Aus den Schreckenstagen zu Teplitz
Ein Erdbeben, eine Feuersbrunst während eines Orkans, vielleicht selbst das Ausbleiben der Sonne hätte nicht eine so hochgehende Aufregung in der uralten Thermenstadt Teplitz hervorbringen können, wie das plötzliche Verschwinden der Stadtquelle, der starken Hauptquelle in der Nacht vom 12. zum 13. Februar.
Am 12. Abends erhob sich ein plötzlicher Sturmwind, der in kurzen, starken Stößen über das stattliche Teplitz dahinfuhr, und wenige Minuten später verlor die Quelle, die seit Menschengedenken brausend aus zwei Löwenköpfen in der Stärke zweier Mannesarme hervorschoß, ihren Druck und rann, wie ein gebrochenes Leben, schwach und unregelmäßig.
Die Beamten der Stadt und des Stadtbades durchwachten eine bange Nacht. Wie das Bett eines Sterbenden umstanden sie die uralte Quellenfassung, belauschten jede Veränderung, jede Fluctuation, wie der Arzt den Pulsschlag eines Kranken, um endlich eine Art Todesröcheln zu vernehmen, mit welchem die Quelle in die Erde zurücktrat. Früh gegen 8 Uhr rannen die letzten Tropfen aus der Mündung, und damit waren sämmtliche Bäder der Stadt Teplitz ohne jenes köstliche Gut, von dem Hunderttausende mit dankerfülltem Herzen sprechen; nur das beim benachbarten Badeorte Schönau liegende Steinbad hatte, gleich den sämmtlichen Schönauer Quellen (Schlangenbad, Neubad und Wiesenbad) sich in der bisherigen Kraft und Fülle erhalten.
Man konnte das schwere Unglück nicht fassen; am allermeisten lehnte man sich gegen die Annahme auf, daß die Quelle in die ersäuften Schächte bei Dux, die zwei Stunden entfernt sind, abfließe. Jede Sensationsnachricht wurde nach Kräften unterdrückt, an das Stadtbad heftete man Zettel an: „Wegen Reparatur geschlossen!“
Eine solche Katastrophe drängt sich nicht in die Sinne, wie ein Brand oder eine Ueberschwemmung; seine volle Größe zu ermessen, muß den rechnenden Gedanken der Betheiligten überlassen bleiben, aber auch dem Unbeteiligten wird das Herz schwer, wenn er die Straßen durchwandelt, die langen Bäderreihen, die stattlichen Häuser, die Paläste, die vielen großstädtischen Geschäfte betrachtet, die gar nicht im Verhältniß zur Einwohnerzahl der Stadt stehen, wenn er das kleine, prächtige Theater, die Hunderte von Gasthöfen und Wirthschaften, Promenaden und öffentliche Einrichtungen aller Art auf seinen Wegen antrifft. Das Alles sind Schöpfungen, die im Vertrauen auf die berühmte Heilquelle in’s Leben traten, welche nach einer Inschrift im Stadtbad 1100 Jahre in reicher Segensfülle sprudelt – und nun? –
Der Chronist Bohuslaus Balbin erzählt in einem Werke, das vor 200 Jahren gedruckt wurde, die Teplitzer Quellen seien in grauer Zeit einmal ausgeblieben, weil die Badeverwaltung – Badegeld erhoben und erst nach Aufhebung dieser Abgabe sei die erzürnte Quelle wieder erschienen. Mit Recht vermutet man, er habe nur gegen die erneute Einführung von Badegeld agitiren wollen und darum das Märchen erfunden.
Während des Erdbebens zu Lissabon am 1. November 1755 blieb die Quelle eine Minute, nach andern fünf Minuten aus, um gleich darauf mit stärkerer Macht wieder hervorzubrechen und die sämmtlichen Bäder, die sie speist, zu überschwemmen. Seit diesem Tag, der übrigens die Quelle zu Natters in Tirol ganz verschwinden ließ, ist die Teplitzer Quelle unangefochten geblieben, wenn auch ihr Druck nachgelassen haben soll. Die Befürchtung, daß durch die Kohlenschürfungen in der Teplitzer Gegend einmal eine Katastrophe über die Stadt hereinbrechen könne, theilten schon Viele. Professor Dr. Reuß warnte bereits vor zwölf Jahren vor einem möglichen Unglück, und ein jüngst verstorbener Dr. Hering [165] soll den Stadtverordneten einmal zugerufen haben. „Ihr werdet Eure Quellen noch mit der Laterne suchen müssen.“ Beide Herren dachten wohl an die nahen, aber nicht an die Duxer Schächte, die in der That nie beanstandet worden sind und von denen nach menschlichem Ermessen auch nichts zu fürchten war.
Die Meinung der Geologen über das zukünftige Schicksal der Quelle, die ja noch in der Tiefe der Erde vorhanden sein muß, gehen weit aus einander, nur darüber sind sie einig, daß sie in die ersäuften Schächte bei Dux getreten ist. Die Schachtsohlen liegen bedeutend tiefer, als der Quellenmund zu Teplitz. Die Leitung dahin scheint ein Plänerrücken zu bilden, der augenscheinlich Klüfte und große Reservoirs in sich birgt. Dieser Rücken wurde an denkbar ungünstigster Stelle im Döllinger Schacht angebrochen; die Reservoirs leerten sich, und die Teplitzer Quelle verlor den Druck, ergoß sich zunächst in diese Hohlräume und mischte sich in die wilden Wässer der Schächte, die sie von 15 auf 21 Grad Réaumur anwärmte. Der Sachverhalt spiegelt sich am verständlichsten in dem Bruch einer Haus-Wasserleitung: bricht diese im Keller, so haben die Etagen kein Wasser.
Der Vorgang des Anbruchs hat dreiundzwanzig Menschenopfer gefordert. Zwei czechische Bergleute hauen Montag, am 10. Februar, im Döllinger Schacht, in welchem der sündlichste Raubbau getrieben worden sein soll, eine Kohlenwand an. Ein armstarker Strahl weißlichen Wassers treibt dem Einen in’s Gesicht; sie flüchten sich etwa zehn Meter nach rückwärts und beabsichtigen dort den Vorgang noch eine Weile zu betrachten – da bricht plötzlich die ganze Kohlenwand herein, und ein ungeheurer Wasserstrom ergießt sich in die Baue. Das Wasser trieb die Luft mit solcher Gewalt aus, daß sich ein förmlicher Sturmwind erhob, der im Augenblick sämmtliche Grubenlichter verlöschte. Die Arbeiter in der Nähe der Förderschächte (der Ausfahrten) retteten sich mit verzweifelter Anstrengung aus den Fluthen, die ihnen in einer halben Minute bis zur Brust gestiegen waren. Leider mußten sie einundzwanzig Cameraden ihrem Schicksale überlassen, da dieselben wohl zehn Minuten entfernt in einer Seitenstrecke arbeiteten. Die Nachbarschächte wurden gewarnt, sodaß bis auf zwei Italiener, die sich weigerten, vor Beendigung der Schicht auszufahren, Niemand verunglückte.
Sechs Mann flüchteten sich unter ein sogenanntes Lichtloch ohne Ausfahrt. Das Wasser stieg rapid, und in ihrer Angst erklommen sie Gerüste, die sie in der Eile aus Schwellen und Schienen hergestellt. Die herbeieilenden Bewohner von Dux und Ossegg hörten die braven Czechen in der dunklen Tiefe laut beten, und kaum je hat ein Gebet directeren Erfolg gehabt, als das ihre. Seile wurden herbeigeschafft, freilich ohne jeglichen Anhalt daran. Ein Bergschüler sollte wieder hinabgestürzt sein, doch ist das Fabel; sämmtliche Mannschaft auf Schacht „Fortschritt“ wurde gerettet. Die Gesammtwassermasse, die bis zum 17. Februar Mittags in die Schächte gedrungen, schätzt man auf über eine Million Cubikmeter, und noch immer steigt sie ziemlich regelmäßig in zwölf Stunden auf 1,10 Meter. Ueber die Verluste der Grubenbesitzer, der Arbeiter und besonders der Dux-Bodenbacher Eisenbahn werden die Acten selbstredend noch nicht so bald geschlossen werden.
Jedes Gutachten der Sachverständigen, jedes Urtheil aus der mit und von den Quellen lebenden Bevölkerung gleicht einem großen Fragezeichen; jedes neue Vorkommniß ist bis zur Stunde als ein neues Räthsel anzusehen; dennoch halten wir es für unsere Pflicht, den weitesten Kreisen ein Gutachten zugänglich zu machen, welches die von gediegenen Fachmännern als die besten anerkannten Mittel zur Rettung der Hauptquelle und damit zugleich die größte Beruhigung für die Heilbedürftigen, wie für alle Freunde und Bewohner von Teplitz bietet.
Bekanntlich hat sich in Teplitz, als die Betäubung des ersten Schreckens überwunden war und die Noth zur That aufforderte, eine Commission gebildet, welcher das kaiserliche Ackerbauministerium in Wien den Bergrath H. Wolf und die Professoren Gustav Laube und Eduard Sueß zur Verfügung stellte. Aus der Feder des letztern stammt das Gutachten, welches wir unseren Lesern hier im Auszug mittheilen:
„In Betreff der für die Benützbarkeit der Wässer während der kommenden Saison vorzukehrenden Schritte,“ sagt Professor Sueß, „bin ich mit meinen Fachgenossen Wolf und Laube der Ansicht, daß sofort an die Vertiefung der Mündung der wichtigsten Quelle, und zwar der Urqelle selbst, zu schreiten ist. Dies hat durch Schachtabteufung mit ununterbrochener Tag- und Nachtarbeit zu geschehen. Bei dieser Gelegenheit wird das Verflächen der heute sichtbaren Hauptspalte zu verfolgen sein, und wird sich daraus ergeben, ob und in welchem Ausmaße in der Tiefe eine Auslenkung nöthig wird. Es ist durchaus nicht anzunehmen , daß das Thermalwasser in dieser Spalte sich tiefer gesenkt habe, als das heutige Niveau der Wässer im Döllinger-Schachte. Die Vergleichung dieses Niveau ergiebt eine Tiefe des Wasserstandes von beiläufig 22 Meter unter den normalen Ausflüssen an den Löwenköpfen, aber es ist sehr möglich, daß das Thermalwasser schon in geringerer Tiefe gefunden werden wird. Hierbei ist für die Löwenköpfe eine Seehöhe von 203,15 Meter, für die Grubenwässer ein Niveau von 182 Meter angenommen, wobei die letzteren noch in einem langsamen Steigen begriffen sind, während die Hauptentleerung heute noch gegen Victoria und Gisela stattfindet.
Die Wirksamkeit der eben genannten Vorkehrungen beruht auf der Voraussetzung, daß während der kommenden Saison nicht an das Auspumpen der Kohlenwerke geschritten werde; da jedoch von den Gewerkschaften wahrscheinlich diese Arbeit für eine spätere Zeit in Aussicht genommen werden wird, so muß heute schon die dauernde Sicherung der Thermen von Teplitz in Betracht kommen. Es ist möglich, daß es den vereinten Kräften der Gewerke gelingt, die ersäuften Strecken zu retten, bei dem Ausschöpfen derselben vorübergehend das Niveau der Thermalquellen von Teplitz noch weiter herabzudrücken, als es heute steht, dann die Einbruchsstelle zu schließen, und so einen dem früheren Zustande annähernd ähnlichen Zustand der Dinge wieder herzustellen. Aber die Interessen, welche für die Stadt Teplitz auf dem Spiele stehen, sind viel zu groß, als daß man sie abhängig machen könnte von den Wechselfällen ähnlicher Arbeiten. Die Sicherstellung dieser Interessen ist nur zu erreichen, indem man sich entschließt, den Quellen nachzugehen bis zu einer Tiefe, welche beträchtlicher ist als die Tiefe der Einbruchsstelle im Döllinger-Werke, das ist zu einer Tiefe von mindestens 50 bis 60 Meter. Hierbei ist wieder die Ausflußstelle bei den Löwenköpfen mit einer Seehöhe von 203,15, jene des Einbruches mit 152,81 Meter angenommen. Ich erlaube mir vorzuschlagen, daß, abgesehen von [166] der Schachtherstellung, an der Urquelle eine zweite, selbstständige Abteufung, und zwar beiläufig bis auf 60 Meter, unternommen werde. Der Ort dieser zweiten Abteufung ist nach den localen Umständen zu ermitteln; die Art der technischen Ausführung ist Sache einer weiteren Erörterung. Ich halte es jedoch für sehr dringend, daß auch diese Arbeit jetzt schon in Angriff komme. Es liegt die Versuchung nahe, eine Tiefbohrung weit über das angegebene Maß hinaus in Vorschlag zu bringen, durch welche nach meiner bestimmten Ueberzeugung eine heiße Springquelle von bedeutender Mächtigkeit erzielt werden könnte, aber sowohl die Rücksicht auf die speciellen medizinischen Anforderungen, welchen durch eine solche heiße Springquelle kaum entsprochen würde, wie auch die Befürchtung, ob nicht doch durch eine solche Tiefbohrung die Schönauer Quellengruppe trotz der Selbstständigkeit, welche dieselbe an der Oberfläche zeigt, in Mitleidenschaft gezogen werden könnte, veranlassen mich, eine solche Tiefbohrung nicht anzurathen.
Es ist daher meine Ansicht, daß die schweren Besorgnisse über die Zukunft der Stadt Teplitz, welche da und dort geäußert wurden, durch die Natur der Dinge nicht gerechtfertigt sind, und daß die bestehenden Schwierigkeiten keineswegs unüberwindlich sind, wenn auch wahrscheinlich ein Theil der Teplitzer Thermen in künftigen Jahren einer Hebevorrichtung bedürfen wird.“
Die vom Professor Sueß vorgeschlagene Schachtarbeit hat begonnen. Am 22. Februar geschah der erste Spatenstich. Die Leitung der Abteufung ist dem Sprengtechniker Julius Mahler[WS 1] übergeben worden. Dem Gedeihen dieses Unternehmens wünschen gewiß viele Tausende mit uns ein herzliches Glück auf!
Schon seit Jahrzehnten ist übrigens – um dies zum Schluß noch zu erwähnen – unter der herrlichen Thalmulde zwischen Erz- und Mittelgebirg nicht Alles mehr beim Alten. Vor circa vierzig Jahren sprudelte plötzlich unfern des Dorfes Loosch zwischen Dux und Teplitz ein gewaltiger lauwarmer Quell, der sogenannte Riesenquell, hervor. Bis vor drei Jahren trieb er lustig ein Mühlwerk; ein stattliches Bad, die sogenannte „Grünze“, hatte sich in der Nähe angesiedelt, und kein Mensch dachte daran, daß er je ausbleiben könne; da ward er schwächer und schwächer, und heute gleicht sein Becken eher einem ausgebrannten Krater, als einem Quell. Unweit von Brüx, bei Kopitz, brach im Februar 1877 ein starker warmer Sprudel hervor, und den Bewohnern des Städtchens Waltsch fiel es schon längere Zeit auf, daß über einer Wiese in der Nähe der Stadt nie Schnee liegen blieb. Man grub nach, fand zwar kein Wasser, aber dafür bis auf 22 Grad Réaumur erwärmtes Erdreich. Dagegen entdeckte man vor fünf Jahren zu Tschausch beim Kohlenbohren starke warme Quellen. In zweifelloser Verbindung mit der Teplitzer Katastrophe stehen die Erdeinsenkungen bei Loosch, in der Nähe des eben erwähnten Riesenquells, welche am 13. und 14. Februar, also kurz nach der Teplitzer Katastrophe, niedergingen. Hier scheinen entweder große unterirdische Bassins zu liegen, oder es haben die sämmtlichen fraglichen Quellen hier ihren Quellherd. (Bei Loosch geht auch der mehrfach erwähnte Plänerrücken in ein mächtiges Kalksteinlager über, das stark abgebaut wird.) Der eingefügte Situationsplan giebt nähere Auskunft über Lage und Umfang dieser Einbrüche.
Teplitz, am 23. Februar 1879- ↑ Vorlage: Sprengtechniker Mahlmann, siehe Berichtigung