebt es sich an die dicken Aeste und Stämme der Bäume, um das Baummoos loszuzerren, oder es läßt sich auf dem sonst streng gemiedenen Boden nieder, um sich Erdmoos anzueignen, oder es verschmäht beiderlei Moos und wählt nur Flechten von den Bäumen aus, um sie zu einem ballförmigen Neste zu verwirken. Um die Stoffe miteinander zu einem festen Gefüge zu verbinden, wendet die Künstlerin wiederum Gespinste von Raupen und Spinnen in Menge an, außerdem aber den zu dieser Zeit reichlich vorhandenen Speichel seiner angeschwollenen Drüsen. Blätter und dürre Grasstengel findet man häufig unter das Moos [666] gemengt. Der Nestrand erscheint stark nach innen gewölbt und läßt der Oeffnung nur eine Weite von etwas über 2 cm Durchmesser. Die Breite des ganzen Nestes beträgt ungefähr zwischen 9 und 10 cm, die Höhe 7 bis 8 cm, die Dicke der Wand über 2 cm, wovon etwa die Hälfte auf ein Polster aus Rehhaaren, kleinen Vogelfedern und dem Flaum junger Raubvögel entfällt. In Haus- und Feldgärten fanden wir auch Pferdehaare im Innern von Goldhähnchennestern, und einmal machten wir die merkwürdige Entdeckung, daß ein junges Goldhähnchen sich mit den Halse in die Pferdehaare verwickelt hatte und so eines elenden Todes durch Erdrosseln gestorben war.

Zweimal im Sommer nisten die niedlichen Thierchen, und das Weibchen legt das erste Mal 8 bis 10, das zweite Mal 6 bis 8 Eierchen, die bei gelblich-grauweißem oder hell fleischfarbenem Grundton lehmgrau punktiert sind, und zwar namentlich reich am stumpfen Ende.

Feuerköpfiges Goldhähnchen, sein brütendes Weibchen fütternd.
Nach einer Zeichnung von Adolf Müller.

Von der sorgfältigen Pflege, welche den Jungen im Neste zu theil wird, und von der Emsigkeit, mit der die Nahrung von den Alten herbeigeschafft wird, erhält nur der genaue Beobachter einen wahren Begriff. Unermüdlich geht der Flug der Eltern in Pausen von wenigen Minuten ab und zu, wobei Vater und Mutter gewöhnlich miteinander abwechseln. Kehrt das Männchen oder Weibchen mit Futter beladen zurück, so sucht es erst Deckung durch Aeste und Zweige, um den Platz des Familienheiligthums nicht zu verrathen. Und immer sind die Pfleger darauf bedacht, mehrere Insekten in ihren Schnäbelchen anzusammeln, ehe sie den Jungen das Futter zutragen. Haben sie eine ergiebige Quelle von Kerbthiereiern entdeckt, so picken sie wohl hundertmal, bis sie mit der Ausbeute sich zufrieden geben und an die Ablieferung denken. So betreiben sie das Geschäft der Fürsorge für ihre Nestjungen in treuer Hingebung, und sie setzen es nicht minder emsig fort, wenn die niedlichen Geschöpfe ausgeflogen sind und in der ersten Zeit noch abends an ihre Geburtsstätte zum Uebernachten zurückkehren. Ja dann verdoppelt sich der Eltern Eifer; denn sie haben ja nun auch noch auf Schutz und Anleitung der unerfahrenen Jugend zu denken.

Nach der zweiten Brut mischen sich die vereinigten Familienglieder in kleineren Gruppen unter die umherziehenden Meisen. In der Regel kommen sie hinterdrein gezogen, ihre Ankunft mit feinem „Sississi“ verkündend; wohl wären sie geneigt, an einem Plätzchen etwas länger zu verweilen, aber der Trieb des Umherschweifens, welcher ihre unruhige Gesellschaft beherrscht, ergreift auch sie und reißt sie mit fort.

  1. Vergl. „Gartenlaube“ 1888, Nr. 48.
  2. Vergl. Nr. 19 dieses Jahrganges der „Gartenlaube“.
  3. Vergl. Halbheft 18 des vorigen Jahrgangs der „Gartenlaube“.
  4. Vergl. „Gartenlaube“ 1890, Halbheft 8.
  5. Vergl. „Gartenlaube“ 1890, Nr. 29.
  6. Vergl. „Gartenlaube“ 1891, Halbheft 15.
  7. Vergl. Halbheft 11 dieses Jahrgangs.
  8. Vergl. Halbheft 16 dieses Jahrgangs.
  9. Vergl. „Gartenlaube“ 1892, Nr. 41
  10. Vergl. „Die Gartenlaube“ 1893, Nr. 25.