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BLKÖ:Madách, Emerich

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Madács, Peter
Band: 16 (1867), ab Seite: 227. (Quelle)
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Madách, Emerich (ungarischer Dichter und Landtags-Abgeordneter, geb. zu Alsó-Sztregowa im Neograder Comitate 20. Jänner 1820, gest. zu Balassa-Gyarmath in der Nacht vom 4. auf den 5. October 1864). Sein Vater, gleichfalls Emerich (geb. 18. September 1781, gest. 3. Jänner 1834) war ein begüterter und einflußreicher Edelmann des Neograder Comitates, seine Mutter Anna eine geborne Majthényi. Seine Studien beendete der Sohn in Pesth, und schon in früher Jugend beschäftigte er sich mit der schönen Literatur und versuchte sich in lyrischen Dichtungen. Nachdem er die Studien beendet. kehrte M. in seine Heimat zurück, und betheiligte sich am politischen Leben des Neograder Comitates. Durch seine Freisinnigkeit, Entschiedenheit und volksthümliche Beredsamkeit erwarb er sich allgemeine Achtung und großen Einfluß, ohne jedoch eines der ihm angebotenen Aemter anzunehmen. Auch war er im Interesse seines Vaterlandes publicistisch thätig und schrieb pseudonym in den politischen Blättern der Landeshauptstadt in wichtigeren Tagesfragen Leitartikel, welche gerne gelesen wurden. Die Ereignisse des Jahres 1848 hatten auch für ihn, obgleich er an denselben keinerlei thätigen Antheil genommen, nachhaltige und schmerzliche Folgen, die auf sein Familienleben und seine Gemüthsstimmung verderblichen Einfluß übten. Nach den Ereignissen der Jahre 1848 und 1849 und nach einer mehrmonatlichen Haft kehrte er zur schönen Literatur zurück, und nun schuf er die Dichtung „Die Tragödie des Menschen“ (Az ember tragediája), welche seinen Ruf begründete. Als er im Jahre 1861 in Folge des politischen Umschwungs in Ungarn in den Landtag gewählt wurde, nahm er seine Dichtung mit, welche durch einen Freund Madách’s und Arany’s Letzterem zur Durchsicht übergeben wurde. Arany als Schriftsteller, Redacteur und Director der Kisfaludy-Gesellschaft vielbeschäftigt. dann durch die Richtung, welche die gleichzeitige poetische Literatur in seiner Heimat nahm, gegen jüngere Talente mißtrauisch geworden, ließ die ihm anvertraute Handschrift längere Zeit unbeachtet liegen, bis er auf wiederholtes Drängen der Freunde des Dichters einen Blick hineinwarf. Nun aber erkannte er darin auf den ersten Blick das Werk eines bedeutenden Talents, eines ungewöhnlichen Geistes, und schon in der nächsten Versammlung der Kisfaludy-Gesellschaft las er einige Bruchstücke daraus vor, welche großes Aufsehen, und mit Recht, erregten. Bald wurde nun die ganze großartige Dichtung von der Kisfaludy-Gesellschaft selbst unter dem Titel: „Az ember tragédiaja. Drámai költemény“, d. i. Die Tragödie des Menschen. Dramatisches Gedicht (Pesth 1862, Gustav Emich, 2. Aufl. 1863, 8°.) veröffentlicht. Sie bildet den 4. Band der von dieser Gesellschaft herausgegebenen, durch ihren Inhalt besonders hervorragenden Originalwerke und Uebersetzungen. Nun wurde er auch von der Kisfaludy-Gesellschaft und von der ungarischen Akademie unter die Zahl ihrer Mitglieder ausgenommen. In beiden Eigenschaften hielt er, wie üblich, Antrittsvorträge, deren einer „die Frauen“ zum Gegenstande hat. Auf dem 1861ger Reichstage hielt er zur Beschlußpartei und in seiner in der 31. Sitzung des Repräsentantenhauses (am 28. Mai) gehaltenen Rede widerspricht er der Ansicht, daß der civilisatorische Beruf der Deutschen im Osten zu suchen sei. Bach den „Erfinder der demokratisch-absoluten Regierungsform“, Schmerling den „Erfinder der [228] absolutistischen Demokratie“ nennend, weist er den Vorwurf, der den Ungarn gemacht wurde, daß sie auf revolutionärem Boden stehen, entschieden zurück. „Unsere Nachbarn“, ruft er, „sagen, daß wir auf revolutionärem Boden stehen. Wenn derjenige auf revolutionärem Boden steht, der die historischen Rechte mit Füßen tritt, derjenige, der jeder Pietät sich entledigend, mit Gewalt neue Institutionen an die Stelle der umgestürzten alten setzt, so sind sie es, die sich auf revolutionärem Boden der conservativen ungarischen Nation gegenüber befinden, und ist es Europa’s Interesse, uns gegen sie zum Siege zu verhelfen, damit wir nicht durch unerträgliche Quälereien auf jenes Feld gedrängt, die Zahl jener gemordeten Nationen vermehren, von welchen eine im vorigen Jahre verjüngt und drohend, von den Todten auferstand (Italien), das blutige Gespenst einer andern aber gleich dem Geiste Banquo’s fortwährend die europäische Diplomatie in Schrecken erhält (Polen).“ Nach Auflösung des Landtages kehrte er in seinen Geburtsort zurück, und erlag dort, ein paar Jahre später – erst 44 Jahre alt – einem Herzleiden. Viele seiner Geistesproducte hat M. selbst bei Lebzeiten verbrannt. Anderes, was wohl verschont geblieben, dürfte aus dem Nachlasse veröffentlicht werden. Man sprach, daß sich darunter ein Gegenstück zu seiner „Tragödie des Menschen“, nämlich eine „Komödie des Menschen“ befinde, doch will man wissen, daß dem nicht so sei, und zu diesem Gerüchte der Umstand Anlaß gegeben habe, daß Madách ein humoristisches dramatisches Gedicht unter dem Titel „Tündézalom“, d. i. Feentraum, nahezu vollendet hinterließ, wovon auch im Jahre 1864 im „Koszorú“, d. i. Der Kranz, ein Bruchstück gedruckt erschien. Madách war mit Elisabeth Fráter vermält und stammen aus dieser Ehe zwei Kinder, ein jetzt achtzehnjähriger Sohn Aladár und eine jüngere Tochter Barbara. Der Losonczer reformirte Pfarrer Gabriel Kiß sprach bei seiner Leichenfeier die bezeichnenden Worte: „Der Verblichene hat überall, wo Opfer zu bringen waren, Opfer gebracht, wo zu kämpfen war, gekämpft, wo frei gesprochen werden durfte, gesprochen, und wo das Leben zu wagen war, selbst sein Leben eingesetzt. Er war, mit einem Worte, ein Diamant, welcher stets glänzte, von welcher Seite man ihn auch betrachten mochte“. In neuester Zeit (1865) ist seine Tragödie des Menschen in vollständiger Verdeutschung von Alexander Dietze, welche als gelungen bezeichnet wird, bei Adolph Kugler mit einem Vorworte von Deák Farkas erschienen.

Illustrirte Zeitung (Leipzig, J. J. Weber, Fol.) Jahrg. 1864, Nr. 1116: „Der ungarische Faustdichter Emerich Madách“. – Magazin für die Literatur des Auslandes, herausg. von Lehmann (Leipzig, 4°.) Jahrg. 1864, S. 702. – Pesther Lloyd 1862, Nr. 33, eine literarisch-kritische Studie über Madách’s Dichtung „Die Tragödie des Menschen“ von A.(dolph) D.(ux); – derselbe 1864, Nr. 233: „Madách“ [biographische Skizze]; – derselbe 1864, Nr. 233 [in den Notizen]. – Ungarische Nachrichten (Pesther Blatt) 1863, Nr. 6 u. f.: Bruchstück einer deutschen Uebersetzung von Alexander Dietze der Dichtung „Tragödie des Menschen“ von E. Madách. – Wiener Zeitung 1864, Nr. 246, S. 99. – Neue freie Presse (Wiener politisches Blatt, Fol.) 1864, Nr. 43. – Pest-Ofner Zeitung 1861, Nr. 134. – Fremden-Blatt (Wien, 4°.) 1864, Nr. 279. – Breslauer Zeitung 1864, Nr. 475. – Hazánk s a külföld 1864, S. 8 [gibt das Jahr 1823 als Madách’s Geburtsjahr an]. – Nagy (Iván), Magyarország családai czimerekkel és nemzékrendi táblákkal, d. i. Die Familien Ungarns mit Wappen und Stammtafeln (Pesth 1860, Moriz Ráth, 8°.) Bd. VII, [229] S. 224–228, mit ausführlichen genealogischen Nachrichten über Madách’s Familie und mit zwei Stammtafeln. – Der ungarische Reichstag 1861 (Pesth 1861, Carl Osterlamm, 8°.) Bd. II, S 53–59. – Porträt. Unterschrift: Madách Imre. Holzschnitt. Ruß sc. (4°.). – Madách’s äußere Erscheinung und als Redner. Im Jahre 1861 erschienen in den ungarischen Journalen mehrere geschriebene Silhouetten der ungarischen Deputirten des 1861ger Landtages. Von Madách wird folgendes Bild entworfen. „Eine der originellsten Erscheinungen des Repräsentantenhauses ist Emerich Madách. Blonde Haare, ein Profil von slavischem Typus, ein nach Art der Chinesen herabhängender Schnurbart, aber eine ungarisch fühlende Brust und ein mit europäischer Bildung genährter Kopf. Seine Beredsamkeit ist nicht flammender Natur, sie ist ein stilles Feuer, welches zeitweise knistert und dann mit der Leuchtkugel eines originellen Einfalles oder einer ganz neuen duftenden Phrase eines drastischen aber nicht unschönen Bildes das lachende Publicum überrascht. Wer seine Rede durchgelesen, wird den Unterschied herausgefühlt haben, der zwischen ihm und den eigentlichen Phrasendrechslern besteht; seine Bilder sind nämlich nicht gesucht, sondern die natürliche Einkleidung seiner Ideen. Seine Redefiguren sind nicht hohl, sondern enthalten vielmehr einen gesunden Gedanken[WS 1] ....“ – Zur literarischen Charakteristik Madách’s. Adolph Dux, der im „Pester Lloyd“ eine ausführliche ästhetisch-kritische Studie von Madách’s „Az ember tragédiája“, dem einzigen bisher erschienenen und dem eigentlichen Hauptwerke des Dichters, das seinen Ruhm begründete, veröffentlichte, faßt zu Ende sein Urtheil darüber folgendermaßen zusammen: „Ueber die Dichtung im Ganzen ein präcises Urtheil zu fällen, wie man es etwa über eine Tragödie, oder eine andere, wissenschaftlich festgestellten Regeln unterworfene Dichtung fällen kann, ist wenig dankenswerth, und hat seine unüberwindlichen Schwierigkeiten. In der dichtenden Phantasie, die einer Empfindung lyrischen Ausdruck gibt, die das Walten der sittlichen Weltordnung in einer dramatischen Handlung abspiegelt, kristallisirt sich das lyrische, das dramatische Gedicht nach bestimmten Gesetzen, ihre Dichtung wandelt, wie die Planeten, in sich gleichbleibenden Bahnen. Der Dichter jedoch, der die ewigen Plane der Gottheit erforschen will, folgt im besten Falle nur zur Hälfte den Gesetzen der dichtenden Phantasie, zur anderen Hälfte aber den Eingebungen seines reflectirenden Geistes; und diese sind mannigfach wie die Individuen. In den Werken solcher Dichter herrscht im Vergleich mit anderen, bestimmten Regeln unterworfenen Gattungen Willkür, und waltet kein anderes Gesetz, als welches der Autor sich selbst vorschreibt. Solche Dichtungen sind Kometen der Poesie, und gleichen sich unter einander höchstens darin, daß das böse Princip am Ende unterliegt, daß dem guten Princip der endliche Sieg prophezeit wird. – Wie der Komet wird auch das Gemüth des Lesers, das in Folge der von unserem Dichter vorgeführten Schreckgebilde von Zweifeln gequält wurde, durch das Schlußwort des Herrn: „Kämpfe und vertraue!“ in eine sichere Bahn zurückgeleitet, in die des Glaubens. Doch wäre zu wünschen, daß der Dichter dieses versöhnende Ende nicht allein am Schluß der Dichtung zum Bewußtsein des Lesers brächte, sondern daß er es demselben früher hätte ahnen lassen. Es wird aber im Lauf der Dichtung weniger diese Ahnung, als der ihr entgegenstehende Zweifel geweckt, da der Dichter mehr dem ätzenden Geiste Lucifer’s als dem idealen Streben Adam’s seine volle Kraft zugewendet hat. Der göttliche Spruch: „Strebe und vertraue“ ist nicht allein das Resultat, zu welchem der titanische Geist nach langem Irren und Streben gelangt; – er war der Leitstern vieler großen Menschen, die diesem Spruch von vornherein folgten, denen er aus ihrem eigenen gottbegeisterten Herzen zugerufen wurde, die ihn nicht erst a posteriori erkannten. Der Dichter hätte demnach mehr Gelegenheit gehabt, vielleicht auch mehr den Drang fühlen sollen, dem ringenden Titanen glänzende Menschenbilder objectiv vorzuführen, die Vertrauen erwecken, anstatt Adam selbst in verschiedenen Größen erscheinen zu lassen, die an sich selbst zweifeln, und dadurch in der Brust des Lesers Zweifel erregen. Freilich erhebt sich Adam nach jedem Falle wieder und es geschieht dieß gewiß auf die allerüberzeugendste Weise, da der Dichter es durch unzweifelhafte historische Thatsachen ausdrückt. Allein auf diese Art wird dem Leser die bis zu Gott führende Zukunft der Menschheit gewissermaßen nur documentarisch, so zu sagen schwarz auf weiß bewiesen; es wird aber in ihm nicht der lebendige begeisternde Glauben an das Göttliche im Menschen [230] erweckt. Hiermit wollen wir keineswegs sagen, daß Madách nur ein reflektirender, kein poetischer Geist sei – wer über eine so melodische Sprache verfügt, wie dieses Werk sie an so vielen Stellen aufweist, ist ein echter Dichter, wenn auch nicht schon so viele echt poetische Einzelheiten der „Tragödie“ es bewiesen; daß diese Dichtung nicht zu voller erwärmender Wirkung gelangt, daran trägt unseres Erachtens nur das Mosaikartige der Composition Schuld, wodurch der Dichter sich selbst an der vollen Entfaltung seiner poetischen Kraft hinderte. Daß er aber bei der so Vieles umfassenden Composition durchwegs klar blieb und nirgends in jene Nebelhaftigkeit verfiel, deren Gefahr so nahe liegt, und in welche so viele poetische Weltgrübler grübelnde Poeten verfallen sind, ist ein nicht genug hervorzuhebendes Verdienst des Dichters. Auch hat er bei aller Geistesschärfe und dem stellenweisen Humor, mit welchem er in Lucifer den frivolen Gegensatz zum gläubigen idealen Streben des Menschen hinstellte, es wohl vermieden, die Frivolität durch unwürdige Bilder auszudrücken; in welchen Fehler mancher Dichter mit titanischen Tendenzen verfiel. Nebst der Vollständigkeit der Ausführung im Einzelnen, die wir im Namen der Poesie vermissen, wird der Leser in der vorliegenden Dichtung manches Moment von allgemein anerkannter Wichtigkeit und historischer Bedeutung entbehren, so z. B. die Reformation oder das heutige Ringen nach einem Austrag des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche. Die Abwesenheit dieser Momente ist jedoch kein Fehler; der Dichter hätte seinen Zweck auch dann erreicht, wenn er die Vergangenheit. Gegenwart und Zukunft der Menschheit nur durch je ein einziges Moment geschildert hätte – und es stand ihm frei, aus dem ihm gebotenen Stoffe zu wählen, wo und was er wollte. Wir erwähnen dieser Lücken nur, weil der Leser nicht verfehlen wird, sie zu entdecken, da nun einmal sein Blick vom Dichter auf das ganze Gebiet der Geschichte hingelenkt wurde; – noch wahrscheinlicher aber werden die Leser dieser Dichtung darin die nähere Berührung eines nationalen Momentes vermissen. Die ganze ungarische poetische Literatur ist national, ist patriotisch, nur diese einzige Erscheinung, die in eine von patriotischen Kundgebungen sich mehr als gewöhnlich auszeichnende Zeit fällt, ist so kosmopolitischer Natur, wie nur irgend eine Dichtung der Welt“.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Gedankern.