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Bemutterungstrieb einer Katze

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: H.
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Titel: Bemutterungstrieb einer Katze
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 818–819
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Blätter und Blüthen
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Bearbeitungsstand
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[818] Bemutterungstrieb einer Katze. Die „Gartenlaube“ hat im vorigen Jahrgange (S. 665) eine „Katze als Entenmutter“ in Wort und Bild dargestellt. Gegen die Glaubwürdigkeit dieser reizenden Thiergeschichte haben sich damals mehrere Stimmen auch aus naturwissenschaftlichen Kreisen erhoben. Ihnen allen hat dieselbe Katze, die im Hause (der Ebenrettersmühle bei Hildburghausen) „Lies“ gerufen wird, im Mai und Juni dieses Jahres Gelegenheit geboten, den an ihr wahrgenommenen außerordentlichen Bemutterungstrieb auf’s Neue zu bewundern.

[819] Wenn im vorigen Jahre die Pflegelust der „Lies“ sich auf junge Enten warf, so konnte man dies dem Umstande zuschreiben, das sie kurz vorher, ehe sie die eben ausgekrochenen Entchen in dem verhüllten Korbe entdeckte, Junge geworfen hatte, die ihr sofort genommen worden waren. Daß sie in den Enten ihre Jungen wiedergefunden zu haben glaubte, ist wenigstens daraus zu schließen, daß die Schnäbel ihrer Pfleglinge nicht nach ihrem Geschmacke waren und sie dieselben durch Ziehen zu beseitigen suchte; weil aber die Thierchen dabei vor Schmerz schrieen, so ließ sie den Schaden bestehen und gewöhnte sich an ihre geschnäbelte Schaar.

Diesmal befand sich die „Lies“ im letzten Stadium der Trächtigkeit, als sie sechs eben ausgekrochene „Glickele“ (der nordfränkische Ausdruck für junge Hühner, so lange sie noch der Henne nachlaufen) in den für sie bestimmten Korb zusammentrug. Sie hatte ihre Noth, das unruhige Völkchen bei sich zu behalten, besonders als sie drei Tage später die Gesellschaft selbst durch vier Kätzchen vermehrte. Man hätte nun erwarten können, daß sie ihren Jungen alle Aufmerksamkeit allein widmen und die ungeberdigen Hühnchen vernachlässigen würde, aber fast das Gegentheil fand statt. Sie wurde nicht müde, die flüchtigen „Glickele“ immer wieder, sie vorsichtig an den Hälsen fassend, in’s Nest zu tragen, ja, sie begnügte sich nicht einmal mit dieser Belästigung, denn als ein paar Tage später von einer Henne drei Enteneier ausgebrütet worden waren, trug sie auch diese geduldigeren Jungen in ihren Korb. Endlich holte sie sogar aus einem Rothschwänzchenneste (im Baumgarten hinter der Mühle) noch ein Junges, und so war denn eine so bunte Gesellschaft in dem Korbe beisammen, wie die „Lies“ sie sich nur wünschen konnte. Ihre Liebesbezeigungen aber vertheilte sie unter alle ihre Pfleglinge in gleichem Maße; sie beleckte Hühner, Enten und Rothschwänzchen mit derselben Zärtlichkeit, wie ihre Kätzchen, obwohl sie namentlich von den Hühnern manche Unbill zu ertragen hatte. Diesen wuchs mit den Federn auch die Frechheit, sie pickten der „Lies“ oft so unverschämt auf die Nase und nach den Augen, daß diese stets erschrocken zurückfuhr. Dennoch that dies ihrer Liebe zu dem Jungvolk keinen Eintrag.

In der zweiten Woche dieses Zusammenlebens wurde die ganze Gesellschaft aus der Küche in den Garten hinterm Hause ausquartiert; sie hatte sich um zwei Personen vermindert. Das Rothschwänzchen war von der unermüdlichen „Lies“ in zwei Tagen zweimal in’s Nest gebracht worden; dann blieb es weg. Ein Entchen war erdrückt oder ertreten worden und lag todt neben dem Korbe. Die „Lies“ blickte es mit wahrhaft jammervollen Augen an und wandte und schob es mit den Pfoten hin und her, wahrscheinlich in der Erwartung, daß es wieder munter und lebendig werde. Die Hausherrin ließ es zwei Tage in der Küche liegen, um zu sehen, ob die Katze es fressen würde. Aber das geschah nicht.

Im Garten fand die Familie der „Lies“ in einem Verschlag Platz, einem tieferen Behälter, in welchem die jungen Katzen und Enten sich behaglicher Ruhe erfreuten, während die Hühner zwischen den Sparren durchschlüpfen konnten und sobald wie möglich wieder davonliefen. Jetzt zeigte die Alte, mit welcher Ueberlegung sie zu handeln vermag; sie fing die Hühnchen alle wieder ein, trug sie aber in die Küche zurück, wo das Entfliehen derselben nicht so leicht gewesen war, als sie aber hier von der Hausherrin deshalb ausgezankt wurde, schleppte sie die ganze unruhige Gesellschaft in’s Wohnhaus und versteckte sie unter die Treppe, und als man, um ihr auch dies zu wehren, die hintere Hausthür verschloß, trug sie ihre Lieblinge um Hof und Garten herum zur vorderen Hausthür hinein und brachte einige derselben bis zwei Treppen hoch in Sicherheit.

Diese mühevolle Bemutterung hatte erst ein Ende, als die Hühnchen zu groß zum Tragen waren; von dem unablässigen Herumschleppen waren sie ohnedies an den Hälsen ganz nackt geworden. Eines derselben wollte seinen Milchbrüdern, den Enten, in’s Wasser folgen und ertrank. Die Milchbrüderschaft der Enten, Hühner und Katzen ist übrigens wörtlich zu nehmen und hat sich noch lange erhalten. Wenn bisher am Morgen und Abend die große Milchschüssel für die Katze und ihre Jungen gebracht wurde, nahmen auch Enten und Hühner im Gefühl der Vollberechtigung wie am elterlichen Familientisch an der Mahlzeit Theil. Dies war auch später noch der Fall. Obwohl den Tag über Katzen, Enten und Hühner jedes nach seiner Weise lebten und Nachts getrennt waren, hielten sie doch immer noch geschwisterlich zusammen und eilten, sobald die Dienstmagd mit der Milchschüssel in der Hand „Miez, Miez!“ rief, von allen Seiten herbei. Gerade die Hühner waren jeden Morgen die Eiligsten, um in’s Haus zu ihrer alten Katze zu kommen, und wie oft hatte die „Lies“ ganz verdutzt aufgeschaut, wenn die Hühnchen statt zu miauen, ihr Kickerie! schrieen, und die Enten ihr Quäkquäk! Wenn die „Lies“ satt war und davon ging, ist’s sogar geschehen, daß auch Mäuse herbeischlichen und sich’s zwischen den Enten und Hühnern ganz friedlich wohl sein ließen. Der Dachshund Waldmann spielte abermals dieselbe Rolle wie bei der „Katze als Entenmutter“. Er, der zu anderen Zeiten mit seiner „Lies“ aus einem Napfe fraß, durfte der Milchschüssel sich nur bis auf gewisse Entfernung nahen und zusehen; die Schlappzunge mit in dies Labsal zu stecken, war ihm, trotz aller alter Freundschaft, nicht gestattet worden.

H.