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Aus den Zeiten der schweren Noth/Napoleon der Erste in Potsdam

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Textdaten
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Autor: Georg Horn
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Titel: Aus den Zeiten der schweren Noth
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 50, S. 827–829
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Aus den Zeiten der schweren Noth.


Napoleon der Erste in Potsdam.


Alle geschichtlichen Ereignisse haben in sich einen tiefen Zusammenhang, mögen sie noch so heterogener Natur sein, mögen sie auch noch so weit auseinander liegen. Die Katastrophe, durch die im Jahre 1806 bei Jena der preußische Staat zusammenbrach, war eine Folge einer Reihe politischer Fehler und ein Beginn besserer Einsicht, einer inneren Kräftigung und Erstarkung, aus welcher die Erfolge der jüngst entschwundenen großen Jahre langsam, aber sicher herangereift sind. Das Ende der welthistorischen Verwicklung, durch welche zwei der geistig begabtesten und geistig bewegtesten Völker ihre innere Correction erhalten haben, ist in der einfachen Thatsache zusammengefaßt: König Wilhelm in Versailles; der Anfang und das Seitenstück dazu in der rückwärtsliegenden: Napoleon der Erste in Potsdam. Wir kennen ersteres Capitel der allerneuesten Geschichte genau aus den Berichten unserer Zeitgenossen. Es wird gut und lehrreich sein, mitten aus unserem stolzen Siegesbewußtsein den Blick rückwärts zu wenden in eine Zeit, wo das Vaterland, das jetzt so groß und herrlich dasteht, darniederlag und aus tausend Wunden blutete, in eine Stadt, die Lieblingsresidenz der preußischen Könige, an der sich deutlicher und charakteristischer als an jedem anderen Orte der Wechsel großer Geschicke kennzeichnete und fühlbar machte.

Die Schlacht von Jena war geschlagen. Man wollte am Tage derselben, am 14. October, an ruhigen Havelstellen den Donner der Kanonen von Jena gehört haben. Bis zum 16. October hatte man in den beiden Residenzstädten Berlin und Potsdam keine Nachricht. An dem genannten Tage brachte die „Berliner Zeitung“ endlich die Hiobspost der verlorenen Schlacht. Die Spannung, die Angst, die Aufregung war in allen Gemüthern auf’s Höchste gestiegen. Am 16. October Abends fuhr die von Leipzig nach Berlin über Potsdam führende Leipziger Straße entlang ein sechsspänniger Wagen; er rollte über die Havelbrücke in Potsdam dem Stadtschlosse zu, wo er hielt. Es wurden Anstalten zum Umspannen gemacht. Ein sechsspänniger Wagen war unter diesen Umständen ein Ereigniß, umsomehr, als man in demselben den Wagen der Königin Louise erkannte. Alsbald war er von einer dichten Menschenmasse umringt. Voll Schmerz und Bestürzung mußte das Publicum in einer der Damen, die mit verweinten gramvollen Zügen in dem Innern saßen, die Königin erkennen – ernst und traurig sie, die einst so schön, so heiter, so strahlend ihr königliches Glück genoß. Sie, die vielleicht des Trostes am bedürftigsten war, sie fühlte, daß sie denen, die sie umstanden, die ihr, dem Könige und den Truppen, als sie Anfang Septembers ausgezogen waren, mit freudiger Siegeshoffnung zugejauchzt hatten, daß sie den Bewohnern, die treu an ihr hingen und von denen sie viele persönlich kannte, ein Wort des Trostes und der Beruhigung schuldig war. Und sie neigte sich zum Wagenfenster heraus und sprach mit ihnen, und versicherte sie, daß noch Alles gut gehen werde. Dann fuhr der Wagen ab. Wohin? das wußte Niemand und Niemand wagte die Frage, obwohl sie auf allen Mienen geschrieben stand, aber daß die Königin in Potsdam nicht geblieben war, das war schon ein schlimmes Vorzeichen, und die schlimme Ahnung, die es erzeugte, sollte sich denn auch bald erfüllen.

Am 20. October war es außer allem Zweifel, daß die französischen Truppen die Kurmark besetzen würden. In der Nacht vom 21. auf den 22. October traf denn auch eine französische Husarenpatrouille unter Führung eines Officiers ein. Derselbe kündigte die Ankunft des dritten, des Davoust’schen Armeecorps an und daß in der Stadt tausend Officiere, größtentheils vom Generalstabe, einquartiert werden sollten, daß zwölf Reitpferde für den Stall des Marschalls zu stellen seien, und daß sechszigtausend Mann in der Stadt und um dieselbe bivouakiren würden und verpflegt werden müßten. Und sie ließen auch nicht auf sich warten. Die Städte Potsdam und Berlin mußten täglich sechszig- bis achtzigtausend Portionen Brod, zwei- bis dreihunderttausend Flaschen Wein und Fourage für fünfzehntausend Pferde [828] auf drei Wochen lang liefern. Die Wachtfeuer in den folgenden Octobernächten verkündeten ihre Ankunft. Es kamen die Têten und Avantgarden der Armee, die den Ruf ihrer Unwiderstehlichkeit wie einen Schatten des Schreckens vor sich herwarf. Endlich kam er selbst an der Spitze seiner Garden, der Gewaltige, der Alles, was sich ihm widersetzen wollte, mit eherner Faust niederschmetterte, der Mann mit dem Bronzeantlitze und dem Schlachtengenie, Kaiser Napoleon der Erste, der bewundernd zu dem Genius eines Friedrich des Großen aufsah und die Monarchie, die dieser gegründet, vor wenig Tagen zertrümmert hatte.

Es war am 24. October, Morgens ein halb Elf; der Kaiser ritt durch die Colonnaden in den Lustgarten ein, an den der Drillplatz stößt, auf welchem der Vater Friedrich’s des Großen sein Riesenregiment exercirt hatte und den man damals mit dem vollsten Recht die hohe Schule des preußischen Exercirreglements nannte, und noch heute nennt. Er ritt die Rampe, die zum Eingange des Schlosses führt, hinauf; dort erwartete ihn sein Palastgouverneur Duroc, der ihn in das Schloß einführte, in welchem von Joachim Friedrich an alle Kurfürsten und Könige gewohnt hatten, in welchem der große Kurfürst und Friedrich Wilhelm der Erste ihren letzten Seufzer ausgehaucht hatten.

Nachdem der Kaiser den Marmorsaal und die Prunkgemächer des Schlosses in Augenschein genommen, ließ er sich vom Castellan und dem fertig französisch sprechenden Kammerdiener Tamanti, der als Dolmetscher zwischen ihm und dem Castellan diente, in die Gemächer Friedrich’s des Großen führen.

Der Castellan öffnete eine Thür und führte den Kaiser durch mehrere Vorgemächer in den Marschallstafelsaal, und in das Speisezimmer Friedrich’s des Großen; von da traten sie in ein in den Ecken abgerundetes kostbar eingerichtetes Zimmer; in die Wände waren Oelbilder von Pesne und Lancret eingelassen, eines stellte die tanzende Cochois mit ihren Schwestern dar, dieselbe Cochois, die später den Marquis d’Argens heirathete. Die Möbel waren von grünlackirtem, reich vergoldetem Holz mit rosa Atlas bezogen. Am Fenster stand ein Musikpult von Schildpatt mit vergoldeten Bronzen, an der Wand ein kleiner Flügel.

„Das ist das Musikzimmer Friedrich’s des Großen,“ berichtete der Kammerdiener, „und nun werde ich Ew. Majestät in ein kleines Cederncabinet führen, durch welches der große König jeden Morgen, aus seiner Garderobe kommend, in sein Schreibzimmer ging; Ew. Majestät betreten jetzt dasselbe.“ Der Kaiser war durch das besagte kleine Gemach gegangen und sah sich in einem Zimmer, das ganz in Geschmack der Rococozeit möblirt war. Die Wände waren mit weißem Lack bekleidet, auf dem in erhabener Arbeit farbige Blumen- und Fruchtgehänge angebracht waren. Die Möbel von vergoldetem Holze hatten Bezüge von blauem Sammet; der Schreibtisch trug reiche Schildpatt-Zierrathe; in der Ecke befand sich ein kupferner vergoldeter Drachenkopf, durch dessen weitgeöffneten Rachen nach russischer Weise die erwärmende Luft in das Zimmer strömte. Tamanti machte den Kaiser auf die Spiegel aufmerksam, die überall im Zimmer angebracht waren. Vermöge derselben konnte der König Alles sehen, was auf der Straße und der Brücke vorging, auch die Leute, welche an den gegenüber an der Straße gepflanzten Linden sich aufstellten und ihre Bittschriften hoch emporhoben, um sie dann den Dienern zu übergeben, die der König auf die Straße hinabsandte.

Die meiste Aufmerksamkeit schenkte der Kaiser einem Appartement, welches durch eine Spiegelglasthür mit dem Schreibzimmer in Verbindung stand, einem großen Gemach, dessen Wände mit blauseidenen, silbern geblümten Tapeten bekleidet waren. In gleichem Geschmack waren das in dem Gemach befindliche Sopha und die Stühle gehalten. In der Mitte standen einige große Tische mit Platten von Amethyst und ein anderer, dessen Platte mit grünem Sammet überzogen war. An diesen großen Raum stieß ein kleinerer, alkovenartiger; er war von jenem durch eine Balustrade von massivem gegossenen Silber getrennt, auf der massivsilberne Kinderfiguren angebracht waren. In diesem Alkoven standen blaue, mit Silber verzierte Schränke, die eine vollständige Bibliothek enthielten.

„Das ist das Schlafzimmer des großen Königs,“ bemerkte Tamanti.

„Wo ist die Stelle, wo der König geschlafen hat?“ fragte der Kaiser.

Der Castellan bezeichnete auf die an ihn gerichtete deutsche Frage Tamanti’s eine Stelle an der Wand, wo das Bett gestanden hatte.

„Warum ist aber das Bett nicht mehr hier? Wo ist es hingekommen?“

Tamanti erwiderte, daß König Friedrich Wilhelm der Zweite es seinem Geheim-Kämmerer Rietz geschenkt habe; im Uebrigen seien alle Möbel wie zur Zeit des großen Monarchen noch vorhanden. An dem mit grünem Sammet bezogenen Tische habe der König oft bis spät Abends noch geschrieben.

Durch das silberne Brustgeländer führte eine Thür in den Alkoven und von da in ein mit Ponceausammet decorirtes Gemach mit etwas üppigen Gemälden von Vanloo und Lesueur; in der Mitte derselben stand eine runde Tafel, die sogenannte Confidenztafel, an welcher der König unbelästigt von jeder Dienerschaft speisen konnte. Die Tafel ging in die Tiefe und wurde durch Gegengewichte aus derselben wieder heraufgehoben. Hier verweilte der Kaiser jedoch nur sehr kurze Zeit. Sein Interesse wandte sich wieder dem Schlafzimmer zu.

Auf einem Tische bemerkte er einen Ringkragen, eine Schärpe, ein orange Ordensband mit einem blau emaillirten Kreuze und schwarzen Adlern zwischen dessen Balken, endlich einen Degen.

„Wem gehörten diese Gegenstände?“ richtete er von Neuem die Frage an den Kammerdiener, den wohl ein leiser Schrecken befallen hatte, als er sah, daß dem Kaiser diese Gegenstände in die Augen gefallen waren.

„Es sind Reliquien des großen Königs, sein Ringkragen, seine Schärpe, der Schwarze Adlerorden und der Degen, den er getragen.“

„Aber ich begreife nicht,“ bemerkte der Kaiser, „daß dieser Degen so klein ist.“

Vielleicht mochte schon in seiner Seele der Argwohn aufsteigen, daß man den echten weggenommen und einen falschen hierher gelegt habe, was leider nicht geschehen war. Einer aus der Umgebung bemerkte, daß er denselben Degen schon früher an derselben Stelle gesehen habe. Napoleon sah sich dann noch mehrere Sachen aus der Zeit und aus dem Gebrauche des großen Königs an und sagte beim Verlassen des Zimmers, das seine ausschließliche Aufmerksamkeit gefesselt hatte, zu Tamanti:

„Sind nach dem Tode des großen Königs in diesen Räumen Veränderungen vorgenommen worden?“

Als der Angeredete diese Frage verneinte, fügte er hinzu:

„Das ist auch recht. Diese Räume müssen zum Angedenken des großen Mannes in derselben Gestalt, in welcher er sie bewohnt hat, erhalten bleiben. Man soll die Gemächer sorgfältig verschließen!“

Als der greise Castellan auf Weisung Tamanti’s diesem Befehle nachkam, wurde der Kaiser auf ihn und seine ehrwürdige, vom Alter gebeugte Gestalt aufmerksam.

„Hat dieser Mann noch unter dem großen Könige gedient?“

„Ja, Sire,“ erwiderte der Kammerdiener, „er ist sogar vom hochseligen Könige noch zum Castellan gemacht worden.“

Wie Napoleon von jeder Erinnerung, die sich an Friedrich den Großen darbot, mit bewundernder Ehrfurcht erfüllt wurde, so stellte er in diesem Gefühle auch den Castellan – Knopf war sein Name – seiner Umgebung mit den Worten vor:

„Dieser Mann hat noch unter dem großen Könige gedient.“

Vor dem Eingange, durch den er in das Schloß getreten war, stieg der Kaiser dann zu Pferde, mit ihm eine zahlreiche aus Generalen und Officieren bestehende Suite. Ein Stallmeister aus dem königlichen Marstalle ritt voran, und dieser hatte den Befehl, den Kaiser nach dem Neuen Palais und von da zurück nach Sanssouci zu führen. Das erstere, am Ende der großen Allee von Sanssouci gelegen, bietet nicht so viele persönliche Erinnerungen an Friedrich den Großen dar, als das die Terrassen krönende kleinere Schloß von Sanssouci. Im Neuen Palais hielt sich der König nur eine kurze Zeit im Sommer auf, so lange er Brunnen trank, oder wenn er fürstliche Gäste hatte. Das neue Palais war sein Repräsentations-, Sanssouci aber sein Wohnhaus, wo er mit Ausnahme der Wintermonate, die er in Potsdam oder in Berlin residirte, die meiste Zeit zubrachte. Hier verweilte Napoleon mit nicht geringerem Interesse als im Stadtschlosse. Er selbst sagte später [829] von diesem Besuche, daß er sich eines schwer zu beschreibenden Gefühls nicht gut erwehren konnte, indem er die Stufen zum Palaste Friedrich’s hinaufstieg, indem er Sanssouci und alte die Orte besuchte, die durch den großen König geweihet worden sind. Am meisten fühlte er sich von der Geisteswerkstätte des königlichen Weisen, von dem Bibliothekzimmer in Sanssouci angezogen. Er schloß selbst den Bücherschrank auf und nahm einige Bände heraus; es waren gerade die Werke Friedrich’s des Großen. Er zeigte dieselben seiner Umgebung, ebenso den von Friedrich’s Hand geschriebenen Katalog. Auf einem Pulte bemerkte er dann verschiedene Musikalien.

„Das sind wohl die Musikalien, die der große König beim Flötenspiel benutzte?“ richtete er die Frage an den Castellan Droz, der des Französischen vollkommen mächtig war. Dieser bestätigte es.

„Ja, meine Herren!“ wandte er sich zu seiner Umgebung, „dieser große Mann hat sieben Jahre lang dem halben Europa Widerstand geleistet und dabei noch Zeit übrig gehabt, auf der Flöte ein großer Künstler zu sein.“

„Was ist da – dieser Foliant auf dem andern Pulte?“

Ohne die Antwort des Castellans abzuwarten, hatte er den Titel des aufgeschlagenen Buches gelesen und fand, daß es die Kriegskunst von Puységur war. Es war gerade das Capitel vom Tragen des Degens aufgeschlagen.

„Es ist gewiß nicht dasselbe, welches ein Friedrich las,“ bemerkte er mit einem Lächeln.

Diese Besuche hatten ihn einige Stunden in Anspruch genommen. Als er in das Stadtschloß zurückkam und von Duroc vernahm, daß im Neuen Garten von Seiten des französischen Militärs Gewaltthätigkeiten stattgefunden hatten, befahl er um alle Schlösser in und um Potsdam Sicherheitswachen aufzustellen. Am nächsten Morgen ließ der Kaiser seine Garden und seine Lieblingstruppe, die reitende Artillerie, im Lustgarten vor den Fenstern seiner Wohnung manövriren. Wußte er vielleicht, daß auf demselben Platze Friedrich der Große seine ersten Versuche mit reitender Artillerie gemacht hatte? Jedenfalls war es ihm, dem Verehrer des großen Genius, nicht unbekannt, daß dieser der Erste war, der die Nothwendigkeit einer größeren Manövrirfähigkeit der Artillerie erkannte, und vielleicht wollte Napoleon gerade an diesem historischen Orte zeigen, was hauptsächlich auch durch ihn, durch Marmont und Lauriston aus dem Kinde geworden war, dessen Wiege hier gestanden hatte. Nach dem Manöver setzte er sich mit seinen Marschällen und Generalen zu Pferde und ließ sich von dem voranreitenden Stallmeister Müller den Weg nach der Garnisonkirche, zur Gruft Friedrich’s des Großen zeigen. Die Kirche ist vielleicht vom Stadtschlosse nur etwa dreihundert Schritte entfernt; es wäre leichtere Mühe gewesen, den Weg dahin zu Fuß zu machen, aber der Kaiser schien etwas darin zu suchen, dem im Todesschlaf Ruhenden seine Huldigung in aller militärischer Form zu erweisen.

Der stellvertretende Prediger Derège war abwesend; es mußte also schnell die Kirchendienerschaft, der alte Hofküster Geim an der Spitze, der die Notizen über diesen Besuch auch aufgezeichnet hat, zusammengerufen werden. Der Kaiser ritt am Thurmeingange vor, während die Kirchendiener an einem andern Eingange seiner harrten und erst auf das Pferdegetrappel hin an den Thurmeingang eilten. Es bedurfte jedoch einiger Zeit und Anstrengung, bis man die schwere Thüre, die diesen ungewöhnlichen Eingang in die Kirche verschloß, öffnen konnte, bei welchem Geschäft der Marschall Duroc den Hofküster unterstützte.

Die Gruft befindet sich unter der Kanzel, dieser gegenüber der königliche Kirchenstuhl, und in dem Raume dazwischen stand damals der Altar. Das Gefolge war durch eine andere Thür eingetreten und hatte sich, man kann nicht anders sagen, mit allem Ausdruck der Ehrfurcht vor der Bedeutung dieses Ortes um den Altar gruppirt. Vor dem Eingang zur geöffneten Gruft hatten sich zwei Elite-Gensd’armen aufgepflanzt. Der Hofküster führte den Kaiser aus dem schmalen Gang an den bestimmten Ort. Hinter Napoleon ging der Leibmameluk Rustan und hinter diesem noch zwei Elite-Gensd’armen. In der allgemeinen Stille widerhallten in dem hohen Kirchengewölbe die Schritte der auf den Fliesen Dahingehenden. Geim trat in die Gruft und wies mit stummer Geberde auf den schmucklosen Metallsarg, der ohne jede Erhöhung auf dem Boden rechts an der Wand stand, als auf den Sarg, in dem Friedrich der Große ruhte.

In tiefer stummer Betrachtung stand der Heros des neuen Jahrhunderts vor den sterblichen Ueberresten des Heros des vergangenen. Es war Todtenstille in der Kirche; kein Laut, keine Bewegung ging durch den weiten Raum derselben, bis der Kaiser die Worte sprach: „Sic transit gloria mundi!“ Mit ihm war sein Bruder Jerôme in die Gruft getreten, aber bald gab er diesem, so wie Allen, die um ihn waren, einen Wink, daß sie ihn allein lassen sollten. Sie traten an den Vorraum zurück. Nun stand der Kaiser allein in der Gruft, sichtbar Allen, die den Altar umstanden, allein mit dem Andenken eines Mannes, in dem er Geist von seinem Geiste fühlte und eine Ebenbürtigkeit des Genius, die er keinem lebenden Wesen zugestand, allein mit dem großen Todten, der einst die Welt regiert hatte, wie er sie jetzt regierte, und der da, Staub und Asche, in dem dunklen Sarge vor ihm ruhte.

Nach etwa zehn Minuten trat er wieder heraus und besah sich den übrigen Kirchenraum. Er deutete auf den Altartisch und frug, zu welchem Zwecke er diente.

„Er wird zu Taufen und bei der Abendmahlsfeier gebraucht,“ antwortete der alte Geim.

Da er keine heiligen Gefäße sah, so frug er ferner den Küster nach denselben und erfuhr dann, daß sie bis zum jedesmaligen Gebrauche in der Sacristei verschlossen blieben. Dem Auge des Kaisers schien Nichts zu entgehen, was irgend eine charakteristische Färbung oder Bedeutung hatte. So standen zu damaliger Zeit in der Garnisonkirche zwei marmorne Figuren, Mars und Minerva, welche später auf Andringen des Bischofs Eylert hinweggebracht und im Potsdamer Stadtschlosse auf dem Treppenaufgang vom Schloßhofe her aufgestellt wurden. Nichts kennzeichnet mehr den künstlerischen Geschmack im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts, nichts mehr die unbefangene Naivetät des frommen Königs Friedrich Wilhelm des Ersten, als diese beiden heidnischen Götter an christlicher Stätte, durch die er die Bestimmung dieses Gotteshauses als Garnisonkirche andeuten wollte. Wenn diese Unzukömmlichkeit sich dem Bewußtsein jedes denkenden Menschen aufdringen mußte, um wie viel mehr nicht einem Geiste wie Napoleon dem Ersten! Er frug auch, was die Figuren hier eigentlich für eine Bedeutung haben sollten, und als der alte Geim ihm diese erklärte, antwortete er mit einem halb verwunderten, halb mißbilligenden: „Bah!“

Ehe er jedoch die Kirche verließ, bestimmte er noch gegen Duroc, daß dieselbe unter seinem unmittelbaren kaiserlichen Schutze stehen solle, und weder zu einem Magazine noch zu einem Lazarethe, oder gar einem Stalle benutzt werden dürfe.

Das war der Besuch des neuen Cäsars in dem preußischen Versailles. Wie es den Anschein hatte, sollte der Aufenthalt des Kaisers in Potsdam vorzugsweise eine Todtenhuldigung für den großen König bezwecken. Am nächsten Tage ging er nach Berlin weiter. Die Gegenstände des großen Königs aber, die er im Schlafzimmer desselben im Stadtschlosse gefunden, den Ringkragen, die Schärpe, den Orden und den Degen Friedrich’s des Großen, nahm er an sich und übergab sie in einer Audienz am 19. November den Deputirten des französischen Senats, die zu einer Beglückwünschung von Paris nach Berlin gekommen waren, mit dem Befehle, sie dem Gouverneur des Invalidenhauses in Paris zuzustellen. Er selbst sagt davon, daß dergleichen Trophäen den Werth von hundert eroberten Fahnen haben, und daß man vergessen konnte, sie fortzuschaffen, beweist nur die Verwirrung, die Bestürzung, welche in Preußen herrschte, als die Nachricht ankam von der Katastrophe, welche die Armee betroffen hatte.

Nur acht Jahre verblieben diese Trophäen in Paris; dann wurden sie mit all den Kunstgegenständen wieder heimgeholt; es waren unter letzteren allein aus den Schlössern in und um Potsdam an Gemälden und Statuen zweiundvierzig Kisten nach Paris geschafft worden, ohne dessen zu gedenken, was die Generale noch so nebenbei mitgehen hießen; sie wurden heimgeholt, nachdem die siegreichen verbündeten Heere Paris eingenommen, und sich an dem überwundenen Imperator dasselbe Wort erfüllt hatte, das er einst am Sarge Friedrich’s des Großen gesprochen: „Sic transit gloria mundi!“

Georg Horn.