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Aus der Schlacht von Bronzell

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Titel: Aus der Schlacht von Bronzell
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aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 279–282
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[279]
Aus der Schlacht von Bronzell.
Erinnerungen eines preußischen Officiers.

„Herr Lieutenant, es ist Zeit zur Ablösung!“

Diese wohlbekannten Worte weckten mich aus einem Mittagsschlummer, den ich mir in gewohnter Weise, als Entschädigung für die wiederum in Aussicht stehende schlaflose Nacht, gegönnt hatte. Wir standen in Hessen auf Vorposten. Wiederum hatten es die pfiffigen Herren Diplomaten so weit gebracht, daß deutsche Brüder, die lieber Arm in Arm zusammen dem gemeinschaftlichen Feinde entgegen marschirt wären, sich zürnend und mit Kampfesgedanken gegenüber standen. Hüben und drüben grollte man über dieses unnatürliche Zusammenhetzen, aber wir waren Soldaten und hatten nur zu gehorchen. Mir war das Glück beschieden, fast einen Tag um den anderen auf Feldwache ziehen zu müssen. Das trübe Licht des Novemberspätnachmittags zeigte mir die lange Streu in dem Officier-Zimmer der großen Bach-Mühle, dem Standorte unseres Bataillons seit mehreren Tagen, vollständig leer. Die Koffer und Mantelsäcke am Fußende der Lagerstätte deuteten die Plätze ihrer Besitzer an. Mäntel, Helme, Stiefeln lagen und standen umher, wo eben Platz war. Der einzige Tisch und die Fensterbreter waren mit Toilettengegenständen, Zigarrenkisten, Feldflaschen, Speiseresten, Gläsern bedeckt, zwischen denen hier und da der braune Schaft einer Pistole, eine halbaufgerollte Karte oder der zerfetzte Umschlag einer Broschüre hervorsah. Ein eiserner Ofen verbreitete angenehme Wärme. Durch die stark beschlagenen Scheiben erschienen draußen die in lange Mäntel gehüllten Figuren der Soldaten nur als undeutliche, graue Silhouetten, und ich gürtete daher mit leisem Seufzer, einen so heimlichen Ort verlassen zu müssen, die Schärpe um den Palletot. Vor der Thür standen die Offieiere des Bataillons rauchend und plaudernd beisammen, und ich erfuhr bald, die Mobilisirung der Armee sei ein Factum, der commandirende General habe die Doppelposten und Feldwachen besichtigt, sich dabei besonders gnädig und gesprächig erwiesen; es sei also unzweifelhaft, daß jetzt die Unthätigkeit ein Ende habe. Die Baiern, hieß es, würden sicherlich heute noch, oder mindestens morgen, angreifen.

Unser Capitain war ganz glücklich und prophezeite eine baldige Schlacht. Sein wohlwollendes Gesicht strahlte von Inspiration. Jede seiner Behauptungen wurde durch nachdrückliche Gesticulation der rechten Hand unterstützt, während die linke den Degengriff fest umfaßt hielt. Manchmal glitt ein schneller, prüfender Blick des lebhaften blauen Auges über die Gesichter seiner Zuhörer; da dieselben aber nur gespannteste Aufmerksamkeit und unbedingtesten Glauben zeigten, so wurden nach jeder solchen Vergewisserung die Prophezeiungen immer kühner. Mein Dazwischentreten gab, wie es schien, willkommene Gelegenheit, die Voraussagungen gerade zur rechten Zeit abzubrechen.

„Ich gratulire, Herr Lieutenant,“ rief er mir zu, „Sie sind ein Bevorzugter des Himmels. Just heute, in einem so kritischen Momente, auf Vorposten, gleichsam als Vorkämpfer berufen zu sein – Avancement und Orden können da gar nicht ausbleiben!“ Wenn schon weit entfernt, solchen Jünglings-Hoffnungen noch irgendwie nachzuhängen, empfand ich als Officier doch Freude, endlich einmal ins Feuer zu kommen. Ich sagte den Cameraden ein flüchtiges Lebewohl und marschirte mit meinen Leuten nach unserem Posten ab. Der Weg dahin war nicht weit. Er führte wenige hundert Schritte in der Landstraße auf den Kamm einer Hügelreihe. Mein rechter Flügelposten stand an dem Absturze dieser Höhe in die Ebene. Nach links hatte ich Verbindung mit der Postenkette eines westphälischen Regimentes. Vor mir barg eine Waldecke, welche die Landstraße berührte, ein Ulanen-Detachement, in dessen Officier ich einen Cadetten-Cameraden wiedergefunden, und mit ihm gemeinsame Maßregeln verabredet hatte.

Die Leute auf den Posten zeigten, trotz eines abscheulichen scharfen Windes, der zeitweilig Regen, Schnee und Hagelschauer in die Gesichter trieb, den allerbesten, frohen Muth. So schrieb ich denn zufriedenen Sinnes, nach geschehener Besichtigung meiner Stellung, den üblichen Rapport an den Vorposten-Commandeur. Nicht lange darauf rief mich eine Meldung auf die Landstraße. Vor den schußfertigen Gewehren des Doppelposten stand ein elender, aber verschmitzt aussehender Bauer. Er führte einen großen, mit vier Ochsen bespannten Leiterwagen, auf welchem viele sehr ansehnliche leere Fässer lagerten.

„Wo kommt Ihr her?“ frug ich das Bäuerlein.

„Aus L.,“ war die Antwort.

„Und wohin fahrt Ihr und was soll’s mit den Fässern?“

„Bier holen, Herr Officier, Bier für die in L. liegenden Chevaux-Legers – drüben in F.“

Das war mir denn doch zu arg. Die durstigen Feinde schickten also ihre Abgesandten mitten durch unsere Vorposten nach unserem Hauptquartier, um Stoff für ihre trockenen Kehlen zu holen. Und der Durststiller der Strafbaiern war ein Hesse! Diese Gefälligkeit veranlaßte mich, dem biederen Hessen mit der flachen Klinge mehrere wohlgemeinte Hiebe auf den breitesten Theil seiner schlotternden Lederhosen, als Anerkennung für seinen Patriotismus, zu appliciren. Nun merkte der Schelm, er habe sich verrathen, deutete sehr beflissen mit der Peitsche auf unsere Ulanen und versicherte, für diese Chevauxlegers solle er das Bier holen. Ich bedauerte jetzt lebhaft das vorgefallene Mißverständniß lobte sowohl den Durst unserer Cavalleristen, als die Bereitwilligkeit des kleinen Mannes und bedeutete diesen, jetzt stehe seiner Fahrt nach F. natürlich Nichts mehr im Wege.

„Müller,“ commandirte ich einem Gefreiten, der mein Augenwinken sofort verstand, „begleiten Sie den Mann und sorgen Sie dafür, daß unsere Ulanen das Bier recht bald erhalten.“ Der erbärmliche Schlingel sah mich wohl einen Augenblick betroffen an; doch als ich dem Gefreiten, der, meiner Ordre nachkommend, schon auf dem Wagen Posto gefaßt hatte, einen flüchtig mit Bleistift geschriebenen Zettel mit den Worten reichte: „An den Vorposten-Commandeur, damit der Fuhrmann ungehindert passiren kann,“ setzte dieser sein Gefährt mit großem Gerumpel in Bewegung. In noch nicht einer Viertelstunde war die Meldung dieses Vorfalls in der ganzen Postenkette bekannt und der Bierkutscher besorgt und aufgehoben; denn in unsere Aufstellung hinein war er wohl gekommen, heraus führte für ihn vorläufig kein Weg mehr. Ich freute mich überaus, daß die durstigen Bavaren bald inne werden sollten, wie wir den Vorpostendienst nicht mit so großer Gemüthlichkeit ansahen, als sie, die da zu glauben schienen, über den Durst müsse auch der Feind jede andere Rücksicht vergessen. Warum heute gerade den feindlichen Kehlen das reichliche Ausspülen mit dem edlen Gerstensafte so nöthig war, das sollte ich bald genug erfahren.

Nach nicht allzulanger Zeit naheten sich unseren Doppelposten vielfache Trupps von Bauern, Bauerweibern und Kindern. Sie trieben weinend kleine Heerden von allerhand Hausthieren, Schweinen, Schafen, Gänsen und dergleichen vor sich her. Ein altes, graues Bäuerlein erzählte mir, daß die Baiern ihnen bisher täglich, ohne zu fragen und ohne zu bezahlen, auf bloße Quittungen hin, eine Menge Vieh geschlachtet haben, mehr als sie zur Sättigung bedurften. Was nicht gebraten und gegessen worden, das sei blutig auf dem Felde liegen geblieben. Heute besonders sei die Schlächterei großartig gewesen; daher sei ihnen endlich nur der Ausweg geblieben, sich nach F., hinter unsere Truppen zu flüchten. Zurück dürften die Seinigen nicht, ohne sich den gröbsten Mißhandlungen auszusetzen, so bitte er nur für sich und seine Begleiter um freien Durchzug. Ohne Zögern ließ ich die armen Leute mit dem nöthigen Ausweis passiren.

Eben hatten sich die Letzten mit dankendem Händedruck von mir gewandt, das Blöken der Schafe, das Schnattern der Gänse hallte noch durch den Hohlweg zurück, da nahte sich mein Sergeant mit verlegenem Lächeln. „Herr Lieutenant,“ bat er, „würden Sie uns wohl heute ein kleines Extramahl erlauben?“

„Hier auf der Feldwacht? Wo wollt Ihr Proviant hernehmen? Haben die Musketiere im Dorfe einigen Hühnern die Köpfe abgedreht?“

„Nein, Herr Lieutenant, unsere Leute sind keine Marodeurs. Wir haben von dem alten Bauer, der dort seine Schafe forttreibt, einen Schöps unter der Bedingung erhandelt, daß Sie Ihre Genehmigung ertheilen würden; wenn also der Herr Lieutenant nichts dawider – –“

Gern gab ich meine Einwilligung und auch die Bezahlung zu dem Kauf. Mit bewundernswürdiger Geschwindigkeit brachten zwei Musketiere den errungenen Schöps herbeigeschleppt. Unter meinen Soldaten befand sich ein Schlächter. Er wurde sofort zum Calefactor ernannt. Schnell war der kriegerische Schmuck mit dem Costüm [280] eines Metzgers vertauscht, und unter der Assistenz mehrerer dienstbeflissener Musketiere hatte das Lamm bald sein Leben verhaucht. Während dessen schürten andere Soldaten von dem der Feldwacht gelieferten Holze im Schutze einer baufälligen Scheune ein flackerndes Feuer, dessen schwarzer Qualm in dicken, funkensprühenden Wolken dicht über die nasse, bereifte Erde dahinjagte. Ich überließ die eifrigen Köche ihrem Geschäfte, und als ich von einer Besichtigung meiner Posten zurückkam, präsentirte mir der Sergeant in irdener Schüssel eine tüchtige Portion gebratener Lammsleber. So wenig mir das weichliche Gericht auch zusagte, ich mußte davon genießen. Glücklicherweise halfen mir hierbei die Bauersleute, in deren Häuschen ich mein Hauptquartier hatte.

Noch in später Stunde schickte mir mein Hauptmann eine Flasche herrlichen Madeira, welche ich mit einigen Bevorzugten meiner Untergebenen theilte. Den von Posten gekommenen Musketieren erlaubte ich auf der bloßen Diele des engen Bauernstübchens zu schlafen, während ich, den Kopf auf den seitwärts gelegten, etwas zusammendrückten Helm gelehnt, aufmerksam jedem Geräusche lauschte. Die Stille der Nacht wurde aber nur durch das Heulen des Sturmwindes, das eintönige Picken der kleinen Schwarzwälder Uhr und zu bestimmten Zeiten durch die halblauten Meldungen der zurückkehrenden Posten und Patrouillen gestört. Um Mitternacht trat mich ein alter Schulcamerad, den ich als zweiten Unterofficier auf Wache bei mir hatte, mit der Bitte an, mit dem dritten Unterofficier eine Schleichpatrouille machen zu dürfen. Ich kannte seine wagehalsige, frische und manchmal wohl etwas unbedachte Jägernatur und wollte darum seine Bitte schon abschlagen. Doch er versprach so fest, den Stand und die Stärke der feindlichen Feldwacht zu erforschen, daß ich endlich nachgab. Freilich wagte ich dabei Etwas, denn unsere Instructionen waren eigenthümlicher und höchst subtiler Art. Damals hatte Herr v. Manteuffel das schöne Wort: „Der Starke weicht ruhig zurück,“ noch nicht ausgesprochen, aber wir armen Soldaten sollten es bereits in der Praxis ausführen. Wir hatten strenge Ordre, bei einem feindlichen Angriffe das Feuer zuerst nicht zu erwidern, sondern den Officieren der feindlichen Tirailleurketten zu sagen, wir ständen hier als Feldwache. Würden die Herren Cameraden diese Mittheilung nicht beachten, so sollten wir, wennschon mit Worten remonstrirend, doch bis zu einem bestimmten Terrain-Abschnitte zurückgehen, diesen dann aber mit äußerster Hartnäckigkeit und Todesverachtung vertheidigen. Solche Diplomaten-Instruction mochte unseren Generalen selbst wohl höchst peinlich sein; denn sie zeigten sich nur selten und flüchtig bei den Vorposten. Ich zog daraus den Schluß, es werde mit dem strengen Einhalten des anempfohlenen Rückwärtsrichtens wohl nicht so genau genommen werden. Demzufolge sagte ich meinen Leuten jedes Mal bei dem Aufziehen der Wache, nach der alten, Jedem wohlbekannten Feld-Instruction, wir seien eine Feldwache, das heißt eine Abtheilung der Vorposten, die einen bestimmten Terrain-Abschnitt beobachten und decken soll; dies sei das Terrain und wir werden unseren Zweck in Bezug auf dasselbe erfüllen. Das „Wie?“ sei Allen bekannt, das „Wie lange?“ sei durch die Ablösung auch ganz klar. Die übrigen Spitzfindigkeiten hielt ich für den praktischen Verstand meiner wackeren Polen und Schlesier überflüssig, und auch die derben Musketiere des westphälischen Regimentes meinten, auf mein Befragen, ob sie Befehle haben zurückzugehen: „da wissen wir der nix von!“

So mochten denn wohl alle Feldwachtbefehlshaber übereinstimmend in militairischem Geiste gehandelt haben; denn jedem war wohl, nach redlicher Erwägung, die Ueberzeugung geworden: hier handele es sich nicht um eine Subordination, dem Wortlaute telegraphischer Depeschen entsprechend, die jeden Augenblick wechseln konnten, sondern vielmehr um ein Handeln an Ort und Stelle, den Umständen gemäß, für das Beste des Dienstes und Vaterlandes, nach Pflicht und Gewissen, auf eigene Verantwortlichkeit. – Es ist erklärlich, daß ich unter so bewandten Umständen meinen Freund doch mit einiger Besorgniß abmarschiren sah, regte sich gleich ganz heimlich der Wunsch, die kleine Expedition möge nicht so ruhig verlaufen, sondern womöglich uns Allen zu thun geben. Nach Verfluß von zwei Stunden kehrte die Patrouille zurück. Der ersten kurzen, militairischen Meldung folgte, lachenden Mundes, der Bericht heiterer Einzelnheiten des Streifzuges.

„Nach einer Stunde beschwerlichen Marsches auf sehr schlechtem Wege,“ erzählte er, „der aber in der Aufregung leicht überwunden wurde, waren wir auf den Rücken eines Höhenzuges gelangt. Das ganze feindliche Lager zeigte sich von hier in einer Menge von Wachtfeuern, welche auf uns einen mächtig anziehenden Reiz ausübten. Ein unüberwindliches Verlangen regte sich in uns, die Postenkette zu durchbrechen. Nach einigen hundert Schritten erschallte ein lautes „Halt!“ „Hol’ Dich der Teufel,“ dachte ich still, antwortete aber nicht. Da verbot ein zweites, noch lauteres: „Halt, werda?“ unterstützt durch das deutlich hörbare Knacken des Gewehrhahnes, ein weiteres Vordringen. Der feindliche Posten rief zum dritten Male an, worauf endlich von unserer Seite unterdrücktes Gelächter antwortete. Rasch liefen wir zurück und versteckten uns in einen Graben. Wenige Minuten hatten wir da vor dem alarmirten Posten gelegen, als Unterofficier F. mich zu nochmaligem Vorgehen aufforderte. Gesagt, gethan. Auf das wiederholte „Halt, werda?“ erfolgte der Bescheid: „Gut Freund!“ Der feindliche Soldat befahl weiter: „Zum Feldgeschrei vorwärts!“ und nun antwortete ich ihm mit einer Aufforderung, die sich allerdings französisch weniger grob ausgenommen haben würde. Das reizte denn doch den Zorn des Gefoppten dermaßen, daß er auf uns direct und muthig losging. Die Alarmirung der feindlichen Postenkette lag aber durchaus nicht in unserer Absicht, wir krochen zusammen, schlüpften eiligst in den Graben und liefen in demselben gebückt fort. Eine Cavallerie-Patrouille wurde uns nachgeschickt, die uns nahe auf den Hacken war. Jetzt galt es um jeden Preis, die Reiter zu täuschen. Platt in den Graben gestreckt, das Gesicht dem Himmel zugekehrt, lagen wir still und ruhig wie die Leichen. Die Patrouille ritt einige Male hin und her, und als sie kein Geräusch mehr bemerkte, kehrte sie ruhig um. Das wollten wir nur; als Alles wieder sicher war, erhoben wir uns von unserem kalten Lager und machten uns auf den Heimweg.

In einem Dorfe mußte ein altes Weib, nach langem Klopfen, ihr Haus öffnen und erzählte unter Weinen und Wehklagen, daß der Feind am anderen Tage ganz bestimmt gegen uns vorgehen werde, sie wisse dies von ihrer Einquartierung. Durch Hecken und Gärten entgingen wir der Dorfwache und bringen nun, als einziges ersprießliches Resultat unserer Schleichpatrouille, die Nachricht von dem zu erwartenden Angriffe.“

Dieselbe Nacht lieferte noch einen anderen, schlagenderen Beweis von der harmlosen Kriegsanschauung unserer Gegner. Wir hatten im Regimente, von unserer letzten Garnison her, eine Menge von Studenten als Freiwillige. Ihr frisches, ritterliches Wesen gefiel sich in dem Feldlager viel wohler, als auf dem alten, düsteren Exercirplatze, und machte sich überall vortheilhaft geltend. Einer dieser jungen Soldaten war so glücklich, gleich bei seiner ersten Patrouille einen ganz eigenthümlichen Fang zu thun. Bei dem Durchspähen des Terrains gegen den Feind zu gewahrte er nämlich drei Gestalten, die in aller Seelenruhe sich unserer Aufstellung näherten. Ohne Schwierigkeit waren die guten Leute umzingelt. Sie erwiesen sich als ein bairischer Oberlieutenant, der, in Begleitung eines Corporals und Gefreiten, unternommen hatte, die lange und schmerzlich vermißte Bierfuhre den harrenden Seinigen sicher und schnell zuzuführen.

Der joviale Student bedauerte ungemein, der Ausführung dieses allerdings auch von ihm als höchst wichtig anerkannten Auftrages hinderlich sein zu müssen; der Dienst gehe aber doch noch über den besten Bierdurst, und so mögen die Herren es sich schon gefallen lassen, zur Feldwache zu folgen. Von hier wurden die Gefangenen zu unserem Divisionscommandeur geführt. Der sonst so strenge Herr konnte es doch nicht über sich gewinnen, den armen Entdeckungsreisenden gegenüber die Strenge der Kriegsgesetze geltend zu machen. Die Ermüdeten wurden vielmehr an seiner Tafel mit Speise und Trank reichlich gelabt, schliefen im Stabs-Quartier und wurden am folgenden Morgen durch einen Parlamentair dem feindlichen Commandeur zugesandt, mit einer kurzen Darstellung des Thatbestandes und der Bemerkung: für Bier, Lebensmittel und dergleichen führe durch unsere Postenkette keine neutrale Straße.

In der heitersten Stimmung besichtigte ich am Morgen meinen Doppelposten. Vormittag und Mittag verflossen ruhig. Gegen zwei Uhr etwa sprengte ein Ulane die Landstraße zurück. „Der Feind im Anmarsch,“ rief er im Vorüberjagen mir als Meldung zu. Das war ein Wort! Schnell durcheilte ich meine Postenkette. Die Soldaten waren von frohem Muthe beseelt und fest entschlossen, keinen Schritt zurückzuweichen. Die Aufmerksamkeit auf das Vorterrain nahm Alle in hohem Maße in Anspruch; doch vom Feinde zeigte sich nichts. Die Ebene, aus [281] welcher der von mir besetzte Höhenzug aufstieg, wurde erst ziemlich weit von meiner rechten Flanke wieder von einzelnen Bergen begrenzt. Einer derselben sprang, mit scharfer jäher Felsspitze, dicht bewaldet, bis etwa in die Höhe meiner Aufstellung vor und hinderte so nach rechts die weitere Aussicht auf Felder und Wiesen.

Dieselben belebten sich in unserem Rücken durch lange Züge freundlicher Infanterie-, Cavallerie- und Artillerie-Massen, welche Gefechtsaufstellung nahmen. Eine Husaren-Vedette beobachtete auf der erwähnten Felsenhöhe, am Rande des auf derselben befindlichen Tannenwaldes, das vorliegende Hügelgewirr. Doch sowohl diese Husaren, als auch meine Musketiere strengten ihre Augen lange vergeblich an. Endlich bewegten sich die Colonnen in der Ebene. Die Infanterie rückte zuerst vor und verschwand hinter dem Berge, auch Cavallerie und Geschütze avancirten, blieben aber noch zum Theil sichtbar. Auf etwa Gewehrschußweite vor dem Felsenhange hielt eine Schwadron Husaren. Noch harrte Alles in stummer Erwartung – da hörte man jenseits des Tannenwaldes schießen; das berühmte Gefecht von Bronzell war engagirt.

Ich glaubte, in wenigen Minuten sicher auch im Feuer zu sein, zog den Degen und erwartete mit Ungeduld das Erscheinen der ersten feindlichen Tirailleurs. Doch vor mir blieb es öde und wie ausgestorben. Da – endlich! scheint das Gefecht sich auch zu uns wenden zu wollen. Im Rücken der erwähnten Husaren-Vedette, welche, den Carabiner auf dem Schenkel, noch ruhig und aufmerksam das Vorterrain beobachtet, belebt sich der tiefdunkele Saum des Tannenwaldes durch viele weiße Rauchwolken, denen das im Echo scharf wiederholte Knallen von Gewehrschüssen folgt. Die Husaren sind also umgangen, doch zeigen sie darüber nicht die geringste Bestürzung; in größter Ruhe wenden sie vielmehr ihre Pferde nach dem Feinde, recognosciren den Waldrand, erwidern das Feuer und reiten dann vorsichtig den steilen Hang hinab, um bei der Schwadron zu melden. Sobald die Hufe das weiche Gras der Ebene betraten, stürzten aus dem Walde die Gegner, österreichische Jäger, hervor. Sie waren, in ihren vollständig grauen Uniformen, sehr schwer vom Erdreich und dem Felsen zu unterscheiden, dessen oberste Kante sie vortheilhaft besetzten. Bei der Schwadron machten einige herausfordernde Schüsse wenig Eindruck. Die Pferde hielten ruhig, nur scharrten einzelne ungeduldig mit dem Hufe im schwarzen Wiesengrunde. Auf der anderen Seite der von den Oesterreichern besetzten Waldhöhe dauerte unterdeß das Schießen fort.

Da schien unseren Husaren denn doch die Zeit lang zu werden. Die Schwadron ritt plötzlich im kurzen Trabe, mit eingesteckten Säbeln, bis an den Fuß der Anhöhe, wo sie halten blieb. Die vor der Fronte befindlichen Officiere schauten mit untergeschlagenen Armen zu den feuernden Kaiserjägern hinauf, die sich aber dadurch nicht verleiten ließen, ihre sichere Stellung aufzugeben. Die Schüsse waren zahlreich, aber unwirksam.

Nachdem die Husaren sich denselben eine Zeit lang in ruhiger Verachtung der Gefahr ausgesetzt hatten, machte die Escadron auf Commando Kehrt und ritt im Schritt, ohne umzuschauen, auf den alten Standpunkt zurück. In dieser Bewegung traf, glaub’ ich, ein Schuß das Pferd eines Trompeters, den bekannten Schimmel von Bronzell.

Mich, wie meine Leute, hatte das ruhige Benehmen der Vedette und die kühne Herausforderung der Schwadron in wahre Begeisterung versetzt. Wir brannten vor Begier, es bald mit den vorsichtigen Schützen aufzunehmen; doch daraus sollte nichts werden. Kaum standen die Husaren wieder, so hörte das Feuern jenseits des Waldes auf. Wir horchten mit gespannter Aufmerksamkeit. Plötzlich trabte ein junger Kürassier-Officier in rasselnder Waffenrüstung heran. Zwanzig Schritte von mir parirte er mit einem Ruck seinen prächtigen Rappen und „Hahn in Ruh!“ schnarrte er mir den Befehl des Generals zu, das Feuern einzustellen. Ich sah den Herrn Cameraden zwar sehr verwundert an, hielt aber jede Entgegnung für überflüssig, steckte mein unblutiges Schwert ein, und – dahin waren all die schönen Träume von kriegerischem Ruhme!

Bald nach Entfernung des Hiobs-Boten führte ein alter Cavallerist den im Hinterschenkel verwundeten Schimmel bei meiner Feldwacht vorbei und erzählte mir im Grimme über die vereitelten Hoffnungen, ein alter Capitain unseres Regiments, dessen Compagnie das eigentliche Gefecht von Bronzell bestanden, habe nach den ersten Schüssen sich zu seinen Füsilieren gewandt und, seine Brille zurechtrückend, ihnen zugerufen: „Kinder, wir haben einen europäischen Krieg begonnen!“ – Dieser europäische Krieg war nun beendet. – Seine Opfer waren auf feindlicher Seite einige Verwundete und ich glaube auch ein Todter; auf unserer Seite der Schimmel und der Palletot eines Regiments-Adjutanten.

Gegen fünf Uhr stieg aus dem Tannenwalde dicker, weißer Qualm friedlich in die Höhe. Die Kaiserjäger kochten ihr Abendbrod, während unsere Truppen ruhig, wie nach einem beendeten Manöver, nach F. zurückzogen. Mir kam das Alles höchst wunderbar vor, doch tröstete ich mich endlich mit dem Gedanken, nur die hereinbrechende Nacht habe das Gefecht beendet, und es werde am andern Tage zu einem tüchtigen Kampfe kommen. In dieser Hoffnung sah ich es nicht ungern, als die Stunde der Ablösung schlug und ich auf meinem bescheidenen Plätzchen auf der Streu von den Mühen der letzten vierundzwanzig Stunden ausruhen konnte. Gegen neun Uhr weckten mich die Cameraden, welche, Einer nach dem Andern, die Lagerstatt suchten, einige Augenblicke aus dem Schlafe; doch die Unterhaltung der Eintretenden ward nur einsilbig, leise und kurze Zeit geführt, so daß ich bald Bronzell, Schimmel und Palletot glücklich wieder vergessen hatte.

Am anderen Morgen war ein unbestimmtes Hin- und Herfragen und Laufen im Lager des Bataillons. Die verschiedensten Nachrichten kreuzten sich. Bald hoffte man das nahe Gefecht, bald befürchtete man den Rückmarsch. Officiere und Soldaten langweilten sich dabei in gleicher Weise. Um die Zeit zu vertreiben, ergötzten sich die Musketiere an verschiedenen unter ihnen üblichen Scherzen und Spielen. Ein Hauptspaßmacher aus meinem Zuge, der auf Märschen, wenn es so recht trübselig herging, mit seiner guten Laune Alles wieder belebte, war auch hier die Seele der Vergnügungen. Den ziemlich großen, schwarzledernen Mantelsack unseres Compagnie-Chirurgus hatte er sich als Leierkasten umgehängt. Der eine, zerrissene Griff des „Pflasterkastens“ diente als Kurbel. Dabei sang der Leiermann in näselndem Tone alte und neue schöne Lieder und Mordgeschichten, meist nur den Soldaten bekannt, die im Chorus eifrig begleiteten. Sobald dieser einfiel, ahmte der Spielmann die Klänge der Drehorgel nach, wobei er nicht vergaß, die verstimmten und intermittirenden Töne gehörig anzudeuten. Abwechselung brachte das Vorführen einer Menagerie. Die einzelnen Exemplare waren in den häßlichsten und einfältigsten Kerlen herausgesucht und auf Holzhaufen postirt. Der improvisirte van Aken ergötzte das Publicum mit der genauen Naturgeschichte jedes einzelnen Thieres, wobei natürlich auch kleine cameradschaftliche Beziehungen in drolligster Weise, manchmal zur großen Verlegenheit der Charakteristirten, eingewebt wurden. Hier und da ertheilte der Gewehrputzstock des Vortragenden auch wohl eine kleine Tracht Prügel; dann vergaßen die Gezüchtigten oft ihre Rollen, zeigten menschliche Empfindsamkeit und verließen mißmuthig, kopfschüttelnd und achselzuckend ihre Plätze, was natürlich die Heiterkeit nur erhöhte. Kameel, Bär und Affe schlossen die Vorstellung, und der Bär machte eben auf Commando unter lautem Brummen seine Complimente, als sich der Compagnie-Chirurgus zornrothen Gesichtes durch die Zuschauer Bahn brach. Mit heftigen Vorwürfen schritt er auf van Aken zu, die sofortige Herausgabe seines Mantelsackes fordernd. Er erhielt, was er wünschte, und drohte in vielen zornigen Worten mit Anzeige bei dem Compagnie-Chef. Der Uebelthäter schien aber nicht eben sehr erschreckt und nur darauf bedacht, die gute Laune seines Auditoriums, welche unter der Last der Drohungen zu schwinden begann, zu erhalten. Lächelnd nahm er daher den Helm ab und bat den „Herrn Doctor“ um eine kleine Gabe für die Vorstellung. Die Soldaten lachten, der Chirurgus wandte sich zu schnellem Rückzüge, und der listige Schalk vollendete seine Sammlung, die ihm von den Officieren, welche vom Fenster aus zugesehen hatten, manches Silberstück einbrachte. Die Soldaten gaben scherzend Steine, Holzspähne, kleine Kupfermünzen, und der baare Ertrag wurde von den Acteurs bei dem Marketender in Bier, Wurst, Schnaps und Cigarren verjubelt.

Gegen Mittag endlich sprengte ein Adjutant von der Garde zu unserer Feldwache. Wir sahen dieselbe ihre Posten einziehen, und bei uns rief die Trommel zum Appell. Verstimmt traten die Leute unter’s Gewehr, die Officiere nahmen mit gerunzelter Stirn, in Ahnung des Kommenden, ihre Plätze ein. Unter lautlosem Schweigen kündigt der Major dem Bataillon an, daß auf Befehl die Stellung aufgegeben werden solle. Die Truppen dürften sich nicht als geschlagen ansehen, im Gegentheil; aber man sei aus politischen Rücksichten genöthigt, Cantonnements weiter im Inneren [282] des Landes zu beziehen. Die Positionen würden mit klingendem Spiele im Parademarsch verlassen werden, und zwar sogleich.

Das Commando erfolgt, die Tambours schlagen, und in stillem Gehorsam defiliren die Züge bei dem Bataillonscommandeur vorbei. Nachdem aber aus der Parade- in die gewöhnliche Marsch-Ordnung übergegangen war, machte sich der Unwille des schwer verletzten soldatischen Gefühls bemerklich und mußte mit Ernst zur Ruhe verwiesen werden. Es fielen da böse, bitterböse Worte, für die sich Herr von Manteuffel nicht bedankt haben würde.

Von allen Seiten, aus Thälern, Schluchten, von Bergen, über Wiesen und Felder, auf Wegen und Stegen, strömten immer neue Regimenter auf die Landstraße. Der Zufall führte da manche alte Bekannte, die sich seit Jahren nicht gesehen, bei einander vorbei. Kaum aber, daß in einem flüchtigen Nicken oder Händeschütteln ein Zeichen der Erkennung getauscht wurde. Alles war gedrückt und wuchtig. Flüche über das erbärmliche Gebahren der Diplomatie flogen zwischen den Zähnen heraus. Stumm zog Jeder die Straße weiter oder wartete mit seinem Truppentheile zur Seite der Chaussee, bis an ihn der Befehl zum Marschiren kam.