Beethoven (Grillparzer)
[86] Beethoven.
[Gestorben am 26. März 1827.]
Abgestreift das Band der Grüfte
Noch erschreckt, sich findend kaum,
Flog die Seele durch den Raum
Dünn und leicht gespannter Lüfte.
Ach, er hört, er hört den Laut! –
Stürmen jetzt wie Windesbraut,
Wehen nun wie Engelsschwingen,
Klänge nun wie Harfen klingen.
Welt an Welt, vom Schwunge heiß,
Und der äußerste der Sterne
Zeigt noch gleichentfernt die Ferne.
Wards Genuß schon, ists noch Qual?
Denn das Letzte wird zum Ersten,
Und des Ganzen keine Zahl. –
Dunkel nun. Ha Todes-Nacht,
Übst du zweimal deine Macht?
Aus des Dunkels Schoß gehoben,
Strahlt der Tag in neuer Pracht.
Und ein Land streckt seine Weiten
Gleich Oasen die sich breiten
Und durch seine Blumen schreiten
Männer, göttlich anzuschaun.
Klarheit strahlt aus ihren Zügen,
Lächeln schwebt um ihren Mund,
Gibt die Erd-Entnommnen kund.
[87] Doch der Angekommne, düster,
Stehet fern und blickt nicht um.
Gält es ihm, ihr leis Geflüster?
Aber plötzlich fällts wie Schuppen,
Offnen Sinnes eilt er hin,
Er erkennt die Meister-Gruppen,
Und die Meister kennen ihn.
Hebt den Finger, lächelt, droht.
„Bach, ich kenne dich, du Strenger!
Rächst du dein verletzt Gebot?“
Ritter ohne Furcht und Tadel,
Geht vorüber Gluck und weilt,
Nicht im Schreiten und enteilt.
„Haiden, Haiden! alter Vater!
Sei mein Schützer, mein Berater
Und der Alte faßt die Hand,
Küßt ihn auf die Stirn und weinet,
Doch war fröhlich was er meinet:
„Bravo, Scherzo, Allegretto!
Doch ists Blut von meinem Blut.
Ach, sie nennens, glaub’ ich, Laune,
Nun, ich war auch heitrer Laune,
Und das Ganze, wie so gut!“
Paisiello wagt sich nicht,
Wenn sie je und dann auch schaudern,
Zeigt doch Neigung ihr Gesicht.
[88] Höher fast um Kopfeslänge
Da teilt plötzlich sich die Menge,
Und der Glanz wird doppelt Glanz,
Mozart kommt im Sieges-Kranz.
Und der Fremdling will entweichen:
Als ich stand bei meines Gleichen,
Schien ich bis hierher zu reichen,
Aber hier? den Besten gleich?
Wo ich irrte, was ich fehlte,
Kühn gewagt, zu leicht erlaubt,
Hat mir Mut und Kranz geraubt.“
Und der Meister wiegt das Haupt.
„Frage hier die Siegs-Gefährten,
Doch kein Tadel folgt Verklärten,
Und der letzte Schritt auf Erden
Macht den letzten Fehler gut.
Geister können ja nicht sünd’gen!
Nach es ahmen in Geduld,
Ihnen ist, nicht uns die Schuld.
Knaben lehrt man Silben scheiden,
Da genügt wohl Meister Duns;
Großes schaffen lernt von uns.
Denn selbst Gift, an rechter Stelle,
Wird der Heilung frohe Quelle;
Rechtes, ohne Maß und Wahl,
[89] Wer auch Richter über dir?
Starke Könige der Seelen,
Lassen wir vom Volk uns wählen,
Doch, gewählt, gebieten wir;
Ob man klügelt, was man lehrt,
Läßt es sich kein Jota rauben,
Hats durch Wunder sich bewährt.
Drum tritt ein, sei nicht beklommen!
Es ist dein, was du genommen,
Und dein Wagen ist dein Wert!“
Ausgesprochen hat der Meister,
Endlos wächst der Chor der Geister,
Wirds von Grüßenden nicht leer.
Shakespeare winkt ihm mit den Händen,
Zeigt Lope de Vega ihn,
Klopstock, Dante, Tasso wenden
Einer nur steht noch im Weiten,
Wartet bis die Flut verrinnt,
Kommt jetzt näher, hinkt im Schreiten,
Kräftig sonst und hochgesinnt.
Mißt ihn jetzt mit stolzem Blick,
Beut ihm schüttelnd dann die Rechte,
Wirft das Auge scheu zurück:
„Bist du gern in dem Gedränge?
Sieh dort dunkle Buchengänge,
Laß uns miteinander gehn!“