Aus der Menschenheimath/Fünfter Brief
Aus der Menschenheimath.
Wenn ich von Zauberern, von Zauberei spreche, so weißt Du von selbst, mein lieber Freund, daß ich dabei nicht an Uebernatürliches denke, an eine besondere, die Naturgesetze übersteigende Macht. Denn Du weißt auch, daß ich die Macht der Naturgesetze über Alles hochschätze und mich in Demuth vor ihnen beuge. Und dennoch will ich Dir jetzt von Zauberern der Thierwelt erzählen? – So ist es! und Du wirst finden, daß es mit dieser Zauberei geht wie mit aller Zauberei – daß es dabei ganz natürlich hergeht, das heißt, [62] nach Vorschrift der Naturgesetze; nur daß wir das Gesetz, nach welchem dabei verfahren wird, nicht so offen vor Augen da liegen sehen, wie sonst. Du siehst hieraus, lieber Freund, daß wir den Menschen den Glauben an Zauberei und an Wunder nicht anders werden abgewöhnen können, als dadurch, daß wir sie anhalten, für jede ungewöhnliche Erscheinung, die ihnen aufstößt, immer nach einer ihr vorausgegangenen veranlassenden Ursache zu suchen. In den meisten Fällen werden sie diese finden, und zwar um so leichter und häufiger, je mehr sie mit den Gesetzen und Erscheinungen der sie umgebenden Natur bekannt sind.
Doch ich komme zu meinen Zauberern der Thierwelt.
Das sind keineswegs die Riesen oder die Prachtexemplare unter den Thieren. Suche sie vielmehr unter den kleinsten und unscheinbarsten Thierchen; und wo anders könnten wir sie vermuthen, als unter den Insekten, die man schon oft eine Welt voll Wunder genannt hat?
Die Gallwespen sind es, die ich meine, und ich halte es für das Beste, wenn ich Dir gleich am Anfange meiner kleinen Erzählung von ihren Zaubereien kurz und bestimmt angebe, worin ich denn ihre Zauberkraft finde. Ich finde sie in dem wunderbaren Vermögen, womit sie, die doch Thiere sind, in das Bildungsleben eines anderen Naturreiches, des Pflanzenreiches, eingreifen. Oder es wäre nicht wunderbar, daß die Eiche durch den winzigen Stich der kleinen Gallwespe gezwungen wird, an dieser Stelle die Galläpfel zu bilden, die außerdem ihren gewöhnlichen Bildungstrieben stets fern liegen? Unsere Blumenzüchter können viel – aber so etwas können sie nicht. Die haben z. B. aus der einfachen unscheinbaren wilden Georgine hunderte von Prachtsorten gezogen, aber diese sind zuletzt doch weiter nichts, als höhere Entwickelungen der schon in der einfachen Stammform vorhanden gewesenen Blumentheile. Und zudem haben es die Gärtner ja nicht einmal gemacht; sie wußten vorher nicht, welche neue und ob überhaupt eine neue Spielart das Ergebniß ihrer Culturversuche sein würde. Sie thaten weiter nichts, als sie gaben versuchsweise der sich entwickelnden Pflanze neue, von den gewöhnlichen abweichende Entwickelungsbedingungen und warteten nun ruhig ab, ob unter diesen die Natur, denn sie ist es, die es macht, etwas Anderes hervorbringen werde.
Anders bei den Gallwespen. Jede nach ihrer Art sticht bald den, bald jenen Theil dieser oder jener Pflanzenart an, legt ein oder einige ihrer winzigen Eierchen hinein und weiß nun bestimmt, daß sich um diese als Wiege und Vorratskammer bald die Galle wölben wird. Ich sage: sie weiß es, ich hätte vielmehr sagen sollen: sie ahnt es, oder noch besser: als naturnothwendige Folge stellt sich darauf die Gallenbildung ein.
Auf meinem heutigen Bildchen habe ich Dir F. 2 u. 3 die Rosengallwespe etwas vergrößert abgezeichnet. Darunter sind die Maaße der natürlichen Größe angegeben. Die Gallwespen bilden eine kleine Familie in der großen Insektenordnung, welche man Hautflügler, Hymenopteren, nennt. Ich nenne diese Ordnung immer die geistige Aristokratie unter den Insekten, und Du wirst diese Benennung passend finden, wenn ich Dir sage, daß auch die Bienen und Ameisen zu den Hautflüglern gehören.
Ich will Dir heute von den Gallwespen nur das erzählen, was auf die Bildung der Gallen Bezug hat.
Es sind nur wenige Pflanzen, auf denen man bis jetzt die Gallen gefunden hat. Unter diesen steht oben an die Eiche, die allein von etwa 30 verschiedenen Gallwespenarten als Gallbildnerin benutzt wird. Außerdem finden sich echte Gallwespen-Gallen noch auf den Rosen, namentlich auf den wilden Feldrosen, auf den Brombeersträuchen, auf dem wilden Mohn oder der bekannten benennenswerthen Klatschrose, der Genossin der Kornblume, und auf dem Habichtskraute.
Jede Gallwespenart hat besonders gestaltete und beschaffene Gallen, und diese finden sich nicht etwa an beliebigen Stellen der Gallenpflanze, sondern es herrscht hierin ein bestimmtes Gesetz. Die eine Art sticht nur die Knospen, eine andere die Schüsselchen der Eicheln, eine dritte nur die Unterseite der Blätter, eine andere nur die Oberseite der Blätter der Eiche an. Daß die Verschiedenheit der Gallen aber nicht von dieser Verschiedenheit der Pflanzentheile, aus denen sie hervorgehen, sondern von der Artverschiedenheit der Gallwespen herrühre, geht daraus bestimmt hervor, daß man zuweilen auf der Oberseite eines Eichenblattes die von einander ganz verschiedenen Gallen zweier Gallwespenarten nebeneinander findet.
Figur 1 zeigt Dir etwas, was Du ohne Zweifel schon in der Natur gesehen hast. Es ist die moosartige Galle der Rosengallwespe. Diese scheint ausnahmsweise in der Wahl ihres Platzes nicht beschränkt zu sein, indem man diesen sogenannten Bedeguar sowohl an den jungen Zweigen als auch an den Blattstielen und Blättern der wilden Rose findet. Inwendig ist der moosartige meist braun- oder karminroth gefärbte krause Kopf der Galle mit einem dichteren wachskammerigen Kerne erfüllt, in dessen Zellen die madenförmigen Lärvchen der Gallwespe Wohnung und Nahrung finden.
[63] Aber nun sieh Dir einmal den Eichenzweig F. 4 an. An ihm sind die Knospen zu großen bleichfarbigen artischocken- oder hopfenähnlichen Bildungen umgewandelt. Die Knospenschuppen sind zu förmlichen Blättchen geworden, die äußeren breit und kurz, die inneren schmal und lang. Inwendig findet sich im Grunde dieser metamorphosirten Eichenknospe ein braunschwarzer Körper (F. 5), der einem Apfelkerne an Gestalt und Größe nahe kommt. Das ist die eigentliche Kammer des Lärvchens; das andere ist blos Nebensache. Bei F. 6 habe ich von dieser Kammer senkrecht ein Stück abgeschnitten und Du siehst inwendig die gekrümmte Gallwespenlarve liegen.
Figur 7 zeigt Dir ein Eichenblatt. Auf seiner Oberseite sitzen eine Menge kleine Bach-Gallen, welche ich Dir nicht besser, als durch eine Vergleichung mit – Hemdenknöpfchen beschreiben kann. Ihr Rand ist etwas erhabener als der Mittelpunkt, und von diesem sind sie nach dem Rande hin mit seidenartigem Ueberzuge strahlig bedeckt. Auch in diesem engen Kämmerlein, von denen F. 8 eine Vergrößerung zeigt, liegt ein Lärvchen.
Ist das nicht die wahre, echte „natürliche Magie“?
Versuchen wir es jetzt, sie uns zu erklären.
Wir finden, wie überall im Thierreiche, so namentlich bei den Insekten die wunderbarsten und sinnreichsten Vorkehrungen von der Natur getroffen bei der Ablegung der Eier und überhaupt in der Sorge für die Nachkommenschaft. Bei den Gallwespen sind dieselben rein chemischer Natur und bieten, wie vielleicht nirgends augenfälliger im ganzen Naturhaushalte, den Beweis, daß alles Leben zuletzt auf physikalischen und chemischen Processen beruht.
Es ist unmöglich, sich die Sache anders und mit den Naturgesetzen übereinstimmender zu denken, als so, daß das Gallwespenweibchen bei dem Stiche in das Pflanzenglied mit dem Ei zugleich ein winziges Tröpfchen eines Saftes in die Wunde bringt, welches mit den Säften der Pflanze sofort sich vermischt und dadurch die Gallenbildung hervorruft. Die Verschiedenheit der von den verschiedenen Gallwespenarten abgegebenen Säfte (denn ohne Zweifel sind sie in jeder Art verschieden) und die Verschiedenheit der Pflanzensäfte bedingen die verschiedene Form und Beschaffenheit der Gallen.
Wenn man die Sache so auffaßt, wie man sie vernunft- und naturgemäß gar nicht anders auffassen kann, dann hört die Gallenbildung auf, blos eine Nahrung für das nach Naturwundern verlangende Gemüth zu sein, und sie wird eine von den erst wenigen aufgefundenen Wurzeln, aus welchen die Wissenschaft dereinst den Baum des Lebens aufbauen wird.
Ja, Freund, in dem Zunächst liegenden, von uns darum meist Uebersehenen, liegen oft die wichtigsten Aufschlüsse über das Geheimniß des Lebens.
Nichts ist klein, was uns Anlaß zum forschenden Denken darüber giebt!