Aus dem menschlichen Seh- und Hör-Instrumente
Was immer im Weltall existirt, Alles befindet sich in steter Bewegung, selbst Das, was starr und ganz unbeweglich zu sein scheint. Auch im festesten Stahl und im härtesten Diamant finden fortwährend zitternde Bewegungen statt. Es ist überall, im Großen wie im Kleinen, Bewegung; kein Stoff kennt den Zustand der Ruhe. All unser Wirken und Schaffen im Leben beruht auf dem Hervorrufen von Bewegungen, ja unser Leben selbst, sogar unser Denken, Fühlen und Wollen ist nur Bewegung und die Folge von Bewegungen. Ein Stillstand, welcher Art er auch sein möge, kommt in der Natur nicht vor.
Nur Bewegungen größerer Massen, ebenso auf unserer kleinen Erde, wie im unbegrenzten Weltenraume, sind für uns wahrnehmbar. Man pflegt diese als „mechanische, Massen- oder Molarbewegungen“ zu bezeichnen. Dagegen sind die Bewegungen der kleinsten und letzten Körpertheilchen, welche für sich existiren und Molecüle und Atome genannt werden, für uns unsichtbar. Man nennt sie „Molecularbewegungen“ und denkt sich dieselben als aus hin- und hergehenden Schwingungs- oder Wellenbewegungen bestehend. Kein Körper ist ohne alle Molecularbewegung. Sie ist es, welche die Verschiedenheit der Körper hinsichtlich ihres festen, flüssigen und luftförmigen (sogen. Aggregat-) Zustandes (die Cohäsion) bedingt; sie ist der Grund für die Erscheinungen des Lebens, des Lichtes, der Farbe, der Wärme, der Elektricität, des Magnetismus, der chemischen Verwandtschaft, des Schalles.
Massen- und Molecularbewegungen können sich gegenseitig (und zwar nach bestimmten Mengenverhältnissen) ineinander umsetzen, die eine kann in die andere verwandelt werden, die eine kann die andere hervorrufen und dabei scheinbar verschwinden. So kann z. B. Wärme (die Bewegung der Atome und ihrer Aetherhüllen) in Bewegung einer größeren Masse (mechanische Bewegung) umgewandelt werden (beim Arbeiten von Dampfmaschinen), und umgekehrt entwickelt das Arbeiten von Maschinen wieder Wärme. Was aber ineinander übergeht und sich ersetzt, das muß gleichartig sein. Die Wärme kann also nichts Anderes sein als eine Art von Bewegung, sie ist Molecularbewegung. Ebenso können die verschiedenen Molecularbewegungen ebenfalls ineinander übergeführt werden, z. B. Wärme in Licht und Elektricität, letztere in Licht, Schall in Wärme etc. Berühren sich zwei Körper oder stehen sie durch einen dritten (die Luft, den Aether) miteinander in Verbindung, so können die Molecularbewegungen des einen sich den Molecülen des andern mittheilen oder die Bewegungen dieser Molecüle verändern. In dieser Weise denkt man sich die Einwirkung jeder Kraft, und Kraft wäre sonach die Ursache einer Bewegung oder Veränderung, die Fähigkeit eines Körpers, auf einen andern bewegend oder verändernd einzuwirken.
Auf der Umwandlung der verschiedenen Molecularbewegungen ineinander, sowie auf der Umsetzung der Molecularbewegung in Massenbewegung und umgekehrt, beruht das Princip von der Erhaltung der Kraft, vermöge dessen keine Bewegung und kein Kraftaufwand in der Welt verloren geht. Von allen Kräften, welche wir in der Natur thätig sehen, wie von der Wärme, dem Lichte, der Elektricität, mechanischen Bewegung etc., geht nichts verloren. Ueberall, wo wir scheinbar eine Kraft verschwinden sehen, verwandelt sie sich nur in eine neue Kräfteform, die aber der scheinbar verloren gegangenen Kraft ganz gleichwerthig ist, und wir können keine Bewegung herstellen, der nicht ein gleichzeitiges Erlöschen einer andern Bewegung entspricht. In allen Fällen, wo Kräfte in die Erscheinung treten, läßt sich nachweisen, aus welchen anderen Kräften oder Kraftwirkungen dieselben herstammen. Dieses Gesetz von der Erhaltung der Kraft bildet mit dem Gesetze von der Erhaltung des Stoffes, nach welchem aller Stoff, der im Weltall vorhanden ist, weder einer Vermehrung noch einer Verminderung unterliegt, es bildet ein allgemeines Naturgesetz, welches das Wirken sämmtlicher Naturkräfte in ihren gegenseitigen Beziehungen zueinander beherrscht. Ebenso wie die Materie unzerstörbar ist, ebenso ist auch die derselben zukommende Kraft unvernichtbar. Ebenso wie wir keinen Stoff erschaffen und keine vorhandene Materie vertilgen können, ebensowenig kann eine Kraft neu erschaffen werden und eine vorhandene verloren gehen; Kraft und Stoff bleiben unvertilgbar, wenn es auch oft den Anschein hat, als ob sie neu entständen oder untergingen. Keine Bewegung in der Natur geht aus Nichts hervor oder in Nichts über, und jeder scheinbar neuentstandene Stoff ist hervorgegangen aus schon vorhandenen. Jede Bewegung und jede Materie verdankt ihr Dasein einem unermeßlichen, ewig gleichen Kraft- und Stoffvorrath und giebt das diesem Entliehene früher oder später auf irgend eine Weise an die Gesammtheit zurück.
Auch im menschlichen Körper gehen alle Bewegungserscheinungen und Kraftleistungen nach dem genannten Gesetze der Erhaltung der Kraft vor sich, und die auf unsern Körper von außen einwirkenden Bewegungen (Kräfte) erfahren in ihm nur eine Verwandelung, nehmen eine veränderte Form an. – Wir beabsichtigen hier nur ganz in Kürze den Gang von Molecularbewegungen anzugeben, welche die Licht und Schall bedingenden Wellenbewegungen des Aethers und tönender Körper (besonders der Luft) innerhalb unseres Seh- und Hörapparats hervorrufen und schließlich im Bewußtseinsorgan (Gehirn) durch Molecularbewegung Licht- und Gehörsempfindung veranlassen. – Das Licht besteht, wie bekannt, aus Aetherschwingungen, deren Anzahl in einer Secunde vierhundert bis achthundert Billionen beträgt. Jede dieser verschiedenen Schwingungszahlen bedingt den Eindruck einer bestimmten Farbe; die geringste Schwingungszahl von vierhundert Billionen kommt dem Roth zu, dann folgen Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigo und Violett, welches letztere aus der größten Zahl von Aetherschwingungen besteht. Dem Lichtstrahl verdanken wir also das Helle wie das Farbige. – Wie das Licht beruht nun auch der Schall auf Schwingungen, aber nicht des Aethers, sondern von Körperstoffen (luftförmiger, flüssiger, fester Körper), und diese Schwingungen betragen an Zahl nur sechszehn bis achtunddreißigtausend in einer Secunde. Der tiefste Ton (c II) hat sechszehn, der höchste Ton (das achtgestrichene d) hat achtunddreißigtausend Schwingungen in der Secunde. Wie beim Lichte Helligkeit und Farbe, so unterscheidet man beim Schalle Ton und Geräusch. Töne beruhen auf periodischen und in Dauer, Weite und Form gleichmäßigen Schwingungen, Geräusche dagegen auf ungleichmäßigen und nicht periodischen Schwingungen. – Für die Wahrnehmung dieser zwei Licht- und zwei Schallarten (Helligkeit und Farbe, Ton und Geräusch) besitzt nun unser Auge und unser Ohr je zwei verschiedene Arten von Apparaten, welche als die (optischen und akustischen) Endorgane des Seh- und Gehörnerven bezeichnet werden. – Im Auge vermitteln die „Stäbchen“ das Wahrnehmen des Hellen, die „Zapfen“ das der Farben. Stäbchen und Zapfen bilden aber eine der zehn Schichten der durchsichtigen Netz- oder Nervenhaut, die eine hautförmige Ausbreitung des Sehnerven darstellt. – Im Ohr scheint die Empfindung der Geräusche von den sogen. „Hörhaaren“ und die der Töne von den „Haarzellen“ vermittelt zu werden. Hörhaare und Haarzellen finden sich, von Hörwasser (mit Gehörsteinchen) umgeben, im innersten Theile des Ohres, in dem vom Vorhofe, den drei Bogengängen und der Schnecke gebildeten Labyrinthe. Die Hörhaare haben ihren Sitz im Vorhofe und in den flaschenförmigen Erweiterungen (Ampullen) der Bogengänge; die Haarzellen gehören zum Corti’schen Organe, welches innerhalb der mittleren Schneckentreppe verborgen liegt.
Sehen und Hören kommt nun aber einzig und allein durch Molecularbewegungen zu Stande, und diese gehen einestheils außerhalb unseres Körpers vor sich und bilden hier die Licht- und Schallwellen, anderntheils finden sie innerhalb unseres Seh- und Gehörorgans statt und tragen sich hier auf eigenthümlich gebaute, leicht in Schwingung zu versetzende Gebilde über, welche den empfindenden Nerven veranlassen, dieselben zum Bewußtseinsorgane (Gehirn) fortzupflanzen. – Der Gang der Lichtwellen ist folgender: von den von einem leuchtenden Körper nach allen Richtungen hin ausgehenden Lichtstrahlen dringen die auf und durch die durchsichtige Hornhaut des Augapfels fallenden in das Wasser der vordern Augenkammer, gelangen durch die Pupille (eine runde Oeffnung in der Regenbogenhaut) in die Linse und treten aus dieser in den von der Netzhaut umgebenen Glaskörper. Bei dem Durchgange der Lichtstrahlen durch diese durchsichtigen Gebiet [585] (den Lichtbrechungsapparat) werden die vor dem Auge auseinanderstrahlenden Lichtwellen nach und nach so gebrochen und dadurch einander genähert, daß sie endlich auf der Netzhaut in einem Punkte (Bild) zusammentreffen. Hier ist es nun, wo die sogenannten optischen Endorgane (Stäbchen und Zapfen) durch die auffallenden Lichtwellen mechanisch gereizt, zu Molecularbewegungen veranlaßt und in Schwingungen versetzt werden, welche sich auf die Sehnervenfasern übertragen und von diesen dem Gehirn (Bewußtsein) mitgetheilt werden. Daselbst kommen dann die Sehempfindungen zu Stande.
Der Weg, welchen die Schallwellen zu machen haben, um zum Gehörnerven zu gelangen und durch diesen im Gehirn Gehörsempfindungen zu veranlassen, ist folgender: die auf das Ohr fallenden Schallwellen pflanzen sich durch den äußern Gehörgang
zum Trommelfelle fort und bringen dasselbe in Schwingungen. Diese letzteren werden, mit Hülfe der mit dem Trommelfelle verbundenen Gehörknöchelchen (Hammer, Ambos, Steigbügel), durch die (von der Ohrtrompete mit Luft gespeiste) Paukenhöhle dem Wasser des Labyrinthes mitgetheilt und gelangen so zu den akustischen Endorganen (Hörhaaren und Haarzellen).
Was den Bau und die Thätigkeit der genannten Endorgane betrifft, so verdanken wir vorzugsweise den Forschungen von Max Schultze die Kenntniß der optischen, denen von Corti, Kölliker, Helmholtz u. A. die der akustischen Endorgane. – Stäbchen und Zapfen sind vollkommen durchsichtig und bestehen aus einer gleichartigen fettigglänzenden, weichen und sehr zarten Masse; sie hängen mit den feinsten Enden (Primitivfäserchen) des Sehnerven zusammen. Ihre (durch die Lichtwellen veranlaßten) Schwingungen versetzen die Nerven mechanisch durch Erschütterung in Erregung. Die Stäbchen sind cylindrisch, stehen dicht nebeneinander und nehmen in regelmäßigen Abständen die kürzeren und flaschenförmigen Zapfen zwischen sich. Die verschiedene Vertheilung der Stäbchen und Zapfen im menschlichen Auge und bei verschiedenen Thieren unterstützt die Hypothese über die verschiedene Function derselben. So befinden sich im menschlichen Auge (und in dem der Affen) da in der Netzhaut, wo das schärfste und deutlichste Sehen stattfindet (neben dem hinteren Ende der Augenaxe, an und rings um den gelben Fleck mit seiner Centralgrube), nur Zapfen und diese nehmen nach dem vordern Rande der Netzhaut mit dem scharfen Farbenunterscheidungsvermögen stetig ab. Bei den Nachtvögeln (Eulen) überwiegen die Stäbchen an Zahl; ausschließlich zapfenführend oder doch sehr reich daran ist dagegen die Netzhaut vieler Eidechsen, Schlangen, Schildkröten, und wahrscheinlich aller Reptilien. Bei Säugethieren, welche die Nacht oder die Dämmerung dem Tage vorziehen, fehlen die Zapfen gänzlich (wie bei der Fledermaus, dem Igel und Maulwurf) oder sie treten in einer sehr auffallenden Weise gegen die Stäbchen zurück. Ratte, Maus, Siebenschläfer, Meerschweinchen besitzen nur wenig und unvollkommene Zapfen.
Die Hörhaare sowie die Härchen der Hör- oder Haarzellen sind kleine elastische Anhänge an den feinsten Nervenfäserchen des Gehörnerven, ihre (durch die Schallwellen erzeugten) Schwingungen erregen die Nerven mechanisch durch Erschütterung. Die zwischen den Haarzellen stehenden Corti’schen Bogen scheinen keine nervösen Endorgane zu sein. Dafür spricht auch, daß die scharfhörenden Vögel diese Gebilde gar nicht besitzen. Sie sind wohl nur als Resonatoren anzusehen, welche die (durch die Wellen des Labyrinthwassers erzeugten) Schwingungen der Grundmembran, auf welcher sie aufstehen, aufnehmen,
selbst in Schwingungen gerathen und diese den Haarzellen mittheilen. Als Dämpfungsapparate könnten angesehen werden: die Ohrsteinchen im Labyrinthwasser, ebenso des Vorhofs, der Ampullen, wie der Schnecke, sowie die Corti’sche oder Deckhaut, welche wie ein durchlöcherter Gallertschleier über dem Corti’schen Organe ausgebreitet ist. – Das Corti’sche Organ liegt auf der Grundmembran und besteht aus den Corti’schen Bogen mit äußeren und inneren Pfeilern, aus inneren und äußeren Haarzellen, aus der Netzhaut und der Deckhaut.
Die Helmholtz’sche Theorie, daß der Vorgang des Hörens auf dem Phänomen der Mitschwingung specifischer akustischer Endapparate beruhe, wurde durch die Versuche Hensen’s glänzend bestätigt, indem es diesem gelang, die Hörhaare durch Töne in Mitschwingungen zu versetzen. Durch einen dem Trommelfell und den Gehörknöchelchen nachgebildeten Apparat leitete er den Schall
eines Klapphorns in das Wasser, in welchem er unter dem Mikroskop einen Geiselkrebs (Mysis) beobachtete. (Die Krustenthiere haben nämlich an ihrer Körperoberfläche Hörhaare, die eine nach der Größe geordnete Reihenfolge von größeren und dickeren zu kürzeren und feineren Härchen übergehend bilden.) Es ergab [586] sich nun, daß durch gewisse Töne des Horns einzelne dieser Hörhaare in starke Schwingung versetzt wurden, durch andere Töne andere Hörhaare. Jedes Hörhaar antwortete auf mehrere Noten des Horns. So antwortete ein Härchen stark auf dis und dis’, schwächer auf g, sehr schwach auf G; sein Eigenton lag also wohl zwischen d’’ und dis’’ und war ein Oberton der fraglichen Noten.
Sehen und Hören beruht also auf Schwingungen; Auge und Ohr können durchaus nichts Anderes als Schwingungen unterscheiden, ersteres Licht-, letzteres Schallschwingungen. Im Auge wie im Ohr scheinen die schwingenden Endorgane abgestimmten kleinen Tasten zu entsprechen, welche nur dann in Mitschwingungen gerathen, wenn Schwingungen von einer bestimmten Geschwindigkeit, also von einer bestimmten Farbe und einem bestimmten Tone sie treffen. Dem Tastwerk im Ohr (dem Corti’schen Organ), bei welchem jede Taste auf einen einzigen Ton abgestimmt zu sein scheint, entspricht im Auge die von den Zapfen der Netzhaut gebildete Farbentastatur, so daß also nicht jeder Zapfen zur Wahrnehmung aller Farben geeignet ist, sondern die einen nur Roth, die anderen Grün etc. empfinden lassen, wenn gemischtes Licht einwirkt. Werden durch irgendwelche Umstände bestimmte dieser Tasten zum Schwingen unfähig, oder sind die ihnen zukommenden Nervenfasern nicht mehr erregungsfähig, dann ist die Wahrnehmung derjenigen Töne oder derjenigen Farben aufgehoben, welche durch jene Tasten oder Nervenfasern vermittelt wurde. Hierdurch erklärt sich ebenso die Farbenblindheit (Roth-, Grün- und Violettblindheit), wie die Tontaubheit (Baßtaubheit).
Durch die Zapfen scheinen nur die drei Grundfarben (Roth, Grün und Violett) wahrgenommen zu werden, Farben, durch deren Zusammenfallen wieder das ursprüngliche Licht, nämlich Weiß, hergestellt wird. Alle übrigen Farben werden durch gleichzeitige, aber ungleich starke Erregung dieser drei Grundfarben empfunden.
Nach Manchen stehen die Schwingungszahlen der Hauptfarben untereinander in genau demselben Verhältnisse, wie die Schwingungszahlen der sieben ganzen Töne der C-dur-Tonleiter. Die schönsten Farbenzusammenstellungen sollen, in Musik übersetzt, den wohlklingendsten Accorden entsprechen, wie z. B. die berühmte Triade der altitalienischen Meister: Roth, Grün, Violett dem ungemein wohlklingenden Quartsextaccord von G-dur d, g, h (Preyer). Nach Helmholtz besteht dagegen dieser Farbenaccord aus Roth, Grün und Indigo. – Die hier beigefügten Abbildungen sind schematische Darstellungen der nervösen Endorgane im Auge und im Ohr.