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Bekanntmachung, betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung von Hausgewerbetreibenden der Textilindustrie

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Gesetzestext
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Titel: Bekanntmachung, betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung von Hausgewerbetreibenden der Textilindustrie.
Abkürzung:
Art:
Geltungsbereich:
Rechtsmaterie:
Fundstelle: Deutsches Reichsgesetzblatt Band 1894, Nr. 11, Seite 324 - 328
Fassung vom: 1. März 1894
Ursprungsfassung:
Bekanntmachung: 24. März 1894
Inkrafttreten:
Anmerkungen:
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(Nr. 2157.) Bekanntmachung, betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung von Hausgewerbetreibenden der Textilindustrie. Vom 1. März 1894.

Auf Grund der §§. 2, 109, 110 des Gesetzes, betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung, vom 22. Juni 1889 (Reichs-Gesetzbl. S. 97) hat der Bundesrath nachstehende Vorschriften über die Invaliditäts- und Altersversicherung von Hausgewerbetreibenden der Textilindustrie beschlossen:

Die Versicherungspflicht nach §. 1 des Gesetzes, betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung, vom 22. Juni 1889 (Reichs-Gesetzbl. S. 97) wird auf solche selbständige Gewerbetreibende (Hausgewerbetreibende) erstreckt, welche in eigenen Betriebsstätten im Auftrage und für Rechnung anderer Gewerbetreibenden (Fabrikanten, Fabrikkaufleute, Handelsleute) mit Weberei und Wirkerei beschäftigt werden, und zwar auch dann, wenn diese Hausgewerbetreibenden die Roh- oder Hülfsstoffe selbst beschaffen, und auch für die Zeit, während welcher sie vorübergehend für eigene Rechnung arbeiten. Zur Wirkerei gehört auch die Maschinenstrickerei.
Die Versicherungspflicht erstreckt sich auch
a) auf die zur Herstellung der Gewebe und Wirkwaaren erforderlichen Nebenarbeiten – Spulerei (Treiberei), Scheererei, Schlichterei u. s. w. –, sowie
b) auf die weitere Bearbeitung oder Verarbeitung – Appretirung, Konfektion u. s. w. – der Gewebe und Wirkwaaren, soweit diese Arbeiten in den Betriebsstätten der Hausweber oder Hauswirker nebenher ausgeführt werden.
Vorstehende Bestimmungen finden keine Anwendung
a) auf Personen, welche das Geschäft regelmäßig für eigene Rechnung betreiben und nur gelegentlich von anderen Gewerbetreibenden für deren Rechnung beschäftigt werden;
b) auf Personen, welche in dem Betriebe des Hausgewerbes nur gelegentlich, oder zwar in regelmäßiger Wiederkehr, aber nur nebenher und in so geringem Umfange thätig sind, daß der hieraus erzielte Verdienst zum Lebensunterhalt nicht ausreicht und zu den Versicherungsbeiträgen nicht in entsprechendem Verhältniß steht;
c) aus Personen, welche in einem anderen, die Versicherungspflicht begründenden regelmäßigen Arbeits- oder Dienstverhältniß zu bestimmten Arbeitgebern stehen und, ohne dieses Verhältniß zu unterbrechen, das Hausgewerbe nur nebenher, sei es regelmäßig, sei es nur gelegentlich, betreiben. [325]
Die Versicherung erfolgt bei derjenigen Versicherungsanstalt, in deren Bezirk sich der Betriebssitz des Hausgewerbetreibenden befindet. Die Lohnklasse, in welcher die Versicherung erfolgt, bestimmt sich nach den Vorschriften des §. 22 des Gesetzes. Dies gilt auch für diejenige Zeit, während welcher der Hausgewerbetreibende für eigene Rechnung arbeitet.
Die Hausgewerbetreibenden haben die Beiträge für ihre eigene Versicherung selbst dadurch zu entrichten, daß sie die den schuldigen Beiträgen entsprechenden Marken in ihre Quittungskarten einkleben.
Für jede volle oder angefangene Kalenderwoche, in welcher der Hausgewerbetreibende für eigene oder fremde Rechnung beschäftigt war, sind die Beiträge spätestens an demjenigen Tage zu entrichten, an welchem die nächste Abrechnung mit dem Fabrikanten oder, wenn die Beschäftigung für mehrere Fabrikanten stattfindet, mit einem derselben erfolgt.
Die Hausgewerbetreibenden, welche es unterlassen, die Beiträge für ihre Versicherung gemäß vorstehender Vorschrift zu entrichten, unterliegen der Strafbestimmung des §. 143 des Gesetzes.
Die versicherungspflichtigen Hausgewerbetreibenden haben auch für diejenige Zeit, während welcher sie das Geschäft auf eigene Rechnung betreiben, für ihre eigene Versicherung Zusatzmarken nicht beizubringen.
Bezüglich der Beiträge der Hausgewerbetreibenden für ihr Hülfspersonal (Gesellen, Gehülfen, Lehrlinge) hat es bei den bestehenden allgemeinen Vorschriften sein Bewenden.
Die von den Hausgewerbetreibenden für sich und ihr Hülfspersonal verwendeten Marken sind sofort nach erfolgter Einklebung dadurch zu entwerthen, daß auf denselben handschriftlich oder mittelst eines Stempels der Entwerthungstag in Zahlen angegeben wird (vergl. Ziffer II Nr. 3a, der Bekanntmachung vom 24. Dezember 1891, Reichs-Gesetzbl. S. 401).
Auf dem im §. 112 des Gesetzes vorgesehenen Wege kann angeordnet werden, daß die Beiträge für die Hausgewerbetreibenden von diesen zum Einzug gebracht werden. In diesem Falle finden die Bestimmungen der Ziffer 3 Absatz 1 bis 3 und der Ziffer 4 keine Anwendung, und sind die den eingezogenen Beiträgen entsprechenden Marken alsbald nach deren Einklebung nach Maßgabe der von der Landescentralbehörde getroffenen Anordnungen zu entwerthen. [326]
Die Fabrikanten u. s. w. sind verpflichtet, den für ihre Rechnung arbeitenden Hausgewerbetreibenden bei der Abrechnung die Hälfte desjenigen Betrages für Beitragsmarken zu erstatten, welcher auf die zur Herstellung der Arbeit durch einen Arbeiter im Durchschnitt annähernd erforderliche Zeitdauer entfällt.
Bei der Berechnung des zu erstattenden Betrages wird die Woche zu sechs Arbeitstagen, und der Arbeitstag, sofern nicht durch die für den Betriebssitz des Hausgewerbetreibenden zuständige untere Verwaltungsbehörde eine andere Zeit als Arbeitsdauer allgemein festgesetzt wird, zu elf Arbeitsstunden gerechnet. Bruchtheile von Pfennigen werden zu Lasten des Fabrikanten auf volle Pfennige nach oben abgerundet.
Die Erstattung erfolgt auch dann nach dem Werth der für den Hausgewerbetreibenden selbst zu verwendenden Marken (§. 22 des Gesetzes), wenn bei der Arbeit versicherungspflichtige Hülfspersonen verwendet worden sind. Eine höhere als die gesetzlich vorgeschriebene Lohnklasse (§. 22 des Gesetzes) ist bei der Erstattung nur dann zu Grunde zu legen, wenn der Fabrikant der Verwendung von Marken der höheren Lohnklasse ausdrücklich zugestimmt hat.
Bei Streitigkeiten über die bei der Erstattung (Ziffer 6) in Ansatz zu bringende Arbeitsdauer entscheidet auf Antrag eines Theiles die für den Betriebssitz des Hausgewerbetreibenden zuständige untere Verwaltungsbehörde endgültig.
Dieselbe ist befugt, einen Sachverständigen zu ernennen, welcher auf Antrag eines Theiles, auch ohne daß ein Streitfall vorliegt, den Zeitbedarf abzuschätzen hat. Die Fabrikanten u. s. w. haben bei der Abrechnung denjenigen Betrag zu erstatten, welcher auf die abgeschätzte Arbeitszeit entfällt. Wird demnächst im Streitfall eine andere durchschnittliche Arbeitsdauer festgestellt, so ist die Differenz nachträglich auszugleichen.
Die Versicherungsanstalt ist befugt, für die Berechnung des vom Fabrikanten u. s. w. zu erstattenden Betrages weitere Bestimmungen zu erlassen. Dieselben bedürfen der Genehmigung des Reichs-(Landes-)Versicherungsamts.
Die Hausgewerbetreibenden können mit den Fabrikanten u. s. w. vereinbaren, daß letztere bei der Abrechnung die Hälfte desjenigen Betrages zu erstatten haben, welchen die Hausgewerbetreibenden für sich und die von ihnen beschäftigten versicherungspflichtigen Hülfspersonen für Beitragsmarken thatsächlich entrichtet haben. Ist der Hausgewerbetreibende von mehreren Fabrikanten u. s. w. beschäftigt, so hat sich eine solche Vereinbarung auch darauf zu erstrecken, wie der von ihnen zu erstattende Gesammtbetrag auf die einzelnen Fabrikanten u. s. w. zu vertheilen ist. [327]
Die Fabrikanten u. s. w. sind berechtigt, die Verpflichtungen des Arbeitgebers für ihre Hausgewerbetreibenden und die von denselben beschäftigten Versicherungspflichtigen Hülfspersonen ganz oder zum Theil selbst zu übernehmen. Von der erfolgten Uebernahme hat der Fabrikant der unteren Verwaltungsbehörde Kenntniß zu geben, welche dem zuständigen Organe der Versicherungsanstalt und in den Fällen des §. 112 des Gesetzes den mit der Einziehung der Beiträge und der Entgegennahme der Meldungen betrauten Stellen Nachricht giebt.
Soweit es sich um die Entrichtung der Beiträge für die Hausgewerbetreibenden selbst handelt, können den Fabrikanten u. s. w. die Verpflichtungen der Arbeitgeber von der für ihren Betriebssitz zuständigen unteren Verwaltungsbehörde auferlegt werden. Gegen eine Anordnung dieser Art findet binnen zwei Wochen nach der Zustellung die Beschwerde an die höhere Verwaltungsbehörde statt; dieselbe entscheidet endgültig.
In den Fällen der Absätze 1 und 2 finden die Vorschriften der Ziffern 6 und 7 keine Anwendung. Vielmehr sind alsdann die allgemeinen Vorschriften des Gesetzes hinsichtlich der Beitragsentrichtung durch die Arbeitgeber entsprechend auf die Fabrikanten u. s. w. anzuwenden, und es ist die Hälfte der entrichteten Beiträge von den Versicherten zu erstatten.
Die Hausgewerbetreibenden sind in den Fällen der Ziffern 8 und 9 verpflichtet, über die Dauer ihrer Beschäftigung für eigene Rechnung und über die von ihnen im Gewerbebetriebe beschäftigten versicherungspflichtigen Hülfspersonen Verzeichnisse zu führen, aus welchen sich insbesondere die Dauer der Beschäftigung der letzteren ergiebt. Sie haben diese Verzeichnisse den sie beschäftigenden Fabrikanten u. s. w. auf Verlangen zur Prüfung vorzulegen. Die für den Betriebssitz des Hausgewerbetreibenden zuständige untere Verwaltungsbehörde ist befugt, Vorschriften über die Führung dieser Verzeichnisse zu erlassen und die ordnungsmäßige Führung sowie die Vorlegung der Verzeichnisse durch Geldstrafen bis zu fünfzig Mark zu erzwingen.
Für die Dauer vorübergehender Beschäftigung für eigene Rechnung haben die Hausgewerbetreibenden den vollen Beitrag für ihre Person, beziehungsweise den halben Beitrag für ihre Hülfspersonen selbst zu tragen.
Die Vorschriften der §§. 147 und 148 des Gesetzes finden auf die Fabrikanten u. s. w. in ihrem Verhältniß zu den Hausgewerbetreibenden entsprechende Anwendung.
Die Einrechnung des von dem Arbeitgeber den Hausgewerbetreibenden zu erstatteten Betrages in den Arbeitsverdienst ist unzulässig und ohne rechtliche Wirkung. [328]
Streitigkeiten, welche aus Anlaß vorstehender Bestimmungen zwischen den Organen der Versicherungsanstalten einerseits und den Fabrikanten, Hausgewerbetreibenden oder deren Hülfspersonen andererseits oder zwischen den Fabrikanten und den Hausgewerbetreibenden darüber, ob und welche Beiträge zu entrichten sind, entstehen, werden nach §. 122, Streitigkeiten über Berechnung und Anrechnung der für Hausgewerbetreibende oder deren Hülfspersonen zu entrichtenden Beiträge, unbeschadet der Bestimmung in Ziffer 7, nach §. 124 des Gesetzes entschieden.
Soweit im Vorstehenden keine besonderen Bestimmungen getroffen sind, erfolgt die Erhebung der Beiträge für die Hausgewerbetreibenden nach den für die Durchführung der Invaliditäts- und Altersversicherung erlassenen allgemeinen Vorschriften.
Die vorstehenden Bestimmungen treten am 2. Juli 1894 in Kraft.
Für Versicherte, welche auf Grund der vorstehenden Bestimmungen der Invaliditäts- und Altersversicherung unterstehen, tritt, wo nach §§. 156, 157, 159 und 160 der Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes entscheidend ist, an dessen Stelle der Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Bestimmungen.
Berlin, den 1. März 1894.
Der Reichskanzler.

In Vertretung:
von Boetticher.