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Aus der Berliner Künstlerwelt

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Textdaten
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Autor: A. Rbg.
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Titel: Aus der Berliner Künstlerwelt
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 31, S. 518–521
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[518]
Aus der Berliner Künstlerwelt.


In Berlin entwickelte sich allmählich – in den letzten zwei Jahrzehnten – ein vielgestaltiges, vielköpfiges Künstlerleben, das kein Senat, kein akademischer Zopf in Fesseln schlug. Es ist bezeichnend, daß das künstlerische Leben der preußischen Hauptstadt seine Vielseitigkeit gerade zu einer Zeit gewonnen hat, wo die Kunst-Akademie ein Scheinleben fristete und demnach von keinem Einflusse auf die Entwickelung des Kunstlebens war. Die Akademie hat sich zwar seit zwei Jahren eine andere, Achtung fordernde Stellung erworben, aber der Zeitraum von zwei Jahren ist noch zu kurz, um – trotz der Lehrthätigkeit eines A. von Werner, Gussow, Hertel, Knille, F. Meyerheim, Thumann – von Einfluß auf die Bildung von Schülern zu sein.

[519] Jede akademische Kunstausstellung, die sich früher alle zwei Jahre wiederholte und nun alljährlich stattfinden soll, giebt uns ein getreues Abbild von dem bunten Treiben, dem respectabeln Können, dem gegenseitigen Wetteifer, der in der Berliner Künstlerrepublik herrscht, wie der Eine dem Andern seine Kunstgriffe ablauscht, um ihn gelegentlich zu übertrumpfen, wie Dieser sich eigensinnig abschließt und seine eigenen Wege wandelt und wie Jener im Stillen wächst und wächst, um dann urplötzlich Freunde wie Neider zu überraschen.

Beim Antiquitätenhändler.
Nach der Werner’schen Federzeichnung aus dem Weiß’schen Album der Berliner Künstler.

Aber eine solche Kunstausstellung gewährt uns doch immerhin keinen Einblick in das intime Schaffen der Künstler. Sie gleicht einer künstlich arrangirten Gruppirung, zu deren Besichtigung das verehrungswürdige Publicum geladen ist. Rivalitäten und Gegnerschaften spielen da ihr Spiel. Jeder tritt auf den Plan in der bewußten Absicht, sein Bestes geben zu wollen. Auch in seinem Atelier trägt der Künstler nicht immer sein Hauskleid. Wer in das innerste Wesen eines Künstlers, in seine Geistesrichtung, in die Manier seines Schaffens eindringen, wer seine geistige Stufe kennen lernen will, der sehe sich in seinen Studien und Handzeichnungen um. Das weiß der Künstler selbst, und darum hütet er sie wie einen Schatz. Er läßt sich nicht gern in seine Karten gucken, und doch offenbart sich der Künstlergeist am reinsten und freiesten in diesen blitzartig hingeworfenen Gedanken. Wie viel geht auf dem langen Wege zwischen der ersten Studie und dem fertigen Gemälde verloren! Wenn erst die Reflexion dazwischen tritt und die ersten schöpferischen Gedanken feilt und glättet, dann bleibt selten mehr als ein blasses Abbild von der ursprünglichen Idee zurück. Nur wenigen großen Meistern war es vergönnt, den Weg vom Gedanken bis zur That mit Blitzesschnelle zurücklegen zu können, so lange der schaffende Funke noch glühte.

Handzeichnungen sind darum Leckerbissen für artistische Feinschmecker. An ihnen regelt sich das Urtheil über manchen Verkannten und Mißachteten, an ihnen erhebt sich das Gefühl der Hochachtung vor Dem und Jenem zur unbedingten Bewunderung. Selten nur glückt es dem Freunde der Kunst, einen Einblick in die Handzeichnungen eines lebenden Meisters zu erlangen, aber wohl noch niemals hat sich die Gelegenheit geboten, mit einem Blicke eine beträchtliche Anzahl hervorragende, moderne Künstler in ihren Handzeichnungen bewundern zu dürfen.

Ein seltener Anlaß hat den Freunden der Kunst diesen unverhofften Genuß verschafft. Die Berliner Künstlerschaft hat sich im Anfange dieses Jahres vereinigt, um einem verdienten Lehrer der Kunst, den widrige Umstände zwangen, seine umfassende, segensreiche Thätigkeit theilweise einschränken, als ein Zeichen ihrer Hochachtung und Dankbarkeit ein Ehrengeschenk zu stiften, der Geber wie des Empfängers in gleicher Weise würdig, ein Ehrengeschenk, das in seiner Art wohl einzig dastehen [520] dürfte. Jeder namhafte Künstler Berlins verpflichtete sich, von seinen Handzeichnungen eine herzugeben, und die also gesammelten wurden zu einem Album vereinigt, das dem würdigen Manne im Frühling dieses Jahres überreicht worden ist.

Dieser also geehrte Mann, der mit Stolz auf ein unvergleichliches Weihegeschenk sehen kann, ist Professor Hermann Weiß, der in den weitesten Kreisen bekannte Verfasser der „Costümkunde“. Seit fünfundzwanzig Jahren ist Professor Weiß thätig, in Berlin das Studium und die Liebe zur Kunst mit heißem Bemühen zu fördern. Er steht heute in der Mitte der Fünfziger. Bart und Haupthaar hat ihm die Sorge des Lebens längst gebleicht. Aber trotz schwerer Enttäuschungen ist seine erstaunliche Arbeitskraft noch heute ungeschwächt, leuchtet sein Geist noch in jugendlicher Frische auf.

Im Jahre 1822 geboren, machte er erst die schwere Lehre des Handwerks durch, bevor er sich der Kunst zuwendete. Er brachte vier Jahre im Atelier des Malers J. S. Otto zu und begab sich dann nach Düsseldorf, wo er sich der von Schadow beeinflußten, damals herrschenden Richtung anschloß. Aber schon bald nach dem Jahre 1850 vertauschte der rastlos vorwärts strebende Mann den Pinsel mit der Feder. Er war nach Berlin zurückgekehrt und dort in die Kreise begeisterter Kunstjünger eingeführt worden, die sich um die anregend und fördernd wirkenden Nestoren der Kunstwissenschaft, um Schnaase und Kugler, sammelten. Neben den ziemlich gleichaltrigen Eggers und Lübke vermehrte er zunächst im „Kunstblatt“ die Resultate einer längeren Kunstreise, die er durch Süddeutschland, Oesterreich und Frankreich unternommen. Kugler war es, der den jungen Kunstforscher zuerst auf das Gebiet der Culturgeschichte, speciell der Costümgeschichte, hinwies. Auf seinen Rath begann er um das Jahr 1855 ein „Handbuch der Costümkunde“ zunächst für Künstler zu schreiben, von dem die erste Abtheilung 1860 im Verlage von Ebner und Seubert erschien. Die Vollendung des umfassenden Werkes, welches im Ganzen eine rastlose Thätigkeit von siebenzehn Jahren in Anspruch nahm, fiel in das Jahr 1874. Die „Costümkunde“ ist ein Werk von epochemachender Bedeutung in der Geschichte unserer Kunst und Wissenschaft. Keine andere Nation kann ihm ein ähnliches an die Seite setzen. Die „Costümkunde“, welche die Geschichte des Costümes und des Geräths von den ältesten Zeiten bis zum Jahre 1820 umfaßt, hat der heillosen Verwirrung ein Ende gemacht, welche bislang auf den Historienbildern unserer Maler herrschte. Kein ernst strebender Künstler konnte sich mehr den Forderungen der Costümwissenschaft entziehen; an die Stelle „malerischer“ Willkür trat fortan das strenge Studium, zu welchem die „Costümkunde“ von Hermann Weiß die Wege gewiesen. Das Werk ist noch über die Grenzen der bildenden Kunst hinaus von epochemachendem Einfluß gewesen. Der Herzog von Meiningen hat sich die tiefe Kennerschaft des Verfassers zu Nutze gemacht und ihn, gelegentlich eines Aufenthaltes am Meininger Hof, veranlaßt, jene mit bewunderungswürdiger archäologischer Treue hergestellten Costüme zu Shakespeares „Julius Cäsar“ zu entwerfen, die bei den späteren Triumphzügen der Meininger Hoftheatergesellschaft durch Deutschland die Aufmerksamkeit des gebildeten Publicums erregten und den ersten Anstoß zu einer gründlichen Regeneration des Bühnenwesens gaben. Auch die reichen venetianischen Costüme der Meininger sind nach der Anleitung des Professors Weiß gefertigt.

Für ein so verdienstvolles Wirken ist die Anerkennung nicht ausgeblieben. Im Jahre 1856 wurde Weiß zum Professor an der Berliner Kunstakademie ernannt, an welcher er bis auf den heutigen Tag als Lehrer der Costümgeschichte thätig ist. Im Jahre 1873 wurde er als einziger Preisrichter für die vervielfältigenden Künste von der deutschen Commission für die Weltausstellung nach Wien berufen. Eine stattliche Anzahl von Orden und Ehrenzeichen beweist die Anerkennung, die er für diese seine Thätigkeit und seine wissenschaftlichen Leistungen bei den Kaisern von Deutschland und Oesterreich und bei den deutschen Fürsten gefunden. Seit länger als fünfzehn Jahren war Professor Weiß an der Leitung des königlichen Kupferstichcabinets betheiligt, die er seit dem Tode Hotho’s bis zum Anfange dieses Jahres mit großem Geschick und ebenso großer Sachkenntniß selbstständig führte. Unter seiner Leitung hat das Cabinet sehr wesentliche Bereicherungen erfahren; er machte durch sorgfältige Ordnung, mit Hülfe seines treuen Mitarbeiters Wessely, die umfangreichen Sammlungen den Künstlern wie dem großen Publicum zugänglich, und darum gab sich in den literarischen und Künstlerkreisen Berlins eine allgemeine, fast demonstrative Theilnahme kund, als der verehrte Lehrer, der Macht der Verhältnisse weichend, im Anfange dieses Jahres aus der Leitung des Kupferstichcabinets schied.

Es ist hier nicht der Ort, die Motive dieses bedauerlichen Rücktritts weiter zu erörtern. Sie beanspruchen ein besonderes Capitel in der inneren Geschichte des Berliner Künstlerlebens, die ohnehin nicht reich an erfreulichen Seiten ist. Wir begnügen uns noch einmal auf das einmüthige Zusammenhalten der Berliner Künstlerschaft hinzuweisen, die ihrem Freund und Führer bei seinem Scheiden aus einer liebgewordenen Thätigkeit eine so sinnige Ovation dargebracht hat.

Wer da weiß, wie schwer sich ein Künstler von einer Handzeichnung, dem ureigensten Ausdrucke seines Wesens, trennt, der wird die gebotene Gabe ihrem vollen Werthe nach zu schätzen wissen. Das kostbare, aus dem Atelier von Vollgold und Sohn hervorgegangen Album, welches dem Professor Weiß Namens der Berliner Künstlerschaft durch August von Heyden am 15. April 1877 überreicht wurde, enthält achtzig Feder-, Kreide-, Stiftzeichnungen und Aquarelle, leichte Skizzen, Kinder des flüchtigen Augenblicks, und sorgfältig ausgeführte Blätter, denen das echte Genie den Stempel mühelosen Schaffens aufzuprägen wußte. Wer sich durch den Glanz eines berühmten Namens blenden läßt, der trifft da zuerst den Altmeister der Berliner Kunst, den knorrigen Naturalisten, den Maler des Preußenthums, Adolf Menzel, Ludwig Knaus, den berühmten Portraitisten der Wirklichkeit, der jüngst zum Erstaunen und zur Freude seiner unzähligen Verehrer die Madonna mit dem heiligen Kinde in die Grenzen der Endlichkeit bannte, der den menschlichen Kern aus der schimmernden Schale der Gottheit löste, Gustav Richter, den vornehmsten Bildnißmaler, den die Kunstgeschichte seit van Dyck kennt, C. Graef, den feinen Kenner der Seele, wie sie sich im menschlichen Angesicht spiegelt, August von Heyden, den schönheitsdurstigen Romantiker, W. Gentz, der es wie kein zweiter verstanden hat, dem nordischen Auge die Wunder des Orients in ihrer ganzen Farbenpracht zu vergegenwärtigen, Paul Meyerheim, den liebenswürdigen Thiermaler, C. Steffeck, den gewandten Sportsman auf der Leinwand, und H. Eschke, den ersten unserer Marinemaler, dessen Pinsel sich in flüssiges Gold zu tauchen scheint, wenn er die Reflexe des Sonnenlichts auf der Meeresfläche auf die Leinwand bannen will.

Da fehlt nicht der originelle Künstler, dessen kühner Naturalismus eine so nüchterne Stadt wie Berlin Monde lang völlig verblüfft hat, Karl Gussow, der Mann, der die Farbe mit derselben plastischen Kraft behandelt wie der Bildhauer den gefügigen Thon. Und hinter diesen Heroen der Kunst rückt als zweites Treffen eine stattliche Künstlercohorte heran, deren einzelne Glieder, mehr oder minder Virtuosen in ihrer Kunst, Specialitäten pflegen, welche ihren Namen zu gutem Klange verholfen haben: die Historienmaler C. Becker, Plockhorst, Spangenberg, die Genremaler Breitbach, Dielitz, Amberg, A. Schwartz, Brausewetter, F. Meyerheim, Ehrentraut, Lüben, Bennewitz von Löfen, der den heimathlichen Wäldern und Flüssen der Mark ihre eigenthümliche Poesie abgelauscht, und C. Scherres, der unübertreffliche Meister der Regenlandschaft. Auch die Bildhauer haben ihre Gaben beigesteuert: Afinger, Reinhold Begas, O. Geyer, J. Moser und Schaper.

Getreu dem Grundsatze seines Lebens, daß die Kunst das Gemeingut der Nation ist, daß die Kunst ihre erhabene Mission erst erfüllt, wenn sie alle Schichten des Volkes gleichmäßig durchdringt, hat Professor Weiß auf die Bitte des Unterzeichneten eine Perle seiner Sammlung den Lesern der „Gartenlaube“ mitgetheilt, welche in wohlgelungener Reproduction diesem Aufsatze beigegeben ist. Fritz Werner, der feinste Kenner des Rococo, der mit erstaunlicher Virtuosität die wundersame Welt des chinesischen Porcellans, des Reifrocks und der Puderfrisur aus Staub und Moder auferstehen heißt, ist der „deutsche Meissonnier“ genannt worden. Er trägt diesen Ehrennamen mit Recht; aber man thäte ihm Unrecht, wollte man ihn unter die Zahl der geschickten Nachahmer rechnen, die von erborgtem Glanze leben. Jeder seiner feinen, aber sicheren Pinselstriche verräth den geistvollen

[521] Meister, aus dessen Seele heraus sich die Gestalten der Vorzeit zu einem neuen Leben emporringen. Seine Figuren haben nichts Gemachtes, nichts künstlich Anempfundenes, sondern jenen frischen Puls des Lebens, der das Erbtheil des Genies ist. Die farbenglänzenden Interieurs, in denen seine Gestalten leben, verrathen nirgends ein mühsames archäologisches Studium, und in wie hohem Grade ihm ein feiner, liebenswürdiger Humor zu Gebote steht, zeigt die köstliche Gruppe auf unserem Bilde, die schwierige Unterhandlung zwischen dem reichen, vornehmen Kunstliebhaber und dem verschmitzten, verwachsenen Antiquitätenhändler, der sich achselzuckend die Hände reibt und mit verliebten Blicken auf den Nautilus, die kostbare Conchylie in den Händen des Amateurs schielt, von der er sich selber nur schwer zu trennen vermag.
A. Rbg.