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Aus den ersten Tagen Neapolitanischer Freiheit

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Aus den ersten Tagen Neapolitanischer Freiheit
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 633-635
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[633]
Aus den ersten Tagen Neapolitanischer Freiheit.
Dritter Brief eines deutschen Malers.

– – – Noch habe ich’s nicht überwunden: die physische und geistige Hitze dieser drei letzten Tage, das betäubende Jubelgeschrei, die Lichter, die Fackeln, das Wogen und Drängen und Gesticuliren und Declamiren dieser braunen Flammen von Menschen, dieses unerhörte Carnevalsfest der Freiheit, diese Meuchlings-Ueberfälle umarmungs- und kußwüthiger Volksmassen summt und [634] brennt noch durch meine Glieder. Ich bin entsetzlich müde, kann aber vor Aufregung nicht schlafen. Es ist lange nach Mitternacht, aber die Hitze auf meinem Lager treibt mich, die weiche, klare, dunstlose Luft von draußen und der tiefblaue Himmel oben mit seinen hellgoldenen Sternen – o ihr habt keine Ahnung von diesem dunkeln Blau und diesem hellen Gold des italienischen Himmels! – Dies Alles lockt mich, und ich möchte wieder hinaus, durch die entzückten Straßen laufen und am Hafen die Wonnen der Meeresluft trinken und mich in diesem leuchtenden, würzigen, weichen Odem der Nacht baden! Aber nein, endlich muß ich Euch schreiben (ich sage Euch, da ich nicht für Dich allein schreibe und hoffe, daß Du meine Briefe nicht nur –, sondern auch – [folgen Privatbeziehungen] mittheilen wirst). Es ist mir Bedürfniß, mich zu sammeln und wenigstens etwas von diesen Wundern der letzten Tage auf’s Papier und in eine Art von Ordnung zu bringen; höchstes Bedürfniß, mitzutheilen, auszusprechen. O, könnte ich ein Heldengedicht singen, diesen Reichthum wunderbarer Lebensbilder ausführen und einrahmen!

Doch jetzt wollen wir uns mit flüchtig erhaschten und hingeworfenen Strichen begnügen. Zunächst einige Umrisse zu dem Hintergrunde des Hauptbildes am 7. September. Du weißt, wie ich längst nach Neapel gekommen war. Von meiner Thätigkeit nur so viel, daß die Deutschen und Schweizer, die von den Neapolitanern in Bausch und Bogen bald Bavarini, bald Tedeschi – Baiern und Deutsche – mit gleich giftigem Tone genannt werden, sich theils als stupide, rohe Klötze erwiesen, die keine Ahnung von Ehre, Vaterland, Freiheit und dergleichen Idealismen haben, theils als emancipirte, blousirte und von 1848-49 her demoralisirte Abgänge gebildeterer Classen aller möglichen deutschen Regionen: Baiern, Schweizer, Oesterreicher, Berliner, Dresdener etc. Ich hatte es, glaube ich, geschickt arrangirt, daß eines Abends in einem Kaffee- und Limonaden-Hause die meisten deutschen Officiere zusammenkamen, und ich sie wie zufällig traf. Ich sprach ohne viel Complimente ziemlich offen, wie sie ebenfalls. Mit meiner Anspielung aber auf ihr ehrloses Gewerbe und Deutschlands Schande fiel ich radical durch. „Wenn ich vor zwölf Jahren nicht auf Mitbürger geschossen hätte, wäre ich erschossen worden,“ sagte der Eine. Ein Anderer schilderte mit wildaufschäumendem Zorne, wie er gegen ein Städtchen gehetzt worden war, in welchem Vater und Mutter und zwei verheirathete Schwestern mit Kindern lebten, wie er im Namen des Landesfürsten, der Ruhe und Ordnung mit Säbeln und Bajonneten umherwüthen lassen mußte – stets mit dem Gefühl, daß eine der von ihm commandirten Hieb- und Stoßwaffen Vater, Mutter, Schwester treffen könnte, und wie er aus Wuth darüber später zur Gegenpartei übergegangen. Wieder Einige erzählten von ihren Schicksalen in der süddeutschen Bewegung und wie man sie, trotzdem sie nicht die Waffen gegen den „Angestammten“ erhoben, doch so chikanirt und gehudelt, daß sie schließlich hinaus wandern mußten in die Fremde – ohne Brod, ohne Mittel! „Sprech’ uns doch Niemand von der Schande unserer Soldaterei hier! Zu Hause wegen Patriotismus steckbrieflich verfolgt, von Ort zu Ort ausgewiesen, an Niederlassung und Broderwerb polizeilich behindert, tausendfach bemaßregelt und cujonirt, endlich in’s Ausland getrieben – ergriff eben so ziemlich Jeder, was sich ihm bot, was ihm erreichbar erschien, um zu leben. Die Schande, daß wir hier sind, ist allerdings eine Schande, aber wir wollen sie hübsch mit unserer Heimath theilen und ihr von Rechtswegen die erste und größere Hälfte zuerkennen.“

In diesem Sinne rechtfertigten sie sich. Obgleich ich ihnen logisch nicht Recht geben konnte, fühlte ich mich doch auf meinem Standpunkte zu sehr beschämt, als daß ich ihnen etwas Gescheidtes hätte entgegen halten können. Im Uebrigen waren sie ganz nach meinem Sinne und erklärten ganz offen, daß sie mit Freuden ihren alten Brodherrn zum Teufel gehen sähen, um bei einem neuen Herrn, einem Helden und Soldaten, Dienste zu nehmen. Mehr war vor der Hand nicht nöthig. Kein Einziger verlor ein Wort für den längst moralisch verfallenen und gehaßten „Brod-“ und respective „Kriegs-Herrn“. Sie betrachteten sich ganz naiv als „Söldlinge“ und waren froh, aus einem abgelaufenen, schmachvollen Dienste gleich wieder in einen neuen, ehrenvolleren eintreten zu können. Ich hatte nämlich Autorität, ihnen zu sagen, daß sie der neuen Regierung willkommen sein würden, wenn sie mit Leib und Seele übergingen. Welch gefährliche Unterhandlung! Vielleicht wäre ich zu jeder andern Zeit erschossen worden. Jetzt dachten weder ich, noch die Landsleute an irgend eine Gefahr. Garibaldi war im Geiste schon da, der König aber nur noch ein verschwindender fahler Schatten. Er war am 4. Abends auf eins seiner mächtigen Kriegsschiffe gegangen, um zu fragen, ob man ihn fortschaffen wolle. „Wohin?“ fragt der Capitain. „Wohin ich befehle!“ „Nein,“ antwortete der Capitain; „nach Gaeta, ja, aber in keinen auswärtigen Hafen.“ – Die Majestät sollte beabsichtigt haben, wenigstens so viel Flotte wie möglich mitzunehmen – nach Triest. Die Flotte blieb und stellte sich sofort der neuen Regierung zur Verfügung. Er mußte auf einem fremden Schiffe fliehen, wie Louis Philipp in einer gemietheten Droschke.

Es war am Donnerstage, den 6. September Abends, als der letzte der Bourbonen schmachvoller, als je ein Tyrann, endete und floh, moralisch und politisch todt und noch athmend, lebend! Am Morgen brüllten die berüchtigten Fischweiber noch um Rettung für ihren König gen Himmel und durch die Straßen.

Am 6. Vormittags etwa um 10 Uhr stieg ich aus einer der vielen nach der berühmten Toledo herunterlaufenden Straßen herab und war in einer Minute von vielleicht ein Dutzend Droschkenkutschern umgeben, da ich Miene gemacht hatte zu fahren. Sie fluchten und schlugen sich thatsächlich um mich, wüthend gemacht durch den Mangel der letzten Tage, die vielleicht 100,000 der wohlhabendsten Bewohner aus der Stadt getrieben. (Dafür sind nun auch vielleicht doppelt so viel gekommen, als der König verschwunden und Garibaldi erschienen war.) Ich entschied mich, arg zugerichtet – aber in der besten Absicht mißhandelt – für den Einen und flog wie auf einem Luftschiffe durch die brennende, blendende Toledostraße. Welch seltsame Thätigkeit! An allen Läden mit königlichen Insignien (Hoflieferanten) war man leidenschaftlich beschäftigt, die Wappen, Schilder und Decorationen des Bourbonenthums theils abzureißen, theils auszukratzen oder zu überstreichen.

Dafür stiegen die Tricoloren Sardiniens auf. Selbst die königlichen Lotterie-Gebäude und das königliche Postamt waren eifrig mit dieser Metamorphose beschäftigt – sechs Stunden vor der Abfahrt des letzten Bourbonen. Als ich nach zwei Stunden zurückkam, war in der ganzen, langen, breiten, glänzenden Toledostraße die letzte Spur königlicher Ab- und Auszeichnungen verschwunden – Alles voll sardinischer Tricoloren und Vorbereitungen zu der großen Garibaldi-Illumination des folgenden Abends. Während des ganzen Tages schleppten sie königliche Koffer und Kisten auf zwei spanische und einen österreichischen Dampfer. Um 8 Uhr Abends soll der junge Mann, bisher von Gottes Gnaden König beider Sicilien und von Jerusalem etc., Herzog von Parma und Piacenza etc. (er hatte noch mehrere erhabene Titel) mit seiner jungen, unglücklichen deutschen Frau durch eine nach dem Hafen öffnende Hinterthür des „realen Palastes“ auf einen dieser spanischen Dampfer gekommen und nach Gaeta abgefahren sein. Ich habe Niemanden finden können, der zusah. Es scheint sich Niemand hinzugedrängt, darum bekümmert zu haben.

Die Stadt blieb ruhig bis etwa 101/2 Uhr. Da stieg über dem Dache des Café d’Europa die größte Fahne mit dem Kreuze des Hauses Savoyen hoch in die klaren Abendlüfte. Ganz Toledo, das ganze Westende Neapels, brach in ein betäubendes Jubelgeschrei aus, das weit von der Chiaga und dem Berge Posilippo und vom Süden her aus dem weiten Hafen wiederhallte, von den Mastbäumen und Dampfschlotten wiederholt und verstärkt ward. Jeder wußte, daß der König geflohen und Garibaldi im Anzuge war. So machte sich der erste volle Aufschrei des Freiheitsgefühls geltend, und mit welchen neapolitanischen Gliedern und Kehlen! Es ist nicht möglich, diese Zuckungen und Gesticulationen, diese umherschießenden Flammen der Blicke, Arme und Beine, diese Mimik und Gymnastik neapolitanischer Leidenschaft zu schildern.

Am folgenden Morgen um 12 Uhr war er glücklich angekommen, 60 geographische Meilen weit her, die er in 17 Tagen durch das Land Neapel mit 100,000 Mann Kerntruppen – als Führer einer rasch zusammengewürfelten kleinen Schaar – Schritt für Schritt Sieger und Held – zurückgelegt hatte.

Ich sah ihn nicht ankommen. Die Straßen voller Fahnen und Flaggen und Ilunminations-Decorationen, voll marschirender National-Garde und ihrer National-Fahnen, voll Menschengewühl und wahnsinnigen Jubelgeschreis machten es mir und tausend Anderen unmöglich, in die Nähe des Eisenbahnhofes zu kommen, wo ihn Deputationen und Gesandten-Equipagen und tobende Wogen [635] souverainen Volks erwarteten. Etwa um 1 Uhr passirt der Garibaldi-Zug – zwanzig Equipagen, Soldaten, Nationalgarde, Volksmasse – durch die Castell-Straße vor mir vorbei. Er sitzt im Wagen des französischen Gesandten, umtobt, umklettert von heißen, brennenden Gesichtern und Händen, die nach ihm drängen und greifen, als wollten sie ihn zerreißen. Er sitzt ruhig und schaut mit unbewegtem, melancholischem Ausdruck in dieses tobende Meer von braunen Köpfen, Armen und Händen. Die regnenden Blumen fallen zum Theil auf seinen staubigen, zerdrückten Hut und eine volle, üppige Blüthentraube weißen Oleanders trifft ihn in’s Gesicht. Er lächelt hinauf zu dem Balcon, aber nur wie ein flüchtiger Sonnenblick durch den bewölkten Himmel. Der traurige Ausdruck seines rasch alternden Gesichts kehrt wieder und bleibt. Ich wußte, daß er durch die Toledo hinunter fahren und im Palazzo della Regina di Savoia, gegenüber dem „realen Palaste“, auf dem großen Platze am Ende der Toledostraße aussteigen würde. So sichere ich mir auf Umwegen einen Platz, dem großen Balcon des Palastes gegenüber, und sehe ihn aussteigen. Wie klein, wie armselig sieht er aus in seinen grauen Beinkleidern, dem rothen Hemde, mit dem taschentuchartigen Panuelo lose um die Schultern geknüpft, und dem bestaubten, zerdrückten Hute, unter welchem dünn gewordene, oft graue Locken hervorquellen, wie proletarierhaft in Front des stattlichen alten Königspalastes! Die Türr’s, Bixio’s, Carini’s und sonstige Helden neben ihm fallen mehr in’s Auge; das beispiellos Malerische von Costümen und Menschen um ihn her verdunkelt ihn. Aber er wird auf den großen Balcon herausgeschrieen und kann hier zum ersten Male in seiner schmucklosen Heldenwürde, in seinem eigenen solarischen Gotteslichte gewürdigt werden. Welch eine Beseligung quillt und strahlt aus dem Antlitze eines edlen Menschen! Wir Maler haben sehen gelernt! Auch das Sehen ist eine Kunst. Ich bin überzeugt, daß wenige Menschen, daß alle diese Tausende mit ihrem betäubenden Jubelgeschrei nicht diesen innigen, erhebenden Genuß gehabt haben, wie ich beim Anblick meines Helden in seiner einfachen Glorie, wie er so allein da stand in der Mitte des langen Balcons und sich ruhig, wehmüthig herabbeugte auf die tobenden Wogen des brüllenden, maßlosen, unerschöpflichen Jubelgeschreis.

Er war mit einem reichen Gefolge herausgetreten. Aber Alle zogen sich zurück und ließen ihn allein. Er läßt sie toben und blickt mit festem, ruhigem Auge vorgebeugt herab. Keine Muskel bewegt sich, fest ruht der Ausdruck des – Mitleids, der Wehmuth in seinem Auge. In einer antiken Versammlung von Menschen hatten sich Götter incognito eingefunden. Niemand erkannte sie; aber Einer – wer war’s doch? entdeckte sie an dem ruhigen, festen, unblinkenden Blick des Auges. Auch Garibaldi’s Auge hatte einen solchen Blick. Und was ist die Stirn des berühmten Vaters der Götter und Meuschen von Phidias gegen den Vorderkopf Garibaldi’s? Wie er den Hut abnahm, leuchtete mir diese Stirn, so oft ich sie auch bewundert, in nie geahnter Glorie und eigenster Majestät. Welche edle Gehirnmasse drängt sich hervor von einem Schlafe zum andern! Welche gewaltige Wölbung der obern Stirn! Ueber den Augen tritt sie schon ungewöhnlich hervor, dann folgt eine Art Thal, das durch die majestätische, gewaltige Aufwölbung oben beschattet wird. Das ist der Olymp seines Heroismus. Man würde erschrecken vor diesem Felsen der Kraft und des Entschlusses, wäre das Auge darunter nicht so mild, so weich, so menschlich, und sein Lächeln – trotz der gewaltigen Furchen von Sorgen und Arbeit – nicht so süß, seine Stimme nicht so musikalisch melodiös. Er läßt sie toben. Der Ausdruck melancholischer Wehmuth verläßt ihn nicht. Er kennt die dämonische Unhaltbarkeit des Volks-Enthusiasmus: heute breiten sie Palmenzweige und ihre eigenen Kleider auf seinen Weg, morgen schreien sie vielleicht: Kreuzigt ihn! Er weiß, welch ein erbarmenswerthes, planmäßig verwahrlostes entadeltes Volk da unten tobt und jauchzt! Er weiß auch, was noch vor ihm liegt. Die Feinde im Felde fürchtet er nicht, aber wie allein, allein, allein steht er zwischen brütenden, feigen, tückischen, zitternden, habsüchtigen dynastischen Interessen und Diplomaten! – Was auch daraus werde, ewig im Sonnenglanze der Höhen unserer Weltgeschichte steht der Augenblick, als er schweigend, wehmüthig, ruhig herabsah auf die ersten Feuerwogen der Begeisterung eines von ihm beispiellos befreiten Volks. Endlich sprach er. Seine Rede wird in den Zeitungen zu finden sein. Goldene, feurige Worte, aber das können andere Leute auch. Mir war der schweigende Mann der That die höchste Glorie des Bildes. Auch was folgte, hatte wenig Werth für mich. Uebermüdet floh ich Abends aus den brillantenen Excessen der Illumination, wobei sich auch Dirnen als Freiheitsgöttinnen herumtrieben.