BLKÖ:Orges, Hermann Ritter von
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich | |||
---|---|---|---|
korrigiert | |||
<<<Vorheriger
Orgéni, Aglaja |
Nächster>>>
Oriani, Barnabas | ||
Band: 21 (1870), ab Seite: 92. (Quelle) | |||
[[| bei Wikisource]] | |||
Hermann Ritter von Orges in der Wikipedia | |||
Hermann Ritter von Orges in Wikidata | |||
GND-Eintrag: 117144908, SeeAlso | |||
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
| |||
|
[WS 1] Ritter von (Publicist, geb. zu Braunschweig 12. April 1821). Sein Vater diente in der westphälischen Artillerie und stand mit dem bekannten General von Radowitz in kameradschaftlichen Beziehungen, was denn auch zur Folge hatte, daß der Sohn Hermann[WS 1] O., nachdem er das Gymnasium und das Collegium Carolinum in seiner Vaterstadt Braunschweig beendet, im April 1838 als Kanonier bei der in Erfurt stationirten vierten preußischen Artillerie-Brigade eintrat. Im Herbste 1839 wurde er zum Besuche der Artillerie- und Ingenieurschule nach Berlin commandirt, legte folgeweise die Prüfungen zum Fähnrich der Artillerie, Officier der Infanterie und Artillerie-Officier ab und ward dem entsprechend auch befördert. Im Verlaufe seines dritten Schuljahres hörte er auch Vorlesungen auf der Universität, an welcher eben damals Schelling’s Auftreten die Gemüther erregte und um diese Zeit begann auch O. seine publicistische Thätigkeit. Im Jahre 1842 kehrte er zu seiner Brigade zurück und manche Umstände hatten sein Interesse für den Militärdienst gesteigert, so z. B. hatte er die Uebungen des zehnten deutschen Armeecorps im Lager zu Lüneburg mitgemacht und jenen des französischen Armeecorps im Lager zu St. Medard bei Bordeaux beigewohnt; Reisen in Frankreich, in der Schweiz, Deutschland und Spanien hatten seinen Blick geschärft, seinen Gesichtskreis mächtig erweitert, es galt ihm nun, das Vorwärtskommen in dem ihm lieb gewordenen Berufe sicherzustellen, und so meldete er [93] sich denn zum Besuche der Kriegsschule, für den Generalstab zu Berlin, wohin er auch nach gut bestandener Prüfung im Jahre 1845 commandirt wurde. Während der Berufsstudien an der Kriegsschule hörte O. auch Vorlesungen aus den exacten Wissenschaften an der Universität unter Dove, Peter Erman, Lejeune-Dirichlet, Gustav Rose, Karl Ritter, Martin Ohm, Ehrenberg u. A. und erlangte den Doctorgrad. Den vorgeschriebenen Dienst in den anderen Waffen leistete er bei dem vierten Dragoner-Regimente zu Deutz und beim zehnten Infanterie-Regiment in Breslau, bei welch letzterem er auch sein System des Turnens, das er als Turnlehrer der Brigadeschule zu Erfurt selbstständig entwickelt hatte, einführte, ein Verdienst, das von Seite des Regimentscommando’s auch anerkannt wurde. Die Studien des dritten Schuljahres, 1848, wurden durch die Ereignisse des 18. März in Berlin unterbrochen, welche ihn veranlaßten, um den Abschied bei der kön. preußischen Armee einzukommen. Die Ereignisse in Rendsburg am 24. März brachten O. dahin, wo er sofort der Artillerie zugewiesen und mit der Armirung von Rendsburg betraut wurde. In Folge der Märzvorgange aber gerieth O. mit den Officieren der preußischen Garde in solche Spannung, daß er den Militärdienst verließ. Nun einer alten Neigung folgend und da durch den Waffenstillstand die See wieder frei geworden war, ging er, nachdem er vorher noch einen Curs auf der Navigationsschule zu Hamburg gemacht, als Volontär-Matrose an Bord des nach Rio Janeiro unter russischer Flagge gehenden Schiffes „Wolga“, Capitän Fokkes. Zum beliebigen Verlassen des Dienstes berechtigt und zum Zwecke des längeren Aufenthaltes am Lande, wechselte er stetig mit den Schiffen, auf denen er diente. Durch aus den verschiedenen Welttheilen, die er besuchte, an die „Allgemeine Zeitung“ zu Augsburg gerichtete Serien von Briefen: „Aus Australien“, „Auf einer Reise um die Welt“, und als er als Steuermann auf der Brigg „Karl“, Capitän H. Baggesen, nach Liverpool gekommen: „Ueber die Industrie-Ausstellung zu London, 1851“, setzte er sich in Verbindung mit dem genannten Blatte, welches ihm gerade, als er 1851 wieder, nach dem Staatsstreiche (2. December 1851), in See gehen wollte, vorschlug, für dasselbe nach Paris als Berichterstatter zu gehen. Er nahm den Antrag an, ebenso wie die Aufforderung (1853), nach dem Orient zu reisen und endlich (1854) in die Redaction der „Allgemeinen Zeitung“ einzutreten, welcher er bis 1864 angehörte. Nach dem Tode des Besitzers, Baron von Cotta[WS 2], immer mehr erwachsende Schwierigkeiten in der Redaction, ferner Zerwürfnisse mit den Erben veranlaßten ihn, als ihm von maßgebender Seite Anträge, nach Wien zu kommen, gemacht wurden, zum Austritte aus der Redaction der „Allgemeinen Zeitung“, worauf er nach Wien übersiedelte und im Mai 1864 in den österreichischen Unterthansverband aufgenommen wurde. Orges’ Beziehungen zu Oesterreich, das eine Geisteskraft wie die seinige zu gewinnen suchte, während er selbst unter ihm mehr zusagenden Verhältnissen zu leben wünschen mochte, datiren schon aus der Zeit seines Redactionsantrittes bei der „Allgemeinen Zeitung“ und entsprangen aus seiner Auffassung des Weltganges der deutschen Nation im Allgemeinen und Oesterreichs insbesondere, welche eben ihm die Förderung [94] der Machtstellung und der inneren Entwickelung Oesterreichs nothwendig erscheinen läßt. Sein Streben für diese Ziele äußerte sich aber ebenso auf dem Gebiete der Tagespresse selbst, als auch durch Verbindungen, welche er nach und nach in Folge seiner publicistischen Thätigkeit gewann. Daß er dabei an große Schwierigkeiten stieß, begreift jeder, der mit den Redactionsverhältnissen großer Blätter nur einigermaßen vertraut ist. Zu diesen bei jedem großen Blatte mehr oder minder obwaltenden Schwierigkeiten gesellten sich aber bei der „Allgemeinen Zeitung“ noch andere aus den dort waltenden Personalverhältnissen entspringende. Die Besitzer des Blattes, sonst sehr ehrenwerthe Persönlichkeiten, glänzten durch eine unglaubliche Unkenntniß über die Aufgaben der Politik an sich, wie über die Natur der Presse und natürlich auch über den Gebrauch der Presse zur Erreichung bestimmter politischer Aufgaben und Ziele. Bis vor Orges’ Eintritt in die Redaction fehlte ein eigentliches Programm, dazu jede Organisation, ja man schien die Bedeutung einer Organisation, ungeachtet das Blatt hohe Politik trieb, gar nicht zu begreifen. Wenn sich dabei trotzdem Ordnung und Regelung fanden, so geschah dieß mehr durch die Macht der Dinge selbst, als durch den entscheidenden Einfluß eines leitenden Geistes, der, von einer gewissen Idee durchdrungen, darnach seine Verfügungen traf. Nun auch Orges, nachdem er in die Redaction eingetreten, war es nicht gelungen, die Annahme eines bestimmten Programms durchzusetzen, aber doch einigermaßen in dieses Chaos Ordnung zu bringen. Der zu befehlen gewohnte, mit einem organisatorischen Geiste begabte ehemalige Soldat, der nicht nur anzuordnen, sondern auch die Ausführung der einmal verfügten Anordnung zu überwachen pflegt, war hier ganz am rechten Flecke. Und Alles ging gut, ja diese Energie des ebenso militärisch als auch sonst noch tüchtig gebildeten jungen Mannes trug, gefördert durch die Bequemlichkeit der Uebrigen, welche froh waren, wenn ein Anderer für sie eingriff, so lange sie nur die Früchte dieser neuen schaffenden Thätigkeit ungestört genossen, bald ihre Früchte. Als aber diese sichtbaren Erfolge, an denen sie denn doch nicht den geringsten Antheil besaßen, ihre Eitelkeit zu verletzen begannen, jetzt wurde die Thätigkeit des energischen Arbeiters und theilweisen Reformators erschwert und wurden ihm alsbald allerlei Hindernisse bereitet. Wie oben bemerkt, hatte Orges immer Oesterreichs Interessen im Auge behalten, und obgleich seine specielle Redaction nur den französischen, belgischen und spanischen Artikel umfaßte, wußte er doch bis zum Jahre 1860 einen entscheidenden Einfluß auf den Charakter und Gang der „Allgemeinen Zeitung“ zu behaupten. Aus dem durch Lage und Verbindungen bedingten unbewußten, den Interessen der Mittelstaaten dienenden, folglich antipreußischen und Oesterreich zugewandten Organe, wurde mit einem Male ein bewußtes großdeutsches Blatt. Es ward vor Allem eine factische Unterordnung unter die österreichische Politik erzielt und mittelst der „Allgemeinen Zeitung“ und außerhalb derselben namentlich der Kampf gegen das „zweite Kaiserreich“ mittelst einer auf die Eigenthümlichkeit der Presse berechneten Tactik begonnen. Natürlich entsprangen für O. aus diesen neuen Verhältnissen neue und stets wachsende Conflicte mit den Eigenthümern des Blattes, welche nicht dieser Ansicht waren; [95] auch fehlte es nicht an verschiedenen Versuchen einflußreicher Personen, O. zur Einstellung seines Kampfes gegen den Franzosenkaiser zu bewegen. Daß dieser von Orges in der Presse gegen den Neffen des großen Kaisers geführte Kampf aus einer genauen Kenntniß der politischen Ziele desselben entsprang, dafür haben der Krieg im Orient, der Krieg in Italien, der Aufstand in Polen und jener der Maroniten in Syrien genug Belege geliefert. Bei dem halben Einverständnisse der demokratischen und revolutionären Parteien in Europa mit Louis Napoleon und bei dem durch die verwegensten und abgeschmacktesten Mittel genährtem Hasse der Kleindeutschen gegen Oesterreich war es gewiß keine geringe Aufgabe, zu Gunsten Oesterreichs eine Bewegung hervorzurufen, wie es jene war, welche in Süddeutschland im Jahre 1859 zu Tage brach und wer als Urheber derselben angesehen wurde, erhellt aus der (von Einigen, den Herren Sybel und Brater zugeschriebenen) Broschüre: „Die Fälschung der guten Sache durch die allgemeine Zeitung“, welche diesen unerwarteten Umschlag lediglich und allein auf die Thätigkeit des Redacteurs Orges bei der „Allgemeinen Zeitung“ zurückführt. Und gewisse, förmlich zu Schlagworten gewordene Phrasen, wie im Hinblicke auf Frankreich „Der zweite December“, „Das gekrönte Lorettenthum“; im Hinblicke auf Oesterreich „Das Donaureich“, „Die Neugestaltung Oesterreichs durch die Arbeit“ u. dgl. m. gingen aus der allgemeinen bald in die ganze europäische Presse über. Bei dieser Haltung wuchsen die Schwierigkeiten für O. zusehends, und gar, als nach der Schlacht von Magenta die kleinlich denkenden Eigenthümer des Blattes das sofortige Einstellen jeden Kampfes gegen Frankreich und für Oesterreich, „da letzteres doch verloren sei“, verlangten, kam es zwischen Orges und Freiherrn von Cotta zum offenen Bruche. Als der Hauptbesitzer des Blattes, Freiherr von Cotta, starb, fand O. keinen weiteren Anlaß, in Verbindung mit einem Organ zu bleiben, welches mit jedem Tage mehr seine einstige Bedeutung einbüßte und das nun, nachdem es früher über allen gestanden, von vielen jüngeren Blättern weit überflügelt ward. Mit Beharrlichkeit und Consequenz hatte O. ein großes Ziel unablässig verfolgt und demselben eine gesicherte Stellung zum Opfer gebracht. Seit dem Jahre 1851 war O. unermüdlich geschäftig gewesen, über Napoleon III., dem er den Staatsstreich nicht verzeihen konnte, eine moralische Isolirung in Europa, zunächst in Deutschland, dann aber auch in England und selbst in Frankreich zu verhängen. Im Hinblicke auf dieses Ziel suchte er aber eben derjenigen Macht zu dienen, bei welcher er einen dauernden Gegensatz gegen den Napoleonismus voraussetzen durfte, nämlich Oesterreich. So geschah es denn, daß O. nach Oesterreich übersiedelte, sobald seine Verbindung mit der „Allgemeinen Zeitung“ gelöst war. Orges, der schon von mehreren Mittelstaaten mit Orden decorirt worden, hatte früher schon österreichischerseits den Franz Joseph-Orden, später aber noch jenen der eisernen Krone 3. Classe erhalten, worauf mit Diplom vom 2. März 1865 seine Erhebung in den erbländischen Ritterstand erfolgte, und mit Allerh. Entschließung vom 30. Mai 1866 ihm Titel und Charakter eines Regierungsrathes verliehen wurden.
Orges, Hermann- Ritterstands-Diplom ddo. 2. März 1865. – Neue Preußische (Kreuz-) Zeitung [96] 1860, Nr. 42. – Deutsche allgemeine Zeitung (Leipzig, 4°.) 1864, Nr. 207. – Magazin für Literatur des Auslandes, herausgegeben von Lehmann, 1864, Nr. 37, S. 580. – Wappen. Quadrirter Schild. 1 u. 4: in Blau ein bluttriefender Pelikan im Neste mit drei Jungen, einwärts gekehrt; 2 u. 3: in Gold ein rother, silbern bespitzter Pfeil, schräglinks aufliegend. Auf dem Schilde ruhen zwei gekrönte Turnierhelme. Die Krone des rechten Helms trägt den in 1 und 4 ersichtlichen Pelikan sammt den Jungen, einwärtsgekehrt; jene des linken einen geschlossenen rothen Adlerflug, der von einem goldenen, mit einem rothen silbern bespitzten Pfeile belegten Balken schräglinks durchzogen ist. Die Helmdecken sind die des rechten Helms blau mit Silber, jene des linken roth mit Gold belegt.