Benutzer:Methodios/Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders
Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797.
Frontispiz und Titel
[Bearbeiten]Frontispiz:
Der Göttliche Raphael
Titel:
Herzensergießungen
eines
kunſtliebenden Kloſterbruders.
Berlin.
Bey Johann Friedrich Unger.
1797.
An den Leſer dieſer Blätter.
[Bearbeiten][5]
An den Leſer dieſer Blätter.
In der Einſamkeit eines klöſterlichen
Lebens, in der ich nur noch zuweilen
dunkel an die entfernte Welt zurück¬
denke, ſind nach und nach folgende Auf¬
ſätze entſtanden. Ich liebte in meiner
Jugend die Kunſt ungemein, und dieſe
Liebe hat mich, wie ein treuer Freund,
bis in mein jetziges Alter begleitet: ohne
daß ich es bemerkte, ſchrieb ich aus ei¬
nem innern Drange meine Erinnerun¬
6
gen nieder, die Du, geliebter Leſer, mit
einem nachſichtsvollen Auge betrachten
mußt. Sie ſind nicht im Ton der heu¬
tigen Welt abgefaßt, weil dieſer Ton
nicht in meiner Gewalt ſteht, und weil
ich ihn auch, wenn ich ganz aufrichtig
ſprechen ſoll, nicht lieben kann.
In meiner Jugend war ich in der
Welt und in vielen weltlichen Geſchäf¬
ten verwickelt. Mein größter Drang war
zur Kunſt, und ich wünſchte ihr mein
Leben und alle meine wenigen Talente
zu widmen. Nach dem Urtheile eini¬
ger Freunde war ich im Zeichnen nicht
ungeſchickt, und meine Kopien ſowohl,
7
als meine eigenen Erfindungen misfie¬
len nicht ganz. Aber immer dachte ich
mit einem ſtillen, heiligen Schauer an
die großen, gebenedeyten Kunſtheiligen;
es kam mir ſeltſam, ja faſt albern vor,
daß ich die Kohle oder den Pinſel in
meiner Hand führte, wenn mir der
Nahme Raphael's oder Michel Angelo's
in das Gedächtniß fiel. Ich darf es
wohl geſtehen, daß ich zuweilen aus ei¬
ner unbeſchreiblichen wehmüthigen Inn¬
brunſt weinen mußte, wenn ich mir
ihre Werke und ihr Leben recht deutlich
vorſtellte: ich konnte es nie dahin brin¬
gen, — ja ein ſolcher Gedanke würde mir
8
gottlos vorgekommen ſeyn, — an meinen
auserwählten Lieblingen das Gute von
dem ſogenannten Schlechten zu ſondern,
und ſie am Ende alle in Eine Reihe zu
ſtellen, um ſie mit einem kalten, kriti¬
ſirenden Blicke zu betrachten, wie es
junge Künſtler und ſogenannte Kunſt¬
freunde wohl jetzt zu machen pflegen.
So habe ich, ich will es frey geſtehn,
in den Schriften des H. von Ramdohr[1]
nur weniges mit Wohlgefallen geleſen;
und wer dieſe liebt, mag das, was
ich geſchrieben habe, nur ſogleich aus
der Hand legen, denn es wird ihm
nicht gefallen. Dieſe Blätter, die ich
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anfangs gar nicht für den Druck be¬
ſtimmt, widme ich überhaupt nur jun¬
gen angehenden Künſtlern, oder Kna¬
ben, die ſich der Kunſt zu widmen ge¬
denken, und noch die heilige Ehrfurcht
vor der verfloſſenen Zeit in einem ſtil¬
len, unaufgeblähten Herzen tragen. Sie
werden vielleicht durch meine ſonſt un¬
bedeutende Worte noch mehr gerührt,
zu einer noch tiefern Ehrfurcht bewegt;
denn ſie leſen mit derſelben Liebe, mit
der ich geſchrieben habe.
Der Himmel hat es ſo gefügt, daß
ich mein Leben in einem Kloſter be¬
ſchließe: dieſe Verſuche ſind daher das
10
einzige, was ich jetzt für die Kunſt zu
thun im Stande bin. Wenn ſie nicht
ganz mißfallen, ſo folgt vielleicht ein
zweyter Theil, in welchem ich die Be¬
urtheilungen einiger einzelnen Kunſtwerke
widerlegen möchte, wenn mir der Him¬
mel Geſundheit und Muße verleiht, meine
niedergeſchriebenen Gedanken hierüber zu
ordnen, und in einen deutlichen Vor¬
trag zu bringen. —
Raphaels Erſcheinung.
[Bearbeiten]11
Raphaels Erſcheinung.
Die Begeiſterungen der Dichter und Künſt¬
ler ſind von jeher der Welt ein großer An¬
ſtoß und Gegenſtand des Streites geweſen.
Die gewöhnlichen Menſchen können nicht be¬
greifen, was es damit für eine Bewandniß
habe, und machen ſich darüber durchaus ſehr
falſche und verkehrte Vorſtellungen. Daher
ſind über die inneren Offenbarungen der Kunſt¬
genies eben ſo viele Unvernünftigkeiten, in
und außer Syſtemen, methodiſch und un¬
methodiſch abgehandelt und geſchwatzt wor¬
den, als über die Myſterien unſrer heiligen
Religion. Die ſogenannten Theoriſten und
Syſtematiker beſchreiben uns die Begeiſte¬
12
rung des Künſtlers von Hörenſagen, und
ſind vollkommen mit ſich ſelbſt zufrieden,
wenn ſie mit ihrer eiteln und profanen Phi¬
loſophaſterey umſchreibende Worte zuſam¬
mengeſucht haben, für etwas, wovon ſie
den Geiſt, der ſich in Worte nicht faſſen
läßt, und die Bedeutung nicht kennen. Sie
reden von der Künſtlerbegeiſterung, als von
einem Dinge, das ſie vor Augen hätten; ſie
erklären es, und erzählen viel davon; und
ſie ſollten billig das heilige Wort auszuſpre¬
chen erröthen, denn ſie wiſſen nicht, was
ſie damit ausſprechen.
Mit wie unendlich vielen unnützen Wor¬
ten haben ſich nicht die überklugen Schrift¬
ſteller neuerer Zeiten bey der Materie von
den Idealen in den bildenden Künſten ver¬
ſündigt! Sie geſtehen ein, daß der Mahler
und Bildner zu ſeinen Idealen auf einem
außerordentlicheren Wege, als dem Wege
13
der gemeinen Natur und Erfahrung gelan¬
gen müſſe; ſie geben zu, daß dies auf eine
geheimnißvolle Weiſe geſchehe: und doch
bilden ſie ſich und ihren Schülern ein, ſie
wüßten das Wie; — denn es ſcheint, als
würden ſie ſich ſchämen, wenn irgend etwas
in der Seele des Menſchen verſteckt und
verborgen liegen ſollte, worüber ſie wißbe¬
gierigen jungen Leuten nicht Auskunft geben
könnten.
Andre ſind nun gar in der That ungläu¬
bige und verblendete Spötter, welche das
Himmliſche im Kunſtenthuſiasmus mit Hohn¬
lachen gänzlich abläugnen, und durchaus
keine beſondere Auszeichnung oder Weihe
gewiſſer ſeltener und erhabener Geiſter an¬
nehmen wollen, weil ſie ſich ſelber allzu ent¬
fernt von ihnen fühlen. Dieſe liegen indeſ¬
ſen ganz außer meinem Wege, und ich rede
mit ihnen nicht.
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Aber die Afterweiſen, auf welche ich deu¬
tete, wünſche ich zu belehren. Sie verwahr¬
loſen die jungen Gemüther ihrer Schüler,
indem ſie ihnen ſo kühn und leichtſinnig ab¬
geſprochene Meynungen über göttliche Dinge
beybringen, als wären es menſchliche, und
ihnen dadurch den Wahn einpflanzen, als
ſtände es in ihrer Macht, dreiſt zu ergrei¬
fen, was die größeſten Meiſter der Kunſt, —
ich darf es frey heraus ſagen, — nur durch
göttliche Eingebung erlangt haben.
Man hat ſo manche Anekdoten aufgezeich¬
net und immer wieder erzählt, ſo manche
bedeutende Wahlſprüche von Künſtlern auf¬
behalten und immer wiederhohlt; und wie
iſt es möglich geweſen, daß man ſie ſo bloß
mit oberflächlicher Bewunderung anhörte, daß
keiner darauf kam, aus dieſen ſprechenden
Zeichen das Allerheiligſte der Kunſt, worauf
ſie hindeuteten, zu ahnden? und nicht auch
15
hier, wie in der übrigen Natur, die Spur
von dem Finger Gottes anzuerkennen?
Ich, für mein Theil, habe von jeher die¬
ſen Glauben bey mir gehegt; aber mein
dunkler Glauben iſt jetzt zur hellſten Über¬
zeugung aufgeklärt worden. Glücklich bin
ich, daß der Himmel mich auserſehen hat,
ſeinen Ruhm durch einen einleuchtenden Be¬
weis ſeiner unerkannten Wunder auszubrei¬
ten: es iſt mir gelungen, einen neuen Altar
zur Ehre Gottes aufzubauen. —
Raphael, welcher die leuchtende Sonne
unter allen Mahlern iſt, hat uns in einem
Briefe von ihm an den Grafen von Caſtig¬
lione folgende Worte, die mir mehr werth
ſind als Gold, und die ich nie ohne ein ge¬
heimes dunkles Gefühl von Ehrfurcht und
Anbetung habe leſen können, hinterlaſſen,
worin er ſagt:
»Da man ſo wenig ſchöne weibliche Bil¬
16
»dungen ſieht, ſo halte ich mich an ein
»gewiſſes Bild im Geiſte, welches in
»meine Seele kommt.« *)
Über dieſe bedeutungsvollen Worte nun iſt
mir neulich ganz unerwartet, zu meiner in¬
nigen Freude, ein helles Licht aufgeſteckt
worden.
Ich durchſuchte den Schatz von alten
Handſchriften in unſerm Kloſter, und fand,
unter manchem nichtsnützigen beſtäubten Per¬
gament, einige Blätter von der Hand des
Bramante, von denen es nicht zu begreifen
iſt, wie ſie an dieſen Ort gekommen ſind.
Auf dem einen Blatte ſtand folgendes ge¬
ſchrieben, wie ich es, ohne weiteren Um¬
ſchweif, zu deutſch hier herſetzen will:
»Zu meinem eigenen Vergnügen, und
um
- ) Essendo carestia di belle donne, io mi servo di certa
idea che me viene al mente.
17
um es mir genau aufzubewahren, will ich
hier einen wunderbaren Vorfall aufzeichnen,
welchen der theure Raphael, mein Freund,
mir unter dem Siegel der Verſchwiegenheit
vertraut hat. Als ich ihm vor einiger Zeit
meine Bewunderung wegen ſeiner über alles
ſchön gemahlten Madonnen und heiligen Fa¬
milien aus vollem Herzen zu erkennen gab,
und mit recht vielen Bitten in ihn drang,
mir doch zu ſagen, von woher er denn in
aller Welt die unvergleichliche Schönheit,
die rührenden Mienen und den unübertreff¬
lichen Ausdruck in ſeinen Bildern der hei¬
ligen Jungfrau entlehnt habe; ſo ward er,
nachdem er mich eine Zeitlang mit ſeiner,
ihm eigenen, jünglinghaften Schaamhaftig¬
keit und Verſchloſſenheit hingehalten hatte,
endlich ſehr bewegt, fiel mir mit Thränen
um den Hals, und entdeckte mir ſein Ge¬
heimniß. Er erzählte mir, wie er von ſei¬
18
ner zarten Kindheit an, immer ein beſondres
heiliges Gefühl für die Mutter Gottes in
ſich getragen habe, ſo daß ihm zuweilen
ſchon beym lauten Ausſprechen ihres Na¬
mens ganz wehmüthig zu Muthe geworden
ſey. Nachher, da ſein Sinn ſich auf das
Mahlen gerichtet habe, ſey es immer ſein
höchſter Wunſch geweſen, die Jungfrau Ma¬
ria recht in ihrer himmliſchen Vollkommen¬
heit zu mahlen; aber er habe es ſich noch
immer nicht getraut. In Gedanken habe
ſein Gemüth beſtändig an ihrem Bilde, Tag
und Nacht, gearbeitet; allein er habe es ſich
gar nicht zu ſeiner Befriedigung vollenden
können; es ſey ihm immer geweſen, als wenn
ſeine Phantaſie im Finſtern arbeitete. Und
doch wäre es zuweilen wie ein himmliſcher
Lichtſtrahl in ſeine Seele gefallen, ſo daß er
die Bildung in hellen Zügen, wie er ſie ge¬
wollt, vor ſich geſehen hätte; und doch wäre
19
das immer nur ein Augenblick geweſen, und
er habe die Bildung in ſeinem Gemüthe
nicht feſthalten können. So ſey ſeine Seele
in beſtändiger Unruhe herumgetrieben; er
habe die Züge immer nur umherſchweifend
erblickt, und ſeine dunkle Ahndung hätte
ſich nie in ein klares Bild auflöſen wollen.
Endlich habe er ſich nicht mehr halten kön¬
nen, und mit zitternder Hand ein Gemählde
der heiligen Jungfrau angefangen; und wäh¬
rend der Arbeit ſey ſein Inneres immer mehr
erhitzt worden. Einſt, in der Nacht, da er,
wie es ihm ſchon oft geſchehen ſey, im
Traume zur Jungfrau gebetet habe, ſey er,
heftig bedrängt, auf einmal aus dem Schlafe
aufgefahren. In der finſteren Nacht ſey ſein
Auge von einem hellen Schein an der Wand,
ſeinem Lager gegenüber, angezogen worden,
und da er recht zugeſehen, ſo ſey er gewahr
geworden, daß ſein Bild der Madonna, das,
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noch unvollendet, an der Wand gehangen,
von dem mildeſten Lichtſtrahle, und ein ganz
vollkommenes und wirklich lebendiges Bild
geworden ſey. Die Göttlichkeit in dieſem
Bilde habe ihn ſo überwältigt, daß er in
helle Thränen ausgebrochen ſey. Es habe
ihn mit den Augen auf eine unbeſchreiblich
rührende Weiſe angeſehen, und habe in je¬
dem Augenblick geſchienen, als wolle es ſich
bewegen; und es habe ihn gedünkt, als be¬
wege es ſich auch wirklich. Was das wun¬
derbarſte geweſen, ſo ſey es ihm vorgekom¬
men, als wäre dies Bild nun grade das,
was er immer geſucht, obwohl er immer nur
eine dunkle und verwirrte Ahndung davon
gehabt. Wie er wieder eingeſchlafen ſey,
wiſſe er ſich durchaus nicht zu erinnern. Am
andern Morgen ſey er wie neugebohren auf¬
geſtanden; die Erſcheinung ſey ſeinem Ge¬
müth und ſeinen Sinnen auf ewig feſt ein¬
21
geprägt geblieben, und nun ſey es ihm ge¬
lungen, die Mutter Gottes immer ſo, wie
ſie ſeiner Seele vorgeſchwebt habe, abzubil¬
den, und er habe immer ſelbſt vor ſeinen
Bildern eine gewiſſe Ehrfurcht gefühlt. —
Das erzählte mir mein Freund, mein theurer
Raphael, und es iſt mir dieſes Wunder ſo
wichtig und merkwürdig geweſen, daß ich es
für mich, zu meiner Ergötzung niedergeſchrie¬
ben habe.« —
So iſt der Inhalt des unſchätzbaren Blat¬
tes, welches in meine Hände fiel. Wird man
nun deutlich vor Augen ſehen, was der gött¬
liche Raphael unter den merkwürdigen Wor¬
ten verſteht, wenn er ſagt:
»Ich halte mich an ein gewiſſes Bild
»im Geiſte, welches in meine Seele
»kommt.«
Wird man, durch dieſes offenbare Wunder
der himmliſchen Allmacht belehrt, verſtehen,
22
daß ſeine unſchuldige Seele in dieſen ein¬
fachen Worten einen ſehr tiefen und großen
Sinn ausſprach? Wird man nun nicht end¬
lich begreifen, daß all' das profane Geſchwätz
über Begeiſterung des Künſtlers, wahre Ver¬
ſündigung ſey, — und überführt ſeyn, daß
es dabey doch geradezu auf nichts anderes,
als den unmittelbaren göttlichen Beyſtand
ankomme?
Aber ich füge nichts mehr hinzu, um je¬
den, über dieſen ſo wichtigen Gegenſtand der
ernſten Betrachtung, ſeinem eigenen Nach¬
denken zu überlaſſen.
Sehnſucht nach Italien.
[Bearbeiten]23
Sehnſucht nach Italien.
Durch einen ſeltſamen Zufall hat ſich fol¬
gendes kleine Blatt bis jetzt bey mir aufbe¬
wahrt, das ich ſchon in meiner frühen Ju¬
gend niederſchrieb, als ich vor dem Wunſche,
endlich einmal Italien, das gelobte Land
der Kunſt, zu ſehen, keine Ruhe finden
konnte.
Bey Tage und in der Nacht denkt meine
Seele nur an die ſchönen, hellen Gegenden,
die mir in allen Träumen erſcheinen, und
mich rufen. Wird mein Wunſch, meine Sehn¬
ſucht immer vergebens ſeyn? So mancher
reiſt hin und kömmt zurück, und weiß dann
nicht wo er geweſen iſt, und was er geſehen
24
hat, denn keiner liebt ſo innig das Land mit
ſeiner einheimiſchen Kunſt.
Warum liegt es ſo fern von mir, daß es
mein Fuß nicht in einigen Tagereiſen errei¬
chen kann? daß ich dann vor den unſterb¬
lichen Werken der großen Künſtler nieder¬
knie, und ihnen alle meine Bewunderung
und Liebe bekenne? daß ihre Geiſter es hö¬
ren, und mich als den getreuſten Schüler
bewillkommen? —
Wenn zufällig von meinen Freunden die
Landkarte aufgeſchlagen wird, muß ich ſie
immer mit Rührung betrachten; ich durch¬
wandre mit meinem Geiſte Städte, Flecken
und Dörfer, — ach! und fühle nur zu bald,
daß alles nur Einbildung ſey.
Wünſch' ich mir doch kein glänzendes
Glück dieſer Erde; aber ſoll es mir auch
nicht einmal vergönnt ſeyn, dir, o heilige
Kunſt, ganz zu leben?
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Soll ich in mir ſelbſt verſchmachten,
Und in Liebe ganz vergehn?
Wird das Schickſal mein nicht achten,
Dieſes Sinnen, dieſes Trachten
Stets mit Mißvergnügen ſehn?
Bin ich denn ſo ganz verloren,
Den Verſtoßnen zugeweiht?
O beglückt, wer auserkohren,
Für die Künſte nur gebohren,
Ihnen Herz und Leben weiht!
Ach mein Glück liegt wohl noch ferne,
Kömmt noch lange mir nicht nah!
Freilich zweifelt' ich ſo gerne, —
Doch noch oft drehn ſich die Sterne, —
Endlich, endlich iſt es da!
Dann ohne Säumen,
Nach langen Träumen,
Nach tiefer Ruh,
Durch Wies' und Wälder,
Durch blüh'nde Felder
Der Heimath zu!
26
Mir dann entgegen
Fliegen mit Seegen
Genien, bekränzt
Strahlenumglänzt!
Sie führen den Müden
Dem ſüßen Frieden,
Den Freuden, der Ruh,
Der Kunſtheimath zu!
Der merkwürdige Tod des zu ſeiner Zeit weit berühmten alten Mahlers Franceſco Francia, des Erſten aus der Lombardiſchen Schule.
[Bearbeiten]27
Der merkwürdige Tod
des
zu ſeiner Zeit weit berühmten alten Mahlers
Franceſco Francia,
des Erſten aus der Lombardiſchen Schule.
So wie die Epoche des Wiederauflebens
der Wiſſenſchaften und der Gelehrſamkeit
die vielumfaſſendſten, als Menſchen merk¬
würdigſten, und am Geiſte kräftigſten ge¬
lehrten Männer hervorbrachte; ſo ward auch
die Periode, da die Kunſt der Mahlerey
aus ihrer lange ruhenden Aſche, wie ein
Phönix, hervorging, durch die erhabenſten
und edelſten Männer in der Kunſt bezeich¬
net. Sie iſt als das wahre Heldenalter
der Kunſt anzuſehen, und man möchte (wie
Oſſian) ſeufzen, daß die Kraft und Größe
dieſer Heldenzeit nun von der Erde entflohen
28
iſt. Viele ſtanden an vielen Orten auf, und
erhoben ſich ganz durch eigene Stärke: ihr
Leben und ihre Arbeiten hatten Gewicht, und
waren der Mühe werth, in ausführlichen
Chroniken, wie wir ſie noch von den Hän¬
den damaliger Verehrer der Kunſt beſitzen,
der Nachwelt aufbewahrt zu werden; und
ihr Geiſt war ſo ehrwürdig, als es uns noch
ihre bärtigen Häupter ſind, die wir in den
ſchätzbaren Sammlungen ihrer Bildniſſe mit
Ehrfurcht betrachten. Es geſchahen unter ih¬
nen ungewöhnliche, und vielen jetzt unglaub¬
liche Dinge, weil der Enthuſiasmus, der itzt
nur in wenigen einzelnen Herzen, wie ein
ſchwaches Lämpchen flimmert, in jener gol¬
denen Zeit alle Welt entflammte. Die ent¬
artete Nachkommenſchaft bezweifelt oder be¬
lacht ſo manche bewährte Geſchichte aus die¬
ſen Zeiten als Mährchen, weil der göttliche
Funken ganz aus ihrer Seele gewichen iſt.
29
Eine der merkwürdigſten Geſchichten die¬
ſer Art, die ich nie ohne Staunen habe le¬
ſen können, und bey der mein Herz doch nie
in Verſuchung zu zweifeln geführt ward, iſt
die Geſchichte von dem Tode des uralten
Mahlers Franceſco Francia[2], welcher
der Ahnherr und Stammvater der Schule
war, die ſich in Bologna und der Lombar¬
dey bildete.[3]
Dieſer Franceſco war von geringen Hand¬
werksleuten gebohren, hatte ſich aber durch
ſeinen unermüdeten Fleiß und ſeinen immer
hinaufſtrebenden Geiſt, zu dem höchſten Gi¬
pfel des Ruhmes aufgeſchwungen. In ſeiner
Jugend war er zuerſt bey einem Goldarbei¬
ter, und er bildete ſo künſtliche Sachen in
Gold und Silber, daß ſie jeden, der ſie ſah,
in Erſtaunen ſetzten. Auch grub er lange
Zeit die Stempel zu allen Denkmünzen, und
alle Fürſten und Herzoge der Lombardey ſetz¬
30
ten eine Ehre darin, ſich von ſeinem Griffel
auf ihren Münzen abbilden zu laſſen. Denn
es war damals noch die Zeit, da alle Vor¬
nehmen des Landes und alle Mitbürger den
vaterländiſchen Künſtler durch ihren ewigen,
lautſchallenden Beyfall ſtolz zu machen ver¬
mochten. Unendlich viele fürſtliche Perſonen
kamen durch Bologna, und verſäumten nicht,
ihr Bildniß von Franceſco zeichnen, und
nachher in Metall ſchneiden und prägen zu
laſſen.
Aber Franceſco's ewig beweglicher, feuri¬
ger Geiſt ſtrebte nach einem neuen Felde der
Arbeit, und je mehr ſeine heiße Ehrbegier
geſättigt ward, deſto ungeduldiger ward er,
ſich eine ganz neue, noch unbetretene Bahn
zum Ruhme aufzuſchließen. Schon vierzig
Jahre alt, trat er in die Schranken einer
neuen Kunſt; er übte ſich mit unbezwing¬
licher Geduld im Pinſel, und richtete ſein
31
ganzes Nachdenken auf das Studium der
Kompoſition im Großen, und des Effektes
der Farben. Und es war außerordentlich,
wie ſchnell es ihm gelang, Werke hervorzu¬
bringen, die ganz Bologna in Verwunde¬
rung ſetzten. Er ward in der That ein vor¬
züglicher Mahler; denn wenn er auch meh¬
rere Mitſtreiter hatte, und ſelbſt der gött¬
liche Raphael zu der Zeit in Rom arbei¬
tete, ſo konnte man immer mit Recht auch
ſeine Werke zu den vornehmſten rechnen.
Denn allerdings iſt die Schönheit in der
Kunſt nicht etwas ſo armes und dürftiges,
daß eines Menſchen Leben ſie erſchöpfen
könnte; und ihr Preis iſt kein Loos, das
nur allein auf Einen Auserwählten fällt: ihr
Licht zerſpaltet ſich vielmehr in tauſend Strah¬
len, deren Wiederſchein auf mannigfache
Weiſe von den großen Künſtlern, die der
32
Himmel auf die Welt geſetzt hat, in unſer
entzücktes Auge zurückgeworfen wird.
Franceſco lebte grade unter der erſten
Generation der edlen italieniſchen Künſtler,
welche um ſo größere und allgemeinere Ach¬
tung genoſſen, da ſie auf den Trümmern der
Barbarey ein ganz neues, glänzendes Reich
ſtifteten; und in der Lombardey war grade
Er der Stifter, und gleichſam der erſte Fürſt
dieſer neugegründeten Herrſchaft. Seine ge¬
ſchickte Hand vollendete eine unzählbare Men¬
ge von herrlichen Gemählden, die nicht nur
durch die ganze Lombardey, (in welcher keine
Stadt von ſich nachſagen laſſen wollte, daß
ſie nicht wenigſtens eine Probe ſeiner Arbeit
beſäße,) ſondern auch in die andern Gegen¬
den von Italien gingen, und allen Augen,
die ſo glücklich waren ſie zu betrachten, ſei¬
nen Ruhm laut verkündigten. Die italieni¬
ſchen Fürſten und Herzoge waren eiferſüchtig,
33
Bilder von ihm zu beſitzen; und von allen
Seiten ſtröhmten ihm Lobſprüche zu. Rei¬
ſende verpflanzten ſeinen Namen aller Or¬
ten wo ſie hingelangten, und der ſchmeichel¬
hafte Wiederhall ihrer Reden tönte in ſein
Ohr zurück. Bologneſer, die Rom beſuchten,
prieſen ihren vaterländiſchen Künſtler dem
Raphael, und dieſer, der auch einiges von
ſeinem Pinſel geſehen und bewundert hatte,
bezeugte ihm in Briefen, mit der ihm eigen¬
thümlichen ſanften Leutſeligkeit, ſeine Ach¬
tung und Zuneigung. Die Schriftſteller der
Zeit konnten ſich nicht enthalten, ſein Lob
in alle ihre Werke einzuflechten; ſie richten
die Augen der Nachwelt auf ihn, und er¬
zählen mit wichtiger Miene, daß er wie ein
Gott verehrt ſey. Einer von ihnen *) ſogar
iſt kühn genug, zu ſchreiben, daß Raphael,
auf den Anblick ſeiner Madonnen, die Trocken¬
- ) Cavazzone.
34
heit, die ihm noch von der Schule von Pe¬
rugia angeklebt, verlaſſen, und einen größe¬
ren Styl angenommen habe.
Was konnten dieſe wiederhohlten Schläge
anders für eine Wirkung auf das Gemüth
unſers Franceſco haben, als daß ſein lebhaf¬
ter Geiſt ſich zu dem edelſten Künſtlerſtolze
empor hob, und er an einen himmliſchen
Genius in ſeinem Inneren zu glauben an¬
fing. Wo findet man jetzt dieſen erhabenen
Stolz? Vergebens ſucht man ihn unter den
Künſtlern unſrer Zeiten, welche wohl auf
ſich eitel, aber nicht ſtolz auf ihre Kunſt
ſind.
Raphael war der einzige, den er von
allen ihm gleichzeitigen Mahlern allenfalls
für ſeinen Nebenbuhler gelten ließ. Er war
indeß nie ſo glücklich geweſen, ein Bild von
ſeiner Hand zu ſehen, denn er war in ſei¬
nem Leben nie weit von Bologna gekom¬
35
men. Doch hatte er, nach vielen Beſchrei¬
bungen, ſich in der Idee von der Manier
des Raphaels ein feſtes Bild gemacht, und
ſich, beſonders auch durch deſſen beſcheidenen
und ſehr gefälligen Ton gegen ihn in ſeinen
Briefen, feſt überzeugt, daß er ſelber ihm
in den meiſten Stücken gleich komme, und
es in manchen wohl noch weiter gebracht
habe. Seinem hohen Alter war es vorbe¬
halten, mit ſeinen eigenen Augen ein Bild
von Raphael zu ſehen.
Ganz unerwartet empfing er einen Brief
von ihm, worin jener ihm die Nachricht er¬
theilte, er habe eben ein Altargemählde von
der heiligen Cäcilia vollendet, welches für
die Kirche des heiligen Johannes zu Bologna
beſtimmt ſey; und dabey ſchrieb er, er werde
das Stück an ihn, als ſeinen Freund, ſen¬
den, und bat, daß er ihm den Gefallen er¬
zeigen möchte, es auf ſeiner Stelle gehörig
36
aufrichten zu laſſen, auch, wenn es auf der
Reiſe irgendwo beſchädigt ſey, oder er ſonſt
im Bilde ſelbſt irgend ein Verſehen oder ei¬
nen Fehler wahrnähme, überall als Freund
zu beſſern und nachzuhelfen. Dieſer Brief,
worin ein Raphael demüthig ihm den Pin¬
ſel in die Hände gab, ſetzte ihn außer ſich
ſelbſt, und er konnte die Ankunft des Bil¬
des nicht erwarten. Er wußte nicht, was
ihm bevorſtand!
Einſt, als er von einem Ausgange nach
Hauſe kam, eilten ſeine Schüler ihm entge¬
gen, und erzählten ihm mit großer Freude,
das Gemählde vom Raphael ſey indeß an¬
gekommen, und ſie hätten es in ſeinem Ar¬
beitszimmer ſchon in das ſchönſte Licht ge¬
ſtellt. Franceſco ſtürzte, außer ſich, hinein. —
Aber wie ſoll ich der heutigen Welt die
Empfindungen ſchildern, die der außeror¬
dentliche Mann beym Anblick dieſes Bildes
37
ſein Inneres zerreißen fühlte. Es war ihm,
wie einem ſeyn müßte, der voll Entzücken
ſeinen von Kindheit an von ihm entfernten
Bruder umarmen wollte, und ſtatt deſſen
auf einmal einen Engel des Lichts vor ſeinen
Augen erblickte. Sein Inneres war durch¬
bohrt; es war ihm, als ſänke er in voller
Zerknirſchung des Herzens vor einem höhe¬
ren Weſen in die Kniee.
Vom Donner gerührt ſtand er da; und
ſeine Schüler drängten ſich um den alten
Mann herum, und hielten ihn, fragten ihn,
was ihn befallen habe? und wußten nicht
was ſie denken ſollten.
Er hatte ſich etwas erhohlt, und ſtarrte
immerfort das über alles göttliche Bild an.
Wie war er auf einmal von ſeiner Höhe ge¬
fallen! Wie ſchwer mußte er die Sünde
büßen, ſich allzu vermeſſen bis an die Sterne
erhoben, und ſich ehrſüchtig über Ihn, den
38
unnachahmlichen Raphael, geſetzt zu haben.
Er ſchlug ſich vor ſeinen grauen Kopf, und
weinte bittere, ſchmerzende Thränen, daß er
ſein Leben mit eitelm, ergeizigen Schweiße
verbracht, und ſich dabey nur immer, thörich¬
ter gemacht habe, und nun endlich, dem
Tode nahe, mit geöffneten Augen auf ſein
ganzes Leben als auf ein elendes, unvollen¬
detes Stümperwerk zurückſehen müſſe. Er
hob mit dem erhobenen Antlitz der heiligen
Cäcilia auch ſeine Blicke empor, zeigte dem
Himmel ſein wundes, reuiges Herz, und be¬
tete gedemüthigt um Vergebung.
Er fühlte ſich ſo ſchwach, daß ſeine Schü¬
ler ihn ins Bett bringen mußten. Beym
Herausgehen aus dem Zimmer fielen ihm ei¬
nige ſeiner Gemählde, und beſonders ſeine
ſterbende Cäcilia, welche noch dort hing, in
die Augen; und er verging faſt vor Schmerz.
Von der Zeit an war ſein Gemüth in
39
beſtändiger Verwirrung, und man bemerkte
faſt immer eine gewiſſe Abweſenheit des Gei¬
ſtes bey ihm. Die Schwächen des Alters
und die Ermattung des Geiſtes, welcher ſo
lange in immer angeſtrengter Thätigkeit bey
der Schöpfung von ſo tauſenderley Geſtal¬
ten geweſen war, traten hinzu, um das Haus
ſeiner Seele von Grund aus zu erſchüttern.
Alle die unendlich mannigfaltigen Bildungen,
die ſich von jeher in ſeinem mahleriſchen
Sinn bewegt hatten, und in Farben und
Linien auf der Leinwand zur Wirklichkeit
übergegangen waren, fuhren jetzt, mit ver¬
zerrten Zügen, durch ſeine Seele, und wa¬
ren die Plagegeiſter, die ihn in ſeiner Fie¬
berhitze ängſtigten. Ehe ſeine Schüler es
ſich verſahen, fanden ſie ihn todt im Bette
liegen. —
So ward dieſer Mann erſt dadurch recht
groß, daß er ſich ſo klein gegen den himm¬
40
liſchen Raphael fühlte. Auch hat ihn der
Genius der Kunſt, in den Augen der Ein¬
geweihten, längſt heilig geſprochen, und ſein
Haupt mit dem Strahlenkreiſe umgeben, der
ihm als einem ächten Märtyrer des Kunſt¬
enthuſiasmus gebührt. —
Die obige Erzählung von dem Tode des
Franceſco Francia hat uns der alte Vaſari[5]
überliefert[6], in welchem der Geiſt der Urvä¬
ter der Kunſt noch wehte.
Diejenigen kritiſchen Köpfe, welche an
alle außerordentliche Geiſter, als an überna¬
türliche Wunderwerke, nicht glauben wollen
noch können, und die ganze Welt gern in
Proſa auflöſen möchten, ſpotten über die
Mährchen des alten ehrwürdigen Chroniſten
der Kunſt, und erzählen dreiſt, Franceſco
Francia ſey an Gift geſtorben.
Der Schüler und Raphael.
[Bearbeiten]41
Der Schüler und Raphael.
Zu jener Zeit, als die bewundernde Welt
noch Raphael unter ſich leben ſah, — deſ¬
ſen Name nicht leicht über meine Lippen
geht, ohne daß ich ihn unwillkührlich den
Göttlichen nenne, — zu Zeit, — o wie
gern gäb' ich alle Klugheit und Weisheit
der ſpätern Jahrhunderte hin, um in jenem
geweſen zu ſeyn! — lebte in einem kleinen
Städtchen des Florentiniſchen Gebiets ein
junger Menſch, den wir Antonio nennen
wollen, welcher ſich in der Mahlerkunſt übte.
Er hatte von Kindheit auf, einen recht eifri¬
gen Trieb zur Mahlerey, und zeichnete als
Knabe ſchon alle Heiligenbilder ämſig nach,
die ihm in die Hände fielen. Aber bey aller
Stetigkeit ſeines Eifers und ſeiner recht ei¬
ſernen Begier, irgend etwas Vortreffliches
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hervorzubringen, beſaß er zugleich eine ge¬
wiſſe Blödigkeit und Eingeſchränktheit des
Geiſtes, bey welcher die Pflanze der Kunſt
immer einen unterdrückten und gebrechlichen
Wuchs behält, und nie frey und geſund zum
Himmel emporſchießen kann: eine unglück¬
liche Conſtellation der Gemüthskräfte, welche
ſchon manche Halbkünſtler auf die Welt ge¬
ſetzt hat.
Antonio hatte ſich ſchon nach verſchiede¬
nen Meiſtern ſeiner Zeit geübt, und es war
ihm ſo weit gelungen, daß ihm ſelber die
Ähnlichkeit ſeiner Nachahmungen ungemeines
Vergnügen machte, und er über ſeine all¬
mähligen Fortſchritte ſehr genaue Rechnung
hielt. Endlich ſah er einige Zeichnungen und
Gemählde Raphaels; er hatte ſeinen Namen
ſchon oft mit großen Lobeserhebungen aus¬
ſprechen hören, und er ſchickte ſich den Au¬
genblick an, nach den Werken dieſes hoch¬
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geprieſenen Mannes zu arbeiten. Als er
aber mit ſeinen Kopieen gar nicht zu Stande
kommen konnte, und nicht wußte, woran es
lag, legte er ungeduldig den Pinſel aus der
Hand, beſann ſich was er thun wollte, und
ſetzte endlich folgendes Schreiben auf:
»An den allervortrefflichſten Mahler,
Raphael von Urbino.«
»Vergebt mir, daß ich nicht weiß, wie
ich Euch anreden ſoll, denn Ihr ſeyd ein un¬
begreiflicher und außerordentlicher Mann;
und ich bin überdies gar nicht geübt, die
Feder zu führen. Ich habe auch lange bey
mir überlegt, ob es wohl ſchicklich ſey, daß
ich Euch ſchriebe, ohne Euch von Perſon je¬
mals geſehn zu haben. Aber da man ja
überall von Eurer leutſeligen und freund¬
lichen Gemüthsart reden hört, ſo habe ich
mich es endlich unterſtanden.«
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»Doch ich will Euch Eure koſtbare Zeit
nicht mit vielen Worten rauben, denn ich
kann mir denken, wie fleißig Ihr ſeyn müßt;
ſondern ich will nur gleich mein Herz vor
Euch aufſchließen, und Euch meine Bitte
recht angelegentlich vortragen.«
»Ich bin ein junger Anfänger in der vor¬
trefflichen Mahlerkunſt, welche ich über alles
liebe, und welche mein ganzes Herz erfreut,
ſo daß ich faſt nicht glauben kann, daß,
wenn ich, (wie es natürlich iſt,) Euch und
andre berühmte Meiſter dieſer Zeiten aus¬
nehme, irgend jemand anders ſolche inner¬
liche Liebe, und ſo einen unaufhörlichen
Drang zu der Kunſt trüge. Ich beſtrebe
mich aufs allerbeſte, dem Ziel, das ich in
der Entfernung vor mir ſehe, immer ein we¬
nig näher zu rücken; ich bin keinen Tag, ja,
ich möchte beynahe ſagen, keine Stunde müßig;
und ich merke, daß ich jeden Tag, ſo wenig
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es auch ſeyn mag, weiter komme. Nun habe
ich mich ſchon nach vielen unſrer heutiges
Tages berühmten Männer wohl geübt; aber
da ich angefangen habe, Eure Arbeiten
nachzumahlen, iſt es mir geweſen, als wenn
ich gar nichts wüßte, und noch einmal von
vorn anfangen ſollte. Ich habe doch ſchon
ſo manchen Kopf auf der Tafel zu Stande
gebracht, woran weder in den Umriſſen, noch
in den Lichtern und Schatten etwas Falſches
oder Unrechtliches gefunden werden mochte;
aber wenn ich die Köpfe Eurer Apoſtel und
Jünger Chriſti, ſo wie Eurer Madonnen
und Chriſtkindlein, auch Zug für Zug auf
meine Tafel übertrage, mit ſolcher Pünkt¬
lichkeit, daß mir die Augen brechen möch¬
ten, — und ich denn das Ganze überſehe,
und es mit dem Original vergleiche, ſo bin
ich erſchrocken, daß es himmelweit davon ent¬
fernt, und ein ganz anderes Geſicht iſt. Und
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doch ſehen Eure Köpfe, wenn man ſie zum
erſtenmal betrachtet, beynahe leichter aus,
als andre; denn ſie haben ein gar zu natür¬
liches Anſehen, und es iſt, als wenn man
darin die Perſonen, die es ſeyn ſollen, gleich
erkennte, und als wenn man ſie ſchon leben¬
dig geſehen hätte. Auch finde ich bey Euch
nicht eben ſolche ſchwere und außerordent¬
liche Verkürzungen der Glieder, womit wohl
andre Meiſter heutiges Tages die Vollkom¬
menheit ihrer Kunſt zu zeigen, und uns arme
Schüler zu quälen pflegen.«
»Darum, ſo viel ich auch immer nachge¬
grübelt habe, weiß ich mir doch durchaus
das Beſondere nicht zu erklären, was Eure
Bilder an ſich haben, und kann gar nicht
ergründen, worin es eigentlich liegt, daß
man Euch nicht recht nachahmen, und Euch
nie ganz und gar erreichen kann. O leiſtet
mir hierin Euren Beyſtand, — ich bitte Euch
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dringend und flehentlich darum; und ſagt
mir, (denn Ihr könnt es gewiß am beſten,)
was ich thun muß, um Euch nur einiger¬
maßen ähnlich zu werden. O wie tief will
ich mir das einprägen! wie eifrig will ich es
befolgen! — Ich bin, — vergebt mir, —
manchmal wohl gar darauf gefallen. Ihr
müßtet irgend ein Geheimniß bey Eurer Ar¬
beit beſitzen, wovon ſich kein anderer Menſch
einen Begriff machen könnte. Gar zu gern
möchte ich Euch nur einen halben Tag lang
bey der Arbeit zuſehen; doch Ihr laßt viel¬
leicht keinen dazu. Oder, wenn ich ein großer
Herr wäre, würde ich Euch tauſend und
tauſend Goldſtücke für Euer Geheimniß an¬
bieten.«
»Ach habt Nachſicht mit mir, daß ich
mich unterſtehe, ſo vielerley vor Euch zu
ſchwatzen. Ihr ſeyd ein außerordentlicher
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Mann, der wohl auf alle andre Menſchen
mit Verachtung herunterſehen muß.«
»Ihr arbeitet wohl Tag und Nacht, um
ſo herrliche Sachen zuwege zu bringen; und
in Eurer Jugend ſeyd Ihr ſicher in einem
Tage ſo weit gekommen, als ich nicht in ei¬
nem Jahre. Nun, ich will doch auch ins¬
künftige meine Kräfte anſtrengen, ſo viel
ich nur immer vermögend bin.«
»Andere, die heller ſehen als ich, loben
ja auch den Ausdruck in Euren Bildern über
alles, und wollen behaupten, daß niemand
ſo gut wie Ihr, gleichſam die Beſchaffenheit
des Gemüths in den Perſonen vorzuſtellen
wiſſe, ſo daß man aus ihren Mienen und
Gebehrden ſo zu ſagen ihre Gedanken erra¬
then könnte. Doch, auf dieſe Sachen ver¬
ſtehe ich mich nur noch wenig.«
»Ich muß aber endlich aufhören Euch
läſtig zu fallen. Ach was würde es mir für
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ein erquickender Troſt ſeyn, wenn Ihr auch
nur mit wenigen Worten Euren Rath er¬
theilet
Eurem
Euch über alles verehrenden
Antonio.«
So lautete Antonio's Sendſchreiben an
Raphael; — und dieſer ſchrieb ihm lächelnd
folgende Antwort:
»Mein guter Antonio,«
»Es iſt ſchön, daß Du ſo große Liebe zu
der Kunſt trägſt, und Dich ſo fleißig übeſt;
Du haſt mich ſehr damit erfreut. Aber was
Du von mir zu wiſſen verlangſt, kann ich
Dir leider nicht ſagen; nicht, weil es ein
Geheimniß, das ich nicht verrathen wollte, —
denn ich wollte es Dir und einem jeden von
Grunde des Herzens gern mittheilen, ſon¬
dern weil es mir ſelber unbekannt iſt.«
»Ich ſehe Dir an, daß Du mir das nicht
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glauben willſt; und doch iſt es ſo. So we¬
nig als einer Rechenſchaft geben kann, wo¬
her er eine rauhe oder eine liebliche Stimme
habe, ſo wenig kann ich Dir ſagen, warum
die Bilder, unter meiner Hand, grade eine
ſolche und keine andere Geſtalt annehmen.«
»Die Welt ſucht viel Beſonderes in mei¬
nen Bildern; und wenn man mich auf dies
und jenes Gute darin aufmerkſam macht, ſo
muß ich manchmal ſelber mein Werk mit
Lächeln betrachten, daß es ſo wohl gelun¬
gen iſt. Aber es iſt wie in einem angeneh¬
men Traum vollendet, und ich habe wäh¬
rend der Arbeit immer mehr an den Gegen¬
ſtand gedacht, als daran, wie ich ihn vor¬
ſtellen möchte.«
»Wenn Du das, was Du etwa an mei¬
nen Arbeiten Eigenthümliches findeſt, nicht
recht begreifen und nachahmen kannſt, ſo ra¬
the ich Dir, lieber Antonio, Dir ſonſt einen
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oder den andern der mit Recht berühmten
Meiſter jetziger Zeiten zum Muſter zu er¬
wählen; denn ein jeder hat etwas Nachah¬
mungswürdiges, und ich habe mich mit Nutzen
nach ihnen gebildet, und nähre mein Auge
noch immer mit ihren mannigfachen Vorzüg¬
lichkeiten. Daß ich nun jetzt aber gerade
dieſe und keine andre Art zu mahlen habe,
wie denn ein jeder ſeine eigene zu haben
pflegt, das ſcheint meiner Natur von jeher
ſchon ſo eingepflanzet; ich habe es nicht
durch ſauren Schweiß errungen, und es läßt
ſich nicht mit Vorſatz auf ſo etwas ſtudieren.
Fahre indeſſen fort, Dich mit Liebe in der
Kunſt zu üben, und lebe wohl.«
Ein Brief des jungen Florentiniſchen Mahlers Antonio an ſeinen Freund Jacobo in Rom.
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Ein Brief
des
jungen Florentiniſchen Mahlers
Antonio
an ſeinen Freund Jacobo in Rom.
Geliebter Bruder,
Wundre Dich nicht, daß ich Dir ſo lange
nicht geſchrieben, denn allerhand Beſchäfti¬
gungen haben mir meine Zeit unglaublich
verkürzt. Aber jetzt will ich Dir öfter ſchrei¬
ben, weil ich Dir als meinem liebſten Freunde
meine Gedanken und Empfindungen mitzu¬
theilen wünſche. Du kennſt meine Klagen,
daß ich mich ſonſt immer als ein ganz un¬
würdiger, verlorner Schüler der edlen Mah¬
lerkunſt fühlte; jetzt aber hat meine Seele
einen wunderbaren, unbegreiflichen Schwung
53
erhalten, ſo daß ich freyer und dreiſter Athem
hohle, und nicht mehr mit ſo demuthsvollem
Erröthen vor den Bildern der großen Mei¬
ſter da ſtehe.
Und wie ſoll ich Dir nun ſchildern, wie
und wodurch ſich dieſes ereignet hat? Der
Menſch iſt ſehr arm, lieber Jacobo; denn
wenn er auch einen recht koſtbaren Schatz
im Buſen trägt, ſo muß er ihn wie ein Gei¬
ziger verſchließen, und kann ſeinem Freunde
nichts davon mittheilen oder zeigen. Thrä¬
nen, Seufzer, ein Händedruck ſind dann
unſre ganze Sprache. So iſt es jetzt mit
mir, und darum möcht' ich Dich jetzt vor
mir haben, um Deine liebe Hand zu neh¬
men, und ſie auf mein pochendes Herz zu
legen. — Ich weiß nicht, ob andre Men¬
ſchen ſchon ſo empfunden haben wie ich, —
ob es ſchon andern gegönnt war, durch die
Liebe einen ſo ſchönen Weg zur Anbetung
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der Kunſt zu finden. Denn wenn ein Wort
meine Gefühle ausdrücken ſoll, ſo muß es
Liebe ſeyn, die jetzt mein Herz und meinen
Geiſt regiert.
Es iſt mir zu Muthe, als wenn ein Vor¬
hang von meinem Leben hinweggezogen wäre,
und ich nun erſt das zu ſehn bekäme, was
die Menſchen immer die Natur und die
Schönheit der Welt nennen. Alle Berge,
alle Wolken, der Himmel und ſein Abend¬
roth ſind jetzt anders und näher zu mir her¬
abgezogen; mit Liebe und unausſprechlicher
Sehnſucht möcht' ich jetzt Raphael umfan¬
gen, der nun unter den Engeln wohnt, weil
er für uns und dieſe Erde zu gut und zu
erhaben war: heiße Thränen der Begeiſte¬
rung, der reinſten Ehrfurcht treten in mein
irdiſches Auge, und machen meinen Sinn
himmliſchtrunken, wenn ich jetzt vor ſeinen
Werken ſtehe, und ſie mir tief in Sinn und
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Herz einpräge. Ich kann nun wohl ſagen,
daß ich nun erſt fühle, was die Kunſt von
allem übrigen Treiben und Arbeiten der ſterb¬
lichen Menſchen unterſcheidet; ich bin reiner
und heiliger geworden, und darum bin ich
nun erſt zu den heiligen Altären gelaſſen.
Wie bet' ich jetzt die Mutter Gottes und die
erhabenen Apoſtel in jenen begeiſterten Bil¬
dern an, die ich ſonſt nur mit kaltem Auge
und halbgeübtem Pinſel Zug für Zug nach¬
zeichnen wollte: — jetzt ſtehn mir die Thrä¬
nen in den Augen, meine Hand zittert, mein
innerſtes Herz iſt bewegt, ſo daß ich (möcht'
ich ſagen) faſt ohne Bewußtſeyn die Farben
auf die Leinwand trage, und dennoch geräth
es mir ſo, daß ich hernach damit zufrieden
bin. O wenn doch jetzt Raphael noch lebte,
daß ich ihn ſehn, ihn ſprechen, ihm meine
Gefühle ſagen könnte! Er muß ſie gekannt
haben, denn ich finde ſie, ich finde mein
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ganzes Herz in ſeinen Werken wieder: alle
ſeine Madonnen ſehn meiner geliebten Ama¬
lia ähnlich.
Auch fall' ich jetzt von ſelbſt auf große
und recht dreiſte Erfindungen: ich habe ſchon
einiges angefangen, und in manchen Stun¬
den, wenn ich von der Mahlzeit aufſtehe,
oder eben ein gleichgültiges Geſpräch geführt
habe, erſtaune ich ſelbſt vor meinem verwe¬
genen Unternehmen. Aber innerlich treibt
mich dann mein Genius wieder an, ſo daß
ich bey alle dem nicht den Muth verliere.
Wie unähnlich die zugeſchloſſene Knoſpe
der prächtigen Lilie iſt, die wie ein großer
ſilberner Stern auf ihrem dunkeln Stengel
nach der Sonne blickt: ſo unähnlich bin ich
mir ſelbſt, gegen meinen vormaligen Zuſtand.
Ich will noch vieles und mit unermüdeten
Kräften arbeiten.
Wenn ich ſchlafe, iſt der Name Amalie
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wie ein goldenes, ſchützendes Zelt über mir
ausgeſpannt. Oft wache ich auf, weil ich
dieſen Namen mit ſüßem Klange ausſprechen
höre, als wenn mich eines von den Raphael¬
ſchen Engelskindern neckend und liebkoſend
riefe. Rieſelnde Töne ſchütten dann nach
und nach die Lücke wieder zu, und holdſe¬
lige Träume laſſen ſich wieder mit leiſen
Flügeln auf meine Augen herab. —
Ach, Jacobo, glaube mir, jetzt bin ich
erſt recht Dein Freund, aber ſpotte nicht
über
Deinen
glücklichen Antonio.
Jacob's Antwort.
Dein lieber Brief, mein ſehr theurer An¬
tonio, hat eine freudige Rührung in mir ver¬
urſacht. Ich brauche Dir nicht Glück zu
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wünſchen, denn Du biſt jetzt wahrhaft glück¬
lich, und es ſey ferne von mir, daß ich über
Dich ſpotten könnte, denn dann verdiente
ich nicht die Gnade des Himmels, der mich
zum Werkzeug ſeiner Verherrlichung, zum
Künſtler auserkohren.
Ich begreife recht gut Deinen Trieb zur
Arbeit und Deine ſtets rege Erfindſamkeit.
Ich lobe, ja ich beneide Dich; aber Du wirſt
es mir nicht übel deuten, wenn ich außer¬
dem noch einige Worte hinzufüge: denn da
ich ſo manches Jahr, ſo manche Erfahrung
vor Dir voraus habe, möchte ich dadurch
vielleicht ein Recht zum Reden haben.
Was Du mir da von der Kunſt ſchreibſt,
will mir nicht ſo durchaus gefallen. Schon
mancher iſt Deinen Weg gegangen, aber ich
glaube nicht, daß der große Künſtler da ſtehn
bleiben muß, wo Du jetzt ſtehſt. Die Liebe
eröffnet uns freilich die Augen über uns ſel¬
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ber und über die Welt, die Seele wird ſtil¬
ler und andächtiger, und aus allen Winkeln
des Herzens brechen tauſend glimmende Em¬
pfindungen in hellen Flammen hervor: man
lernt dann die Religion und die Wunder des
Himmels begreifen, der Geiſt wird demüthi¬
ger und ſtolzer, und die Kunſt redet uns be¬
ſonders mit allen ihren Tönen bis in das
innerſte Herz hinein. Aber nun kömmt der
Künſtler gar zu leicht in Gefahr, ſich in
jedem Kunſtwerke zu ſuchen, alle ſeine Em¬
pfindungen werden nach einer Richtung hin¬
ausſchweifen, und ſo opfert er denn ſein
mannigfaltiges Talent einem einzigen Ge¬
fühle auf. Hüte Dich davor, lieber Anto¬
nio, weil Du ſonſt zur engſten und am En¬
de unbedeutendſten Manier geführt werden
kannſt. Jedes ſchöne Werk muß der Künſt¬
ler in ſich ſchon antreffen, aber nicht ſich
mühſam darin aufſuchen; die Kunſt muß
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ſeine höhere Geliebte ſeyn, denn ſie iſt himm¬
liſchen Urſprungs; gleich nach der Religion
muß ſie ihm theuer ſeyn; ſie muß eine reli¬
giöſe Liebe werden, oder eine geliebte Reli¬
gion, wenn ich mich ſo ausdrücken darf: —
nach dieſer darf dann wohl die irdiſche Liebe
folgen. Dann weht ein herrlicher, labender
Wind alle Empfindungen, alle ſchöne Blu¬
men in dieſes eroberte Land hinein, das mit
Morgenroth überzogen, und von heiliger
Wonne durchklungen iſt.
Deute mir dieſe meine Worte nicht übel,
mein ungemein geliebter Antonio: meine Ver¬
ehrung der Kunſt ſpricht ſo aus mir, und
ſo wirſt Du denn alles zum Beſten ausle¬
gen. — Lebe wohl.
Das Muſter eines kunſtreichen und dabey tiefgelehrten Mahlers, vorgeſtellt in dem Leben des Leonardo da Vinci, berühmten Stammvaters der Florentiniſchen Schule.
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Das Muſter
eines
kunſtreichen und dabey tiefgelehrten Mahlers,
vorgeſtellt in dem Leben
des
Leonardo da Vinci,
berühmten Stammvaters der Florentiniſchen Schule.
Das Zeitalter der Wiederaufſtehung der
Mahlerkunſt in Italien hat Männer ans
Licht gebracht, zu denen die heutige Welt
billig wie zu Heiligen in der Glorie hinauf¬
ſehen ſollte. Von ihnen möchte man ſagen,
daß ſie zuerſt die wilde Natur durch ihre
Zauberkünſte bezwungen und gleichſam be¬
ſchworen, — oder auch, daß ſie zuerſt aus
der verworrenen Schöpfung den Funken der
Kunſt herausgeſchlagen hätten. Ein jeder
von dieſen prangte mit eigenen, nahmhaften
62
Vollkommenheiten, und es ſind im Tempel
der Kunſt für viele von ihnen Altäre er¬
richtet.
Ich habe mir aus dieſen für jetzt den
berühmten Stammvater der Florentiniſchen
Schule, den nie genug geprieſenen Leonar¬
do da Vinci auserwählt, um ihn, wem
daran gelegen iſt, als das Muſter in einem
wahrhaft gelehrten und gründlichen Studium
der Kunſt, und als das Bild eines unermüd¬
lichen, und dabey geiſtreichen Fleißes, dar¬
zuſtellen. An ihm mögen die lehrbegierigen
Jünger der Kunſt erſehen, daß es nicht da¬
mit gethan ſey, zu einer Fahne zu ſchwören,
nur ihre Hand in gelenkiger Führung des
Pinſels zu üben, und mit einem leichten und
flüchtigen After-Enthuſiasmus ausgerüſtet,
gegen das tiefſinnige und auf das wahre
Fundament gerichtete Studium zu Felde zu
ziehen. Ein ſolches Beyſpiel wird ſie beleh¬
63
ren, daß der Genius der Kunſt ſich nicht
unwillig mit der ernſthaften Minerva zuſam¬
men paart; und daß in einer großen und
offenen Seele, wenn ſie auch auf Ein Haupt¬
beſtreben gerichtet iſt, doch das ganze, viel¬
fachzuſammengeſetzte Bild menſchlicher Wiſ¬
ſenſchaft ſich in ſchöner und vollkommener
Harmonie abſpiegelt. —
Der Mann, von dem wir reden, erblickte
das Licht der Welt in dem Flecken Vinci,
welcher unten im Arno-Thale, unweit der
prächtigen Stadt Florenz, belegen iſt. Seine
Geſchicklichkeit und ſein Witz, die er von der
Natur zum Erbtheil bekommen hatte, ver¬
riethen ſich, wie es bey ſolchen auserleſenen
Geiſtern zu geſchehen pflegt, ſchon in ſeiner
zarten Jugend, und ſahen durch die bunten
Figuren, die ſeine kindiſche Hand ſpielend
herausbrachte, deutlich hervor. Dies iſt wie
das erſte Sprudeln einer kleinen, muntern
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Quelle, welche nachher zum mächtigen und
bewunderten Strohme wird. Wer es kennt,
hält das Gewäſſer in ſeinem Laufe nicht zu¬
rück, weil es ſonſt durch Wall und Dämme
bricht; ſondern läßt ihm ſeinen freyen Wil¬
len. So that Leonardo's Vater, indem er
den Knaben ſeiner ihm von Natur einge¬
pflanzten Neigung überließ, und ihn der
Lehre des ſehr berühmten und verdienten
Mannes, Andrea Verocchio[7] zu Florenz,
übergab.
Aber ach! wer kennt und wer nennt un¬
ter uns noch dieſe Namen, die damals wie
funkelnde Sterne am Himmel glänzten? Sie
ſind untergegangen, und es wird nichts mehr
von ihnen gehört, — man weiß nicht ob ſie
jemals waren.
Und dieſer Andrea Verocchio war keiner
der gemeinſten. Er war dem heiligen Tri¬
folium aller bildenden Künſte, der Mahler¬
65
Bildner- und Baukunſt ergeben, — wie es
denn dazumal nichts ungewöhnliches war,
daß für eine ſolche dreyfache Liebe und Fä¬
higkeit, eines Menſchen Geiſt Raum ge¬
nug hatte. Außerdem aber war er in den
mathematiſchen Erkenntniſſen bewandert, und
auch ein eifriger Freund der Muſik. Es mag
wohl ſeyn, daß deſſen Vorbild, welches ſich
früh in die weiche Seele Leonardo's ein¬
drückte, viel auf ihn gewirkt hat; indeß
mußten die Keime doch auf dem Grunde ſei¬
ner Seele liegen. Aber wer mag überhaupt
bey der Geſchichte der Ausbildung eines
fremden Geiſtes alle die feinen Fäden zwi¬
ſchen Urſachen und Wirkungen auffinden, da
die Seele während ihrer Handlungen ſich
dieſes Zuſammenhanges ſelbſt nicht einmal
immer bewußt iſt.
Zu Erlernung jeder bildenden Kunſt, ſelbſt
wenn ſie ernſthafte oder trübſelige Dinge
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abſchildern ſoll, gehört ein lebendiges und
aufgewecktes Gemüth; denn es ſoll ja durch
allmählige mühſame Arbeit endlich ein voll¬
kommenes Werk, zum Wohlgefallen aller
Sinne, hervorgebracht werden, und traurige
und in ſich verſchloſſene Gemüther haben
keinen Hang, keine Luſt, keinen Muth und
keine Stetigkeit hervorzubringen. Solch ein
aufgewecktes Gemüth beſaß der Jüngling
Leonardo da Vinci; und er übte ſich nicht
nur mit Eifer im Zeichnen und im Setzen
der Farben, ſondern auch in der Bildhauerey,
und zur Erhohlung ſpielte er auf der Geige,
und ſang artige Lieder. Wohin alſo ſein
vielbefaſſender Geiſt ſich auch wandte, ſo
ward er immer von den Muſen und Gra¬
zien, als ihr Liebling, in ihrer Atmosphäre
ſchwebend getragen, und berührte nie, auch
in den Stunden der Erhohlung nicht, den
Boden des alltäglichen Lebens. Von allen
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Beſchäftigungen aber lag die Mahlerey ihm
zunächſt am Herzen; und zu ſeines Lehrers
Beſchämung brachte er es darin nach kurzer
Zeit ſo weit, daß er ihn ſelbſt übertraf. Ein
Beweis, daß die Kunſt ſich eigentlich nicht
lernt, und nicht gelehrt wird, ſondern daß
ihr Strohm, wenn er nur auf eine kurze
Strecke geführt und gerichtet iſt, unbeherrſcht
aus eigener Seele quillt.
Da ſeine Einbildung ſo fruchtbar und
reich an allerley bedeutenden und ſprechen¬
den Bildern war, ſo zeigte ſich in ſeiner leb¬
haften Jugend, wo alle Kräfte ſich mit Ge¬
walt in ihm hervordrängten, ſein Geiſt nicht
in gewöhnlichen, unſchmackhaften Nachah¬
mungen, ſondern in außerordentlichen, rei¬
chen, ja faſt ausſchweifenden und ſeltſamen
Vorſtellungen. So mahlte er einſt unſre er¬
ſten Vorältern im Paradieſe, welches er
durch alle mögliche Arten wunderbarer und
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fremdgeſtalteter Thiere, und durch eine un¬
endliche, mühſame Verſchiedenheit der Pflan¬
zen und Bäume, ſo bereicherte und aus¬
ſchmückte, daß man über die Mannigfaltig¬
keit erſtaunen mußte, und ſeine Augen nicht
von dem Bilde abziehen konnte. Noch wun¬
derbarer war der Meduſenkopf, den er einſt
auf ein hölzernes Schild für einen Bauern
mahlte: er ſetzte ihn aus den Gliedern aller
nur erſinnlichen häßlichen Gewürme und
gräulicher Unthiere zuſammen, ſo daß man
gar nichts Erſchrecklicheres ſehen mochte. Die
Erfahrenheit der Jahre ordnete nachher die¬
ſen wilden, üppigen Reichthum in ſeinem
Geiſte.
Aber ich will zur Hauptſache eilen, und
verſuchen, ob ich eine Abſchilderung von
dem vielumfaſſenden Eifer dieſes Mannes
geben kann.
In der Mahlerey trachtete er mit uner¬
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müdlicher Begier nach immer höheren Voll¬
kommenheiten, und nicht in einer, ſondern
in allen Arten; und mit dem Studium der
Geheimniſſe des Pinſels verband er die fleißig¬
ſte Beobachtung, die, als ſein Genius, ihn
durch alle Scenen des gewöhnlichen Lebens
leitete, und ihn auf allen ſeinen Wegen, wo
andre es nicht ahndeten, die ſchönſten Früchte
für ſein Lieblingsfach einſammeln ließ. Alſo
war er ſelber das größeſte Beyſpiel zu den
Lehren, die er in ſeinem vortrefflichen Werke
von der Mahlerey ertheilt, daß nämlich ein
Mahler ſich allgemein machen ſolle, und
nicht alle Dinge nach einem einzigen ange¬
wöhnten Handgriff, ſondern ein jedes nach
ſeiner beſonderen Eigenthümlichkeit darſtellen
müſſe; — und denn, daß man ſich nicht an
einen Meiſter hängen, ſondern ſelbſt frey
die Natur in allem ihren Weſen erforſchen
ſolle, indem man ſonſt ein Enkel, nicht aber
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ein Sohn der Natur genannt zu werden
verdiene.
Aus eben dieſer Schrift, der einzigen un¬
ter ſeinen gelehrten Arbeiten, die zu den
Augen der Welt gelangt iſt, und die man
mit Recht das goldene Buch des Leonardo
nennen könnte, wird uns offenbar, wie tief¬
ſinnig er immer die Lehren und Regeln der
Kunſt mit dem Ausüben derſelben verknüpfte.
Die Beſchaffenheit des menſchlichen Körpers
hatte er in allen nur erſinnlichen Wendun¬
gen und Stellungen, bis auf das kleinſte,
ſo in ſeiner Gewalt, als wenn er ihn ſelber
geſchaffen hätte; und immer ging er gerade¬
zu auf den beſtimmten Sinn und die kör¬
perliche ſowohl als geiſtige Bedeutung los,
die in jeder Figur liegen ſollte. Denn billig
muß, wie auch er ſelbſt in ſeinem Buche zu
verſtehen giebt, ein jedes Kunſtwerk eine
doppelte Sprache reden, eine des Leibes und
71
eine der Seele. An einigen Orten in ſeinem
Buche giebt er Anleitung, wie man eine
Schlacht, einen Seeſturm, eine große Ver¬
ſammlung mahlen ſolle; und da iſt ſeine
Einbildung ſo thätig und wirkſam, daß ſie
ſchnell die deutlichſten und ſprechendſten Züge
in Worten zu einem, auffallenden Ganzen
zuſammenträgt.
Leonardo wußte, daß der Kunſtgeiſt eine
Flamme von ganz anderer Natur iſt, als
der Enthuſiasmus der Dichter. Es iſt nicht
darauf angeſehen, etwas ganz aus eigenem
Sinne zu gebähren; der Kunſtſinn ſoll viel¬
mehr ämſig außer ſich herumſchweifen, und
ſich um alle Geſtalten der Schöpfung mit
behender Geſchicklichkeit herumlegen, und die
Formen und Abdrücke davon in der Schatz¬
kammer des Geiſtes aufbewahren; ſo daß
der Künſtler, wenn er die Hand zur Arbeit
anſetzt, ſchon eine Welt von allen Dingen
72
in ſich finde. Leonardo ging nie, ohne ſeine
Schreibtafeln bey ſich zu tragen; ſein begie¬
riges Auge fand überall ein Opfer für ſeine
Muſe. Dann kann man ſagen, daß man
vom Kunſtſinne ganz durchglüht und durch¬
drungen ſey, wenn man ſo alles um ſich her
ſeiner Hauptneigung unterthänig macht. Je¬
den kleinen Theil des menſchlichen Körpers,
der ihm an irgend einem Vorübergehenden
wohlgefiel, jede flüchtige reizende Stellung
und Wendung haſchte er auf, und trug es
ſeinem Schatze bey. Es gefielen ihm vor¬
züglich wunderliche Angeſichter mit beſonde¬
ren Haaren und Bärten; weswegen er ſol¬
chen Leuten manchmal lange nachging, daß
er ſie feſt in ſeinen Sinn faßte, da er ſie
alsdann zu Hauſe ſo natürlich, als ob ſie
ihm gegenwärtig geſeſſen hätten, hinmahlte.
Auch wann zwey Perſonen, ohne daß ſie
einen Zuſchauer zu haben glaubten, ganz
73
unbefangen und ihrem Willen überlaſſen, mit
einander ſprachen, oder wann ein heftiges
Gezänk entſtand, oder ihm ſonſt menſchliche
Affekten und Gemüthsbewegungen in ihrem
vollen Leben und ihrer ganzen Kraft in den
Weg kamen, ſo verſäumte er niemals, ſich
die Umriſſe und die Zuſammenfügung der
Theile zum Ganzen wohl zu merken. Auch
betrachtete er, was manchem lächerlich vor¬
kommen mag, oft lange und ganz in ſich
verloren, altes Gemäuer, worauf die Zeit
mit allerley wunderbaren Figuren und Far¬
ben geſpielt hatte, oder vielfarbige Steine
mit irgend ſeltſamen Zeichnungen. Daraus
ſprang ihm dann, während des unverrück¬
ten Anſchauens, manche ſchöne Idee von
Landſchaften, oder Schlachtgewimmel, oder
fremden Stellungen und Geſichtern hervor.
Darum giebt er auch in ſeinem Buche ſelbſt
die Regel, dergleichen zur Ergetzung fleißig
74
zu betrachten, weil der Geiſt durch derglei¬
chen verwirrte Dinge zu Erfindungen aufge¬
muntert werde. — Man ſieht, wie der un¬
gemeine und von keinem nach ihm erreichte
Geiſt des Leonardo, aus allen Dingen, auch
den geringgeachteſten und kleinſten, Gold
zu ziehen wußte.
In der Wiſſenſchaft ſeiner Kunſt war
vielleicht nie ein Mahler erfahrner und ge¬
lehrter als er. Die Kenntniß der inneren
Theile des menſchlichen Körpers und des
ganzen Räder- und Hebelwerks dieſer Ma¬
ſchine, — die Kenntniß des Lichts und der
Farben, und wie beyde auf einander wirken,
und ſich eines mit dem andern vermählt, —
die Lehre von den Verhältniſſen, nach wel¬
chen die Dinge in der Entfernung kleiner
und ſchwächer erſcheinen; — alle dieſe Wiſ¬
ſenſchaften, welche in der That zu dem wah¬
ren, urſprünglichen Fundamente der Kunſt
75
gehören, hatte er bis in ihre tiefſten Ab¬
gründe durchdrungen.
Wie aber ſchon erwähnt iſt, ſo war er
nicht bloß ein großer Mahler, ſondern auch
ein guter Bildhauer, wie auch ein anſehn¬
licher Baumeiſter. Er war in allen Zweigen
der mathematiſchen Wiſſenſchaften erfahren;
ein tiefer Kenner der Muſik, ein angenehmer
Sänger und Spieler auf der Geige, und ein
ſinnreicher Dichter. Kurz, wenn er in den fa¬
belhaften Zeiten gelebt hätte, ſo wäre er un¬
fehlbar für ein Sohn des Apollo gehalten wor¬
den. Ja, er hatte ſeine Luſt daran, ſich in aller¬
ley Fertigkeiten, wenn ſie auch ganz außer
ſeinem Wege lagen, hervorzuthun. So war
er im reiten und regieren der Pferde, ſo wie
auch in der Führung des Degens ſo wohl
geübt, daß ein Unwiſſender hätte meynen
ſollen, er habe ſein ganzes Leben hindurch
dieſem allein obgelegen. Mit wunderbaren
76
mechaniſchen Kunſtſtücken, und mit den ge¬
heimen Kräften der Naturkörper war er ſo
vertraut, daß er einſt, bey einer feyerlichen
Gelegenheit, die Figur eines Löwen von
Holz machte, welcher ſich ſelbſt bewegte; und
ein andermal hatte er aus einem gewiſſen
dünnen Zeuge kleine Vögel gebildet, welche
von ſelbſt frey in die Luft emporſchwebten.
So hatte ſein Geiſt einen angebohrnen Reiz,
immer etwas Neues zu erſinnen, der ihn in
beſtändiger Thätigkeit und Anſtrengung er¬
hielt. Alle ſeine Talente aber wurden durch
edle und einnehmende Sitten, wie Edelge¬
ſteine durch eine goldene Einfaſſung erhöht.
Und damit der außerordentliche Mann auch
den gemeinſten und blödeſten Augen hervor¬
ſtechend und ausgezeichnet erſcheinen möchte,
ſo hatte die freygebige Natur ihn ausdrück¬
lich mit einer wunderbaren Leibesſtärke, und
zu allem dem endlich mit einer ſehr ehrwür¬
77
digen Bildung, und einem Geſichte, das
man lieben und verehren mußte, begabt.
Der forſchende Geiſt der ernſthaften Wiſ¬
ſenſchaften ſcheinet dem bildenden Geiſte der
Kunſt ſo ungleichartig, daß man faſt, dem
erſten Anblicke nach, zwey verſchiedene Gat¬
tungen von Weſen für beyde glauben möchte.
Und in der That ſind nur wenige Sterbliche
ſo eingerichtet, daß ſie dieſem zwiefachen
Genius opfern könnten. Welcher aber in
ſeiner eigenen Seele die Heimath aller der
Erkenntniſſe und Kräfte, worin ſonſt viele
ſich theilen, findet, und weſſen Geiſt, mit
gleichem Eifer und Glücke, durch Schlüſſe
der Vernunft Wahrheiten ausrechnet, und
Einbildungen ſeines inneren Sinnes durch
Mühſamkeit der Hand in ſichtbare Darſtel¬
lungen hervordrängt: — ein ſolcher muß der
ganzen Welt Erſtaunen und Bewunderung
abnöthigen. Und wenn er überdies nicht
78
bloß einer einzigen Kunſt ergeben iſt, ſon¬
dern mehrere in ſich vereinigt, ihre geheime
Verwandtſchaft fühlt, und die göttliche Flam¬
me, die in allen weht, in ſeinem Inneren
empfindet; ſo iſt dieſer Mann von der Hand
des Himmels gewiß auf eine wunderbare
Weiſe vor andern Menſchen hervorgehoben,
und es werden viele mit ihren Gedanken
nicht einmal an ihn heranreichen können. —
Der Hof des mayländiſchen Herzogs,
Lodovico Sforza, war der Hauptſchauplatz,
wo Leonardo da Vinci, als oberſter Vorſte¬
her der Akademie, ſeine vielfachen Geſchick¬
lichkeiten entfaltete. Hier zeigte er ſich in
vortrefflichen Gemählden und Bildwerken;
hier verbreitete er ſeinen guten Geſchmack in
Gebäuden; er war förmlich unter der Zahl
der Tonkünſtler als Spieler auf der Geige
angeſtellt; er führte mit tiefer Einſicht den
ſchweren Bau eines Waſſerkanals über Berge
79
und Thäler, — und ſo ſtellte er bloß in ſei¬
ner Perſon faſt eine ganze Akademie aller
menſchlichen Erkenntniſſe und Fertigkeiten
vor. Ehe er den Bau des Kanals übernahm,
begab er ſich nach Valverola, dem Landſitz
eines ſeiner angeſehenen Freunde, und legte
ſich dort, unter Begünſtigung der ländlichen
Muſe, mit großem Fleiß auf das Mathe¬
matiſche der Baukunſt. Auf dieſem ſtillen
Landſitz brachte er nachher etliche Jahre zu,
lag mit philoſophiſchem Geiſte den mathe¬
matiſchen, und allen nur irgend zu einer
gründlichen Theorie der bildenden Künſte ge¬
hörigen Studien ob, und verlor ſich ganz
in tiefſinnige Spekulationen. Das Gepräge
der in ſich gekehrten Weisheit trug er auch
in ſeinem Äußeren. indem er ſich Haar und
Bart ſo lang hatte wachſen laſſen, daß er
das Anſehen eines Einſiedlers hatte; — wie
denn einige in ſeinem unermüdeten Fleiß
80
auch den Bewegungsgrund finden wollen,
daß er zeitlebens unverheirathet blieb. —
Während des Aufenthaltes in ſeiner länd¬
lichen Einſamkeit trug er nun auch die Re¬
ſultate ſeines Studiums, durch ſeinen Geiſt
geſteigert und geläutert, und mit ſeinen eige¬
nen ſehr ſcharfſinnigen Gedanken und Beob¬
achtungen verſetzt, in ausführlichen Werken
zuſammen, welche ſich, von ſeiner eigenen
theuren Hand geſchrieben, noch itzt in dem
großen ambroſianiſchen Bücherſchatze zu May¬
land befinden.
Aber ach! es iſt auch dieſe, wie ſo manche
andre uralte, mit ehrwürdigem Staube be¬
deckte Handſchrift in den Bücherſchätzen der
Großen, ein unangerührtes Heiligthum, vor
welchem die unverſtändigen Söhne unſers
Zeitalters, höchſtens mit einer leeren Ehr¬
furchtsbezeugung, vorübergehn. Das Ma¬
nuſcript wartet noch auf denjenigen, welcher
81
den Geiſt des alten Mahlers, der darin ver¬
zaubert ſchläft, daraus erwecken, und aus
den lange getragenen Banden erlöſen ſoll.
Alle die Schönheiten und das Vortreff¬
liche in den vielen Gemählden unſers Leo¬
nardo aus einander zu ſetzen, iſt meine Feder
nicht im Stande. Sein berühmteſtes Bild
iſt wohl die Vorſtellung des heiligen Abend¬
mahles in dem Refektorium der Dominika¬
ner zu Mayland. Man bewundert darin
den ſeelenvollen Ausdruck in den Köpfen der
Jünger Chriſti, wie jeder den Herrn zu fra¬
gen ſcheinet: Herr! bin ich's? Die alten
Anekdotenſammler der Kunſt erzählen, daß
Leonardo, nachdem er die übrigen Figuren
vollendet, eine Weile gezögert, und immer
bey ſich überlegt und nachgedacht, oder, (um
vielleicht eigentlicher zu reden,) auf glückliche
Eingebungen geharret habe, wie er das ver¬
rätheriſche Geſicht des Judas, und das er¬
82
habene Antlitz Jeſu, recht vollkommen aus¬
drücken ſolle; worauf der Prior des Kloſters
einen einleuchtenden Beweis ſeines Unver¬
ſtandes gegeben, indem er ihn, wie einen
Tagelöhner, über ſein Zögern zur Rede ge¬
ſtellt habe.
Noch eines Gemähldes des Leonardo muß
ich, eines merkwürdigen Umſtandes halber,
gedenken. Ich meyne das Bildniß der Liſa
del Giocondo, (der Gemahlinn des Fran¬
ceſco,) an welchem er vier Jahre arbeitete,
ohne durch die ſorgfältigſte und feinſte Aus¬
arbeitung jedes Härchens, den Geiſt und
das Leben des Ganzen zu erſticken. So oft
nun die edle Frau ihm zum Mahlen ſaß,
rief er allemal einige Perſonen herzu, die ſie
durch eine angenehme und muntre Muſik
auf Inſtrumenten, mit der menſchlichen Stim¬
me begleitet, aufheitern mußten. Ein ſehr
ſinnreicher Einfall, wegen deſſen ich den
83
Leonardo immer bewundert habe. Er wußte
nur zu wohl, daß bey Perſonen, welche zum
Mahlen ſitzen, ſich gewöhnlich eine trockene
und leere Ernſthaftigkeit auf ihrem Geſichte
einzufinden pflegt, und daß eine ſolche Mie¬
ne, wenn ſie im Gemählde in bleibenden
Zügen feſtgehalten wird, ein ungefälliges oder
wohl gar finſteres Anſehen gewinnt. Dage¬
gen kannte er die Wirkung einer fröhlichen
Muſik, wie ſie ſich in den Mienen des Ge¬
ſichts abſpiegelt, wie ſie alle Züge auflöſt,
und in ein liebliches, reges Spiel ſetzt. So
trug er die ſprechenden Reize des Antlitzes
lebendig auf die Tafel über, und wußte
bey Ausübung der einen Kunſt ſich der an¬
dern ſo glücklich als Gehülfinn zu bedienen,
daß dieſe auf jene ihren Wiederſchein warf.
Wie viele geſchickte Mahler aus des Leo¬
nardo Schule ausgegangen, und wie ange¬
ſehen und allgemein verehrt er in ſeinem Le¬
84
ben war, läßt ſich gedenken. Als er einſt
in einem Kloſter vor Florenz nur den Ent¬
wurf zu einem großen Altarblatte gemacht
hatte, ward der Ruf dieſes Entwurfs ſo
groß, daß zwey Tage lang eine Menge
Volks aus der Stadt dahin wallfahrtete,
und man hätte meynen ſollen, es würde ein
Feſt oder eine Proceſſion gehalten.
In Florenz hatte Leonardo da Vinci ſich
wieder aufgehalten, ſeitdem, in den kriege¬
riſchen Zeiten von Italien, der Herzog Lo¬
dovico Sforza von Mayland eine gänzliche
Niederlage erlitten hatte, und die Akademie
zu Mayland ganz zerſtiebt war. In ſeinem
hohen Alter ward er noch von König Franz
dem Erſten, aus Florenz nach Frankreich
berufen.
Der Monarch ſchätzte ihn über alles hoch,
und empfing den alten fünf und ſiebzigjäh¬
rigen Mann mit beſonderer Freundlichkeit
85
und Achtung. Allein es war ihm nicht be¬
ſchieden, ſein Leben in dem ihm neuen Lande
noch hoch zu bringen. Die Beſchwerlichkei¬
ten der Reiſe und die Verſchiedenheit der
Landesart mußten ihm die Krankheit zuge¬
zogen haben, die ihn nicht lange nach ſeiner
Ankunft befiel. Der König beſuchte ihn
fleißig in ſeiner Krankheit, und bezeigte ſich
ſehr beſorgt um ihn. Als er einſt auch zu
ihm kam, an ſein Lager trat, und der alte
Mann ſich im Bette aufrichten wollte, um
dem Könige für ſeine Gnade zu danken,
ward er unvermerkt von einer Schwachheit
überfallen, — der König unterſtützte ihn mit
ſeinen Armen, — aber der Athem ging ihm
aus, — und der Geiſt, der ſo viele und
große Dinge gewirkt hatte, welche noch jetzt
in ihrer Vollkommenheit beſtehen, war durch
einen einzigen Hauch, wie ein Blatt von
der Erde, weggeweht. —
86
Wenn der Glanz der Kronen das Licht
iſt, welches das Gedeihen der Künſte vor¬
züglich befördert, ſo kann man die Scene,
die an dem Ende von Leonardo's Leben
ſteht, gewiſſermaßen als eine Apotheoſe des
Künſtlers anſehen; in den Augen der Welt
wenigſtens mußte es für alle Thaten des
großen Mannes ein würdiger Lohn erſchei¬
nen, in den Armen eines Königs zu er¬
blaſſen. ——
Man wird mich nun vielleicht fragen:
Ob ich denn nun dieſen hier ſo hochgeprieſe¬
nen Leonardo da Vinci als den vortrefflich¬
ſten, und als das Haupt aller Mahler auf¬
ſtellen, und alle Schüler auffordern wollte,
daß ſie gerade ſo zu werden ſtreben ſollten,
wie er?
Aber anſtatt zu antworten, frage ich wie¬
der: Ob es denn nicht erlaubt ſey, ſeinen
Blick einmal abſichtlich auf den großen und
87
betrachtungswürdigen Geiſt eines einzigen
Mannes zu beſchränken, um ſeine eigenthüm¬
lichen Vortrefflichkeiten einmal recht für ſich,
in ihrem Zuſammenhange zu überſchauen? —
und ob man wohl ſo dreiſt, mit der an¬
maßenden Strenge eines Richteramtes, die
Künſtler nach Maaß und Gewicht ihrer Ver¬
dienſte in Reih' und Glied ſtellen könne,
wie die Lehrer der Moral tugend- und la¬
ſterhafte Menſchen, nach genauen Regeln
des Ranges, über- und untereinander zu
ſetzen ſich vermeſſen?
Ich meyne, man könne Geiſter von ſehr
verſchiedener Beſchaffenheit, die beyde große
Eigenſchaften haben, beyde bewundern. Die
Geiſter der Menſchen ſind eben ſo unendlich¬
mannigfaltig, als es ihre Geſichtsbildungen
ſind. Und nennen wir nicht das ehrwürdige,
faltenreiche, weisheitsvolle Antlitz des Grei¬
ſes eben ſo wohl ſchön, als das unbefan¬
88
gene, Empfindung-athmende, zauberhafte
Geſicht der Jungfrau?
Allein bey dieſer bildlichen Vorſtellung
möchte mir jemand ſagen: Wenn aber das
Loſungswort Schönheit ertönt, drängt ſich
dir da nicht unwillkührlich aus innerer Seele
das letztere Bild, das Bild der Venus Ura¬
nia in deinem Buſen hervor?
Und hierauf weiß ich freylich nichts zu
antworten.
Wer bey meinem zwiefachen Bilde, wie
ich, an den Geiſt des Mannes, den wir
eben geſchildert haben, und an den Geiſt
desjenigen, den ich den Göttlichen zu nen¬
nen pflege, gedenkt, wird in dieſer Gleich¬
nißrede vielleicht Stoff zum Nachſinnen fin¬
den. Dergleichen Phantaſeyen, die uns in
den Sinn kommen, verbreiten oftmals auf
wunderbare Weiſe ein helleres Licht über ei¬
nen Gegenſtand, als die Schlußreden der
89
Vernunft; und es liegt neben den ſogenann¬
ten höheren Erkenntnißkräften ein Zauber¬
ſpiegel in unſrer Seele, der uns die Dinge
manchmal vielleicht am kräftigſten dargeſtellt
zeigt. —
Zwey Gemähldeſchilderungen.
[Bearbeiten]90
Zwey Gemähldeſchilderungen.
Ein ſchönes Bild oder Gemählde iſt, mei¬
nem Sinne nach, eigentlich gar nicht zu be¬
ſchreiben; denn in dem Augenblicke, da man
mehr als ein einziges Wort darüber ſagt,
fliegt die Einbildung von der Tafel weg,
und gaukelt für ſich allein in den Lüften.
Drum haben die alten Chronikenſchreiber der
Kunſt mich ſehr weiſe gedünket, wenn ſie
ein Gemählde bloß: ein vortreffliches, ein
unvergleichliches, ein über alles herrliches
nennen; indem es mir unmöglich ſcheint,
mehr davon zu ſagen. Indeſſen iſt es mir
beygefallen, ein paar Bilder einmal auf die
folgende Art zu ſchildern, wovon ich die
zwey Proben, die mir von ſelbſt in den
Sinn gekommen ſind, um der eignen Art
willen, ohne daß ich dieſe Art für etwas ſehr
91
Vorzügliches halten mag, doch zu Jeder¬
manns Anſicht herſetzen will.
Erſtes Bild.
Die heilige Jungfrau mit dem Chriſtuskinde,
und der kleine Johannes.
Maria.
Warum bin ich doch ſo überſelig,
Und zum allerhöchſten Glück erleſen,
Das die Erde jemals tragen mag?
Ich verzage bey dem großen Glücke,
Und ich weiß nicht Dank dafür zu ſagen,
Nicht mit Thränen, nicht mit lauter Freude.
Nur mit Lächeln und mit tiefer Wehmuth
Kann ich auf dem Götterkinde ruhen,
Und mein Blick vermag es nicht, zum Himmel,
Und zum güt'gen Vater aufzuſteigen.
Nimmer werden meine Augen müde,
Dieſes Kind, das mir im Schooße ſpielet,
Anzuſehn mit tiefer Herzensfreude.
92
Ach! und welche fremde, große Dinge,
Die das unſchuldvolle Kind nicht ahndet,
Leuchten aus den klugen blauen Augen,
Und aus all' den kleinen Gaukeleyen!
Ach! ich weiß nicht was ich ſagen ſoll!
Dünkt michs doch, ich ſey nicht mehr auf dieſer Erde,
Wenn ich in mir recht lebendig denke:
Ich, ich bin die Mutter dieſes Kindes.
Das Jeſuskind.
Hübſch und bunt iſt die Welt um mich her!
Doch iſt's mir nicht wie den andern Kindern,
Doch kann ich nicht recht ſpielen,
Nichts feſt angreifen mit der Hand,
Nicht lautjauchzend frohlocken.
Was ſich lebendig
Vor meinen Augen regt und bewegt,
Kommt mir vor, wie vorbeygehend Schattenbild
Und artiges Blendwerk.
Aber innerlich bin ich froh,
Und denke mir innerlich ſchönere Sachen,
Die ich nicht ſagen kann.
93
Der kleine Johannes.
Ach! wie bet' ich es an, das Jeſuskindlein!
Ach wie lieblich und voller Unſchuld
Gaukelt es in der Mutter Schooß! —
Lieber Gott im Himmel, wie bet' ich heimlich zu Dir,
Und danke Dir,
Und preiſe Dich um Deine große Gnade,
Und flehe Deinen Segen herab auch für mich!
Zweytes Bild.
Die Anbetung der drey Weiſen aus dem
Morgenlande.
Die drey Weiſen.
Siehe! aus dem fernen Morgenlande
Kommen wir, vom ſchönen Stern geführet,
Wir, drey Weiſen aus dem fernen Lande,
Wo die Sonn' in ihrer Pracht hervorgeht.
Lange Jahre haben wir nach Weisheit,
Nach der Weisheit Urquell hingetrachtet,
Haben viel erdacht in unſerm Geiſte;
94
Und dabey hat uns der Herr der Dinge
Kron' und Zepter gnädiglich verliehen,
Und bey unſrer langen Geiſtesarbeit
Uns mit ſilberweißem Haupt geſegnet.
Doch, wir kommen jetzt dahergezogen,
Aus dem Lande, wo die Sonn' emporſteigt,
Um die ganze Weisheit unſrer Jahre,
Unſre ganze Wiſſenſchaft und Kenntniß,
Ach! vor Dir, Du wunderbares Kindlein,
Demuthvoll hier in den Staub zu legen,
Und in unſern goldnen Königsmänteln,
Und mit unſern ſilberweißen Häuptern,
Ehrfurchtsvoll uns hier vor Dir zu beugen,
Hier zu huldigen und anzubeten.
Und zum Zeichen unſrer tiefen Ehrfurcht
Bringen wir Dir Myrrhen, Gold und Weihrauch,
Als ein würdig Opfer unſrer Andacht,
Wie wir es zu geben nur vermögen.
Maria.
Ach! preiſe, meine Seele, den Herrn!
Daß er mich ſo herrlich gemacht hat,
So hoch erhoben vor allem Volke!
95
Daß ich das Kindlei[n] gebohren habe,
Das mir im Schooße ſpielet,
Das die Weiſen anzubeten
Aus dem fernen Morgenlande herziehn!
Ach! mein Auge vermag's nicht zu ertragen,
Und mein Herz bricht!
Alle tiefe Weisheit ihrer Jahre
Legen ſie vor dem Kindlein in den Staub:
Ihre Kniee gebeugt,
Ihre Häupter zur Erde geneigt,
Und am Boden liegen die goldnen Königsmäntel.
Gold, und Weihrauch, und Myrrhen
Bringen ſie zum Opfer;
Ach! dem Kind' ein groß und herrlich Opfer! —
O wie ſelig iſt die Mutter innerlich!
Aber ich vermag den weiſen Männern
Nicht für ihre große Huld zu danken,
Nicht den Blick zum Himmel aufzuheben.
Aber herrliche und große Dinge
Stehen innerlich mir im Gemüthe.
Das Jeſuskindlein.
Schön muß wohl das ferne Land ſeyn,
Wo die helle Sonn' emporſteigt;
96
Denn wie herrlich ſind die Männer!
Aber wie ſo alt und prächtig?
Ach! das iſt die tiefe Weisheit,
Daß ſie goldne Königsmäntel,
Silberweiße Häupter haben.
Und recht wunderbare Dinge
Haben ſie mir hergetragen!
Und doch knie'n ſie vor mir nieder, —
Seltſam ſcheinen mir die Männer,
Und ich weiß mir nicht zu ſagen,
Wie ich ſie recht nennen ſoll.
Einige Worte über Allgemeinheit, Toleranz und Menſchenliebe in der Kunſt.
[Bearbeiten]97
Einige Worte
über
Allgemeinheit, Toleranz
und
Menſchenliebe
in der Kunſt.
Der Schöpfer, welcher unſre Erde und al¬
les was darauf iſt gemacht hat, hat das
ganze Erdenrund mit ſeinem Blick umfaßt,
und den Strohm ſeines Segens über den
ganzen Erdkreis ausgegoſſen. Aber aus ſei¬
ner geheimnißvollen Werkſtatt hat Er tau¬
ſenderley unendlich-mannigfaltige Keime der
Dinge über unſre Kugel hergeſtreut, die un¬
endlich-mannigfaltige Früchte tragen, und
zu Seiner Ehre zu dem größeſten, bunteſten
Garten hervorſchießen. Auf wunderbare Weiſe
führt Er ſeine Sonne um den Erdball in
98
gemeſſenen Kreiſen herum, daß ihre Strah¬
len in tauſend Richtungen zur Erde kommen,
und unter jedem Himmelsſtriche das Mark
der Erde zu verſchiedenartigen Schöpfungen
auskochen und hervortreiben.
Mit gleichem Auge ruht Er in einem
großen Moment auf dem Werk ſeiner Hän¬
de, und empfängt mit Wohlgefallen das
Opfer der ganzen lebendigen und lebloſen
Natur. Das Brüllen des Löwen iſt Ihm ſo
angenehm wie das Schreyen des Rennthiers;
und die Aloe duftet Ihm eben ſo lieblich als
Roſe und Hyacinthe.
Auch der Menſch iſt in tauſendfacher Ge¬
ſtalt aus Seiner ſchaffenden Hand gegan¬
gen: — die Brüder eines Hauſes kennen
ſich nicht, und verſtehen ſich nicht; ſie reden
verſchiedene Sprachen, und ſtaunen über ein¬
ander: — aber Er kennt ſie alle, und freuet
ſich aller; mit gleichem Auge ruht Er auf
99
ſeiner Hände Werk, und empfängt das Opfer
der ganzen Natur.
Auf mancherley Weiſe hört Er die Stim¬
men der Menſchen von den himmliſchen
Dingen durcheinander reden, und weiß daß
alle, — alle, wär' es auch wider ihr Wiſſen
und Willen, — dennoch Ihn, den Unnenn¬
baren, meynen.
So hört Er auch die innere Empfindung
der Menſchen in verſchiedenen Zonen und in
verſchiedenen Zeitaltern verſchiedene Spra¬
chen reden, und hört, wie ſie mit einander
ſtreiten und ſich nicht verſtehen: aber dem
ewigen Geiſte löſt ſich alles in Harmonie
auf; er weiß, daß ein jeder die Sprache re¬
det, die Er ihm angeſchaffen hat, daß ein
jeder ſein Inneres äußert wie er kann und
ſoll; — wenn ſie in ihrer Blindheit unter
einander ſtreiten, ſo weiß und erkennet Er,
daß für ſich ein jeglicher Recht hat; er ſieht
100
mit Wohlgefallen auf jeden und auf alle,
und freut ſich des bunten Gemiſches.
Kunſt iſt die Blume menſchlicher Em¬
pfindung zu nennen. In ewig wechſelnder
Geſtalt erhebt ſie ſich unter den mannigfal¬
tigen Zonen der Erde zum Himmel empor,
und dem allgemeinen Vater, der den Erd¬
ball mit allem was daran iſt, in ſeiner Hand
hält, duftet auch von dieſer Saat nur ein
vereinigter Wohlgeruch.
Er erblickt in jeglichem Werke der Kunſt,
unter allen Zonen der Erde, die Spur von
dem himmliſchen Funken, der, von Ihm aus¬
gegangen, durch die Bruſt des Menſchen
hindurch, in deſſen kleine Schöpfungen über¬
ging, aus denen er dem großen Schöpfer
wieder entgegenglimmt. Ihm iſt der go¬
thiſche Tempel ſo wohlgefällig als der Tem¬
pel des Griechen; und die rohe Kriegsmuſik
der Wilden iſt Ihm ein ſo lieblicher Klang,
als kunſtreiche Chöre und Kirchengeſänge.
101
Und wenn ich nun von Ihm, dem Un¬
endlichen, durch die unermeßlichen Räume
des Himmels, wieder zur Erde gelange, und
mich unter meinen Mitbrüdern umſehe, —
ach! ſo muß ich laute Klagen erheben, daß
ſie ihrem ewigen großen Vorbilde im Him¬
mel ſo wenig ähnlich zu werden ſich beſtre¬
ben. Sie zanken mit einander, und verſte¬
hen ſich nicht, und ſehen nicht, daß ſie alle
nach demſelben Ziele eilen, weil jeder mit
feſtem Fuße auf ſeinem Standort ſtehen
bleibt, und ſeine Augen nicht über das
Ganze zu erheben weiß.
Blöden Menſchen iſt es nicht begreiflich,
daß es auf unſerer Erdkugel Antipoden gebe,
und daß ſie ſelber Antipoden ſind. Sie den¬
ken ſich den Ort, wo ſie ſtehen, immer als
den Schwerpunkt des Ganzen, — und ih¬
rem Geiſte mangeln die Schwingen, das
ganze Erdenrund zu umfliegen, und das in
102
ſich ſelbſt gegründete Ganze mit einem
Blicke zu umſpielen.
Und eben ſo betrachten ſie ihr Gefühl
als das Centrum alles Schönen in der Kunſt,
und ſprechen, wie vom Richterſtuhle, über Al¬
les das entſcheidende Urtheil ab, ohne zu
bedenken, daß ſie niemand zu Richtern ge¬
ſetzt hat, und daß diejenigen, die von ihnen
verurtheilt ſind, ſich eben ſowohl dazu auf¬
werfen könnten.
Warum verdammt ihr den Indianer nicht,
daß er indianiſch, und nicht unſre Sprache
redet? —
Und doch wollt ihr das Mittelalter ver¬
dammen, daß es nicht ſolche Tempel baute,
wie Griechenland? —
O ſo ahndet euch doch in die fremden
Seelen hinein, und merket, daß ihr mit eu¬
ren verkannten Brüdern die Geiſtesgaben
aus derſelben Hand empfangen habt! Be¬
103
greifet doch, daß jedes Weſen nur aus den
Kräften, die es vom Himmel erhalten hat,
Bildungen aus ſich herausſchaffen kann, und
daß einem jeden ſeine Schöpfungen gemäß
ſeyn müſſen. Und wenn ihr euch nicht in
alle fremde Weſen hineinzufühlen, und
durch ihr Gemüth hindurch ihre Werke zu
empfinden vermöget; ſo verſuchet wenig¬
ſtens, durch die Schlußketten des Verſtan¬
des mittelbar an dieſe Überzeugung heranzu¬
reichen. —
Hätte die ausſäende Hand des Himmels
den Keim deiner Seele auf die afrikaniſchen
Sandwüſten fallen laſſen, ſo würdeſt du al¬
ler Welt das glänzende Schwarz der Haut,
das dicke, ſtumpfe Geſicht, und die kurzen,
krauſen Haare, als weſentliche Theile der
höchſten Schönheit angepredigt, und den er¬
ſten weißen Menſchen verlacht oder gehaßt
haben. Wäre deine Seele einige hundert
104
Meilen weiter nach Oſten, auf dem Boden
von Indien aufgegangen, ſo würdeſt du in
den kleinen, ſeltſamgeſtalteten, vielarmigen
Götzen den geheimen Geiſt fühlen, der, un¬
ſern Sinnen verborgen, darinnen weht, und
würdeſt, wenn du die Bildſäule der medi¬
cäiſchen Venus erblickteſt, nicht wiſſen was
du davon halten ſollteſt. Und hätte es Dem¬
jenigen, in deſſen Macht du ſtandeſt und
ſtehſt, gefallen, dich unter die Schaaren ſüd¬
licher Inſulaner zu werfen, ſo würdeſt du in
jedem wilden Trommelſchlag, und den rohen,
gellenden Schlägen der Melodie, einen tie¬
fen Sinn finden, von dem du jetzt keine
Sylbe faſſeſt. Würdeſt du aber in irgend
einem dieſer Fälle, die Gabe der Schöpfung
oder die Gabe des Genuſſes der Kunſt, aus
einer andern Quelle, als aus der ewigen
und allgemeinen, der du auch jetzt alle deine
Schätze verdankeſt, empfangen haben? —
105
Das Einmaleins der Vernunft folgt un¬
ter allen Nationen der Erde denſelben Ge¬
ſetzen, und wird nur hier auf ein unendlich
größeres, dort auf ein ſehr geringes Feld
von Gegenſtänden angewandt. — Auf ähn¬
liche Weiſe iſt das Kunſtgefühl nur ein
und derſelbe himmliſche Lichtſtrahl, welcher
aber, durch das mannigfach-geſchliffene Glas
der Sinnlichkeit unter verſchieden Zonen ſich
in tauſenderley verſchiedene Farben bricht.
Schönheit: ein wunderſeltſames Wort!
Erfindet erſt neue Worte für jedes einzelne
Kunſtgefühl, für jedes einzelne Werk der
Kunſt! In jedem ſpielt eine andere Farbe,
und für ein jedes ſind andere Nerven in
dem Gebäude des Menſchen geſchaffen.
Aber ihr ſpinnt aus dieſem Worte, durch
Künſte des Verſtandes, ein ſtrenges Sy¬
ſtem, und wollt alle Menſchen zwingen,
106
nach euren Vorſchriften und Regeln zu füh¬
len, — und fühlet ſelber nicht.
Wer ein Syſtem glaubt, hat die
allgemeine Liebe aus ſeinem Herzen ver¬
drängt! Erträglicher noch iſt Intoleranz des
Gefühls, als Intoleranz des Verſtandes; —
Aberglaube beſſer als Syſtemglaube. —
Könnt ihr den Melancholiſchen zwingen,
daß er ſcherzhafte Lieder und muntern Tanz
angenehm finde? Oder den Sanguiniſchen,
daß er ſein Herz den tragiſchen Schreckniſ¬
ſen mit Freude darbiete?
O laſſet doch jedes ſterbliche Weſen und
jedes Volk unter der Sonne bey ſeinem
Glauben und ſeiner Glückſeligkeit! und freuet
euch, wenn andere ſich freuen, — wenn ihr
euch auch über das, was ihnen das liebſte
und wertheſte iſt, nicht mit zu freuen verſteht.
Uns, Söhnen dieſes Jahrhunderts, iſt der
Vorzug zu Theil geworden, daß wir auf
107
dem Gipfel eines hohen Berges ſtehen, und
daß viele Länder und viele Zeiten unſern
Augen offenbar, um uns herum und zu un¬
ſern Füßen ausgebreitet liegen. So laſſet
uns denn dieſes Glück benutzen, und mit hei¬
tern Blicken über alle Zeiten und Völker
umherſchweifen, und uns beſtreben, an al¬
len ihren mannigfaltigen Empfindungen und
Werken der Empfindung immer das Menſch¬
liche herauszufühlen. — —
Jegliches Weſen ſtrebt nach dem Schön¬
ſten: aber es kann nicht aus ſich heraus¬
gehen, und ſieht das Schönſte nur in ſich.
So wie in jedes ſterbliche Auge ein anderes
Bild des Regenbogens kommt, ſo wirft ſich
jedem, aus der umgebenden Welt, ein an¬
deres Abbild der Schönheit zurück. Die all¬
gemeine, urſprüngliche Schönheit aber, die
wir nur in Momenten der verklärten An¬
ſchauung nennen, nicht in Worte auflöſen
108
können, zeigt ſich Dem, der den Regenbo¬
gen, und das Auge, das ihn ſiehet, gemacht
hat.
Ich habe meine Rede angefangen von
Ihm, und ich kehre wieder zu Ihm zurück: —
wie der Geiſt der Kunſt, — wie aller Geiſt
von Ihm ausgeht, und durch die Atmos¬
phäre der Erde, Ihm zum Opfer wieder
entgegendringt. —
Ehrengedächtniß unſers ehrwürdigen Ahnherrn Albrecht Dürers. Von einem kunſtliebenden Kloſterbruder.
[Bearbeiten]109
Ehrengedächtniß
unſers
ehrwürdigen Ahnherrn
Albrecht Dürers.
Von einem kunſtliebenden Kloſterbruder.
Nürnberg! du vormals weltberühmte Stadt!
Wie gerne durchwanderte ich deine krummen
Gaſſen; mit welcher kindlichen Liebe betrachtete
ich deine altväteriſchen Häuſer und Kirchen,
denen die feſte Spur von unſrer alten va¬
terländiſchen Kunſt eingedrückt iſt! Wie in¬
nig lieb' ich die Bildungen jener Zeit, die
eine ſo derbe, kräftige und wahre Sprache
führen! Wie ziehen ſie mich zurück in jenes
graue Jahrhundert, da du, Nürnberg, die
lebendigwimmelnde Schule der vaterländi¬
ſchen Kunſt warſt, und ein recht fruchtbarer,
überfließender Kunſtgeiſt in deinen Mauern
110
lebte und webte: — da Meiſter Hans Sachs
und Adam Kraft, der Bildhauer, und vor
allen, Albrecht Dürer mit ſeinem Freunde,
Wilibaldus Pirkheimer, und ſo viel andre
hochgelobte Ehrenmänner noch lebten! Wie
oft hab' ich mich in jene Zeit zurückge¬
wünſcht! Wie oft iſt ſie in meinen Gedan¬
ken wieder von neuem vor mir hervorgegan¬
gen, wenn ich in deinen ehrwürdigen Bücher¬
ſälen, Nürnberg, in einem engen Winkel,
beym Dämmerlicht der kleinen, rundſcheibi¬
gen Fenſter ſaß, und über den Folianten
des wackern Hans Sachs, oder über ande¬
rem alten, gelben, wurmgefreſſenen Papier
brütete; — oder wenn ich unter den kühnen
Gewölben deiner düſtern Kirchen wandelte,
wo der Tag durch buntbemahlte Fenſter all
das Bildwerk und die Mahlereyen der alten
Zeit wunderbar beleuchtet! — —
Ihr wundert euch wieder, und ſehet mich
111
an, ihr Engherzigen und Kleingläubigen! O
ich kenne ſie ja, die Myrthenwälder Ita¬
liens, — ich kenne ſie ja, die himmliſche
Gluth in den begeiſterten Männern des be¬
glückten Südens: — was ruft ihr mich hin,
wo immer Gedanken meiner Seele wohnen,
wo die Heimath der ſchönſten Stunden mei¬
nes Lebens iſt! — ihr, die ihr überall Grän¬
zen ſehet, wo keine ſind! Liegt Rom und
Deutſchland nicht auf einer Erde? Hat der
himmliſche Vater nicht Wege von Norden
nach Süden, wie von Weſten nach Oſten
über den Erdkreis geführt? Iſt ein Men¬
ſchenleben zu kurz? Sind die Alpen unüber¬
ſteiglich? — Nun ſo muß auch mehr als
eine Liebe in der Bruſt des Menſchen woh¬
nen können. — —
Aber jetzt wandelt mein traurender Geiſt
auf der geweiheten Stätte vor deinen
Mauern, Nürnberg; auf dem Gottesacker,
112
wo die Gebeine Albrecht Dürers ruhen, der
einſt die Zierde von Deutſchland, ja von
Europa war. Sie ruhen, von wenigen be¬
ſucht, unter zahlloſen Grabſteinen, deren je¬
der mit einem ehernen Bildwerk, als dem
Gepräge der alten Kunſt, bezeichnet iſt, und
zwiſchen denen ſich hohe Sonnenblumen in
Menge erheben, welche den Gottesacker zu
einem lieblichen Garten machen. So ruhen
die vergeſſenen Gebeine unſers alten Albrecht
Dürers, um deſſentwillen es mir lieb iſt, daß
ich ein Deutſcher bin.
Wenigen muß es gegeben ſeyn, die Seele
in deinen Bildern ſo zu verſtehen, und das
Eigne und Beſondere darin mit ſolcher In¬
nigkeit zu genießen, als der Himmel es mir
vor vielen andern vergönnt zu haben ſchei¬
net; denn ich ſehe mich um, und finde we¬
nige, die mit ſo herzlicher Liebe, mit ſolcher
Verehrung vor dir verweilten, als ich.
113
Iſt es nicht, als wenn die Figuren in
dieſen deinen Bildern wirkliche Menſchen
wären, welche zuſammen redeten? Ein jeg¬
licher iſt ſo eigenthümlich geſtempelt, daß
man ihn aus einem großen Haufen heraus¬
kennen würde; ein jeglicher ſo aus der
Mitte der Natur genommen, daß er ganz
und gar ſeinen Zweck erfüllt. Keiner iſt mit
halber Seele da, wie man es öfters bey ſehr
zierlichen Bildern neuerer Meiſter ſagen möch¬
te; jeder iſt im vollen Leben ergriffen, und
ſo auf die Tafel hingeſtellt. Wer klagen ſoll,
klagt; wer zürnen ſoll, zürnt; und wer be¬
ten ſoll, betet. Alle Figuren reden, und re¬
den laut und vernehmlich. Kein Arm bewegt
ſich unnütz, oder bloß zum Augenſpiel und
zur Füllung des Raums; alle Glieder, alles
ſpricht uns gleichſam mit Macht an, daß
wir den Sinn und die Seele des Ganzen
recht feſt im Gemüthe faſſen. Wir glauben
114
alles, was der kunſtreiche Mann uns dar¬
ſtellt; und es verwiſcht ſich nie aus unſerm
Gedächtniß.
Wie iſt's, daß mir die heutigen Künſtler
unſers Vaterlands ſo anders erſcheinen, als
jene preiswürdigen Männer der alten Zeit,
und du vornehmlich, mein geliebter Dürer?
Wie iſt's, daß es mir vorkommt, als wenn
ihr alle die Mahlerkunſt weit ernſthafter,
wichtiger und würdiger gehandhabt hättet,
als dieſe zierlichen Künſtler unſrer Tage?
Mich dünkt, ich ſehe euch, wie ihr nachden¬
kend vor eurem angefangenen Bilde ſtehet, —
wie die Vorſtellung, die ihr ſichtbar machen
wollt, ganz lebendig eurer Seele vorſchwebt, —
wie ihr bedächtlich überlegt, welche Mienen
und welche Stellungen den Zuſchauer wohl
am ſtärkſten und ſicherſten ergreifen, und
ſeine Seele beym Anſehen am mächtigſten
bewegen möchten, — und wie ihr dann, mit
115
inniger Theilnahme und freundlichem Ernſt,
die eurer lebendigen Einbildung befreunde¬
ten Weſen, auf die Tafel treu und langſam
auftraget. — Aber die Neueren ſcheinen
gar nicht zu wollen, daß man ernſthaft an
dem, was ſie uns vorſtellen, Theil nehmen
ſolle; ſie arbeiten für vornehme Herren, welche
von der Kunſt nicht gerührt und veredelt,
ſondern aufs höchſte geblendet und gekitzelt
ſeyn wollen; ſie beſtreben ſich, ihr Gemählde
zu einem Probeſtück von recht vielen lieb¬
lichen und täuſchenden Farben zu machen;
ſie prüfen ihren Witz in Ausſtreuung des
Lichtes und Schattens; — aber die Men¬
ſchenfiguren ſcheinen öfters bloß um der Far¬
ben und um des Lichtes willen, wahrlich ich
möchte ſagen, als ein nothwendiges Übel im
Bilde zu ſtehen.
Wehe muß ich rufen über unſer Zeital¬
ter, daß es die Kunſt ſo bloß als ein leicht¬
116
ſinniges Spielwerk der Sinne übt, da ſie
doch wahrlich etwas ſehr Ernſthaftes und Er¬
habenes iſt. Achtet man den Menſchen nicht
mehr, daß man ihn in der Kunſt vernach¬
läßigt, und artige Farben und allerhand
Künſtlichkeit mit Lichtern, der Betrachtung
würdiger findet? —
In den Schriften des von unſerm Albrecht
ſehr hochgeſchätzten und vertheidigten Mar¬
tin Luthers, worin ich, wie ich nicht un¬
gern geſtehe, einiges aus Wißbegier wohl
geleſen habe, und in welchen viel Gutes
verborgen ſeyn mag, habe ich über die Wich¬
tigkeit der Kunſt eine merkwürdige Stelle
gefunden, die mir jetzt lebhaft ins Gemüth
kommt. Denn es behauptet dieſer Mann
irgendwo ganz dreiſt und ausdrücklich: daß
nächſt der Theologie, unter allen Wiſſen¬
ſchaften und Künſten des menſchlichen Gei¬
ſtes, die Muſik den erſten Platz einnehme.
117
Und ich muß offenherzig bekennen, daß die¬
ſer kühne Ausſpruch meine Blicke ſehr auf
den ausgezeichneten Mann hingerichtet hat.
Denn die Seele, aus welcher ein ſolcher
Ausſpruch kommen konnte, mußte für die
Kunſt grade diejenige tiefe Verehrung em¬
pfinden, welche, ich weiß nicht woher, in ſo
wenigen Gemüthern wohnt, und welche,
nach meinem Bedünken, doch ſo ſehr natür¬
lich und ſo bedeutend iſt.
Wenn nun die Kunſt, (ich meyne, ihr
Haupt- und weſentlicher Theil,) wirklich von
ſolcher Wichtigkeit iſt; ſo iſt es ſehr unwür¬
dig und leichtſinnig, ſich von den ſprechen¬
den und lehrreichen Menſchenfiguren unſers
alten Albrecht Dürers hinwegzuwenden, weil
ſie nicht mit der gleißenden äußeren Schön¬
heit, welche die heutige Welt für das Ein¬
zige und Höchſte in der Kunſt hält, ausge¬
ſtattet ſind. Es verräth nicht ein ganz ge¬
118
ſundes und reines Gemüth, wenn ſich je¬
mand vor einer geiſtlichen Betrachtung, welche
an ſich triftig und eindringend iſt, die Oh¬
ren zuhält, weil der Redner ſeine Worte
nicht in zierlicher Ordnung ſtellet, oder weil
er eine üble, fremde Ausſprache, oder ein
ſchlechtes Spiel mit Händen an ſich hat.
Hindern mich aber dergleichen Gedanken,
dieſe äußere, und ſo zu ſagen, bloß kör¬
perliche Schönheit der Kunſt, wo ich ſie
finde, nach Verdienſt zu ſchätzen und zu be¬
wundern?
Auch wird dir das, mein geliebter Albrecht
Dürer, als ein grober Verſtoß angerechnet,
daß du deine Menſchenfiguren nur ſo be¬
quem neben einander hinſtellſt, ohne ſie künſt¬
lich durch einander zu verſchränken, daß ſie
ein methodiſches Gruppo bilden. Ich liebe
dich in dieſer deiner unbefangenen Einfalt,
und hefte mein Auge unwillkührlich zuerſt
119
auf die Seele und tiefe Bedeutung dei¬
ner Menſchen, ohne daß mir dergleichen Ta¬
delſucht nur in den Sinn kommt. Viele Per¬
ſonen aber ſcheinen von derſelben, wie von
einem böſen, quälenden Geiſte, ſo geplagt,
daß ſie dadurch zu verachten und zu verhöh¬
nen angereizt werden, ehe ſie ruhig betrach¬
ten können, — und am allerwenigſten über
die Schranken der Gegenwart ſich in die
Vorzeit hinüberzuſetzen vermögen. Gern will
ich euch zugeben, ihr eifrigen Neulinge, daß
ein junger Schüler jetzt klüger und gelehrter
von Farben, Licht und Zuſammenfügung der
Figuren reden mag, als der alte Dürer es
verſtand; ſpricht aber ſein eigener Geiſt aus
dem Knaben, oder nicht vielmehr die Kunſt¬
weisheit und Erfahrung der vergangenen Zei¬
ten? Die eigentliche, innere Seele der Kunſt
faſſen nur einzelne auserwählte Geiſter auf
einmal, mag auch ſchon die Führung des
120
Pinſels noch ſehr mangelhaft ſeyn; alle die
Außenwerke der Kunſt hingegen werden nach
und nach, durch Erfindung, Übung und
Nachdenken zur Vollkommenheit gebracht.
Es iſt aber eine ſchnöde und betrauernswer¬
the Eitelkeit, die das Verdienſt der Zeiten
ihrem eigenen ſchwachen Haupte zur Krone
aufſetzt, und ihre Nichtigkeit unter erborg¬
tem Glanze verſtecken will. Hinweg, ihr
weiſen Knaben, von dem alten Künſtler von
Nürnberg! — und daß keiner verſpottend
ihn zu richten ſich vermeſſe, der noch kin¬
diſch darüber naſerümpfen kann, daß er
nicht Tizian und Correggio zu Lehrmeiſtern
hatte, oder, daß man zu ſeiner Zeit ſo ſelt¬
ſam altfränkiſche Kleidung trug!
Denn auch um deßwillen wollen die heu¬
tigen Lehrer ihn, ſo wie manchen andern
guten Mahler ſeines Jahrhunderts, nicht
ſchön und edel nennen, weil ſie die Ge¬
121
ſchichte aller Völker, und wohl ſelbſt die
geiſtlichen Hiſtorien unſerer Religion in die
Tracht ihrer Zeiten kleiden. Allein ich denke
dabey, wie doch ein jeder Künſtler, der die
Weſen vergangener Jahrhunderte durch ſeine
Bruſt gehen läßt, ſie mit dem Geiſt und
Athem ſeines Alters beleben muß; und wie
es doch billig und natürlich iſt, daß die
Schöpfungskraft des Menſchen alles Fremde
und Entfernte, und alſo auch ſelbſt die himm¬
liſchen Weſen, ſich liebend nahe bringt, und
in die wohlbekannten und geliebten Formen
ſeiner Welt und ſeines Geſichtskreiſes
hüllt.
Als Albrecht den Pinſel führte, da war
der Deutſche auf dem Völkerſchauplatz un¬
ſers Welttheils noch ein eigenthümlicher und
ausgezeichneter Charakter von feſtem Be¬
ſtand; und ſeinen Bildern iſt nicht nur in
Geſichtsbildung und im ganzen Äußeren,
122
ſondern auch im inneren Geiſte, dieſes ernſt¬
hafte, grade und kräftige Weſen des deut¬
ſchen Charakters treu und deutlich einge¬
prägt. In unſern Zeiten iſt dieſer feſtbe¬
ſtimmte deutſche Charakter, und eben ſo die
deutſche Kunſt, verloren gegangen. Der
junge Deutſche lernt die Sprachen aller Völ¬
ker Europa's, und ſoll prüfend und richtend
aus dem Geiſte aller Nationen Nahrung
ziehen; — und der Schüler der Kunſt wird
belehrt, wie er den Ausdruck Raphaels, und
die Farben der venezianiſchen Schule, und
die Wahrheit der Niederländer, und das
Zauberlicht des Correggio, alles zuſammen
nachahmen, und auf dieſem Wege zur al¬
les übertreffenden Vollkommenheit gelangen
ſolle. — O traurige Afterweisheit! O blin¬
der Glaube des Zeitalters, daß man jede
Art der Schönheit, und jedes Vorzügliche
aller großen Künſtler der Erde, zuſammen¬
123
ſetzen, und durch das Betrachten aller, und
das Erbetteln von ihren mannigfachen großen
Gaben, ihrer aller Geiſt in ſich vereinigen,
und ſie alle beſiegen könne! — Die Periode
der eigenen Kraft iſt vorüber; man will durch
ärmliches Nachahmen und klügelndes Zuſam¬
menſetzen das verſagende Talent erzwingen,
und kalte, geleckte, charakterloſe Werke ſind
die Frucht. — Die deutſche Kunſt war ein
frommer Jüngling in den Ringmauern einer
kleinen Stadt unter Blutsfreunden häuslich
erzogen; — nun ſie älter iſt, iſt ſie zum all¬
gemeinen Weltmanne geworden, der mit den
kleinſtädtiſchen Sitten zugleich ſein Gefühl
und ſein eigenthümliches Gepräge von der
Seele weggewiſcht hat.
Ich möchte um Alles nicht, daß der zau¬
berhafte Correggio, oder der prächtige Paolo
Veroneſe, oder der gewaltige Buonarotti,
eben ſo gemahlt hätten als Raphael. Und
124
eben auch ſtimme ich keinesweges in die Re¬
densarten derer mit ein, welche ſprechen:
»Hätte Albrecht Dürer nur in Rom eine
»zeitlang gehauſet, und die ächte Schönheit
»und das Idealiſche vom Raphael abgelernt,
»ſo wäre er ein großer Mahler geworden;
»man muß ihn bedauern, und ſich nur wun¬
»dern, wie er es in ſeiner Lage noch ſo weit
»gebracht hat.« Ich finde hier nichts zu
bedauern, ſondern freue mich, daß das Schick¬
ſal dem deutſchen Boden an dieſem Manne
einen ächt-vaterländiſchen Mahler gegönnt
hat. Er würde nicht er ſelber geblieben ſeyn;
ſein Blut war kein italieniſches Blut. Er
war für das Idealiſche und die erhabene Ho¬
heit eines Raphaels nicht gebohren; er hatte
daran ſeine Luſt, uns die Menſchen zu zei¬
gen, wie ſie um ihn herum wirklich waren,
und es iſt ihm gar trefflich gelungen.
Dennoch aber fiel es mir, als ich in mei¬
125
nen jüngern Jahren die erſten Gemählde
vom Raphael ſowohl, als von dir, mein
geliebter Dürer, in einer herrlichen Bilder¬
gallerie ſah, wunderbar in den Sinn, wie
unter allen andern Mahlern, die ich kannte,
dieſe beyden eine ganz beſonders nahe Ver¬
wandſchaft zu meinem Herzen hätten. Bey
beyden gefiel es mir ſo ſehr, daß ſie ſo ein¬
fach und grade, ohne die zierlichen Um¬
ſchweife anderer Mahler, uns die Menſch¬
heit in voller Seele, ſo klar und deutlich
vor Augen ſtellen. Allein ich getraute mich
damals nicht, meine Meynung jemanden zu
entdecken, weil ich glaubte, daß jeder mich
verlachen würde, und wohl wußte, daß die
Mehreſten in dem alten deutſchen Mahler
nichts als etwas ſehr Steifes und Trockenes
erkennen. Ich war indeß an dem Tage, da
ich jene Bildergallerie geſehen hatte, ſo voll
von dieſem neuen Gedanken, daß ich damit
106 (=126)
einſchlief, und mir in der Nacht ein ent¬
zückendes Traumgeſicht vorkam, welches mich
noch feſter in meinem Glauben beſtärkte
Es dünkte mich nämlich, als wenn ich, nach
Mitternacht, von dem Gemach des Schloſ¬
ſes, worin ich ſchlief, durch die dunklen Säle
des Gebäudes, ganz allein mit einer Fackel
nach der Bildergallerie zuginge. Als ich an
die Thür kam, hörte ich drinnen ein leiſes
Gemurmel; — ich öffnete ſie, — und plötz¬
lich fuhr ich zurück, denn der ganze große
Saal war von einem ſeltſamen Lichte er¬
leuchtet, und vor mehreren Gemählden ſtan¬
den ihre ehrwürdigen Meiſter in leibhafter
Geſtalt da, und in ihrer alten Tracht, wie
ich ſie in Bildniſſen geſehen hatte. Einer
von ihnen, den ich nicht kannte, ſagte mir,
daß ſie manche Nacht vom Himmel herun¬
terſtiegen, und hier und dort auf Erden in
Bilderſälen bey der nächtlichen Stille um¬
107 (=127)
herwankten, und die noch immer geliebten
Werke ihrer Hand betrachteten. Viele ita¬
lieniſche Mahler erkannt' ich; von Nieder¬
ländern ſah ich ſehr wenige. Ehrfurchtsvoll
ging ich zwiſchen ihnen durch; — und ſiehe!
da ſtanden, abgeſondert von allen, Raphael
und Albrecht Dürer Hand in Hand leib¬
haftig vor meinen Augen, und ſahen in
freundlicher Ruhe ſchweigend ihre beyſam¬
menhängenden Gemählde an. Den gött¬
lichen Raphael anzureden hatte ich nicht den
Muth; eine heimliche ehrerbietige Furcht ver¬
ſchloß mir die Lippen. Aber meinen Albrecht
wollte ich ſo eben begrüßen, und meine Liebe
vor ihm ausſchütten; — allein in dem Au¬
genblick verwirrte ſich mit einem Getöſe Al¬
les vor meinen Augen, und ich erwachte mit
heftiger Bewegung.
- Dieſes Traumgeſicht hatte meinem Ge¬
müth innige Freude gemacht, und dieſe ward
128
noch vollkommener, als ich bald nachher in
dem alten Vaſari las, wie die beyden herr¬
lichen Künſtler auch bey ihren Lebzeiten wirk¬
lich, ohne ſich zu kennen, durch ihre Werke,
Freunde geweſen, und wie die redlichen und
treuen Arbeiten des alten Deutſchen vom
Raphael mit Wohlgefallen angeſehen wären,
und er ſie ſeiner Liebe nicht unwerth geach¬
tet hätte.
- Das aber kann ich freylich nicht ver¬
ſchweigen, daß mir nachher bey den Wer¬
ken der beyden Mahler immer ſo wie in je¬
nem Traum zu Muthe war, daß ich näm¬
lich bey denen des Albrecht Dürer wohl
manchmal mich daran verſuchte, ihr ächtes
Verdienſt jemanden zu erklären, und über
ihre Vortrefflichkeiten mich in Worte auszu¬
breiten wagte; bey den Werken Raphaels
aber, immer von der himmliſchen Schönheit
ſo überfüllt und bedrängt ward, daß ich
129
nicht wohl darüber reden, noch jemanden
deutlich auseinanderſetzen konnte, woraus mir
überall das Göttliche hervorleuchte.
- Aber ich will jetzt meine Blicke von dir
nicht abwenden, mein Albrecht. Vergleichung
iſt ein gefährlicher Feind des Genuſſes; auch
die höchſte Schönheit der Kunſt übt nur
dann, wie ſie ſoll, ihre volle Gewalt an
uns aus, wenn unſer Auge nicht zugleich
ſeitwärts auf andere Schönheit blickt. Der
Himmel hat ſeine Gaben unter die großen
Künſtler der Erde ſo vertheilet, daß wir
durchaus genöthiget werden, vor einem jeg¬
lichen ſtille zu ſtehen, und jeglichem ſeinen
Antheil unſrer Verehrung zu opfern.
- Nicht bloß unter italieniſchem Himmel,
unter majeſtätiſchen Kuppeln und korinthi¬
ſchen Säulen; — auch unter Spitzgewölben,
kraus-verzierten Gebäuden und gothiſchen
Thürmen, wächſt wahre Kunſt hervor.
130
Friede ſey mit deinen Gebeinen, mein
Albrecht Dürer! und möchteſt du wiſſen, wie
ich dich lieb habe, und hören, wie ich unter
der heutigen, dir fremden Welt, der Herold
deines Namens bin. — Geſegnet ſey mir
deine goldene Zeit, Nürnberg! die einzige
Zeit, da Deutſchland eine eigene vaterländi¬
ſche Kunſt zu haben ſich rühmen konnte. —
Aber die ſchönen Zeitalter ziehen über die
Erde hinweg, und verſchwinden, wie glän¬
zende Wolken über das Gewölbe des Him¬
mels wegziehn. Sie ſind vorüber, und ihrer
wird nicht gedacht; nur wenige rufen ſie
aus innerer Liebe in ihr Gemüth zurück, aus
beſtäubten Büchern, und bleibenden Werken
der Kunſt.
Anmerkungen
[Bearbeiten]- ↑ Offenbar Friedrich Wilhelm Basilius von Ramdohr (* 21. Juli 1757 auf Drübber, heute Ortsteil der Gemeinde Dörverden; † 26. Juli 1822 in Neapel), war ein zeitweise in Dresden praktizierender konservativer Jurist, Journalist, Schriftsteller sowie kurhannoverscher und ab 1806 preußischer Diplomat. Schriften: u. a. Ueber Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst, und Leipzig 1787, sowie Charis oder ueber das Schöne und die Schönheit in den nachbildenden Künsten (Leipzig 1793). + Laut Karl August Böttiger genoss Ramdohr in Leipzig und Dresden nun die größte Achtung und Auszeichnung, und ward überall als ein Orakel über die schönen Künste mit Staunen angehört. So traf er im August 1794 Goethe und Christoph Martin Wieland in der Bildergalerie Dresden und wurde am 18. September 1794 von Goethe in Weimar empfangen, später folgten Begegnungen mit Schiller, Körner, 1805 auch mit den Gebrüdern Grimm. + "Um nicht einer fremden Regierung in seinem Vaterlande dienen zu müssen, suchte er nach seiner eigenen Angabe um seine Entlassung in London nach. Er erhielt sie und ließ sich – ein Schritt, den ihm viele seiner Landsleute sehr verdacht haben – im September 1806 vom König von Preußen zum geheimen Legationsrath und Kammerherrn ernennen, wobei ihm seine Kanzleidirectorgage als Pension und Wartegeld bis dahin zugesichert wurde, daß ein Gesandtschaftsposten für ihn vacant werde. Nach der Katastrophe des preußischen Staats lebte er ohne in einem Dienstverhältniß zu stehen in Dresden und Merseburg und verbrachte erst seine letzten Lebensjahre in diplomatischer Thätigkeit, war 1815 preußischer Resident in Rom, seit 1816 wirklicher Gesandter in Neapel, wo er nach längeren Leiden am 26. Juli 1822 starb." (w:wikisource:de:ADB:Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von).
- ↑ Francesco Francia, (* 1447 in Bologna; † 5. Januar 1517 in Bologna).
- ↑ Bologneser Schule: wichtigster Ausgangspunkt des Barock in der europäischen Malerei - im 17. Jahrhundert bestimmend für die Strömung des sogenannten klassizistischen Barock in der Malerei (Guido Reni, Domenichino und teilweise Guercino).
- ↑ Die Berühmtheit des Gemäldes "Die Verzückung der Heiligen Cäcilia" wird durch zahlreiche Kopien bezeugt. Es gehörte zu den Lieblingswerken der Carraccis und von Guido Reni (der mehrere Teilkopien und eine ganze Kopie anfertigte, ausgestellt in San Luigi dei Francesi in Rom) und gab einen grundlegenden Impuls für die Entwicklung des Klassizismus des 17. Jahrhunderts. Nach Jahrhunderten der akademischen Überhöhung erlebte das Altarbild in der Romantik eine Phase der Kritik, als die Nüchternheit der Bewegungen als Verflachung gelesen wurde; heute jedoch hat die moderne Kritik ihre grundlegende Bedeutung in der künstlerischen Karriere des Künstlers und in der Kunstgeschichte im Allgemeinen erneut bestätigt.
- ↑ Giorgio Vasari: * 30. Juli 1511 in Arezzo; † 27. Juni 1574 in Florenz.
- ↑ Vgl. w:wikisource:fr:Vies des peintres, sculpteurs et architectes/tome 3/28: "Während er [Francesco Francia] seinen Ruhm und die Früchte seiner Arbeit in Frieden genoss, wurde Raffael von Urbino jeden Tag in Rom von einer Menge Ausländer besucht, unter anderem von Bologneser Herren, die, getrieben von einem Gefühl des Patriotismus, das ganz natürlich war, die Werke und die Tugenden von Francia so sehr lobten, dass eine briefliche Korrespondenz zwischen diesen beiden Künstlern nicht lange auf sich warten ließ. Francia war begierig darauf, die göttlichen Gemälde Raffaels kennenzulernen, aber sein fortgeschrittenes Alter hielt ihn in Bologna fest. Unterdessen fertigte Raphael in Rom für Lorenzo Pucci, Kardinal von Santi-Quattro, ein Gemälde der heiligen Cecilia an, das für die Kapelle San-Giovanni-in-Monte in Bologna bestimmt war, in der sich das Grab der seligen Elena dall' Olive befindet. Er legte dieses kostbare Stück in eine Kiste und schickte es an Francia, damit es dieser mit dem von ihm arrangierten Schmuck auf dem Altar der Kapelle platziert. Francia freute sich über diese Gelegenheit, die es ihm ermöglichte, den Wunsch zu befriedigen, der ihn quälte, ein Werk Raffaels zu sehen. Sobald er den Brief des Sanzio gelesen hatte, in dem er gebeten wurde, alle Schäden, die sein Gemälde erlitten haben könnte, zu reparieren und sogar alle Fehler, die er darin entdeckte, zu korrigieren, befahl er mit unaussprechlicher Freude, sofort die Kiste zu öffnen. Aber das Erstaunen, das ihn beim Anblick dieses Meisterwerks ergriffen hatte, das ihm alle Illusionen raubte, indem es ihm seine Unterlegenheit bewies, führte ihn in kurzer Zeit zum Grab. In der Tat muss dieses Gemälde zu den wunderbarsten gezählt werden, die von dem göttlichen Pinselstrich von Raphael geschaffen wurden. Francia ließ es sorgfältig zur Kapelle von San-Giovanni-in-Monte tragen; aber er hatte nicht die Kraft, den Schmerz zu überwinden, den er empfand, weil er so weit von dem Ziel entfernt war, das er erreicht zu haben glaubte. Ein paar Tage später konnte er sein Bett nicht verlassen, und es wird gesagt, dass er bald vor Kummer starb. Als er das lebende Gemälde Raffaels betrachtete, erlebte er das gleiche Schicksal wie der Fivizzano, als er das Porträt seines wunderschönen Leichnams betrachtete, das die folgenden Verse inspirierte: Me veram pictor divinus mente recepit./ Admota ist offen deindè perita manus./ Dumque betreibt in der Tat defigit lumina pictor/ Intentus nimium, palluit et moritur./ Viva igitur sum mors, non mortua mortis imago,/ Si fungor, quo mors fungitur, officio. + Viele Leute sagen jedoch, dass sein Tod so plötzlich war, dass er vor allem auf Gift oder Gicht zurückzuführen sein muss. Francia war mit einer guten Konstitution ausgestattet und führte ein weises und regelmäßiges Leben. Er wurde ehrenhaft von seinen Söhnen in Bologna im Jahr 1518 [nach neueren Erkenntnissen gestorben am 5. Januar 1517] bestattet.
- ↑ Andrea del Verrocchio (* 1435 in Florenz; † 7. Oktober 1488 in Venedig).