Bei Hochwürden zu Tische
[156] Bei Hochwürden zu Tische. (Mit Abbildung Seite 145). Welcher Künstler hätte nicht sein Steckenpferd, das er mit Vorliebe reitet! Unser liebenswürdiger Genremaler Ed. Grützner hat, wie bekannt, das Leben der katholischen Geistlichkeit zu der eigentlichen Domäne seines Schaffens gemacht, und wir haben nicht verabsäumt, unsern Lesern manches dieser lebensvollen Gemälde zu reproduciren. Was die Grützner’schen Leistungen vor andern dieses Genres vortheilhaft auszeichnet, das ist im Gegensatze zu der absichtsvollen Satire in den Situationsbildern anderer Meister, denen der katholische Clerus hat Modell stehen müssen, eine gewisse harmlose Lebensfröhlichkeit, welche die Herren Caplane und Mönche bei den unschuldigen Freuden der Tafel und des Kellers aussucht und den poetisch angehauchten Darstellungen nur hier und da einen leisen Zug schelmisch lächelnder Ironie beimischt. Es ist eben nicht die mit Knütteln dreinschlagende Polemik eines polternden Pfaffenfressers, welche uns in den Grützner’schen Bildern entgegentritt, es ist ein in Linien und Farben sich gewissermaßen verstohlen aussprechender, ungemein feiner Sarkasmus, der ebenso wohl eine seltene psychologische Scharfsichtigkeit in den Details, wie den glücklichen Griff in der beziehungsvollen Wahl des Stoffes und dessen charakteristischer Gestaltung verräth. - Unser heutiges Bild, Grützner’s „Bei Hochwürden zu Tische“, spricht für ach selbst: Die hohe Geistlichkeit in lustiger Gesellschaft recht weltlich beim perlenden Rheinwein - und da ist sie ja auch, Hochwürdens jugendliche „Verwandte“, die unvermeidliche apostolische „Nichte“. Die Situation zeigt Leben in jeder Linie. Und wer könnte sie hier verkennen, die feine Ironie? Sie ist nicht vom Meister künstlich hineingelegt in sein Werk, sie ergiebt sich, Jedem greifbar, frei und ungezwungen aus der Situation selbst. Keiner von den vielen Hochwürden wird dem ewig heitern Grützner dieses Bildes wegen zürnen.