Aus dem Malkasten zu Düsseldorf
Alte Leute in Düsseldorf erzählen, daß Napoleon der Erste, als er die Stadt besucht habe, in die höchst denkwürdigen Worte ausgebrochen sei: „Düsseldorf ist ein klein Paris!“ Diese Leute sind nun meistentheils nicht in Paris gewesen, sonst würden sie wahrscheinlich den Ausspruch, wenn der corsische Imperator ihn wirklich gethan hat, für einen Scherz halten, was indeß keineswegs der Fall ist, denn unsere Philister bleiben dabei und wiederholen mit dem behaglichsten Ausdruck und den zufriedensten Blicken: „Düsseldorf ist ein klein Paris.“ Habeant sibi! Wir wollen ihnen den Spaß nicht verderben und sie auch auf die übrigen rheinischen Nachbarorte von oben herabschauen lassen; denn ihre Heimath war ja einst Hauptstadt von Jülich, Cleve und Berg, sie ist der Ort, wo Jakobe von Baden erdrosselt wurde, sie besaß einst eine wunderschöne Gallerie, sie besitzt noch die Reiterstatue des Kurfüsten Johann Wilhelm, sie ist der Geburtsort der beiden Jakoby, des Varnhagen von Ense, des Heinrich Heine, des Peter von Cornelius, der Brüder Heß und einer Menge von Malern, deren Ruhm erst künftig in den Sternen geschrieben steht. Hier siedelt ferner eine berühmte Malerschule, hier entwickelte sich das Theater Immermann’s. In der That Grund genug zu einem gewissen Stolz, den die Bürger auch an den Tag zu legen nicht verfehlen.
Und im wunderschönen Monat Mai ist Düsseldorf auch in der That ein allerliebster Ort. In die weiten Straßen und offenen Plätze schaut überall der liebe Frühling mit seinen frischbelaubten Bäumen herein. Buntgekleidete Damen – es befinden sich sehr hübsche darunter – und Herren gehen dort auf und ab. Der Menschenstrom ergießt sich hinaus. Wir folgen. Da öffnet sich vor den Blicken ein Kranz von anmuthigen Anlagen. Das ist der Hofgarten, der die Stadt fast allerwärts umschließt. Frisches Grün erquickt das Auge, hundert Blütenbäume ragen empor, die schmetternden Lieder der Vögel haben nicht End und Ziel, die Nachtigallen singen überall aus den Sträuchen, die Teiche blitzen im Sonnenstrahl, weiße Schwäne ziehen ihre stillen Kreise auf dem Wasser. Ja, das ist Alles fröhlich, lustig, berauschend. Wir wandern und bleiben stehen, wir betrachten und lauschen, wir athmen Mailuft und Blüthenduft in vollen Zügen.
Endlich sind wir am Ende des Parks nach dem Dorfe Pempelfort gelangt. Im Angesicht der großen Ulmenallee erhebt sich der Jägerhof, die Residenz des edeln Fürsten Anton von Hohenzollern-Sigmaringen. Links an dieselbe schließen sich Fabrikgebäude, die jüngst vom Fiscus angekauft wurden und nun bald verschwinden sollen. Sie bildeten einst eine Fabrik, welche der Familie Jakoby gehörte. Hinter derselben erstreckt sich ein Park, in den wir eintreten.
Wir stehen hier auf echt classischem Boden. Wer sich einigermaßen in den Lebensbeschreibungen, Reiseberichten und Briefen der Schriftsteller des vorigen Jahrhunderts umgesehen hat, der ist vielfach mit diesen Oertlichkeiten bekannt gemacht worden. Vor unsern Blicken dehnt sich nämlich der Jakoby’sche Garten, der vor etwa achtzig Jahren eine berühmte deutsche Culturstätte war. Das weite Besitzthum gehörte dem Philosophen Friedrich Jakoby, dessen Bruder Georg neben Goethe als einer der besten deutschen Lyriker geschätzt wurde. Die bedeutenden Mittel des Eigenthümers gestatteten eine ausgedehnte und glänzende Gastfreundschaft zu üben, zu welcher nicht minder die menschenfreundliche und herzliche Gemüthsart Jakoby’s aufforderte. So bildete sich denn hier der Sammelort für die geistigen Vertreter der Nation. Wie anmuthig schildert Goethe in „Wahrheit und Dichtung“ diesen reizenden Aufenthalt, den er in jungen Jahren besuchte! Auch nach dem unglücklichen Feldzug in die Champagne ruhte er hier einige Tage aus. Wilhelm Heinse, der Verfasser des Ardinghello, wohnte damals in Düsseldorf und war alle Tage in Pempelfort, das nach und nach Jung-Stilling, die Grafen Stolberg, Georg Forster, die Fürstin Gallitzin mit ihren westfälischen Freunden und Hemsterhuys, so wie Hamann, den Magus des Nordens, bewirthete. Pempelfort war vor Weimar die bedeutendste literarische Station des Vaterlandes. Dieses reiche bewegte Leben endete mit dem Einbruch der Franzosen in Deutschland. Jakoby verließ die geliebte Heimathstätte. Der Garten kam in die Hände des Arztes Brinkmann, dessen Tochter aber wieder einen Sohn Jakoby’s heirathete, so daß das Gut nun zum zweiten Male an die Familie gelangte.
Sobald man das Thor im Rücken hat, gewahrt man links im Hintergrunde ein langgedehntes Haus, das aus Unterhaus und erstem Stock besteht. Für die heutigen Verhältnisse ist es gerade nicht groß, in der Zeit, wo es entstand, galt es jedenfalls als eine stattliche bürgerliche Wohnung. Die Gebäulichkeiten sind namentlich nicht hoch, aber sie strecken sich in die Breite und besitzen sehr viele, darunter manche ansehnliche Räume. Es ist noch heute erkennbar, daß man sich für die Gastfreundschaft einrichtete. Denkt man aber [586] der Persönlichkeiten, welche hier ein- und ausgegangen sind, welche hier gescherzt, gelacht und in den ernsthaftesten Gesprächen zusammengehalten haben, so kann man sich eines Gefühls der Ehrfurcht nicht erwehren. In der That hat auch dieses Haus, als es von der Jakoby’schen Familie verlassen wurde, seine Anziehungskraft nicht verloren. Ferdinand Hiller mietete sich hier einst eine Stube, wo er componirte. Später wohnte Adolph Schrödter eine Zeitlang in dem Hause, und gegenwärtig lebt Frau Anna Ritter, die Wittwe des geistvollen Malers Henry Ritter, in diesen Räumen.
Aber wir wandern an dem Hause vorüber und vertiefen uns in die in englischem Geschmack zugerichteten Anlagen. Allerwärts erheben sich gewaltige Ulmen, Linden, Pappeln, hin und wieder Cedern und Tannen und andere Zierbäume. Unter denselben dehnen sich weite Grasplätze. Verschlungene Wege führen in das niedere Gebüsch. Kleine Brücken leiten über die Düssel, die in der Mitte des Parks in einem nicht unbeträchtlichen Teiche ausruht. In dem hintern Theile der Anlage, längs der Mauer, welche den ganzen Garten umschließt, gewahren wir wieder einige Gebäulichkeiten. Wir rathen dem Besucher, sich hier von einem Düsseldorfer Freunde gegen Abend einführen zu lassen, denn zu dieser Zeit entwickelt sich an dieser Stelle ein buntbewegtes Leben. Aus allen Wegen schreiten junge und ältere Männer heran, um sich an dem Gebäude zu sammeln. Dort stehen auf den Plätzen Tische und Stühle, an denen sich die Einen niederlassen zu Geplauder und Kartenspiel, Andere gehen an die Kegelbahn, auf welcher nun die Kugeln hin- und herrollen. Noch Andere setzen sich an die Lectüre von Zeitungen und Blättern bald in die Halle, bald unter das Laubdach der Bäume. Vor dem Einen steht der grüne Römer mit den Gaben des Baechus, vor dem Andern ein Seidel mit dem Tranke des Königs Gambrinus. Meistens herrscht dabei eine fröhliche Heiterkeit in stets wechselnden Bildern.
Was bedeutet dieses durchaus moderne Leben? Wir stehen mitten im „Malkasten“, der hier sein Sommerlocal aufgeschlagen hat. Mit Beginn der schönen Jahreszeit verlassen nämlich die Düsseldorfer Künstler ihre gemüthlichen, aber an hellen Tagen etwas düstern Räume in der Ratingerstraße, um sich in der frischen fröhlichen Frühlingswelt an Licht, Luft, Grün, Blüthe und Vogelliedern zu erquicken. Und das geschieht hier im vollsten Maße. Lunge, Auge und Ohr schöpfen hier hundertfachen Genuß. Man kann sich kaum einen anmuthigern Ort für abendliche Ausspannung denken.
Der Düsseldorfer Malkasten! Wer hat nicht von dieser heitern lebenslustigen Gesellschaft der Maler gehört? In den Berichten der Zeitgenossen ist schon vielfach von dem rheinischen Künstlerleben die Rede gewesen. Eine frühere Epoche ist ganz vortrefflich in Karl Immermann’s „Maskengesprächen“ geschildert worden. Fr. von Uechtritz hat zwei Bände „Blicke in das Düsseldorfer Künstlerleben“ herausgegeben. Ich habe in verschiedenen Novellen an dieses Treiben angeknüpft. Als Schadow nach Düsseldorf kam, concentrirte sich das Leben auf der Akademie und im Hause des Meisters. Man hatte später „Künstlerkränzchen“, eine „Brandwache“. Dann entstand eine aristoakademische Fraction, die ihre eigenen Kreise bildete. Maskenbälle, Aufführungen von lebenden Bildern, Theatervorstellungen und Künstlerfrühlingsfeste in bunten Maskenaufzügen vereinigten oft die dissentirenden Parteien auf kurze Zeit. Eine Geselligkeit, welche alle Mitglieder der Künstlerschaft vereinigte, konnte sich in den ersten zwanzig Jahren der neuen Schule nicht bilden.
Da kam das Jahr 1848 mit seinen vielfachen Bewegungen. Unsere Maler trieben auch Politik, kannegießerten und spielten Bürgerwehr. Die Einen waren rechts, die Andern links. Die letztern sollen – am 6. August, an dem Tage, wo das Fest deutscher Einheit in der Person des Reichsverwesers gefeiert wurde – sich durch Zufall zusammen gefunden und den Bund beredet haben. Diese Vereinigung geschah in dem Götzen’schen Wirthshause auf dem Hundsrücken, das bis dahin eine vielbesuchte Bürgerwehrstube war. Ohne sich durch Statuten gebunden zu haben, kamen dort allabendlich die Genossen zusammen. Ihre Zahl wuchs zusehends, sie umfaßte bald den größten Theil der jüngern und der ältern freisinnigen Elemente, während sich die ältern und conservativen Männer zurückhielten. Man hat in der Folge viel von der politischen Richtung des jungen Vereins geredet und ihn blutrother demokratischer Tendenzen beschuldigt. Ich muß gestehen, daß ich niemals etwas von Blutdurst, Tyrannenhaß und Sansculottenthum verspürt habe. Wer machte in der damaligen Zeit nicht seine politischen Witze? Ueber die Scherze des Kladderadatsch ist Keiner hinausgegangen. Von Comploten und Verschwörungen war niemals die Rede. Wie das Leben der jungen Leute gemeiniglich auf Scherz, Fröhlichkeit und Lachen gestellt ist, so war es auch hier. Der einzige Vorwurf, den man machen konnte, ist vielleicht, daß man die ernste Zeit nicht allzuernst nahm. Wer will das aber der Jugend verübeln!
Die Haupttendenz des Vereins ist zu jener Zeit nichts Anderes gewesen, als die Liebe und Hingebung an den Verein selbst. Man hatte längst das Bedürfniß eines Zusammengehens der Künstlerschaft gefühlt. Das war nun mit einem Male ungesucht gefunden. Man hatte es nicht gemacht, es war geworden. Darüber herrschte eine allgemeine Freude, die sich bald durch ein eigenthümliches Zusammenwirken kund gab. Vor allen Dingen galt es das alte düstere Local wohnlich und künstlerisch umzugestalten. Es ist merkwürdig, mit wie geringen Mitteln man zum Ziele kam. Der Eine begann den Andern zu malen, so daß nach und nach eine ganze Gallerie von Malkästnern entstand. Man legte Albums an und schenkte Zeichnungen hinein, es entstand eine kleine Bibliothek, es entstanden Sammlungen von Gefäßen. Die Landschaftsmaler führten Decorationen für die Bühne aus, welche im Hintergrunde des Zimmers errichtet wurde. In der Folge malte E. Leutze jene Darstellungen, welche, die Entwickelung der Kunstgeschichte gebend, die Wände des Winterlocals schmücken, und Mintrop führte die allerliebsten Kindergruppen aus, die wir dort erblicken. Zu diesen Künstlern gesellte sich A. Schmitz, der gleichfalls ein großes Bild lieferte. So hat denn der Malkasten in den Geschenken, die ihm nach und nach geweiht wurden, gegenwärtig schon ein recht hübsches Besitzthum, denn man sieht hier außer den Arbeiten der schon genannten Künstler auch Portraits von L. Knaus und J. Roeting, so wie Zeichnungen von C. F. Lessing, E. Bendemann, A. Achenbach und vielen andern. Man darf übrigens nicht vergessen, daß die erste Zeit die fruchtreichste war. Die Sammlungen haben sich nicht in derselben Weise gemehrt, wie sie begonnen.
Es läßt sich nun nicht leugnen, daß während der ersten Jahre ihres Bestehens in dieser jugendfrischen Gesellschaft an Witz, Scherz und Geist viel Pulver in die Luft geschossen wurde. Fehlte es auch hier und dort nicht an ernsten Gesprächen, so war doch der Sinn der Allgemeinheit auf Possen und Schwänke gestellt. Gute Bonmots, kräftige Späße, humoristische Lieder hatten mehr Hoffnung auf Erfolg, als gediegene Betrachtung. Der göttliche Unsinn herrschte in jeder Beziehung vor und erreichte namentlich seinen Höhepunkt in den Lustspielen, die von Zeit zu Zeit aufgeführt wurden. Dieselben traten stets als eigenes Fabrikat auf, das von der einen oder andern Gruppe der Malkästner gemeinschaftlich entworfen und ausgeführt wurde und dadurch eines gewissen Eindrucks sicher war, daß es von Anspielungen auf einzelne Persönlichkeiten, städtische und staatliche Verhältnisse wimmelte. So erinnere ich mich eines Stückes, wo die Geschichte von König David und dem Weib des Urias in Schleswig-Holstein spielte. Andere Stücke hatten ähnliche barocke Vorwürfe. Man lachte einen Abend darüber und legte sie zu den Acten. Es hatte eben kein Aristophanes dahinter gesessen. Die jugendlichen Genossen aber fanden sie „famos“. Eine Krähe pickt der andern kein Aug’ aus.
Mit der Zeit mochte man sich wohl von der Unzulänglichkeit dieser Vergnügungen überzeugt haben, und die jungen Schauspieler, von denen manche ein entschiedenes Talent an den Tag legten, griffen zu andern Aufgaben. Und hier kam Rudolf Nielo, der sich als Vorleser einen Namen gemacht hat, dem jungen Völkchen trefflich zu Statten. Er wurde nämlich der Regisseur der Bande, die sich allmählich an Shakespeare’s Lustspiele wagte. Sowohl in dem alten Malkasten bei Götzen, dann in dem zweiten Locale an der Ecke der Ratingerstraße und schließlich in dem jetzigen habe ich „Viel Lärm um Nichts“, „Die Komödie der Irrungen“ und „Was Ihr wollt“ in recht hübschen Darstellungen gesehen, in denen die Frauenrollen von den jüngsten Anschößlingen gegeben wurden. Von dieser muthigen Gesellschaft sah man sogar Stücke wie „Der Schatz von Rhamsenit“ von Platen und „Der Rubin“ von Hebbel, die sonst nicht das Glück gehabt haben, in ihrem Heimathlande auf die Bühne zu kommen. Mit solchen theatralischen Versuchen wechselten mitunter große Darstellungen von lebenden Bildern für wohlthätige Zwecke, welche in einem großen Locale, dem Geißlerschen Saale, aufgeführt wurden und stets sehr zahlreich besucht waren.
[587] Bildeten diese Bestrebungen die Glanzpunkte für den Winter, so brachte Frühling und Sommer wiederum andere Vergnügungen. Da die Gesellschaft mehr und mehr an Wachsthum und Ansehen gewann, so fanden sich auch die Mittel, für die schöne Jahreszeit ein Gartenlocal zu gewinnen. Dasselbe befand sich eine Reihe von Jahren in der Kaiserstraße.
In den bedeutsamsten Festlichkeiten, für welche zugleich die größten und zeitraubendsten Vorbereitungen getroffen wurden, gehörten während einiger Jahre die Frühlingsfeste. Sie wurden indeß nicht häufig gefeiert, weil sie sich in Beziehung auf Zeit und Geld zu kostspielig erwiesen. Die Stätten, wo sie abgehalten wurden, waren der Bilkerbusch und der Grafenberg. Im Jahre 1852 machte man die Sache so brillant, daß, soviel ich weiß, keine spätere mehr zu Stande kam. Aber auch manche ernsthafte Kämpfe haben im Schooße der Gesellschaft stattgefunden. Trotz der idealen Zwecke, welche die Kunst verfolgt, sind und bleiben die Künstler doch Menschen und haben so gut ihre Streitigkeiten wie die andern Söhne dieser Erde. Und so machten sich denn in der Schule schon von vorneherein allerlei Differenzen geltend. Zuerst hatten sich Rheinländer und Berliner mitunter in den Haaren gelegen. Später machte man einen Unterschied zwischen Katholiken und Protestanten. Schließlich gab es eine akademische und eine außerakademische Partei. Die erstere, kleinere war conservativ, die zweite größere war liberal. Dazu stifteten die letztern den Malkasten. Es lag in der Natur der Sache, daß sie ihren Verein auch benutzten, um ihre künstlerischen und gesellschaftlichen Zwecke durchzuführen.
In der Zeit der politischen Aufregung hielten sich natürlich die Akademiker dem etwas ungebundenen Treiben der heißblütigen Jugend fern. Es war dies namentlich in jenen Tagen der Fall, wo der Malkasten seine eigenen Possen aufführte, in denen er weder Freund noch Feind schonte. Als die Gemüther sich beruhigten und Shakespeare auf die Bühne kam, hin und wieder eine Vorlesung gehalten wurde – ich selbst habe mitunter über deutsche Literatur gesprochen – als man Compositionsvereine zu bilden suchte, da fanden auch wieder Annäherungen der Conservativen statt. Man hatte sich außerdem zu gemeinschaftlichen Festen nöthig, wie bei der Feier des hundertjährigen Geburtstages Goethe’s und des fünfundzwanzigjährigen Directorats Schadow’s an der Akademie. So kamen denn auch in diesen Perioden der alte Meister, die Professoren der Akademie und ihre Anhänger. Künstler sind eben keine Leute, die sich einen langen Haß nachtragen. Heute wurde gezankt, morgen reichte man sich die Hand. Heute erklärte man sich den Krieg, morgen schloß man mit Thränen in den Augen den herzlichsten Frieden.
Den Lesern wird es vielleicht interessant sein, einige der Hauptchorführer der Gesellschaft kennen zu lernen. Indem ich unternehme, ihre Portraits zu skizziren, muß ich Emanuel Leutze an die Spitze stellen. Derselbe weilte schon längere Zeit in Düsseldorf und hatte sich in der Profangeschichte als einer der besten Künstler hervorgethan. Geboren in Gemünd in Schwaben, war er als Knabe nach Amerika gekommen, hatte sich als Jüngling der Malerei gewidmet und wählte dann, nach Europa zurückkehrend, Düsseldorf zu seiner Bildungsstätte. Durch seine Arbeiten gewann er sich großes Ansehen unter den Genossen. Dazu war er stets lebendig, anregend, leidenschaftlich in der Gesellschaft gewesen. Seine Unruhe wuchs in der Zeit der Revolution. Man nennt ihn den Stifter des Malkastens. Von ihm soll der Verein seinen Bestand erhalten haben. Als Erfinder des Namens nennen die Einen Chr. Böttcher, die Andern Karl Hübner. Leutze wurde indeß in der Folge sein thätigstes Mitglied, überall ordnend, anfeuernd, oft heftig bis zu entschiedener Tyrannei. Was man aber auch sagen mag, er meinte es stets gut und trug nie einen Groll nach. Zudem muß man gestehen, daß ohne die zähe Art, mit welcher er stets seine Zwecke verfolgte, manche treffliche Dinge nicht in’s Leben getreten wären. Nicht allein für die Gesellschaft opferte er Zeit und Mittel, er ist auch bei der Gründung der deutschen Kunstgenossenschaft, die nun über ganz Deutschland verbreitet ist, an erster Stelle zu nennen.
Leutze hatte dabei treffliche Adjutanten. War er der Präsident der Gesellschaft, so war Hermann Becker, der geistvolle Kritiker, sein Staatssecretair. Eine reiche Bildung, eine feine Ironie, eine gewandte Feder machten ihn den meisten Künstlern in der Geselligkeit überlegen. Er war lange Schriftführer des Malkastens, in welchem Amt ihn später der Landschaftsmaler Alexander Michelis ablöste. Zu diesen gesellte sich zu seinen Lebzeiten der Maler des deutschen Philisters, J. P. Hasenklever, der sich beim Glase Wein überaus behaglich fühlte und diesen Eindruck auch auf den Beschauer machte. Karl Hübner, der durch seine socialen Bilder berühmt geworden war, schloß sich an. Auch er war ein eifriger Förderer der Gesellschaft. Papa Weber, der Landschaftsmaler, erschien als einer der unverwüstlichsten Stammgäste, dem es nie an der gehörigen Derbheit fehlte. Wieschebrink that sich durch seinen trockenen Humor hervor. Ludwig Knaus, der damals noch sehr jung war, wurde mitunter als Sänger auf der Bühne benutzt. Er hatte eine sehr tiefe Stimme, aber sein Gehör war so vernachlässigt, daß sich bei seinen Liedern ein unauslöschliches Gelächter erhob. Und um diese Häupter vereinigte sich nun die ganze brausende rauschende Jugend, die, wenn sie den Pinsel bei Seite gelegt hatte, Lieder sang, Komödie spielte und nach allen Seiten hin den blühendsten Unsinn trieb.
Nach diesen agitatorischen Elementen, die stets in Feuer und Flammen standen, fehlte es aber auch nicht an besonnenen und ruhigen Männern, deren Haltung, so wenig es auch den Anschein hatte, den eigentlichen Kitt und Zusammenhang für die oft zu wild dahinlebende Geselligkeit abgab. Und hier muß ich vor allen andern der beiden Achenbach gedenken. Andreas Achenbach galt schon längst als die erste Größe im landschaftlichen Fach. So ernst er seinen Weg in der Kunst verfolgte, so heiter war er im Leben. Voller Humor, Witz, Satire, Laune, die er stets bunt und toll hervorsprudeln ließ, hielt er doch in den geselligen Angelegenheiten das rechte Maß. So bewahrte er sich das Ansehen nach innen, nach außen aber schützte sein Ansehen die Gesellschaft. In Oswald Achenbach besaß der Malkasten gleichfalls ein sehr nützliches Mitglied. Er war milder, stiller als sein Bruder und befliß sich feiner Formen. In ähnlicher Weise ist der Genremaler Ch. Böttcher zu nennen, der in den letzten Jahren so poetische rheinische Bilder geliefert hat. Schon seltner erschien der phantastische Scheuren, der nicht allein in seinen künstlerischen Entwürfen, sondern auch in seinem Worte, wenn er sich ungenirt fühlt, höchst originell ist. Eine andere eigenthümliche Erscheinung war Theodor Mintrop, der bis zu seinem dreißigsten Jahre hinter dem Pfluge gegangen war und dann durch den Genremaler Eduard Gesellschap, seinen steten Leiter und Begleiter, an die Kunst kam. Man kennt den unendlichen Formenreichthum seiner Gestalten. In seiner Geselligkeit entwickelte er ein außerordentliches Erzählertalent. Die Episoden aus seinem Lehen hörten sich wie die schönsten Dorfgeschichten an. Auch die geistvollen Norweger A. Tideman und Hans Gude erschienen in diesem Kreise. Aus der ältern Generation standen außerdem namentlich Hildebrand, Köhler, Stilke und der Inspector Wintergast in freundschaftlichen Verhältnissen zu der Genossenschaft.
Noch mehr als alle diese Mitglieder gereichte es dem Malkasten zur Ehre, daß C. F. Lessing sich unverbrüchlich zu der jungen Welt hielt. Er ließ den alten guten Spruch gelten: „Jugendblut hat Uebermuth“ und nahm nicht, wie es von andern Seiten geschah, die lustige Art und Weise der frischen Anschößlinge krumm und übel. So viel ich mich erinnere, war er fast immer Mitglied des Vorstandes. Man achtete und ehrte ihn. Seine Anwesenheit hat gewiß manche Uebereilung gehindert, so wenig er auch bei seiner passiven Natur einen directen Einfluß geltend zu machen suchte. Die stille bescheidene Art seines Wesens, die gewissermaßen in einer kindlichen Männlichkeit bestand, mit welcher er sich stets unter der Schaar der jungen Künstler befand, machte einen überaus wohlthätigen Eindruck. Die Anhänglichkeit, welche er der Gesellschaft bewahrte, mußte allen vernünftigen Leuten die Bürgschaft geben, daß der Malkasten auch in seiner übermüthigsten Zeit kein so übles Institut war. Adolph Schrödter, Lessing’s Schwager, zog 1848 nach Frankfurt. Als er zurückkehrte, wurde er, bis die beiden Künstler nach Carlsruhe übersiedelten, dem Malkasten ein treuer Freund.
Als später zeitweise und in den letzten Jahren, wie es scheint, für alle Zukunft eine Vereinigung der ganzen Künstlerschaft erzielt wurde, erhielt der Malkasten aus der Mitte der ältern Künstler noch eine Menge von Elementen, welche nicht wenig zur Belebung der Gesellschaft beitrugen. So betheiligte sich namentlich W. Camphausen, der in der That ein vortreffliches dramatisches Talent besitzt, bei den Theateraufführungen, während Rudolph Jordan durch seine eigenthümliche Komik in Rede und Bewegung stets vielfach zur Erheiterung beizutragen verstand. Und so zählt der Verein [588] auch jetzt den Director Bendemann, die Professoren Sohn, Wiegmann und sogar die strengen Katholiken Deger, Karl und Andreas Müller, Ittenbach und Andere mehr zu seinen Freunden.
Im Angesichte einer solchen Gesellschaft stellt man sich naturgemäß die Frage, ob im Verhältniß zu ihrem Wachsthume auch die tiefern idealen Kunstzwecke gefördert worden sind. Haben die Künstler neue Bahnen eingeschlagen? Wurden die höchsten Richtungen der historischen Bildnerei in größerm Umfange aufgenommen? Ist die Composition zu höhern Flügen angeregt worden? Hat man in der Technik bedeutende Fortschritte gemacht? Seltsamer Weise können die Antworten nicht sehr erfreulich lauten. Leider haben im letzten Decennium eine Menge von ausgezeichneten Malern die Stadt verlassen. Freilich besitzen Dresden, Berlin, Frankfurt, Carlsruhe und Weimar Filialen der rheinischen Schule. Dieselben haben uns früher schon Hübner und Bendemann – der letztere ist bekanntlich zurückgekehrt – Becker und Dielmann, Schrader, Knaus, Lessing, Schrödter und Schirmer, sowie eine Menge anderer Künstler entzogen. Leutze kehrte nach Amerika zurück. Glücklicher Weise trägt die Kirche die Bestrebungen Deger’s, der Brüder Müller und Ittenbach’s, so daß wir also eine treffliche biblische Malergruppe besitzen. Dagegen ist die profane Geschichtsmalerei fast ganz erloschen. Lessing und Leutze waren ihre letzten bedeutenden Vertreter. Auch in der Volksmalerei sind die Talente aus früheren Tagen nicht übertroffen worden. Ritter und Hasenklever sind todt. Zu Jordan, Tideman, Böttcher, Gesellschap, Wieschebrink und Siegert haben sich in den letzten Zeiten nur Benjamin Voutier, Kindler und Salentin als ebenbürtige Talente gesellt. Schirmer, der jetzt die Carlsruher Schule dirigirt, und Gude, der nach England gegangen ist, vermißt Düsseldorf auch nicht gerne. Die beiden Achenbach, Scheuren und Weber werden von keinem Jüngern erreicht, viel weniger übertroffen. Die letzte Generation hat einen zu realistischen Weg betreten. Sie fügt sich zu sehr den Neigungen des Publicums, das im Volksbilde und in der Landschaft die nüchterne Wirklichkeit sucht. Es wird leider oft mehr für den Verkauf als für die Kunst gearbeitet. Und das geschieht denn auch noch rasch, hastig, ohne innerliche Vertiefung in den Gegenstand. In Beziehung auf gediegenen Fleiß und zähes Fortstreben sind die ältern Künstler nach wie vor die besten und gewissenhaftesten Meister.
So erscheinen die hauptsächlichsten Resultate, welche der Malkasten erreicht hat, als geselliger und socialer Natur. Die erstern suchte ich in der Kürze darzustellen, die zweiten anzudeuten. Ohne Zweifel haben die Künstler in Düsseldorf bedeutend zur Hebung des Standes mitgewirkt. In dem Unterstützungsverein, der im Malkasten stets eine freundliche Pflege fand und der gegenwärtig ein nicht unbeträchtliches Capital besitzt, hat die Künstlerschaft ein treffliches Institut geschaffen. Daß von dieser Seite her auch die deutsche Kunstgenossenschaft vorzugsweise in’s Leben gerufen und gefördert wurde, ist bereits gesagt. Dann aber gereicht es dem Verein zur ganz besondern Ehre, daß er sich einen solchen Sitz zueignete, wie das Jakoby’sche Gut, in welches ich die Leser beim Beginn meiner Darstellung eingeführt habe. Man darf mit Recht sagen: Der Malkasten hat sich um Düsseldorf, um den Rhein, um das deutsche Vaterland verdient gemacht.
Dieser alte classische Grund und Boden war nämlich vor einigen Jahren in Gefahr, als Erinnerungsstätte deutscher Cultur verloren zu gehen. Nach dem Tode des Staatsraths Jakoby, eines Sohnes des Philosophen, befand sich die Familie nicht mehr in der Lage, das Gut an der Hand zu halten. Es kam in andern Besitz. Schon sollte damit begonnen werden, den Park in Bauplätze zu parcelliren. Vergebens erhob sich ein Schrei des Entsetzens in den öffentlichen Blättern. Gesuche an die Regierung und an die Stadt, Haus und Garten zu erwerben, hatten keinen Erfolg. Da tauchte der Gedanke auf, daß die Künstlergesellschaft sich hier einen schönen Sommergarten bilden könne. Andreas Achenbach und Assessor Alexander von Sybel legten sich in’s Mittel und bewerkstelligten den Ankauf, indem sie sich erboten, die Anlagen später zu dem kostenden Preise wieder an den Malkasten abzugeben. Nun wurden Bilder gemalt, auswärtige Künstler sandten gleichfalls Spenden ein. Man rüstete eine große Lotterie, die im ganzen Vaterlande den lebendigsten Anklang fand. Die in Aussicht genommenen Summen wurden bedeutend überschritten. Das Gut wurde Eigenthum der Gesellschaft. Man besaß schließlich noch einen Reservefond, für den man ein neues Gesellschaftsgebäube her zu stellen denkt. Bei dieser Gelegenheit wurden nun auch alle Künstler Düsseldorfs einig. Wir sprechen unsern Segen dazu. Mögen sie es alle Zeit bleiben!
Das war in der That ein wackeres Werk. Jedem Deutschen, der ein Herz für sein Volk und dessen geistige Geschichte hat, ist hier ein Ort erhalten worden, der in alle Zeiten hin heilig und geweiht sein wird. Wir Leute von der Feder danken es den thätigen und liebenswürdigen Künstlern ganz besonders. Und sie selber werden es wahrlich am wenigsten bereuen, daß sie im Augenblicke der Gefahr mit Rath und That eingeschritten sind.
In den letzten Jahren hat sich der Verein lebhaft mit dem Plane beschäftigt, auf diesem Grund und Boden ein Gebäude aufzuführen, das sowohl im Winter wie im Sommer seinen Zwecken entspricht. Man hat bereits eine Concurrenz ausgeschrieben, es sind Entwürfe eingekommen, einem derselben ist der Preis zuerkannt worden. Zur Ausführung wird er indeß vorläufig wohl schwerlich kommen, da ein Zwischenfall eingetreten ist, der der Gesellschaft wahrscheinlich und hoffentlich noch zu einem größern Besitz verhilft. Zwischen dem Garten des Jägerhofes und dem Jakoby’schen Gut erstreckt sich nämlich ein Theil der frühern Fabrik, welche die Familie besaß und die später in andere Hände überging. Dieselbe hat aber eine große Fronte nach der Straße hin, während das Jakoby’sche Gut im Hintergrunde liegt. Die Fabrik und der anliegende Garten ist aber vom Fiscus erworben worden. Der letztere wird wohl kein Bedenken tragen, dem Malkasten den Theil an der Straße abzugeben, damit er auf demselben bauen und den Park und das alte Haus schonen kann. Die ganze Gegend würde dadurch sehr an Anmuth und Schönheit gewinnen. Die Düsseldorfer Künstlergesellschaft hat schon früher das Unmögliche möglich gemacht. Sie wird auch wohl hier zum sichren Ziel gelangen. Und wenn sie erst in dem neuen Hause ihren Sitz aufgeschlagen hat, möge denn auch fürder Freude, Einigkeit und echtes Kunstgefühl bei ihr wohnen!