Benutzer:CK85/Untersuchungen über die Ausbreitung der elektrischen Kraft Kapitel 3
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Da wir denjenigen Theil der v. Bezold’schen Arbeiten, welcher uns hier allein angeht, aus dem Zusammenhang herausreissen müssen, so sei es gestattet, denselben durch wenige Worte einzuleiten.
Die Untersuchung v. Bezold’s knüpft an die Beobachtung der Lichtenbergischen Staubfiguren an. Herr von Bezold hatte bemerkt, dass unter gewissen Verhältnissen der Charakter der positiven und der negativen Figuren abgeändert und einander genähert erscheint, so sehr, dass z. B. die negativen Figuren auf den ersten Anblick für positive gehalten werden könnten. Die erste Abweichung vom normalen Charakter tritt stets in der Weise ein, dass im Mittelpunkte der negativen Figur eine kleine positive Figur, im Mittelpunkt der positiven eine kleine negative Figur erscheint. Es hatte sich ergeben, dass die complicirteren Figuren ihre Entstehung stets einem Funken verdankten, welcher einer alternirenden Entladung entsprach, während die einfachen Figuren durch einfache Entladungen hervorgebracht werden. In jeder zusammengesetzten Figur hat sich eine alternirende Entladung gewissermaassen selbst registrirt; aus dem Anblick der Figur kann der alternirende Charakter der Entladung und der Sinn ihres ersten Ausschlages sogleich erkannt werden. Wir können also die Lichtenbergischen Figuren zur Untersuchung der Entladung verwenden.
Von Bezold erzeugte die Lichtenbergischen Figuren in |[060]folgender Weise: Eine gut isolirende horizontale Glastafel war auf ihrer Unterseite mit Staniol belegt und diese Belegung zur Erde abgeleitet. Auf die Oberseite der Tafel war die Spitze einer vertikal gerichteten Stricknadel gestellt, welcher die Entladung zugeführt wurde. Hierauf wurde die Stricknadel entfernt, die Platte bestäubt und die entstehende Figur beobachtet. Wenn man diese Vorrichtung, welche als die Probetafel bezeichnet wird, unmittelbar in den Entladungskreis einer Leydener Flasche oder des Conductors einer Elektrisirmaschine einschaltet, so ist natürlich das Zustandekommen einer alternirenden Entladung, ja einer vollständigen Entladung überhaupt, von vornherein unmöglich gemacht. Man wird also die Probetafel nur in den Nebenschluss der eigentlichen zu untersuchenden Entladung einschalten dürfen.
Indem nun Herr von Bezold diesen Weg einschlug und als Hauptentladung die Entladung des Conductors seiner Elektrisirmaschine zur Erde benutzte, stiess er sogleich auf sehr auffallende Erscheinungen. Positive Figuren erschienen da, wo negative zu erwarten waren, grosse da, wo man kleine vermuthet hatte, und umgekehrt. Das Ohm’sche Gesetz versagte völlig, es schien als habe die bewegte Elektricität die Kraft, benachbarte Elektrizität mit sich fortzureissen, als könnten „bei elektrischen Strömungen ähnliche Erscheinungen auftreten, wie sie bei der Bewegung der Flüssigkeiten unter dem Namen von Saugphänomenen beobachtet sind.“ Dabei mussten freilich zunächst noch viele Einzelheiten unerörtert bleiben. Wir geben nunmehr das Wort an Herrn von Bezold selbst ab:
„Diese eigenthümlichen Beobachtungen gaben die Veranlassung zu weiteren Versuchen über die Verzweigung elektrischer Entladungsströme.
Auch hier ergaben alternirende Entladungen constantere Resultate als einfache und es wurde deshalb stets für eine geeignete Rückleitung Sorge getragen. Dass ein einfacher Draht zu diesem Zwecke nicht brauchbar ist, beweisen die obigen Versuche, es wurden deshalb die Inductionsrollen des Rühmkorff’s R zur Rückleitung benutzt.
Wurde nun die Elektrisirmaschine Q langsam in Drehung versetzt, bis ein Funke bei F übersprang, so erschienen auf der Tafel bei A die zusammengesetzten positiven Figuren mit grosser Regelmassigkeit.
|[061] Wurde der Strom durch einen kurzen Draht D abgezweigt
Dieser Versuch zeigt augenfällig, dass die Ohm’schen Gesetze nur für stationäre Strömungen, nicht aber für die elektrische Entladung gelten, wie es ja auch alle theoretischen Untersuchungen ergeben haben. Während nämlich durch den ganz kurzen Zweig A gar keine Elektricität auf die Platte geht, schlägt sie, wenigstens scheinbar, den viel hundertmal längeren Weg durch den Draht D ein.
Verlängert man den Draht D noch mehr, so bleibt vorerst innerhalb ziemlich weiter Gränzen die Erscheinung unverändert, und erst, wenn man die Länge desselben etwa auf das Doppelte gebracht hat, wird auch die Figur bei A wieder grösser, bis bei noch beträchtlicheren Längen die Grössendifferenz der beiden Figuren wieder vollständig verschwindet. Hierbei war es ganz gleichgültig, ob ein dicker oder dünner, besser oder schlechter |[062]leitender Draht angewendet, ob er in einer straffgespannten Schleife hin und her oder im Bogen herumgeführt wurde. Mit Spiraldrähten habe ich jedoch noch nicht experimentirt.
Bei der vollkommenen Neuheit der Erscheinung schien es mir nun interessant, das Verhalten des Drahtes D an verschiedenen Stellen zu untersuchen. Es wurde deshalb eine Aenderung getroffen, wie sie in Fig. 13 schematisch dargestellt ist. Auf
Hebt man irgend einen der Zuleiter von der Tafel ab, so werden dadurch die Figuren an den übrigen Zuleitern nicht im Geringsten geändert.
Dieser Versuch lehrt die neue Thatsache kennen, dass die Verbindung des Zuleiters mit einem blind endenden Drahte hinreicht, um die Figur, welche am Zuleiter entsteht, ganz wesentlich zu verändern, beziehungsweise dieselbe zum Verschwinden zu bringen. Am belehrendsten wird das Experiment, wenn man nahe beim Zuleiter A ein zweites Funkenmikrometer f (Fig. 14) anbringt, dessen eine Kugel mit A verbunden ist, während die andere zu dem Drahte D führt. Stellt man |[063]alsdann das Funkenmikrometer f zuerst auf eine weite Distanz ein, und verringert man diese allmählich, so sieht man, wie von
Diese Betrachtung führt zu einer Hypothese über die eigenthümlichen Grössenveränderungen, welche die Staubfiguren bei den beschriebenen Abzweigungen erleiden.
Werden nämlich elektrische Wellen in einen Draht hineingetrieben, und müssen sie nach Reflexion am Ende desselben auf demselben Wege wieder zurückkehren, so werden die ankommenden mit den reflectirten Wellen interferiren und hiedurch Erscheinungen hervorrufen, welche den bei Orgelpfeifen beobachteten analog sind. Die bisher mitgetheilten Beobachtungen zeigen wirklich eine solche Analogie in hohem Grade, und man darf es wohl wagen, die Stellen des Drahtes, an welchen Maximal- und Minimalfiguren erscheinen, mit den Schwingungsbäuchen und Schwingungsknoten zu vergleichen.
Die Hypothese, dass man hier Interferenz-Erscheinungen vor sich habe, gewinnt noch dadurch an Wahrscheinlichkeit, dass die Versuche nur mit alternirenden Entladungen in überzeugender Weise gelingen, während bei einfachen Entladungen zwar ebenfalls Grössendifferenzen der verschiedenen Figuren beobachtet werden, aber lange nicht in so hohem Grade.
Mit den eben beschriebenen Versuchen wurde noch eine |[064]kleine Modification vorgenommen, welche abermals den Ausgangspunkt für neue Untersuchungen bildete.
Verknüpft man nämlich das Ende des Drahtes D (Fig. 12) wieder mit dem ersten Zuleiter A wie es in dem Schema Fig. 15
Der Funke blieb wirklich aus, wenn das Mikrometer in der |[065]Mitte der Schleife eingeschaltet wurde und erschien, sobald dasselbe nur um wenige Decimeter von dieser Stelle nach der einen oder andern Seite entfernt wurde. Hiermit ist nachgewiesen, dass der Stromlauf durch die ausgezogenen Pfeile dargestellt wird, und anderseits ist die kleine Verspätung sichtbar gemacht, welche der elektrische Entladungsstrom bei dem Durchlaufen weniger Decimeter Draht erleidet.
Vor Allem suchte ich nun nach den Bedingungen, unter welchen dieser Versuch über die Verzögerung am schlagendsten
Unter diesen Umständen war es für die Hervorbringung des Funkens genügend, wenn der eine Draht D auch nur um 1 Decimeter länger war, als der andere. Waren sie hingegen gleich lang, so erschien niemals ein Funke. Man kann ihn jedoch augenblicklich zur Erscheinung bringen, wenn man durch Anlegen des Knopfes einer Leydner Flasche an einen der Drähte die Symmetrie der beiden Stromwege stört.
Auch bei diesen Versuchen äusserten Material und Dicke der Drähte nicht den geringsten Einfluss. Ob ich einen versilberten Kupferdraht von 0,06 mm Durchmesser oder einen Eisendraht von 0,23 oder endlich einen Kupferdraht von 0,80 mm Durchmesser anwendete, immer blieb der Funke aus, wenn nur die beiden Drähte gleich lang waren.
Es ist mithin die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Elektricität für alle (gespannten)[1] Drähte eine gleiche.
|[066] In der bisher beschriebenen Form ist jedoch der Versuch ziemlich unscheinbar, da man nur mit sehr kleinen Funkenstrecken des Hülfsmikrometers f arbeiten kann. Ich war deshalb bestrebt, ihn in einer Weise abzuändern, welche gestattet, denselben auch einem Auditorium sichtbar zu machen.
Versuche mit kleinen Geissler’sehen Röhren führten bis jetzt noch zu keinem entschiedenen Resultate. Dagegen kann man die Verspätung wenigstens bei Verzögerungslängen von einigen Metern recht schön auf folgende Art nachweisen. (Fig. 17.)
Theilt man einen (negativen) Entladungsschlag, am besten
|[067] Zwischen diesen beiden Anordnungen mit ganz entgegengesetzten Resultaten muss es aber offenbar solche geben, bei welchen gar keine Figuren entstehen, da kein Grund vorhanden ist, wesshalb eine solche der einen oder der anderen Art zu Stande kommen sollte. Dies muss der Fall sein, wenn die Elektricität von beiden Seiten her gleichzeitig eintrifft, d. h. wenn D1 und D2 gleich lang[2] sind.
Die Versuche entsprachen diesen theoretischen Voraussagungen vollkommen. Man erhält mit jeder Elektricitätsart Figuren der beiden Arten, wenn man über die Längen der Drähte richtig disponirt.
Diese Behauptung könnte freilich Manchem, der den Versuch nicht unter ganz günstigen Verhältnissen anstellt, abgesehen von dem einen Falle, wo wegen vollkommener Gleichheit der beiden Zweige gar keine Figuren zu Stande kommen, unrichtig erscheinen. Es kann nämlich eintreten, dass sämmtliche Figuren auf den ersten Blick positiv zu sein scheinen, unter welchen Verhältnissen und mit welcher Elektricitätsart man auch arbeiten mag.
Der Grund liegt einfach darin, dass die zusammengesetzten negativen Figuren in diesem Falle zu jener Gruppe gehören, welche bereits einen stark positiven Charakter an sich tragen und selbst bei eingehender Beschäftigung mit denselben kaum als negativ erkannt werden können.
Der nach einem Polwechsel eintretende bedeutende Grössenunterschied ist aber vollkommen hinreichend, um jeden Zweifel über die wahre Natur der Figuren sofort zu beseitigen und die Uebereinstimmung der Versuche mit den theoretischen Voraussetzungen zu beweisen.
Alles zusammengefasst, wurden nachfolgende Resultate gewonnen:
1) Bietet man einer elektrischen Entladung nach Durchbrechung einer Funkenstrecke zwei Wege zur Erde dar, einen kürzern und einen längern, durch eine Probeplatte unter|[068]brochenen, so findet bei kleinen Schlagweiten eine Theilung des Entladungsstromes statt. Bei grösseren Funkenstrecken hingegen schlägt die Elektricität nur den kurzen Weg ein und reisst sogar aus dem andern Zweige gleichnamige Elektricität mit sich fort.
2) Sendet man einen elektrischen Wellenzug in einen am Ende isolirten Draht, so wird derselbe am Ende reflectirt und Erscheinungen, welche diesen Vorgang bei alternirenden Entladungen begleiten, scheinen ihren Ursprung der Interferenz der ankommenden und reflectirten Wellen zu verdanken.
3) Eine elektrische Entladung pflanzt sich in gleich langen Drähten gleich rasch fort, ohne Rücksicht auf das Material aus welchem diese Drähte bestehen.“