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Aus den Papieren eines Pechvogels

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Textdaten
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Autor: Ludwig Kalisch
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Titel: Aus den Papieren eines Pechvogels
Untertitel:
aus: Fliegende Blätter, Band 2, Nr. 35, S. 81–85.
Herausgeber: Kaspar Braun, Friedrich Schneider
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Braun & Schneider
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Erscheinungsort: München
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Quelle: UB Heidelberg, Commons
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Aus den Papieren eines Pechvogels.


Ja, ich bin ein Pechvogel! Meine Stiefeln drücken mich; meine Rasirmesser schneiden nicht und an meinen Röcken platzen mir alle Näthe. Wohin ich gehe, finde ich Steine des Anstoßes, und wo zufällig keine Steine des Anstoßes liegen, stolpere ich gewöhnlich über meine eigenen Füße. Wenn ich, bloß um mir die Zeit zu vertreiben, aufs Papier kritzle, so sollte man meinen, die Buchstaben wären von dem ausgezeichnetsten Kalligraphen hingemalt; sobald es aber darauf ankommt, schön zu schreiben, verschwört sich Alles gegen mich. Das Papier fließt; die Tinte ist zu blaß; die Feder schreibt entweder zu dick oder zu dünn, und wenn der Brief fertig ist, sieht er so hieroglyphenartig aus, als ob ihn der egyptische König Psammenit geschrieben hätte.

Wenn ich allein bin, hab’ ich die herrlichsten und geistreichsten Einfälle. Ich bin pikant und witzig, so lange ich mich einzig und allein mit mir unterhalte; in Gesellschaft aber, oder einer liebenswürdigen Dame gegenüber, wo jeder gebildete Mensch doch unstreitig am geistreichsten und witzigsten sein sollte, fällt mir nicht allein nichts Vernünftiges ein, sondern es kommen mir noch lauter Albernheiten auf die Zunge. Alles Verbindliche, das ich sagen will, verwandelt sich in eine Unhöflichkeit; jedes Kompliment, das ich machen will, verwandelt sich in eine Anzüglichkeit; ja, ich, der ich doch Philologie studirt habe, mache bei solchen Gelegenheiten sogar grammatikalische Schnitzer. –

Bin ich schon jemals in einer Soirée gewesen, ohne ein Unglück anzurichten? Kann ich mich rühmen, daß ich jemals bei Tafel neben einer Dame gesessen, ohne ihr irgend eine grell colorirte Sauce auf’s Kleid zu schütten? Hab ich schon ein einziges Mal in meinem Leben getanzt, ohne meiner Tänzerin die Garnitur des Kleides abzutreten, oder ihr plump auf den Fuß zu treten, oder sie gar umzuwerfen?

Ich habe eigentlich gar kein Unglück; ich habe Pech und das ist noch schlimmer als Unglück. Es scheint, daß das Schicksal mich gar keines großen Unglücks würdig hält; darum sucht es mich mit lauter kleinen Neckereien heim. Das dunkle Geschick zuckt keine Dolche gegen mich; es sticht mich mit Stecknadeln. Es macht mich nicht zum tragischen Helden, sondern zum Ritter von der traurigen Gestalt. Ich bin mein Pech fast schon gewohnt. Ich weiß, daß ich statt der Sandbüchse regelmäßig das Tintenfaß über das Papier schütte; und geschieht das seltsamer Weise einmal nicht, so mache ich wenigstens eine falsche Adresse auf den Brief. Steht es nicht etwa im Buche des Schicksals geschrieben, daß jedesmal, wenn ich in zahlreicher Gesellschaft eine Anekdote erzähle, und Alles auf die Pointe gespannt ist, [82] ich diese vergessen muß? Ist mir das Butterbrod je anders als auf die fette Seite gefallen? Was habe ich noch je begonnen, das nicht ein tragikomisches Ende genommen hätte. Wie wurde ich, zum Exempel, Jäger, und wie hörte ich auf, es zu sein?

Eines Tages kommt ein Freund zu mir und ladet mich auf den andern Morgen zur Hasenjagd ein. „Du weißt, ich verstehe nichts vom edeln Waidwerk,“ sagte ich. „Du sollst es verstehen lernen,“ entgegnete mein Freund. „Außerdem,“ setzte er hinzu, „ist ja nichts leichter, als einen Hasen zu schießen. Es sind dabei nur zwei Fälle möglich. Entweder du triffst den Hasen, oder du triffst ihn nicht.“ Die Sache war mir einleuchtend. Am andern Tage steh’ ich, ein angehender Nimrod, auf dem Feld. Lange wollte sich mir kein Hase zeigen. Endlich glaub’ ich etwas Hasenartiges zu entdecken. Ich lege an, drücke los und – ein fürchterliches Geheul erfüllt die Luft. Statt den Hasen zu treffen, hatte ich durch einen unbegreiflichen Zufall einen im Chausseegraben liegenden Handwerksburschen in das Hintertheil geschossen. Der arme Teufel war seiner Profession nach ein Frauenschneider, und so mager, daß mein unglückseliger Schrot von der Haut bis zu den Knochen gar keinen Weg zurückzulegen hatte. Dieser Schneider war mein erstes und letztes Wildpret, das ich erlegte.



Vor zwei Jahren werde ich von einem angesehenen Banquier zu einem thé dansant eingeladen. Der Banquier hat eine einzige Tochter; die einzige Tochter ist eine Blume, eine Venus, eine Perle, ein Diamant. Man darf eine solche Gelegenheit natürlich nicht versäumen. Ich untersuche also die geheimsten Gedanken meines Kleiderschrankes, finde in demselben noch eine brauchbare Idee zu einer Ballweste, lasse einige Altersschwächen meines schwarzen Fracks durch einen bewährten Kleiderarzt wieder herstellen, suche unter dem frisch gefallenen Schnee meiner Wäsche das am frischesten gefallene Hemde hervor, bringe durch eine nicht genug anzuerkennende Geschicklichkeit eine transparente Cravatte wieder zur Vernunft, bürste meinen chapeau claque, der in den Tagen seiner rosigen Jugend einmal ein wohlconditionirter runder Hut gewesen, und, als er von den Schlägen und Stößen, von den Stürmen und Ungewittern des Lebens mit zerstörter Gesundheit sich zurückgezogen, zum Ballhut bestimmt worden. Nun eile ich zum Friseur und lasse mein germanisches Haar in französische Locken kräuseln. „Soll ich Sie auch parfümiren?“ fragte mich der Friseur.

„Ja, mein Freund,“ sage ich; „sparen Sie durchaus keine Düfte!“

„Wünschen Sie Rosenöl-, Nelkenöl-, Jasmin-, Bärenfettpomade, oder Crême de“ –

„Bitte‚“ unterbrach ich den Friseur, „bitte, nehmen Sie von jedem etwas. Nehmen Sie alle Wohlgerüche Arabiens und machen Sie mich zum Meisterstück Ihrer Schöpfung.“

Als ich, aus den Händen des Friseurs hervorgegangen, mich im Spiegel betrachtete, hätte ich mich vor Freude über meine unwiderstehliche Anmuth küssen mögen. Ich sah aus wie ein hoffnungsvoller Genius. Ich eilte aus dem Haarschneide-Kabinet, und suchte, um nicht bei Bekannten Aufsehen zu erregen, durch die abgelegensten Straßen in meine Wohnung zu gelangen. Ein durchdringender Duft, der die Aufmerksamkeit aller Nasen auf sich zog, verrieth die Bahnen, die ich durchwandelte. Zu Hause angelangt, unterwarf ich mich den strengen Befehlen meines eigenen Geschmacks, half einigen verfehlten Richtungen in der kunstreichen Knotenverschlingung meiner Cravatte ab, brachte mehr natürliche Einfalt in die Biegung meiner unschuldsreinen Vatermörder, suchte durch Geduld und Beharrlichkeit meinen linken Hosenträger, dessen Gumminatur keine Charakterfestigkeit zuließ, an ein Festhalten der bestehenden Ordnung zu gewönnen, versöhnte ein sentimentales kopfhängerisches Westenknöpfchen mit dem durch Zeit und Anstrengung etwas erschlafften und mürrisch gewordenen Knopfloch, und – jetzt war ich so schön und frisch, als käme ich eben aus der Werkstätte der Natur. Im Weggehn fällt mir ein, daß ich – o schauderhaftes Geschick! – die Handschuhe vergessen habe. Schnell kehr’ ich wieder um, wasche meine Hände in Unschuld und verhülle ihre keusche Blöße durch gelbes Glacé. Langsam und bedächtig ging ich nun aus dem Hause.

„Ich kenne dich, Fritz,“ sagte ich zu mir selbst. „Du läßt dich bei dergleichen Gelegenheiten gewöhnlich von den vorbeifahrenden Wagen bespritzen, oder trittst mit den auf’s glänzendste gewichsten Stiefeln gern in unsaubere Tiefen und zerstörst also durch einen einzigen Fehltritt das schöne Werk eines ganzen Tages. Heute darf dies durchaus nicht stattfinden!“

Ich hielt mich ganz in der Nähe der Häuser, untersuchte mit der ganzen Schärfe meines Auges immer erst das Terrain, bevor ich mich in meinen glänzenden Verhältnissen darauf wagte, und so erreichte ich nach einem fleckenlosen Wandel das Haus des Banquiers.

Immer nur mit mir beschäftigt, hatte ich weder Auge noch Ohr für die Außenwelt. Im Corridor stoß’ ich auf einen Bedienten, der mir den Einlaß verweigert. Ich nenne mich. „Ah, Sie sind der Doctor!“ antwortete der Domestik, indem er mich mit seltsamer Geberde von oben bis unten betrachtete; „nun, wenn Sie der Doctor sind, treten Sie nur gefälligst hier ein.“ Ich nehme meinen Chapeau unter den Arm, bringe mich noch einmal und zum letztenmale in Ordnung, öffne die Thüre und – fahre schaudernd zurück, als ich den Banquier unter matter Lampenbeleuchtung in einer Nische sitzen sah. Ach und wie saß er da! Er hatte, um seinen revolutionären Magen wieder mit seiner Constitution auszusöhnen, an demselben Morgen Bittersalz gefrühstückt, und saß nun da, sich geduldig den wohlthätigen Folgen des Heilmittels hingebend. Ich stand wie versteinert, als ich den Banquier in diesem Zustande vor mir sah. Ich im Ballanzug, er im tiefsten Negligee; ich im Wohlgeruch stehend, er im Gegentheil sitzend.

„Was führt Sie zu mir, Herr Doctor?“ fragte mich der Banquier.

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„Waren Sie nicht so gütig, mich auf heute Abend zu einem thé dansant einzuladen?“ fragte ich meinerseits.

„Zu einem thé dansant?“ wiederholte der Banquier mit einer in seinen gegenwärtigen Umständen leichtverzeihlichen sauern Miene und setzte dann ironisch hinzu: „Sie sehen, lieber Doktor, daß mir in diesem Augenblicke das Tanzen gar nicht einfallen kann.“

„Ist heute nicht der vierundzwanzigste?“ fragte ich zerknirscht.

„Freilich,“ erwiderte der Banquier; „aber der thé dansant, zu welchem ich so frei war, Sie einzuladen, hat bereits am vierundzwanzigsten des vorigen Monats stattgefunden. Man hat Ihnen wahrscheinlich in Ihrem Hause die schriftliche Einladung einen Monat später eingehändigt.“

„Ja,“ erwiderte ich niedergeschmettert, „mein nachlässiger Hausherr hat die Einladung gewiß so lange in seinem Zimmer liegen lassen und ich habe nicht genau aufs Datum geachtet. Nehmen Sie es nur ja nicht übel.“

„Es thut mir sehr leid‚“ erwiderte der Banquier seufzend, „daß ein solch höchst unangenehmer Zufall eingetreten; doppelt leid thut mir’s, daß Sie mich in einer solchen Situation gefunden. Ich habe dem Bedienten die strenge Weisung gegeben, daß er außer dem Doctor Niemanden einlasse.“ –

„Sie müssen den Bedienten entschuldigen,“ bemerkte ich mit gebrochenem Herzen, und indem ich den Chapeau, der mir vor Aufregung auf den Boden gefallen war, wieder aufhob. „Ich sagte ihm, ich sei ein Doctor; er konnte natürlich nicht zwischen den Facultäten unterscheiden, und hat den Doctor der Philosophie und der freien Künste für einen Doktor der Medizin und der Geburtshilfe genommen.“

„Ja, ja, so wird es sein!“ ächzte der Banquier; und da ich es höchst überflüssig fand, dieses tête a tête noch länger fortzusetzen, so empfahl ich mich unter höchst verkehrten Redensarten; denn ich war vor Aerger kaum meiner mächtig. Auf der Treppe rannte ich in meinem blinden Zorn ein zartes Wesen um; ich glaube, es war des Banquiers einzige Tochter, die Blume, die Venus, die Perle, der Diamant. Ich konnte die Gestalt nicht ganz unterscheiden; ich hörte nur die Worte: „Sie könnten doch wohl etwas deutlicher sehen, wohin Ihr Weg Sie führt!“

Als ich wieder auf der Straße war, gab ich mir die unzweideutigsten Beweise von Grobheit. Ich führte mich durch die dicksten Pfützen und strich mit den gelben Glacéhandschuhen wider die Mauern, damit sie schwarz würden; denn das ärgerlichste war mir jetzt, daß ich so geputzt aussah, und Niemanden, der mich etwa um die Ursache meiner plötzlichen Schönheit hätte fragen können, die Wahrheit sagen durfte, ohne mich lächerlich zu machen. Nicht einmal meinem Hausherrn, der doch die ganze Misere verschuldet hatte, sagte ich ein Wort, sondern schlich in mein Zimmer, ballte die Faust gegen mein satyrisches Geschick, gab mir eine heftige Ohrfeige, und, als ich darüber ärgerlich wurde, noch eine zweite; entkleidete mich, indem ich mir die anzüglichsten Dinge ins Gesicht sagte, und schleuderte mich, ohne mir einen Bissen Abendbrot zu gönnen, schnell ins Bett.

Was hat mir mein satyrisches Schicksal voriges Jahr erst für einen Streich gespielt! Ich war bei einer ehrwürdigen Familie eingeführt, die mich schon sehr häufig durch Dienste mannigfacher Art verbunden hatte. Das Familienhaupt sah seinem siebenzigsten Geburtstage entgegen; dieser Tag sollte auf’s schönste gefeiert werden, was ohne Poesie natürlich gar nicht geschehen konnte. Man wendet sich an mich. Ich dichte eine Allegorie, in welcher die Frau, die Kinder und Enkel des Jubilars mit Rollen bedacht wurden. In dieser Allegorie kamen die vier Jahreszeiten vor. Die zwei ältern Töchter machten den Winter und den Sommer; die dritte, ein gutmüthiges, aber etwas sehr umfang- und blatternarbenreiches Fräulein in der schönsten Blüthe des Schwabenalters machte den Herbst, und die jüngste – meine Flamme – den Frühling. Für den Frühling hatte ich die schönsten Verse gemacht. „Lenze,“ „Kränze;“ „Seele,“ „Philomele;“ „Rosenblüthe,“ „Herzensgüte“ und noch viele andere Reime, die das Ohr ergötzen und das Herz erweichen, wechselten in diesen Versen melodisch ab. Die Mutter stellte die Ewigkeit vor, denn sie wollte durchaus auch eine Rolle haben. Die männlichen Enkel waren Cherubim, die weiblichen waren Seraphim. Ich selbst war Kronos. Jeden Abend, nachdem der Alte zu Bett gegangen war, wurde Probe gehalten. Es ging Alles ganz vortrefflich. Die Ewigkeit hatte zwar einen kurzen Athem und ein schlechtes Gedächtniß; allein sie hatte nur wenige Strophen zu sagen; außerdem war ich, die geflügelte Zeit, ihr stets zur Seite und konnte also souffliren, wenn ihr Gedächtniß noch kürzer wurde als ihr Athem. Die rauhe Jahreszeit hatte das meiste mimische Talent. Der blatternarbige Herbst konnte das R nicht ganz deutlich aussprechen; ich strich also die überflüssigen Schnarrlaute. Der Sommer sprach Anfangs viel zu schnell; allein es gelang endlich doch, ihm diesen [84] Fehler abzugewöhnen. Mein geliebter Frühling sprach wie Polihymnia, und was meine Wenigkeit betrifft, so darf ich mir schmeicheln, daß ich in meiner Rolle höchst glückliche Momente hatte.

Endlich kam der Tag. Die Darstellung sollte um 11 Uhr Vormittags vor sich gehen. Auf 5 Uhr Morgens wird die letzte Generalprobe festgesetzt, und zwar für alle Gottheiten und Engel bis auf die Ewigkeit, welche so früh nicht aufstehen konnte, und bis auf Kronos, der natürlich seiner Sache sehr gewiß war. Ich fand das bereits costümirte Personal vollständig. Der Winter starrte in einem steifgestärkten Mousselinkleide, welches den Schnee bedeuten sollte; als Garnitur des Kleides waren künstlich verfertigte Eiszapfen angebracht. Auf dem Rücken trug er schon von Natur einen kleinen Gletscher. – Auf dem Kleide des Herbstes war hinten und vorn das herrlichste Obst gestickt und gemalt, Reineclaudes, Tafelbirnen und Borsdorfer Aepfel. Der Sommer sah sehr gewitterschwül[1] aus und trug ein kleines Kornfeld auf dem Kopfe. Der Frühling war geschmückt mit einem durchsichtigen Gazekleidchen, hatte ein allerliebstes mit Rosen und Tulpen geschmücktes Strohhütchen auf dem blonden Köpfchen, und hüpfte – das Hüpfen lag in der Rolle! – so zierlich und niedlich, daß man das kleine Füßchen hätte küssen mögen. Ein lieblicher Duft von Hollunder entströmte dem zarten Wesen, das wie ein verkörpertes lyrisches Gedicht aussah. Die Cherubim und Seraphim waren zwar noch etwas schläfrig; da sie aber nichts zu sprechen hatten und außerdem heute mit einer doppelten Ration Milchbrod bedacht wurden, verhielten sie sich im Ganzen mit jenem Anstand, den man von solchen Engeln mit Recht erwarten kann. –

Als ich mich in dieser Generalprobe überzeugt hatte, daß Alles ganz vortrefflich gehen werde, eilte ich nach Hause, um mich anzukleiden. Ich preßte mich in aschfarbigen Trikot, um das graue Alterthum anzudeuten; band mir um das Kinn einen schneeweißen Bart, der mir bis weit über die Kniee herunterwallte, befestigte an den Schultern zwei riesenmäßige Flügel, die ein mir befreundeter Maler höchst kunstreich gefertigt, nahm in die linke Hand ein Stundenglas und in die rechte eine ungeheuere Sense, brachte meine graue, halbkahle Perücke nochmals in Ordnung und stieg in die vor meiner Thüre harrende Droschke.

Der Droschkengaul mußte viel poetisches Gefühl haben; vielleicht stammte er von einer Seitenlinie des glorreichen Pegasus ab; denn er strengte sich trotz seinem sehr vorgerückten Alter außerordentlich an und flog wie eine böse Nachricht schnell durch die Stadt. Noch eine Straße und ich war am Ziele, da biegt der Wagen um eine Ecke, stößt auf einen andern, fährt wider einen Prallstein und sausend fliegt ein Rad los und halbzerschmettert liegt die lebensmüde Droschke auf dem Pflaster. Hätte mich nicht ein befreundeter Genius beschützt, ich würde gewiß nicht die lange Sense schnell von mir geschleudert, sondern mir mit derselben im Sturze vielleicht meinen noch unreifen Kopf abgemäht haben. Mein Schreck war so groß, daß ich, das Stundenglas krampfhaft in der Hand haltend, mich mit zerschmetterten Flügeln aus dem Wagen arbeitete. Ich Unglückseliger! Es war der schönste Frühlingsmorgen und die Nachzügler der Schuljugend gingen gerade mit peripathetischen Schritten der Schule zu. Man kann sich nun leicht den Hallo denken, als mich die Blüthe der Gassenjugend wahrnahm. Ich hätte, wenn mir nur die geringste Besinnung geblieben wäre, den kurzen Weg nach dem Hause des Jubilars einschlagen müssen; statt dessen aber kehrte ich um und schlug den langen Weg nach meiner Wohnung ein. Schon nach einigen Minuten wandelte ich wie ein Komet mit einem ungeheuern Schweif, den das junge und alte, das starke und schwache Geschlecht des Hanshagelthums hinter mir bildete. Man öffnete sogar, von dem einladenden Lärm gelockt, alle Fenster, und ich bemerkte bald, daß ich selbst die Aufmerksamkeit der schönsten, noch in der Toilette begriffenen Damen auf mich gezogen hatte. Das Geschrei wurde bald so fürchterlich und das Gedränge so groß, daß ich mich kaum bewegen konnte. Ich hörte aber trotz dem Lärmen die schlechten Witze, die über mich gemacht wurden.

Durch solche miserable Witze zeichnete sich namentlich ein langer spindelbeiniger Kerl aus. Er munterte das aufgeregte Publikum durch kaustische Reden zu größerer Lebhaftigkeit auf und sagte: „Liebe Kinder, der Kerl in Trikot stellt die Zeit vor. Unter allen erbärmlichen, die ich schon erlebt, ist das die erbärmlichste Zeit. Aber drückt nicht so, liebe Kinder, ihr könntet sonst die Zeit tödten und in der Jugend muß man mit der Zeit vorsichtig umgehen. Die Zeit hier scheint in der Zeit noch sehr zurück zu sein; denn wir haben heut den siebenten Mai und die Zeit meint, es sei heut erst Fastnacht. Drückt nicht so, meine lieben Kinder; denn die Schwingen der beschwingten Zeit sind ja, wie ihr seht, schon zerquetscht genug, und wenn ihr noch mehr drückt, so kann die Zeit gar nicht mehr fort und wird am Ende noch zur Ewigkeit.“ –

O ich hätte aus dem Trikot und aus der Haut zugleich fahren mögen, als ich den langen Wicht, der mir auf den Fersen folgte, so reden hörte. Das Jauchzen, Heulen, Toben und Schreien wurde endlich so heftig, das Drängen, Drucken und Stoßen so unausstehlich, daß ich in einem[2] Anfall von Verzweiflung rechts und links um mich hieb und in ein Haus floh. Aber ich war schon zu sehr der Held des Tages; das süße Publikum vor der Thüre hatte mich schon zu lieb gewonnen, als daß es mich ruhig hätte entbehren wollen. „Zeit, heraus! Zeit, heraus!“ tobte und heulte die Menge. Die Magd, die mich mitleidig aufgenommen, mußte der öffentlichen Meinung nachgeben und ich war wieder im Freien. Zu meinem Glücke griffen mir jetzt zwei humane Polizeidiener unter die Arme und führten mich auf die Wache und zwar mit obligater Begleitung der Crême de la Crême des Stadtpöbels. Auf der Wachtstube betheuerte ich, daß ich gar nicht die vergängliche Zeit wäre, sondern im Gegentheil ein Doctor der Philosophie. Ich bat die Diener der öffentlichen Sicherheit, aus meinem aschgrauen Trikot keinen Verdacht zu schöpfen; ich [85] wäre nur eine unschuldige poetische Idee. Als sie pflichtgemäß an meinen Worten zweifelten, begann ich mit Thränen der Wehmuth: „Wenn ich ein Spitzbube, oder Demagog, oder Communist, oder Freigeist, oder sonst eine gefährliche Person wäre: würde ich mich nicht sehr sorgfältig zu verhüllen suchen, statt daß ich jetzt, wie dieser Trikot beweist, meine unverdächtigen irdischen Formen Preis gebe? Meine Herren, ich bin nichts mehr und nichts weniger, als eine mythologische Figur. Kronos ist mein Name und eine Droschke mein Unglück. Ich bin ein verlornes Stück aus einer Allegorie, das betheure ich Ihnen auf mein Ehrenwort!“

Mein theuerer Leser! Es ist sehr schwer, über seinen eigenen Schatten wegzuspringen; aber noch schwerer ist es, einen verdachtschöpfenden Polizeidiener von Tugend und Unschuld zu überzeugen, besonders, wenn man als poetische Idee verkleidet ist; denn von poetischen Ideen ist die Polizei durchaus nicht eingenommen. Erst nachdem man in meiner Wohnung und im Hause des Jubilars beruhigende Erkundigungen eingezogen, ward ich der Freiheit wieder gegeben und fuhr wohlverhüllt und in den Winkel gedrückt nach Hause.

Aber das Fest war gestört. Die Jahreszeiten mußten ohne mich auftreten; die Cherubim und Seraphim verloren die Geduld und schrieen; und die Ewigkeit blieb, wie mir später der Herbst sagte, zweimal stecken. Der Frühling hat mir seit jener Zeit seine Gunst gänzlich entzogen und nur mit dem Herbst steh’ ich einigermaßen noch in freundlichem Verhältniß. –

O ich könnte dreißig Bände in Kirchenthürformat schreiben und würde dennoch nicht Raum genug für alle jene kleinen Unglücksfälle haben, die mich schon heimgesucht. Aber ein großes Unglück, ein Unglück, das ich von meinen Ahnen geerbt, ein Unglück, das nur dereinst mit mir begraben wird, ja, ein großes Unglück ist – mein Name. Ich heiße Fischer. – Wundere dich nicht, theuerer Leser, daß ich diesen schönen und höchst wohlklingenden Namen für ein Unglück halte. Er könnte, ich weiß es, viele gleichnamige Menschen glücklich machen; mich aber, den Pechvogel par excellence, bringt er aus einer Unannehmlichkeit in die andere. Wie wenig Menschen gibt’s in Deutschland, die nicht Fischer heißen und wie viele Fischers unter diesen Menschen begehen nicht dumme Streiche! Ach, und die meisten dummen Streiche, welche die meisten dieser Fischers in der Umgegend begehen, kommen gewöhnlich auf meine Rechnung. Es kommt ein Schneidersjunge mit einer Rechnung; ich bebe zurück, ich lese: „Für rückständige Beinkleider von Ostern fl. 45. Um endliche Bezahlung wird gebeten.“ Ich untersuche die merkwürdigsten Epochen und Perioden meiner Garderobe; es finden sich keine rückständigen Beinkleider darunter. Es war ein Irrthum; ich bin mit einem andern Fischer verwechselt worden. –

Ich bin mit den wichtigsten Arbeiten beschäftigt, als plötzlich die Thüre aufgeht und eine Dame mit falscher Vorderseite und einem kolossalen Pariser Hinterhalt unter tausend Verbeugungen vor mich tritt. Sie nennt sich. Sie heißt Amalia Zeisig-Campofiore; sie ist erste Bravoursängerin von der Scala in Mailand. Ich glaub’ es; der Glaube macht sie selig. Sie setzt sich hin und schlägt einen solch gewaltigen Triller, daß mein Spiegel Krämpfe kriegt und mein Sopha vor Schrecken zittert. Sie schlägt noch einen Triller; sie singt eine ganze Arie. Ich fragte, was sie zu mir führt. Statt der Antwort singt sie:

„Schleudre, Himmel, vom Wolkensitze
Deine Donner, deine Blitze!“

Nachdem sich dieses melodische Gewitter verzogen, fängt sie, statt mir zu antworten, abermals zu singen an. Die ganze Unsterblichkeit Donizettis, Bellinis, Halevis und Aubers schmettert in mein Ohr. Endlich fragt sie erschöpft: „Wie gefall’ ich Ihnen? Auf Ihr Urtheil darf man bauen, denn Sie sind als Musikkenner und scharfsinniger Kunstrichter allgemein berühmt.“ Ich lächle und gebe ihr in diplomatischen Redensarten meinen Beifall zu erkennen. „Nun, wenn ich Ihnen gefalle, Herr Doctor,“ lispelt die fahrende Nachtigall, „so darf ich hoffen, daß Sie mich in Ihrem weitverbreiteten Blatte dem Publikum empfehlen.“

„Ich redigire kein Blatt,“ antworte ich. – „Sind Sie nicht der Doctor Fischer?“ fragt sie. „Ja,“ seufze ich; „aber der Redakteur des Blattes ist ein anderer Doctor und ein anderer Fischer.“ –

Die Sängerin verläßt das Zimmer, nachdem sie mir meine Ohren versungen. Ich war wieder vertauscht worden. –

Vor einigen Monaten geh’ ich in ein Kaffeehaus. Es war schon vier Uhr Nachmittags und dennoch hatte ich den ganzen Tag kein Unglück erlebt. Kaum setze ich aber die Tasse an den Mund, als mehrere Lieutenants mit den heftigen Worten auf mich zukommen: „Warum lassen Sie Ihren schlechten Witz an dem Militär aus? Warum, Herr, suchen Sie die Lieutenants lächerlich zu machen?“

„Ich?“ frag’ ich erstaunt.

„Wer anders als Sie?“ schrieen die Krieger. „Haben Sie etwa nicht den hämischen Artikel in der „Melpomene“ verfaßt?“

„Ich kenne das Blatt gar nicht,“ versichere ich, und bald ergibt sich, daß ich wieder mit einem andern Fischer verwechselt worden bin.

Ich will den Leser durch Aufzählung aller durch meinen unglückseligen Namen mir widerfahrenen Unannehmlichkeiten nicht ermüden, das aber steht fest: ich würde mich glücklich schätzen, wenn ich einen andern Namen hätte. Ich mache in dieser Beziehung wahrhaftig gar keine großen Ansprüche. Ich wollte gar keinen fürchterlichen oder heroischen Namen. Ich wollte nicht Löwe, Wolf, Bär, Adler oder Geier heißen; ich wollte gar keinen fleischfressenden Namen besitzen, ich würde mich recht gern mit einem zahmen Stall- oder Hausviehnamen, mit Schaf, Ochs, Hammel, Lamm, Hase und Hühnlein begnügen; ja, ich würde mit Schlosser, Maurer, Töpfer, Weber, Seiler, Schuster, Schneider oder einem andern banausischen Namen schon sehr zufrieden sein. Aber Fischer heißen zu müssen, das ist fürchterlich.



  1. In der Vorlage: gewitterschül
  2. In der Vorlage: einen