BLKÖ:Manin, Daniel
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich | |||
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Band: 16 (1867), ab Seite: 373. (Quelle) | |||
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[374] Manin, ohne ein Abkömmling des berühmten letzten Dogen Venedigs, Manin, zu sein, führt denselben Namen in Folge einer Sitte, welche in der Republik Venedig zu ihrer Zeit herrschend war. Wenn nämlich in Venedig ein Israelit zur katholischen Kirche übertrat, wählte er sich den Taufpathen aus den hohen Geschlechtern des adelstolzen Freistaates, von denen in solchem Falle nie eine Zusage verweigert wurde. Der neue Täufling führte dann statt seines früheren Familiennamens den neuen der edlen Pathenfamilie, wie im alten Rom der Sclave, dem sein Gebieter die Freiheit schenkte, als Freigelassener die Namen seines früheren Herrn annahm, ihnen aber auch seinen eigentlichen Sclavennamen anschloß. Manin’s Großvater Samuel Medina wurde am 3. April 1759 getauft, sein Taufpathe war der Patrizier Ludwig Manin. Medina’s, nun Manin’s Enkel Daniel Manin, der jüngste Präsident der Republik Venedig, ist demnach von israelitischer Abstammung, und steht in gar keiner Verwandtschaft mit der Familie des letzten Dogen von Venedig, Manin. Da Daniel’s Lebenslauf bis zum Jahre 1848 in die Periode der österreichischen Verwaltung fällt, so wird in diesem Werke derselbe, jedoch nur in den äußersten Umrissen, mitgetheilt und dagegen auf die reichen Quellen gewiesen, welche Ausführlicheres über ihn enthalten. Manin’s Vater war Advocat, aber so arm, daß, als er starb, die Familie der Grafen Algorotti-Corniani für sein Begräbniß sorgen mußte. Daniel’s Vater war ein entschiedener Republikaner und er wie sein Lehrer Foramiti flößten dem Knaben neben republikanischen Grundsätzen Haß gegen Napoleon, Frankreich und Oesterreich ein. Mit allem Eifer warf sich Daniel auf die Studien; Philosophie, Rechtswissenschaft, Politik beschäftigten ihn unaufhörlich und erst 17 Jahre alt, war er bereits auf der Paduaner Hochschule zum Doctor der Rechte promovirt worden. Aber vor vollendeter Großjährigkeit war ihm die Laufbahn in der Oeffentlichkeit verschlossen. Er übte sich nun in der Beredsamkeit, und darin war sein Vater, der selbst mit großer Gewandtheit und mit Erfolg das Wort führte, sein Vorbild. Einundzwanzig Jahre alt, verheirathete er sich. Im Jahre 1830 machte er sich in Mestre, einer in unmittelbarer Nähe von Venedig befindlichen Ortschaft, als Advocat ansäßig. Dort lebte er zurückgezogen, mit einem kleinen Kreise von gleichgesinnten Freunden wie Zanetti, Minotto Dichter Tommaseo u. A., einen innigeren Verkehr unterhaltend. Der Aufstand in Bologna im Jahre 1831 riß ihn zuerst aus seiner politischen Unthätigkeit. Er verfaßte eine Proclamation, in welcher er das Volk offen zur Revolution aufrief. Der Aufstand, wie bekannt, wurde unterdrückt, Manin zog sich wieder in seine Einsamkeit zurück, in der er mehrere Jahre beharrte, als er aber aus derselben hervortrat, sich an allen das öffentliche Gemeinwohl betreffenden Verhandlungen, mochten sie politischer, socialer oder rein materieller Natur sein, mit einer Lebendigkeit, ja nicht selten mit einer Heftigkeit betheiligte, die oft alle Grenzen überschritt und immer in die zügellosesten, gewöhnlich durch nichts begründbaren Klagen gegen die Regierung gipfelten. In einer so aufregenden Weise trat er namentlich im Jahre 1838 öffentlich und selbst in der Presse auf, als das Project einer Eisenbahnverbindung zwischen Venedig und Mailand zur Sprache kam. Er bildete damals die sogenannte „italienische [375] Gesellschaft“ (Società italiana), für welche er immer neue Anhänger warb. Diese Agitation erweckte in nicht geringem Maße die Besorgniß der Regierung, aber Manin trat allen Vorkehrungen derselben mit dem festen Entschlusse entgegen, nur der Gewalt zu weichen. Auf diese Weise wuchs Manin’s Volksthümlichkeit. Die ganze Eisenbahnangelegenheit diente aber M. nur zum Vorwande, um seiner politischen Tendenz Eingang zu verschaffen, und diese war: durch eine Revolution, welche in Italien entstand, seiner Vaterstadt Venedig zu der durch ein halbes Jahrhundert eingebüßten Selbstständigkeit zu verhelfen. Nicht ein freies, ein einheitliches Italien kümmerte den Agitator, sein ganzes Denken und Trachten concentrirte sich in der Herstellung der Republik Venedig. Nach dieser Richtung war ihm jedes politische Ereigniß willkommen und versuchte er es wie nur möglich für seinen besonderen Zweck auszubeuten. Bald nachdem im Jahre 1846 die Wahl Mastai’s zum Papste als Pio IX. stattgefunden, begannen die politischen Wirren durch ganz Italien und nahmen einen immer intensiveren Charakter an. Manin, sich nicht mehr zurückhaltend, ergriff nun mit einer Verwegenheit, die allgemeines Staunen erregte, die Initiative. Er verfaßte am 21. December 1847 eine Petition, die er ganz allein unterschrieb und in der er im Wesentlichen verlangte, daß das lombardisch-venetianische Königreich ein nationales werde, mit einem Vicekönige an der Spitze, mit von dem Cabinete in Wien unabhängigen Ministern, die unmittelbar unter dem Kaiser selbst stehen; er forderte eine italienische Armee, getrennte Finanzen, ein Parlament für das Königreich, gewählt auf breitester Grundlage, öffentlich tagend und Gesetze und Lasten bestimmend, Freiheit der Gemeinde, öffentliches und mündliches Gerichtsverfahren, Freiheit der Presse, Nationalgarde, Ablösung der Lehen und allgemeine Revision der sämmtlichen bisher zu Recht bestehenden Gesetze. Diese Petition hatte weiter für das Allgemeine keine Folgen, aber ihr Autor, den man als nächsten Urheber der in Mailand, Vicenza und Treviso ausgebrochenen Unruhen betrachtete, wurde am 18. Jänner 1848 verhaftet. In der Haft selbst beharrte er energisch auf den ausgesprochenen Forderungen. Erst die Revolutionen, welche in Paris und Wien im März d. J. ausbrachen, gaben ihm die Freiheit wieder. Vom Volke am 18. März 1848 befreit und im Triumphe durch die Straßen der Stadt geführt, war es nun er, der die Bewegung organisirte. Die Ereignisse nahmen sofort unaufgehalten ihren Lauf. Die Militärbehörde in Venedig, an deren Spitze Feldmarschall-Lieutenant Ferdinand Graf Zichy stand, war rathlos. Als Befehl zur Entwickelung der Truppenmassen gegeben wurde, flatterten bereits die italienischen Farben von einem der drei Maste, die vor der Façade des Marcusthurmes stehen. Die Revolution, mit französischem Gelde bezahlt und gefördert, entwickelte sich unaufhaltsam, Manin wurde aufgefordert, eine neue Regierung zu bilden. Am 23. März 1848 überreichte er der Municipalität die Liste der Personen, welche die neue Regierung bilden sollten. Die Repräsentanten von Sardinien, der Schweiz und Nordamerika beeilten sich mit der Anerkennung des neuen Standes der Dinge. Manin nahm seine Stelle als Präsident der neuen Republik Venedig an. Der weitere Verlauf der Revolution ist bekannt; von allen Provinzen des Königreichs blieb nur eine, jene von Verona, im Besitze der [376] Kaiserlichen. Von dort aus vollführte Radetzky seinen Siegeszug und unterwarf alles Land, das die Revolution vom Gesammtstaate getrennt, dem Kaiser wieder. Nur Venedig leistete hartnäckigen Widerstand. Dort war der Fanatismus Manin’s in erstaunlicher Weise thätig. „So lange Venedig frei ist, so lange ist die Sache Italiens nicht verloren“, dieß war der Wahlspruch, der sein ganzes Handeln bestimmte. Ueber ein Jahr dauerte die Belagerung Venedigs. Alle revolutionären Regierungen, in Toscana, in Rom, in Ungarn, waren bereits bewältigt, nur Venedig hielt unter Manin noch Stand. Das Bombardement von außen, die Cholera von innen richteten grauenhafte Verwüstungen an. Am 11. August schrieb Bruck an Manin, ihn zur Capitulation auffordernd. Frankreich und England intervenirten. Die am 22. geschlossene Capitulation wurde am 24. unterzeichnet. Manin legte seine Macht nieder und am 27. August, am Tage, an welchem die Oesterreicher einrückten, schiffte sich Manin auf dem französischen Dampfer Pluto mit seiner Familie ein. Alles, was er mitnahm, war die Summe von 20.000 Francs, welche ihm die Municipalität im Namen der Stadt Venedig angeboten hatte. Manin verlebte sein Exil in Frankreich, und zwar zu Paris. Fest entschlossen, von Niemand etwas anzunehmen, weder von der Theilnahme seiner neuen im Exil gewonnenen Freunde, noch von Seite einer mit ihm sympathisirenden Partei, um weder den Regierungen noch sonst irgend Jemand einer Verbindlichkeit schuldig zu sein, lebte er in den niederen Verhältnissen eines Lehrers der italienischen Sprache und erhielt mit den kärglichen, durch Unterrichtertheilen gewonnenen Mitteln sich und die Seinen. Der Tod seiner Tochter Emilie, eines Mädchens von 18 Jahren, voll schöner Geistesgaben, gab seiner ohnehin geschwächten Gesundheit den letzten Rest. Seiner Gesinnung nach blieb er zwar Republikaner und hoffte immer auf eine Gesammterhebung Italiens, verwarf jedoch die Mittel und Wege der Mazzinistischen Partei. Wiederholt ermahnte er in französischen und englischen Zeitschriften seine Landsleute zur Mäßigung und erklärte, daß die Umgestaltung Italiens nur in der Weise zu erwirken sei. wie sie die piemontesische Regierung anstrebe. Er starb in einem Alter von 57 Jahren. Manin war einer jener entschieden unbeugsamen Charaktere, welche durch ihre Beharrlichkeit mächtig in die Geschicke der italienischen Halbinsel eingegriffen und den Zustand der Dinge, der heute dort Platz gegriffen hat, mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln vorbereitet haben. In Turin wurde ihm im Jahre 1861 ein Denkmal gesetzt und dasselbe am 22. März g. J. in feierlicher Weise enthüllt. An der Aufstellung des Monumentes haben sich Italiener und Franzosen gemeinschaftlich betheiligt.
Manin, Daniel (italienischer Agitator, geb. zu Venedig 13. Mai 1804, gest. zu Paris 22. September 1857).- Chassin, Manin et l’Italie (Paris 1859). – Martin (H.), Daniel Manin (1859). – Journal des Débats 1857, Nr. de la 14. Octobre: „Daniel Manin“, par Louis Ratisbonne. – De la Forge, Histoire de la Republique du Venise sous Manin, 2 vol. (Paris 1850). – Courrier de Paris 9. et 10. Octobre 1857: „Etude sur Manin“, par F. Mornand [auch in der Pariser l’Illustration d. J. abgedruckt]. – Historisches Taschenbuch. Herausgegeben von Friedr. v. Raumer (Leipzig, Brockhaus), Vierte Folge, zweiter Jahrgang (1861), zweiter Aufsatz: „Daniel Manin“. Von Hermann Reuchlin. – Wiener Zeitung 1862, Abendblatt Nr. 152, S. 606: „Aus Böhmen nach Italien, März 1848°. – Nouvelle Biographie générale ... publiée par MM. Firmin Didot frères, sous la direction de M. le Dr. Hoefer (Paris 1850, 8°.) Tome XXXIII, p. 218–226 [mit [377] reichem Quellen-Apparat]. – Rovani (Giovanni Vittorio), Memoria storica di D. Manin presidente e dittatore del governo di Venezia (Torino 1850, 8°.). – Wenn Oettinger in seiner „Bibliographie biographique universelle“ (Bruxelles 1854, „J. J. Stiènon), tome I, p. 1071, von Manin schreibt: „On sait que le dernier doge de Venise appartenait à la même famille“, so ist dieß ein Irrthum, der aus der Darstellung obiger Lebensskizze, und zwar gleich am Eingange derselben berichtigt wird.