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Aus der guten alten Zeit (Gartenlaube 1869)

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Titel: Aus der guten alten Zeit
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aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 16
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[16] Aus der guten alten Zeit. Es sind in den annectirten Landestheilen der preußischen Monarchie zur Zeit nicht wenig Leute, welche die gute alte Zeit nicht allzuweit zurückverlegen. Wir wollen nicht näher untersuchen, ob diese Anschauungen irgendwie berechtigt sind, ein Hauptvorwurf in der Öffentlichen Meinung trifft bei der Erörterung dieser Frage in der Regel die Vertreter der conservativen Bureaukratie. Sei es uns erlaubt, einige auf strengster Wahrheit beruhende Mittheilungen bureaukratischer Absonderlichkeiten aus dieser neuesten „guten alten Zeit“ der Gartenlaube mitzutheilen, indem wir uns zugleich gegen die Annahme feierlichst verwahren, als tischten wir den geneigten Lesern Märchen auf.

An dem landwirthschaftlichen Institute zu N. N. war der Professor Az. lange Jahre Dirigent, gleichzeitig aber auch Regierungs-Referent für landwirthschaftliche Angelegenheiten. Diese Doppelstellung brachte den stets nach strengster Vorschrift verfahrenden alten Herrn in zahlreiche Conflicte. Alle Angelegenheiten, das genannte landwirthschaftliche Institut betreffend, referirte er treulich, mit seiner Namensunterschrift versehen, an sich selbst den Vertreter der Regierung, und ließ die darauf erfolgenden Entscheidungen und Verfügungen als Regierungsbeamter – gleichfalls wieder mit seiner Unterschrift versehen, an sich, den Director des Instituts, zurückgelangen und er, der Director, führte aus, was er, der Regierungs-Referent zu verfügen oder zu beantragen geruht hatte.

In dem sehr kleinen H.’schen Amte R. verwaltete ein Herr v. B. in einer Person den Posten eines Amtmanns, eines Rentmeisters und eines Landoberschultheißen, letzteres gleichfalls ein wunderbares Wort aus der „guten alten Zeit“.

Die Vereinigung der genannten drei Staatsämter bezweckte offenbar eine weise Sparsamkeit in der Verwaltung, welche jedenfalls auch anderwärts bestens zu empfehlen sein dürfte. Wie trefflich aber richtete sich der Herr Amtmann ein! Das alte Amthaus hatte Räumlichkeiten genug für verschiedene Abtheilungszimmer und so prangten dann vor der einen Thüre des Amtssitzes die imponirenden Worte: H.’sches Amt, vor der zweiten: H.’sche Receptur und vor der dritten H.’sche Landoberschultheißerei! Diese Einrichtung wurde nun auch streng im schriftlichen Verfahren und amtlichen Verkehr aufrecht erhalten.

Wenn das Rentamt (die Receptur) eine Zahlung an das H.’sche Amt zu leisten hatte, so erging aus dem zweiten Zimmer eine Zuschrift, mit der Unterschrift des Herrn v. B. als Rentmeister versehen, in das erste Zimmer, in dem Herr v. B. als Amtmann die Quittung ausstellte, die von da wieder in das zweite Zimmer gelangte. Hierauf begaben sich der Herr Amtmann und Rentmeister in einer Person in das dritte Zimmer, buchten die eingegangene Zahlung als Landoberschultheiß und ließen als solcher den nöthigen Bericht an die H.’sche Regierung gelangen, etwa lautend „Der H.’sche Rentmeister Herr v. B. übermittelte heute dem H.’schen Amtmann Herrn v. B. den Betrag von so und so viel, welcher unter demselben Datum an die unterzeichnete Landoberschultheißerei abgeliefert worden ist. Gehorsamst v. B., Landoberschultheiß.“ Dieser Geschäftsgang war ein wenig complicirt, aber jedenfalls streng nach Vorschrift.

Drolliger noch gestaltete sich die Sache, wenn irgend ein wenig informirter Amtsangehöriger bei der Landoberschultheißerei etwas zu bewirken hatte. Den Vertreter dieser Regierungsstelle kannte bei der geringen Ausdehnung des Bezirks freilich fast ein Jeder. Kam aber ein Uneingeweihter im Amthause durch Zufall an die erste Thür und frug nach dem Landoberschultheißen, so schickte ihn der Herr Amtmann mit einem förmlichen „Thür weiter!“ zurück. Der Unglückliche öffnet die zweite Pforte und dieselbe Persönlichkeit, der Herr Rentmeister, der sich indeß durch eine Seitenthür in jenes Gemach verfügt hatte, schmettert ihm abermals ein „Thür weiter“ entgegen, bis dann der betroffene Supplicant höchst erstaunt im dritten Zimmer endlich den Herrn Landoberschultheißen in höchsteigener Person trifft, der natürlich zu seinem Entsetzen abermals sich als derselbe gestrenge Herr darstellt. Mit den Localverhältnissen nicht vertraute Staatsbürger aus kleineren Ortschaften konnten unter solchen Umständen wohl an Teufelsspuk, mindestens aber an eine beabsichtigte Täuschung glauben.

Nun geschah es aber eines Tages – kein Wunder bei dem complicirten Geschäftsgang – daß der Herr Landoberschultheiß sich eines amtlichen Versehens gegenüber dem Rentamt (der Receptur) wenn auch ziemlich harmloser Natur, schuldig machte. Die Receptur berichtete darüber an das H.’sche Amt, und das Amt, das heißt der Herr Amtmann selbst, nahm die Landoberschultheißerei, das heißt wieder sich selbst, in eine gebührende Ordnungsstrafe von fünf Gulden. Hierauf berichtete das Amt nicht nur das Versehen der Landoberschultheißerei, sondern auch die vom Amt dictirte und an das Rentamt bereits bezahlte Ordnungsstrafe – immer wieder mit der gleichen Unterschrift versehen – an die H.’sche Regierung, welche dann allerdings die Sache mit einem Verweis an die dreifaltige Unterbehörde zurückgehen ließ.

Das vorstehend Erzählte ist buchstäblich wahr und jedenfalls auch ein charakteristisches Stückchen aus der „guten alten Zeit“!