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Aus der Beamtenwelt/Nr. 2. Ein Ruheposten

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Titel: Aus der Beamtenwelt/Nr. 2. Ein Ruheposten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 606–608
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[606]
Aus der Beamtenwelt.
Skizzen nach der Natur.
II. Ein Ruheposten.

Es geht nichts über einen recht kernhaften klaren Wintertag, wenn die reifbehängten Baumzweige im Sonnenlichte glitzern, der frischgefallene Schnee unter des Wanderers Füßen knistert und die ganze Natur Gesundheit und Kraft auszuströmen scheint. Aber freilich, was Warmes um den Leib und in den Leib, das thut nicht allein wohl, sondern das thut gar Noth an so kernhaften Wintertagen. Zumal dort oben in dem nordöstlichen Winkel der Monarchie, wo der Nord- und Ostwind um die Wette vom „kurischen Haff“ hersausen und über die Haiden und Moräste der litthauischen Ebene hinfegen, daß es bis in’s Mark dringt. Am schlimmsten scheint es um Lichtmeß herum zu sein, und das wissen die Pferdebauern ganz gut, die um diese Zeit zu Markte oder nach der Kreisstadt in Geschäften fahren. In dicke Pelze eingehüllt, die Mütze tief in die Stirn gedrückt, fahren sie, innerlich durch manchen reichlichen Schluck wohlerwärmt, mit ihren kleinen Schlitten über die schneebedeckte Ebene, und müssen doch von Zeit zu Zeit aussteigen und neben dem Schlitten hertraben, um die fröstelnden Glieder durch rasche Bewegung zu erwärmen.

So gut ward es dem einsamen Wanderer nicht, der jetzt, aus der Haide tretend, den Weg quer durch ein weites Schneefeld verfolgte, auf welchem die wenigen Schlittenspuren bereits wieder vom scharfen Nordostwinde verweht waren. Aber einen anderen Weg gab es nicht, und er mußte mitten hindurch, wie tief er auch bei jedem Schritte in den Schnee einsank. Die spärliche Communication in den dünnbevölkerten Landstrecken überläßt es dem Verkehr, sich die Mehrzahl seiner Wege selbst zu schaffen. Im Sommer geht es wohl an, aber im Winter und bei reichlichem Schneefall gelingt es oft nur durch große Opfer, die Hauptstraße für den Postverkehr fahrbar zu erhalten. Und an reichlichem Schnee pflegt es diesen Gegenden am allerwenigsten zu fehlen.

Unser Wanderer war eine hochaufgeschossene Figur, welche noch größer erschienen wäre, wenn der Mann sich gerader gehalten hätte. Sei es Schwäche oder Bequemlichkeit, – er neigte den Oberkörper im Gehen stark nach vorn und ließ den Kopf herunterhängen. Sein Anzug war der Jahreszeit nicht sonderlich angemessen. Um eine Art Militairmütze, die er auf dem Kopfe trug, war ein buntgefärbtes Taschentuch in der Art geschlungen, daß es die Ohren bedeckte. Die blaue Blouse war durch einen breiten Gurt zusammengehalten, unter derselben sah ein langschößiger, vielfach geflickter Hausrock hervor, der von der sonstigen Kleidung nichts sehen ließ, als ein paar grober Schmierstiefel, deren Schäfte sorglich mit Stroh gefüllt waren. Um den Hals trug der Mann eine lederne Brieftasche und in der rechten Hand einen tüchtigen Weißdornstock. – Das Gehen mußte ihm Beschwerde machen, denn von Zeit zu Zeit blieb er stehen, holte tief Athem und rückte die Brieftasche auf eine andere Stelle. Mitunter langte er wohl auch in die Tasche, brach von dem in einem Leinwandlappen aufbewahrten groben Brode einen Bissen ab, träufelte aus einer kleinen Flasche ein paar Tropfen Branntwein darauf und stärkte sich durch diese mäßige Erquickung zum [607] weiteren Marsche. Es schien aber nicht, daß das Stärkungsmittel den gewünschten Erfolg gehabt habe, denn unser Wanderer mußte bald darauf wieder stehen bleiben, zog den Leibgurt fester an und hauchte in die erstarrten Hände, welche nur zur Noth durch grobe Fausthandschuhe von wollenem Zeuge geschützt waren.

Die tiefe Stille ringsumher – (selbst die paar Sperlinge, die hin und wieder in den kahlen Bäumen saßen, verhielten sich schweigend) ließ ein näher kommendes Schlittengeläut deutlich vernehmen; unser Wanderer spitzte gespannt die Ohren, – er hatte sich nicht getäuscht, ein leichter Schlitten jagte, von zwei kräftigen litthauischen Pferden gezogen, über das Feld und war bald in seiner Nähe. In diesen Gegenden kennt Alles einander innerhalb eines gewissen Umkreises, sofern es nur überhaupt ein Mal in Berührung mit einander kommt. Es muß seltsam zugehen, wenn du ein dir entgegenkommendes Fuhrwerk nicht schon von Weitem erkennst; ist dir nicht der Wagen oder Schlitten bekannt, so ist es der Kutscher, ist es dieser nicht, so sind es die Pferde, denn diese sind der Mittelpunkt des gesammten Interesses für eine Bevölkerung, deren Wohlstand hauptsächlich auf der Pferdezucht beruht. Der Blousenmann hatte den Schlitten nebst Inhalt und Zubehör sofort erkannt, ein zufriedenes Lächeln glitt wie ein erwärmender Sonnenstrahl über sein blaugefärbtes Gesicht und er blieb zuversichtlich mit einer schnellen Wendung rechtsum stehen. Der Insasse des Schlittens streckte den Kopf hinaus (in Wirklichkeit war aber nichts weiter von ihm zu sehen, als die Nasenspitze und ein Stück Brille – der Rest war sorglich in Pelzwerk eingemummt) und hatte den Fußgänger gleichfalls erkannt.

„Guten Tag, Adamski,“ rief er ihm zu, „schön’ Wetter heut’ zum Spazierengehen –?“

„I nu, es macht sich wohl, Herr Fiscal!“ erwiderte der Angeredete, „man kriegt zum Wenigsten nicht den Sonnenstich, – mit Respect zu vermelden.“ Er versuchte, dazu zu lächeln; aber die Wahrheit zu gestehen, brachte er es zu keinem ganz glücklichen Ende damit, und es kam nichts zum Vorschein, als ein ziemlich weinerlicher Gesichtsausdruck, den man nach dem Sprachgebrauche des Landes einen „Flunsch“ nennt.

„Ja, ja,“ fuhr der Fiscal fort, der gut scherzen hatte in seinem warmen Pelz nebst Fußsack und Pelzhandschuhen, „so ein Landbriefträger hat ein Leben, wie Gott in Frankreich. Kann den ganzen Tag spazieren gehen, während Unsereins in den räucherigen Stuben hocken muß –! Na, wie ist’s denn, Vater Adamski, verdien’ ich heut’ ein Wegegeld an Euch –? Wollt Ihr mit nach Kralingken?“

„I nu, Herr Fiscal, wenn der Herr Fiscal die große Gütigkeit hätten, für ein Vergelt’s Gott, denn mehr wird’s doch wohl nicht bei einem armen Landbriefträger absetzen, als einen Gotteslohn – ja, ja, es sind harte Zeiten, hochgeehrtstes Herrchen –!“

Damit hatte er neben dem Fiscal Platz genommen, der bereitwillig in die Ecke rückte, um dem neuen Ankömmling Raum zu gönnen. Der Schlitten war mit Pelzwerk überreichlich versehen und Vater Adamski konnte sich behaglich zudecken, ohne seinen Gönner zu geniren.

„Das ist für auswendig ganz gut, Adamski,“ begann der joviale alte Herr von Neuem, „wie sieht’s aber inwendig aus – ?“

Der Fiscal hatte ein wohlverkorktes Fläschchen aus der Schlittentasche hervorgeholt und schenkte dem fröstelnden Postboten ein Gläschen jenes goldfunkelnden, feurigen Ungarweins ein, den die Lebemänner des Nordens ganz besonders zu schätzen wissen.

„Ohne Umstände, Alter, – besinnt Euch nicht lange – er friert am Ende ein.“ Der Fiscal lachte und sein Schützling lachte von Herzen mit, aus schuldiger Höflichkeit und dann, weil der Gedanke nicht so gar fern lag, daß auch ein guter Ungarwein, dieser Luft ausgesetzt, zu Eis erstarren könne. Wie flüssiges Feuer strömte das Blut der ungarischen Rebe dem Frierenden in die Adern und erfüllte sie mit neuer Lebenswärme.

„Gott bezahl’s viel tausend Mal, Herr Fiscal! Es geht doch nichts über die Gottesgabe von einem Glase Wein. Ich kann’s den vornehmen Herrn gar nicht verargen, wenn sie über das Schnapstrinken losziehen; – freilich, wer’s so haben kann!“

Ich gehöre nicht zu den Mäßigkeitsaposteln, Adamski, das wißt Ihr ja. Am allerwenigsten, wenn der Nordostwind über die Haide pfeift und der Bart voll Eiszapfen hängt. Freilich, wer bei solchem Wetter das Maß zu reichlich nimmt, der spart sich hernach das Einschenken für immer …“

„Freilich, freilich! I du meine himmlische Güte! soll Einen ja unser Heiland bewahren vor so einer Unvernunft, mit Respect zu vermelden. Hat erst wieder vorige Woche der Gensd’arm Einen erfroren gefunden, der bei dem großen Schneegestöber inwendig einheizen wollte, eingeschlafen ist und nicht wieder aufgewacht. Da will ich denn doch lieber traben, daß mir die Seele pfeift, meinethalben mit dem Sturmwind um die Wette, ehe ich das meiner Alten anthu’ und ihr wie ein Eisblock nach Hause gebracht werde … Und dann, der Dienst, – Herr des Himmels – was sollte aus der Brieftasche werden!“ Er schüttelte sich bei dem Gedanken an das mögliche Schicksal der fiscalischen Ledertasche und drückte sie fester an sich, als wollte er sich vergewissern, daß der Gegenstand seiner amtlichen Obhut noch unversehrt sei.

Der Fiscal ließ seine Augen gleichfalls auf der Brieftasche ruhen.

„Sie scheint ziemlich schwer zu sein, Alter?“ – „Nicht mehr, als das normale Gewicht, Herr Fiscal.“ – „Und das ist?“ – „Zwanzig Pfund.“ – „Ihr habt doch aber noch außerdem zu tragen.“ – „Ein bischen Proviant für mich, auf zwei bis drei Tage, bis ich die Tour herum bin. Viel ist es nicht; Rehkeulen und Fasanen werden nicht mitgenommen.“

Er öffnete sein Fourage-Paquet, welches Nichts enthielt, als ein großes Stück groben Schwarzbrodes, bei welchem in der Vertiefung des einen Endes ein Stück Butter eingedrückt war.

„Und davon lebt Ihr, bei so anstrengender Leibesbewegung, bei fortwährenden Märschen in Wind und Wetter, in Sturm und Regen?“ fragte der Fiscal mit einem leisen Schaudern.

„Ja, wovon denn sonst, mein trautstes Herrchen! Rechnen Sie doch selbst nach, mein hochgeehrtester Herr Fiscal [WS 1], wieviel für mich übrig bleibt, wenn wir, Mann, Frau, fünf Kinder und die alte blinde Großmutter mit acht Thaler den Monat auskommen sollen bei dieser Theuerung jetzt!“

„Acht Thaler!“ sprach ihm der Fiscal mit stillem Entsetzen nach, „acht Thaler bei dieser Lebensweise! Und Ihr bekommt weiter gar keine Meilengelder, Diäten, Reiseentschädigung –?“

Adamski sah ihn verwundert an. „Im Gegentheil, dafür muß ich mir noch die Dienstkleidung und Dienst-Abzeichen anschaffen.“

„So, so! Ei ja!“ murmelte der Herr Fiscal für sich, der ein gar feines Männchen war und mit der Geschwindigkeit eines fertigen Rechenmeisters auscalculirt hatte, daß von diesen monatlichen acht Thalern acht Menschen sich kleiden, nähren, erhalten und Abgaben zahlen müßten. Augenscheinlich hatte es mit der Verpflichtung Adamski’s, für die Dienstkleidung und die Dienstabzeichen aus eigenen Mitteln zu sorgen, nicht sonderlich viel auf sich. Denn es war den Landbriefträgern gestattet, eine blaue Blouse von Leinen mit einem Ledergurte statt der Uniform zu tragen. Die sonstigen Uniformstücke bestanden aus einer Postdienst-Mütze und einem Armschilde. Daß aber einem Beamten bei einem, im Verhältniß zu seiner Dienstleistung so namenlos kärglichen Solde noch irgend eine Verpflichtung überhaupt auferlegt werden könne, das brachte ihn ganz außer Fassung.

„Aber Menschenkind,“ platzte er los, „wie in aller Welt werdet Ihr denn da fertig? Acht Thaler – das ist ja kaum genug zum Verhungern! Warum seid Ihr denn nicht um Zulage eingekommen?“

„I nu, trautster Herr Fiscal, daran hat’s wohl nicht gefehlt. Ich habe auch zwei Mal eine Gehaltserhöhung bekommen, mit Respect zu vermelden, vom Herrn Postdirector, als es dazumal durchgesetzt wurde, daß die Unterbeamten besser gestellt werden sollten. Ich hatte zuerst blos sechs und einen halben Thaler, von da wurde ich vor zwei Jahren auf sieben und einen halben Thaler erhöht und seit vorige Ostern bin ich in die Acht-Thalerclasse vorgerückt. Aber die Herren haben mir auch gesagt, ich möchte mich jetzt fein stille halten, das viele Queruliren mache keinen guten Namen, ich hätte Ursache dankbar zu sein und sollte nun in Geduld warten. Du lieber Gott! Mir ist’s auch nicht an meiner Wiege gesungen worden, bei den Leuten zu bitten und zu betteln und es kommt mir sauer genug an. Aber sieben hungrige Mäuler können Einem zu manchem schweren Schritt die Beine heben. Indessen, so lange Einem noch die Hoffnung bleibt, muß man nicht verzagen; bin ich doch schon sachte vorgerückt und kann noch weiter vorrücken …“ – „Wie das?“ fragte der Fiscal neugierig, „wie hoch könnt Ihr überhaupt steigen im Gehalt – ?“

„I nu,“ schmunzelte der Briefträger, „es gibt ihrer, die neun Thaler monatlich haben, – ja, es gibt ihrer, die es bis auf Hundert und zwanzig des Jahres bringen!“

[608] „Hundertundzwanzig Thaler jährlich!“ rief der Fiscal und verdrehte die Augen – „das ist wohl aber das Höchste?“

„I freilich,“ antwortete Adamski, „und das erreichen die Wenigsten, aber es bleibt doch immer eine Aussicht!“

„Jawohl, jawohl!“ bemerkte der Fiscal, und drückte die Mütze noch tiefer in die Augen, so daß nur noch die Nasenspitze aus dem Mantelkragen hervorsah, „wie weit erstreckt sich denn Euer Bezirk, Adamski?“ – „Vier Meilen!“ – „Da müßt Ihr ja unterwegs übernachten?“ – „Freilich wohl, und das kostet auch noch manches Düttchen[1] das Jahr über …“

„Wie – Ihr müßt im Kruge bezahlen? Ich hätt’ nicht geglaubt, daß Jemand hier zu Lande so hartherzig sein könnte.“

„I nu, ich könnt’s wohl umsonst haben, das bischen Nachtlager auf Stroh in der Schenkstube, aber im Vertrauen gesagt, Herr Fiscal, besser ist besser; die Leute haben nicht gedient, wissen nicht, was es heißt, auf die Fahne geschworen zu haben, oder in Eid und Pflicht stehen, und da muthen sie Einem allerlei an, was doch nu einmal nicht sein soll und darf. Wenn ich nu Nachtlager und sonsten was meinetwegen für umsonst bei jedem Krüger annehmen thät’ und müßt’ ihm hinterher was abschlagen, was er Unrechts von mir verlangte, so hätt’ ich ja am letzten Ende wohl gar zu riskiren, daß mir so ein Pomuchelskopf, mit Respect zu vermelden, die Wohlthat in’s Gesicht vorhielte, und das schickt sich doch weiß Gott nicht für einen königlichen Beamten –!“

Der Herr Fiscal hatte während dieser ganzen Rede langsam mit dem Kopfe genickt, wobei seine kleinen, hellen, grauen Augen auf den treuherzigen, aber etwas beschränkten Gesichtszügen seines erzählenden Gefährten hafteten. Den Schlußsatz der Adamski’schen Rede schien er mit einem erhöhten Interesse anzuhören, was er dadurch kund gab, daß er die Brille auf die Stirn rückte und den königlichen Beamten neben sich mit umbewaffneten Augen eine Weile anstarrte.

„Jawohl, Alter,“ versetzte er dann nach einer Weile, „das schickt sich nicht für einen königlichen Beamten.“ Der Fiscal sah schweigend zur Seite und pfiff leise vor sich hin.

„Wie seid Ihr in diese Lage gekommen, Adamski?“

„Ja, sehen Sie, trautester Herr Fiscal, das hat sich so gemacht, ich weiß nicht wie; ich denke wohl, es wird Sündenschuld sein und Strafe dafür, daß ich höher hinaus wollte, als es Recht war. Ich war, mit Respect zu vermelden, ein recht ansehnlicher Kerl in meinen jungen Jahren, und sollte als Aeltester von drei Geschwistern den Hof vom Vater übernehmen. Viel Segen wäre zwar auch nicht dabei gewesen, denn ich sollte den Geschwistern ein ansehnlich Stück Geld herauszahlen, was erst hätte aufgenommen werden müssen, und sonst noch allerlei Scheererei. Da ließ ich mir denn leicht zureden, den Hof fahren zu lassen, selber ein Stück Geld zu nehmen, und meiner Wege zu gehen. Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, Husar zu werden, dachte es weit zu bringen, – aber sie wollten mich mit meinen vierzehn Zoll durchaus bei der Garde haben, und so wurde es denn nicht anders. Als ich ausgedient hatte, capitulirte ich und wurde Unterofficier. Das war Alles recht schön, so lange die paar Mutterpfennige vorhielten, und man jung und lebenslustig war. Aber weiter brachte man’s eben auch nicht, und das ewige Casernenleben, Rekruteneinexerciren, Wachtdienst, Parademarsch und all die Schwerenötherei wurde Einem zuletzt so zuwider, daß man aus lauter Langeweile zuletzt hätte mögen in’s Wasser springen. Ich laß es mir wohl gefallen, alle Tage, einmal wie das andere, sein ganzes Leben lang das Nämliche zu thun, nur muß man dafür auch sicher sein, daß man auf seine alten Tage versorgt ist.

Ich hatte nun nachgerade so lange gedient, daß ich lange Anspruch auf eine Civilversorgung hatte. Leider muß ich zu meiner Schande gestehen, daß ich selber nicht wußte, wozu ich brauchbar wäre, was nicht gerade den Dienst anging, Exerciren und dergleichen. Mit dem Lesen ging’s wohl, mit dem Schreiben auch zur Noth, aber sonst hatt’ ich keine große Weisheit zugelernt beim Militair seit der Schule. Aber dienen mochte und konnte ich nicht länger. Ich fühlte, daß ich dem strengen Dienst nicht mehr gewachsen war. Hoch aufgeschossen bin ich wohl, aber meine Brust war nie die stärkste. Das merkten sie beim Bataillon, und gaben mir zu verstehen, daß ich Anspruch auf einen Ruheposten hätte. Ich ließ es mir gesagt sein, und nahm meinen Abschied. Ich bekam die besten Atteste und eine alte Montirung. Als ich alter Esel den Casernenhof verließ, wo ich beinahe neunzehn Jahre gewohnt hatte, und über die morsche Zugbrücke ging, wo ein paar Grenadiere herumlungerten, und nach Gründlingen angelten, da liefen mir die hellen Thränen über die Backen und ich machte, daß ich davon kam. Das Zehrgeld reichte bis in die Heimath. Ich suchte meine Brüder auf; der jüngere war gestorben, der zweite, der statt meiner den Hof übernommen, war ein wohlhabender Pferdebauer geworden. Er wäre wohl freundlicher gegen mich gewesen, aber er hatte zum zweiten Male geheirathet, und die Frau sah nicht eben freundlich drein, als sich ein Schwager meldete, der ziemlich verhungert aussah. Da macht’ ich denn, daß ich beim Zweiten fort kam. Wohin, das wußt’ ich freilich selber kaum. Es reuete mich, daß ich nach Hause gekommen war, und auch wieder nicht; denn ich hatte eine solche Sehnsucht gehabt, wieder einmal die Heimath zu sehen, daß ich krank davon war. Nun war ich wieder zu Hause, das heißt, wie man zu Hause ist, wo Einem nichts zu eigen gehört, als Licht und Luft. Ich meldete mich wohl hier und da – aber Alles war überfüllt, und mit meiner Geschicklichkeit konnte ich eben keinen großen Staat machen. Pünktlichkeit, Accuratesse in allen Dingen, – ja, die konnt’ ich wohl aufweisen, aber mit der sonstigen Gelehrsamkeit stand’s schlimm. Da war ich zuletzt noch froh, hier unterzukriechen, als der Landbriefträgerposten vacant wurde, nachdem mein Vorgänger sich erhängt hatte, als es an den Tag kam, daß er einen Geldbrief mit fünfundzwanzig Thalern nicht verloren, sondern unterschlagen hatte. Es war sonst ein ordentlicher Mensch gewesen, – die Noth hat ihn schlecht gemacht. Hatte eine kranke Frau, die nichts arbeiten konnte, die Wirthschaft verfiel, ein Haufen Kinder lief herum, verwilderte –, jetzt sind sie im Landarmenhause; die Mutter ist auch vor Kurzem gestorben.“

„Und wie lange habt Ihr Euren Posten schon inne?“ – „Zu Michaelis werden es zwölf Jahre.“ – „Ich weiß es aber immer noch nicht, wie Ihr es möglich macht, mit dieser Besoldung auszukommen?“

„Es muß eben gehen, so gut es mag. Wir haben ein bischen Ackerland gepachtet, es ist freilich nicht viel, aber wenn’s Jahr gut ist, muß es doch den Wintervorrath an Kartoffeln geben. Dann spinnen die Frauen wohl ein wenig, aber viel trägt’s auch nicht ab, bezahlen muß man Alles theuer, lösen thut man wenig. Es ist kein Handel und Wandel hier. Dafür verlieren wir aber auch keine Zeit, uns das Fleisch aus den Zähnen zu stochern …“

„Glaub’s wohl, Alter. Können Euch denn nicht die Kinder bisweilen bei den Botengängen helfen?“ – „Bei Leibe nicht, das ist bei harter Strafe verboten. Ich hüte mich wohl, etwas gegen die Instruction zu thun, denn es wäre mein Tod, wenn ich in Strafe käme, und meine Caution angegriffen würde. Mein Bruder hat sie heimlich, ohne Vorwissen seiner Frau für mich bestellt, und ich würde es nicht überleben, wenn er durch mich zu Schaden käme.“

Der Schlitten war während des Gespräches bis zum Dorfe gelangt, vor welchem die Wege der Reisegefährten sich trennten.

„Alter,“ sagte der Fiscal, als er dem Briefträger zum Abschiede die Hand bot, „wenn ich Euch jemals rathen oder helfen kann, so kommt zu mir – ohne Umstände. Und hier (er ließ einen harten Thaler in seine Hand gleiten), Ihr könnt’s von mir annehmen, als von einem Cameraden, wenn ich auch nicht bei der Garde gedient habe. Zum nächsten Winter meldet Euch ja bei mir, es soll sich ein besserer und wärmerer Winterrock für Euch finden.“




Der alte Adamski (wie er genannt wurde, obgleich er eigentlich noch gar nicht so alt war) hat sich aber zur Empfangnahme des Winterrocks bei dem munteren Herrn Fiscal nicht gemeldet; er hat überhaupt bald darauf gar keinen Rock mehr gebraucht, weder Winter- noch Sommerrock. Denn obgleich er beim Gehen immer größere Beschwerden empfand und zuletzt gar nicht mehr fort wollte, so konnte er sich doch keine Ruhe gönnen. Und als es zu thauen begann und er Tage lang im Schnee und Schmutz seine Gänge machen mußte, nach wie vor mit nassen Füßen, da gab es ihm den Rest, und er hatte eben nur noch Zeit, seinen Umgang zu beenden und seine Rechnung abzuschließen, worauf er nach Hause wankte und ein hitziges Fieber bekam, von dem er nicht mehr aufstand, sondern von dem sie ihn hinaustrugen zum wirklichen und wahrhaftigen Ruheposten, als man eben das heilige Osterfest einläutete. Dem freundlichen Herrn Fiscal hat es leid genug gethan, er schickte auch den versprochenen Winterrock und eine reifliche Beisteuer zu den Kosten der Beerdigung, aber mehr vermochte er auch nicht. – Die Frau arbeitet jetzt im Tagelohn, wenn es Arbeit gibt; mitunter schlägt sie Steine an der Straße, an der Stelle, wo einmal die Chaussee gebaut werden soll. Die Kinder sind im Landarmenhause. Die blinde Großmutter sitzt vor der Thür und bettelt; in der Hand hält sie des Verstorbenen Postdienstmütze – nur selten wirft ein Vorübergehender eine kleine Kupfermünze hinein. Aber der freundliche Fiscal fährt niemals vorbei, ohne der Alten zuzurufen: „Gelobt sei Jesus Christus!“ worauf sie gegenruft: „In Ewigkeit, Amen!“ und dann hört sie eine Münze in die Mütze Adamski’s, des Landbriefträgers, gleiten, und führt das Silberstück mit einem Segensspruch für den liebreichen Geber dankbar an ihre Lippen.

  1. Provinziell für: 1 Silbergroschen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Ficsal