Aus der guten alten Zeit
Wer hörte sie nicht schon preisen, die besseren Tage einer fernen Vergangenheit? Wen aber erfüllte diese sogenannte „gute“ alte Zeit nicht auch schon mit Entsetzen und Schauder, stand er vor den Denkmalen jener lang vorübergezogenen Epochen, in denen Fanatismus und Aberglaube sich häufig zu kaum noch begreifbarer Höhe gipfelten und – sagen wir’s offen – ebenso oft Unverstand und Dummheit sich mit einer an Unmenschlichkeit streifenden Grausamkeit verbanden? Voll Ungerechtigkeit den Nebenmenschen zu richten und zu strafen und in unerbittlich starrer Consequenz den Unschuldigen zum Schuldigen zu stempeln – das gehörte zum Wesen dieser Grausamkeit.
Wie Nürnbergs düstere Folterkammern und ihre auf jener romantischen, alten Hohenzollernschen Burg aufbewahrten Folterinstrumente unserer Ansicht nach höchst geeignet sind, alle romantischen Begriffe über die „gute“ alte Zeit zu berichtigen, so sind es auch jene furchtbarsten Denkmale des Aberglaubens, die alten [78] Hexenthürme, die wir noch hier und da auf deutscher Gau finden. Angesichts derselben fühlen wir uns mit Freude und Dankbarkeit darüber erfüllt, daß wir einem aufgeklärteren Jahrhundert angehören und Kinder einer in dieser Beziehung jedenfalls besseren Zeit sind.
Ein solches Schreckensdenkmal früherer Epochen wird in einem der anmuthigsten Thäler der Wetterau, im Dorfe Lindheim, aufbewahrt. Im Lindheimer Pfarrhause beglaubigen eine alte Chronik und vergilbte Documente die vor zwei Jahrhunderten daselbst geschehenen Thaten der Barbarei. Der wundervolle Park des stattlichen Lindheimer Herrenhauses umgiebt jetzt dieses schauerliche Denkmal der Vorzeit, einen alten Hexenthurm. Wie friedlich sich auch in nur geringer Entfernung von demselben die kleine Dorfkirche erhebt, wie reizend und freundlich die ganze herrliche Umgebung, durchströmt und durchfluthet vom hellen, warmen Sonnenglanz, sich im vollen Schmuck des Sommers auch zeigt, jene düstern alten Mauern breiten über alle Pracht und allen Zauber der Natur einen finsteren Schatten, und ihr Anblick bedrückt geradezu gewaltsam Seele und Geist. Vergebens beschwören wir sie herauf, die besseren Erinnerungen, die jenes alte Herrenhaus umwehen; vergebens erzählt man uns so viel von des Schlosses früheren Besitzern, dem edlen und vortrefflichen Gutsherrn von Schrautenbach, dem Freunde und Gönner des Grafen Nicolaus von Zinzendorf, und vielen anderen berühmten Männern, die im Anfange des vorigen Jahrhunderts dort so oft weilten und deren Namen im Dorfe unvergessen blieben; vergebens nennt man uns unter jenen Gästen des Herrenhauses die Namen des berühmten Spener, der Grafen von Stolberg und Isenburg, Zinzendorf sowie Anderer – die Berichte über den Lindheimer Hexenthurm sind so furchtbar und entsetzlich, daß ich nur mit bebender Hand die trostlose Stätte gezeichnet und unter der Beschäftigung mich immer und immer wieder am Blau des Himmels, am unendlichen Reiz der ganzen poesievollen Umgebung erquicken mußte, um das alte Schreckensdenkmal nur auf’s Papier bringen zu können.
Ja, in jenem Thurme, den jetzt die Ranken des üppigsten Schlingkrauts umwinden, den prachtvolle Bäume schattend umstehen, ketteten die Gewalthaber des Gesetzes von 1663 und 1664 die Unglücklichen, die man der Hexerei beschuldigte, an den Wänden an, so daß sie in schwebender Stellung entsetzliche Qualen litten. Sie durften bei der grausamen Execution des Verbrennens keinen Boden unter den Füßen haben, weil der Ueberlieferung zufolge eine verbrennende Hexe durch Berührung der Erde neuen Zauber säete. Jenes kleine Bogenfenster in der Mauer des Thurms, das heute so romantisch in den schattenreichen Park hineinschaut, diente ehemals als Zugloch und mußte jenes furchtbare Feuer in loderndem Brand erhalten, über dem unschuldige Menschen, den Aberglauben ihrer Zeit büßend, unter Höllenqualen ihren Geist aufgaben.
Wie auf unglaubliche Geschichten, blicken wir auf die Blätter in Lindheims Chronik, die über jene Jahre berichten, wo ein Amtmann Namens Geis in dem Dorfe regierte. Dieser Blutmensch brachte, theils um sich zu bereichern, theils um persönliche Rache zu befriedigen, seine Mitbürger als der „Hexerei und Zauberei“ Verdächtige in’s Gefängniß und ließ sie foltern und verbrennen. Wohlweislich hatte er sich zu seinen Schandthaten die Erlaubniß der Obrigkeit, der Burgherren und Ganerben – d. h. der zu gemeinsamem Zwecke, zu Schutz und Trutz verbundenen Burgherren, welche die Gerichtsbarkeit in Händen hatten – von Lindheim eingeholt. Daß sie aber auf seine Eingabe und Bitte um Vollmacht eine zustimmende Antwort ertheilten, ist ein Beweis dafür, eine wie entsetzlich abergläubische Verblendung damals auch in den höheren Kreisen herrschte. Amtmann Geis sagt in jener beglaubigten Urkunde vom 31. December 1662 wörtlich: „daß das leudige Zauberwerk wiederum in Lindheim stark im Schwange sei, daß ein Schmiedsgeselle an einem Trunke gestorben, den man ihm gebracht habe“, setzt dann hinzu: „wenn die hochadligen Gestrengen Lust zum Brennen hätten, wie schon anno 1650 geschehen, die Bürgerschaft das Holz liefern würde“, und deutet an, „daß das Vermögen der schuldig Befundenen nicht nur ausreichen würde, Brücke und Kirche gut in Stand zu setzen“, sondern auch „der Gestrengen Diener besser zu besolden“. Den Schluß des interessanten Briefes, in dem keine Silbe den Gesetzen der Orthographie gerecht wird, bilden die Worte: „Erwarten derowegen von Ew. hochadlige Gestreng gnädige Einsicht und Verordnung in dieser Sachen.“
Die umgehende Antwort lautet:
„Wir Baumeister und Ganerben des Schlosses Lindheim thun kund und bekennen kraft dieser Vollmacht, daß wir unseren getreuen Amtmann Georgium Ludovicum Geisium auf sein bittliches Fürstellen, wie das leudige Zauberwerk, so wir Anno 50 mit Feuer und Schwert zu vertilgen gemeint, wiederum Ueberhand genommen, ermächtigt haben, nach Kaiser Caroli V Halsordnung zu verfahren und das Hexengeschmeiß auszutilgen. Alles zu unserer getreuen Unterthanen Nutz und zur Ehr’ des dreifaltigen Gottes.
- Johann Hartmann von Rosenbach. Franz Christoph von Rosenbach. Henrich Herrmann von Oynhausen. Franz Rudolph von Rosenbach.“
Wohlthuend berührt uns in dieser Zeit der Verblendung, daß bereits Einige der Ganerben sich von einer derartigen Vollmacht ausschlossen und ihre Unterschrift versagten. Mit Bewunderung aber erfüllt uns geradezu das Benehmen Einzelner in der unglücklichen Opferschaar, der Muth, der Heroismus, mit dem sie die entsetzlichsten Qualen, den schrecklichsten Tod ertrugen, ohne ein Zugeständniß ihrer Schuld zu machen. Oft genügte schon die einfache Angabe eines Anderen, den sie der Zauberei anklagten, um sich selbst zu befreien und zu retten – dennoch starben Viele unter den Unglücklichen den Tod in den Flammen, ohne daß alle Martern sie hätten bewegen können, die eigenen Qualen den Mitmenschen aufzuerlegen.
Zu den Ganerben zählten die Familien Buches, Stockheim, Wolf von Wolfskehl, Schelmen von Bergen, Rosenbach, Pfrauenheim, Weiß von Fauerbach, von Büdingen, von und zu der Heese, Wallenstein, Reifenberg und viele andere noch jetzt in Oberhessen vertretene adelige Geschlechter. Mit besonderer Auszechnung nennt die Chronik von Lindheim indessen den Namen des Junkers Hans von Heese, welcher damals die Burg zu Lindheim bewohnte. Gleich guten Klang hat der Name seiner Tochter Bertha, von der wir später hören werden.
Durch die Vermittelung des Junkers von der Heese kam nun zwar zur Zeit von Lindheims Noth und Schrecken ein Abgesandter der Ganerben auf die Burg, um dem Unwesen zu steuern und Ungerechtigkeiten des blutdürstigen Amtmanns zu verhindern. Der Erwählte, ein Junker von Grünrodt, wurde indessen vom Amtmann gegen die Hexen und Zauberer eingenommen; er scheint alles Angeordnete gerecht und natürlich gefunden zu haben, denn den Urkunden zufolge that er keiner der Barbareien Einhalt, sah dem Foltern sogar zu, ging auf die Jagd und lachte seine einstmalige Spielgefährtin, die schöne Bertha, aus, weil sie sich die Strafe der Hexen zu Herzen nahm.
Viele Einwohner Lindheims suchten sich durch die Flucht vor dem Geschicke eines martervollen Todes zu retten, das Jeden zu bedrohen anfing, denn bald schon begnügte sich der Amtmann nicht mehr, alte Frauen zu verbrennen, nein, auch Männer wurden als Mitschuldige der Hexen erklärt, junge Mädchen und Frauen der Zauberei beschuldigt und sogar die kleinsten Kinder so lange nicht mit Foltern verschont, bis Rechtsgelehrte zu Büdingen, Fulda und Rinteln, die man über „die Gefahr, Hexenkinder zu schonen“, zu Rathe herbeizog, deren Unschuld nachwiesen und nur geboten: „durch vielstündiges Beten die List und Macht des bösen Feindes in ihnen zu brechen“. Die Lindheimer opferten nun lieber Habe und Gut, Haus und Heimath, um sich und ihre Kinder dem Amtmanne zu entziehen, und flüchteten in Berge und Steinbrüche, wo sie durch Barricaden, so gut es ging, Blut und Leben zu schützen suchten.
In dem vom damaligen Geistlichen des Orts geführten Buche befindet sich eine Stelle, die den klarsten Einblick in die Lage und Verhältnisse gewährt und über die Schreckensjahre von 1663 und 1664 berichtet. Sie lautet:
„Von der Bürgerschaft habe ich seit drei Tage Niemand gesehen; aus dem Dorfe kommt keine Menschenseele über die Brücke in die Burg, wenn nicht der Büttel eine Hexe vorüberschleppt. Sie haben schon zu Asche verbrannt Heinrich Kuhn’s Frau, den Bierbrauer und sein Weib und Wöppel. Bin nicht bei der Execution gewesen, sondern habe mit den armen Hexenleuten gebetet, ehe sie abgeführt wurden. War auch Niemand [79] von der Bürgerschaft dabei, denn allein die Henker. Metzlers Wittib und Andres Aukaß Frau, wie Just Vollbrecht haben sie am Galgen abgethan und an der Kirchhofsmauer begraben. Gott sei ihren Seelen gnädig!“
„Es ist so still im Ort, daß man meint, er wäre ausgestorben. Der Müller hat die Mühl’ stehen lasten. Wer mag auch an Brod denken, wo das Leben in Gefahr ist.“
„Bin heut’, Sonntag Jubilate, in die Kirche gegangen, hab’ aber Niemand darin gefunden, denn allein den Schulmeister und Nikolaus Kraft. Konnte kein Gottesdienst gehalten werden. Erzählten mir die Männer, wie die ganze Nacht hindurch der Zug Flüchtiger in den Steinbergswald gegangen und wie sie sich verschworen, dem Ersten den Garaus zu machen, der sie vor dem Amtmann bringen wolle.“
Des Ortsgeistlichen, eines Pfarrers Hölker, Bemühen, den Amtmann, der namentlich die Wohlhabenden dem Scheiterhaufen überlieferte und sich durch deren Eigenthum bereicherte, milder zu stimmen, war ohne Erfolg, denn dieser zeigte ihm die Vollmacht der Ganerben und drohte, den Mahner aus dem Hause zu werfen, wenn er sich gegen die Obrigkeit auflehne. Der wackere Mann sagte ihm laut Urkunde: „Reißt mich in Stücke, Herr Amtmann! Aber das Maul halt’ ich nicht dazu; denn es sind keine Hexenleute in Lindheim.“
Das Elend der Gefangenen, die in den engen Behältern des Hexenthurms so lange eingekerkert saßen, bis ihnen der Proceß gemacht wurde, der – wie mir scheint – nur in Foltern bestand, suchte des Burgherrn Heese Tochter, Bertha, zu mildern. Ihre Erscheinung, ihr Handeln zieht sich wie ein lichter Faden durch’s Dunkel der Lindheimer Schreckenszeit. Sie wußte die Wächter zu bestechen, daß sie sie in den Thurm ließen, um die durch’s Foltern entstandenen Schmerzen der Unglücklichen durch Balsam zu lindern und den armen „Hexen“ Nahrung zu bringen. Selbst als der Amtmann endlich Kunde von ihrem Thun erhielt, ließ er sie gewähren. Seine Opfer waren ihm sicher, und die schöne Bertha, die er liebte, wollte er nicht erzürnen, denn trotz aller Abweisung, die er erfuhr, gab er die Hoffnung, sie zu gewinnen, nicht auf.
Zu den ergreifendsten Beispielen des Duldens gehört Leben und Sterben eines der Hexerei angeklagten Weibes Namens Anna Kraft, der keine noch so furchtbare Marter die Geständnisse über Anderer Schuld entriß, die man von ihr erpressen wollte. Sie betete einzig auf der Folter, der sie auch erlag, denn als man sie zum Feuer schleppen wollte, saß sie mit gefalteten Händen und verklärten Zügen todt da, was aber nicht hinderte, daß sie noch durch Flammen vertilgt wurde. Unter den heroischen Geschichten nimmt folgende eines Ehepaars den ersten Rang ein. Des Amtmanns Geldgier brachte endlich auch den reichen Müller und sein junges Weib in den Thurm. Die unglückliche Frau wollte unter den Folterqualen verzagen, als ihr Mann ihr die Bitte zurief „kein Geständniß zu machen, das der Wahrheit entgegen sei, oder gar durch Angabe Anderer sich zu retten.“ – Sie ertrug danach Alles standhafter. Als später der Ortsgeistliche, des Burgherrn Tochter und mehrere Bürger sich verbanden, das allgemein beliebte Paar zu befreien, während der Amtmann eine Nacht abwesend war, da gestatteten die durch das Foltern zerrissenen Glieder der Müllerin nicht, sich zu erheben und mit Hülfe ihres Mannes das Fenster des Thurmes zu erreichen, das unsere Illustration zeigt. Alle Ueberredungen seiner Freunde daß er sich rettete, scheiterten darauf beim Müller. Er wollte sein Weib nicht verlassen. Sie aber richtete eine Gegenbitte an ihn, deren Erfüllung sie auch erzwang. Sie sagte: „Geh – eile! Bist Du frei, so zieh gen Speyer an’s Reichskammergericht oder zum Domdechanten von Rosenbach nach Würzburg! Da sage treulich, wie Dir und mir geschehen ist, die wir unschuldig sind!“
Als der Lindheimer Müller nun nach Würzburg kam, fand er den Domdechanten von Rosenbach nicht mehr dort. Er war bereits gen Lindheim aufgebrochen, dessen Lage er durch den Junker von Heese endlich erfahren. Der Müllerin konnte sein Kommen nicht mehr zum Segen gereichen. Sie war bereits verbrannt, als er an Ort und Stelle erschien. Dennoch kam er als rettender Engel gerade in dem Augenblicke in Lindheim an, wo der Pfarrer sein verzweifelndes Weib über die Brücke geleitete, die auch der Hexerei beschuldigt worden war. Der Geistliche wollte seine Frau auf ihrem Wege zum Kerker begleiten. Als nun der Herr von Rosenbach ihnen auf der Brücke begegnete, da entliefen die Büttel und Henker in großer Angst. Der Amtmann verbarg sich; die Pfarrerin aber war gerettet. Man stürzte nun zum Hexenthurm, auch rasch die übrigen Eingekerkerten zu retten.
Ich erzähle keine Märchen; alle von mir aufgeführten Fälle sind urkundlich festgestellt, und die Geschichte des Müller-Ehepaars ist der Chronik entnommen.
Mit eigenthümlich bewegtem Herzen betrachtet man in Lindheim noch heute die alte Steinbrücke, über welche die angeklagten Opfer zum Hexenthurm geschleppt wurden und auf deren verwitterten Quadern nun fröhlich und friedlich eine muthwillig heitere Dorfjugend ihre equilibristischen Kunststücke macht. Sehen wir im Hintergrunde jener alterthümlichen Brücke aber die poetisch gelegene Mühle mit ihren treibenden Rädern, in der ein intelligenter Müller mit seiner Familie haust, dann freuen wir uns beim Anblicke des friedlichen Bildes, beim Gedanken der gesicherten Existenzen arbeitsamer Menschen, daß kein Amtmann Geis sie mehr zerstören kann, daß die „gute“ alte Zeit, die so böse war, vorüber ist und sich eine neue, bessere Epoche auf der Grundlage der Menschlichkeit und Aufklärung erhob.
Die trotz der vernichtenden Gewalt der Zeit noch aufgefundenen Knochen der verbrannten Unglücklichen sind auf dem Kirchhofe beerdigt worden. – Die That ist geschehen – die Nachkommen wollten sühnen, was die Voreltern durch Aberglauben verschuldet hatten.
Wie verwachsen jene ganze frühere Schreckensperiode noch mit der Jetztzeit ist und wie lebhaft die Erinnerung an dieselbe im Volke fortlebt, ersahen wir bei der Fahrt durch die Berge Lindheims. In einer Schlucht hielt plötzlich der Kutscher, der sich bis dahin ganz stumm verhalten hatte, an und verkündete in fast feierlicher Weise: „Hier endete der Blutmensch Geis, Lindheims früherer Amtmann! Er verfolgte eine arme, Kräuter sammelnde Frau, sie der Hexerei zu beschuldigen – da stürzte sein Pferd mit ihm in den Abgrund hinunter, und er brach den Hals. Die Leute jener Zeit sagten, der Teufel habe ihn geholt, und bis zur Stunde heißt dieser Ort ‚die Teufelsschlucht‘.“
Die Teufelsschlucht ist ein reizendes Stück der schönen weiten Gotteswelt, wie denn überhaupt die Wetterau bezaubernd schöne Landschaftsbilder bietet. Sie werden sicher bei der übrigen Welt zur Geltung kommen, wenn die Eisenbahn erst die geheimen Schätze dieser stillen Gebirgsgegend erschlossen hat.
Wer übrigens das Schreckensdenkmal auf Lindheims ländlicher Flur erschaut, der wähne nicht: nur an einer so von der Welt abgeschiedenen Stelle sei möglich gewesen, daß der Aberglaube Wurzel schlug, derartig blühte und so schauerliche Früchte trug. Nein, Hexenprocesse und -Verfolgungen waren bekanntlich selbst Ende des siebenzehnten Jahrhunderts nicht einmal in den großen Städten ausgerottet. Ich erinnere nur an den Dresdener Hexenproceß „der Frauen von Neidschütz“ (1694), in welchem August der Starke die liebliche Sibylle von Neidschütz, die Geliebte seines Bruders Johann Georg, noch im Tode der Zauberei beschuldigte.
Als Junker von Grünrodt, der Abgesandte der Ganerben, um des Burgherrn von der Heese schöne Tochter, seine Jugendgefährtin, warb, die er lange schon liebte, da führte die edle Bertha, welche den Junker oft vergebens an seine Pflicht gemahnt hatte, ihn zum Fenster ihrer väterlichen Burg, und hindeutend auf den nahen Hexenthurm, in dem so viel Unschuldige den gräßlichsten Tod in den Flammen gefunden, sagte sie einfach: „Der Thurm liegt zwischen Dir und meiner Liebe, und die dort geschehenen Thaten scheiden uns für immer.“