Aus dem Leben des Rehes
Wenn irgend ein Thier des heimischen Waldes den Blick des Vorüberwandelnden fesselt, so ist es das Reh. So viel Stolz im Ausdruck verbunden mit Lieblichkeit und Anmuth, so viel Feuer bei sprüchwörtlich gewordener Sanftmuth, so rege Wachsamkeit inmitten des vertrauten Wandels – wie sollten solche in einem Wesen von schöner Gestalt und feinem Gliederbau vereinigte Eigenschaften nicht Theilnahme erwecken? Um so belohnender ist die Aufgabe des Forschers, durch Belauschen der geheimen Züge des Wesens jener schmucken Thiere sich mit demjenigen Theile desselben bekannt zu machen, welcher höheres Interesse erweckt, als Gestalt und Farbe, nämlich mit der Seele in ihren vielfältigen Thätigkeitsäußerungen. Wir brauchen dazu, Gottlob, keinen Zoologischen Garten, sondern können Das nach Waidmannsart in der grünen Natur besorgen.
Die drückende Hitze der zweiten Hälfte des Juli herrscht. Still, wie ausgestorben, ist der Wald. Die Sänger schweigen, denn ihre Gesangszeit hat geendet und der Federwechsel begonnen. Im Schatten eines Stangenortes steht oder sitzt der Rehbock, aber ihn flieht die Ruhe. Der mächtigste aller Triebe beherrscht ihn. Erregt eilt das Blut durch seine Adern und zuweilen durchzuckt’s ihn wie elektrischer Schlag. Mit einem Male springt er auf, lauscht in äußerster Spannung und vorgebeugter Haltung. Jetzt vernimmt er deutlich das „Blatten“ (Rufen) einer vermeintlichen Rehgeis; aber die Erfahrung hat ihn vielleicht gewitzigt, oder es zieht ihn nicht so sehr zur alten Geis, als nach dem jüngern Reh. Er folgt nicht dem lockenden Ton. Da greift die List des verborgenen Schützen zu dem Mittel, den feineren Ton des Schmalrehs nachzuahmen, und nun stürmt der erhitzte Bock der [550] Gegend zu, woher der bezaubernde Klang gekommen. Nur der junge unerfahrene Spießer folgt dieser Verlockung, um sich dem Rohr des verborgenen Jägers zum Ziel zu stellen; der alte Bock zeigt sich in unzähligen Fällen als sehr mißtrauischer Verliebter, der den verdächtigen Platz umkreist und sich den Wind vom Anstehenden holt, um ihn sofort mit „Schmälen“ auszuschelten und „flüchtig“ zu werden. Oder er wartet eine Viertel-, ja eine halbe Stunde, ehe er dem Orte langsam zuschreitet, den der „blattende“ Schütze längst verlassen hat, und wo er mit zu Boden gesenkter Nase die erkaltete Fährte des Feindes prüft. In gewitterreichen Sommern hält der Bock, wie überhaupt das Reh, das Entladen des Gewehrs wohl auch einmal für eine Naturerscheinung und bleibt zum Erstaunen des Fehlschießenden stehen.
Noch ehe die eigentliche Brunftzeit beginnt, äußert der Bock seine Erregung schon durch Kämpfe mit Seinesgleichen, sowie durch häufiges Jagen („Treiben“) der Geis, so daß die „Brunftplätze“ oft wie eine kleine Reitbahn in Bogen von einigen Klaftern im Durchmesser zertreten sind und von dem ungestümen Gebahren des Bocks zeugen. Einige Monate nach der Brunftzeit, im November, wiederholt sich, jedoch seltner und in harmloser Weise, das Jagen der Rehe, wodurch man zu der Annahme verleitet wurde, die Brunftzeit falle in diesen Monat, zumal da man es für unwahrscheinlich oder gar unmöglich hielt, daß ein verhältnißmäßig so kleines Thier, wie das Reh, vierzig Wochen „beschlagen“ gehe. Die Meinung der also Irrenden und Getäuschten wurde durch solche Untersuchungen der Geis zwischen dem Monat August und November bestärkt, welche das in dieser Zeit auffallend langsam sich entwickelnde, noch in gebundenem Leben verharrende Ei übersahen. Was der Professor Bischoff mit aller Sorgfalt und Sicherheit durch genaue Erforschung der Entwickelung dieses Eis nachwies, nämlich die wirkliche Begattung im August, überraschte wenigstens die besseren Beobachter nicht, denn auch schon die Wahrnehmung, daß bei dem meisten Wilde gerade die Feist- oder Fettzeit der Brunft vorangeht, diese letztere also eintritt, wenn das Thier in seiner körperlichen Vollkommenheit und Kraft steht, hätte von vornherein die alten Nimrode von ihrer verkehrten Ansicht, daß die wahre Brunft des Rehs in den Vorwinter falle, zurückbringen müssen, abgesehen davon, daß bei dem Bocke dessen beste Kräfte für die Neubildung des Gehörns im Spätherbst und den Winter hindurch verwendet werden.
Wir übergehen die Treibjagden zur Neigezeit des Jahres, wo der Bock das „Gehörn“ abwirft und schon darum und des Schrotschusses halber von dem echten Waidmann mit einem gewissen Widerstreben erlegt wird. Wir lassen ihn im neuen Jahre erst wieder „frisch aufsetzen“ und „ausrecken“ und suchen ihn in der schönsten Jahreszeit auf dem Pürschgange auf.
Der Mai hat das junge, helle Grün dem Walde entlockt, die Waldwege, Wiesen und Lichtungen hauchen den Vollduft ihrer Kräuter aus, unserm jetzt sich gar heimlich haltenden Reh ist im wahren Sinne des Worts der Tisch gedeckt, die Orte der „Aeßung“ grenzen nahe an die Stellen, wo es in Ruhe und Verdauung „plätzt“, wie der deutsche Waidmann treffend das Bloßscharren des Waldbodens zu Stand und Lager bezeichnet. Vorzugsweise ist’s der Bock, der seinem mißtrauischen und vorsichtigen Wesen gemäß sich zurückhält und zu seiner Sicherheit doppelte Vorsichtsmaßregeln anwendet. Büsche und Stämmchen an Schneißen und wildverschlungenen Pfaden tragen die Spuren des „Fegens“, wie man das Reinigen der mit Bast überzogenen frisch aufgesetzten „Stangen“ nennt. Leise „pürscht“ sich auf diesen Pfaden gegen Abend oder früh Morgens der Schütze heran, scharf nach rechts oder links blickend, mit gehobener Büchse, das dürre Reis unter sich, das seine Anwesenheit knackend verräth, sorgfältig vermeidend. Zehn Mal geht er vielleicht vergeblich nach einem "Capitalbock“, endlich führt ihn Ausdauer und Unverdrossenheit doch zum Ziel. Auch der wenn noch so gut „äugende“, „vernehmende“ und „windende“ Bock wird schließlich einmal überlistet, die Kugel fitzt ihm auf dem „Blatt“, und das Gehörn ersten Ranges ziert die Wand der traulichen Stube.
Und fürwahr, das Gehörn des Bocks verdient einen genauern Blick sowohl wegen seiner Beliebtheit bei Waidmännern, als auch in Hinsicht seiner Entwicklungsstufen und seines eigentümlichen Zusammenhangs mit den Geschlechtsorganen und dies um so mehr, als diese interessante Erscheinung bei unserem heimischen Wilde erst in neuerer Zeit gründlich erforscht worden ist. Bekanntlich heißt der das Gehörn tragende Knochenzapfen des Stirnbeins „Rosenstock“, der ringförmige, perlig-krausige Wulst unmittelbar auf denselben unten an den beiden Stangen aber die „Rose“. Die ersten Anfänge zur Gehörnbildung entstehen erst dann, wenn sich die zapfenförmigen Fortsätze des Stirnbeins gebildet haben. Dies geschieht beim vier Monate alten Kitzböckchen; unmittelbar darauf erfolgt die Bildung der immer höher werdenden Kolben und endlich im Winter das Ausrecken der drei bis vier Zoll hohen unzerteilten, mit schwacher „Rose“ an der Wurzel versehenen „Spieße“. Im December wirft er ab und hat nach Verlauf eines Vierteljahrs zum zweiten Mal bereits wieder aufgesetzt.
Das Abwerfen der Stangen ist bedingt durch das völlige Absterben und Außer-Verbindung-Treten derselben mit den Organen des Körpers. Unter den alten Stangen aber hat sich bereits das Leben eines neuen Gebildes geregt, indem die von Blutadern (Venen) umgebene äußere Kopfschlagader in ihren Verzweigungen sich zu erweitern beginnt, fortwährend sich zu verlängern strebt und der Blutandrang nach den Rosenstöcken, durch die alten Stangen gehemmt, nun das Heraustreten eines ringförmigen Gefäßwulstes um die abgestorbene Rose herum aus dem Hautrande des Rosenstocks bewirkt. Durch diesen Wulst und den weiteren Erguß von Blut in die zackigen Verbindungsflächen zwischen Rosenstock und Stangen werden die letzteren gehoben und gleichsam unterhöhlt und deren Abstoßen auch noch durch die vom vermehrten Blutzufluß erhöhte Hautthätigkeit wesentlich befördert. Aus diesem wulstigen Gefäßringe, der bis zur Reife des Gehörns mit den Kopfadern in Verbindung steht und Nahrung erhält, bildet sich später durch Ausschwitzung von Knochensubstanz die Rose, sowie denn durch baldiges Umwulsten der Flächen, worauf die Stangen saßen, in Gefäßanhäufungen zugleich auch die Grundlage zu einem neuen, durch Säftezuführung immer weiter wachsenden Gebilde, den Kolben, entsteht, aus deren knolliger Masse sich nach und nach gestaltend das Gehörn in den angegebenen Formen entfaltet. Die Stange erscheint beim zweiten Gehörn in der Regel ungefähr in der Mitte getheilt. Die nach vorn gebogene Sprosse ist als Nebensprosse zu betrachten, während der nach hinten in knieförmiger Biegung verlaufende Theil Fortsetzung der Stange selbst ist. Es kann jedoch diese Biegung auch im zweiten Jahre vorhanden sein ohne Nebensprosse. Der dritte Gehörnwechsel findet etwas zeitiger als der zweite statt, und der alte Bock wirft schon im November ab. Bei der zweiten Kniebildung der Stange geht die Biegung wieder der ursprünglichen Richtung gemäß nach vorn, während die neugebildete Nebensprosse nach hinten steht. Der Bock heißt dann „stark“ oder ein „alter Bock“, sollte auch irgend eines der Nebenenden fehlen, denn jene Biegung giebt ihm allein Anspruch auf diese Bezeichnung.
So oft das neugebildete Gehörn vollständig zu Knochen erhärtet, fängt der Bock sich des umhüllenden absterbenden Bastes - nichts weiter als eine Fortsetzung der Haut oder „Decke“ des Thieres in etwas veränderter Gestalt - durch Reiben („Fegen“) zu entledigen an, und im fünften oder sechsten Monate nach dem Abwerfen des alten Gehörns erscheint dann das Thier bewehrt mit der verjüngten Zierde seines Hauptes. Durch das Fegen an der Rinde und dem Baste junger saftiger Holzarten entsteht die verschiedene Farbe des Gehörns, welche nichts als eine Beizung durch den Bastsaft ist. Vornehmlich wählt der Bock in Laubholzwaldungen unter andern den Trauben- oder Hirschhollunder, den Faulbeerstrauch, sowie die Erle zum Fegen. Im Nadelholz fegt er gerne an der jungen Edeltanne und der Lärche, dadurch oft bedeutenden Schaden in den Waldheegen anrichtend, besonders wenn diese beiden Nadelholzarten wie gewöhnlich im Laubholz eingesprengt vorkommen.
Der Spießbock betreibt im Frühjahr das Fegen mit einem Eifer, daß er sich zuweilen bis zur völligen Unvorsichtigkeit hinreißen läßt und in komischer Stellung an Büschen und zarten Stämmchen seinen jugendlichen Uebermuth ausläßt. Kein Wunder, wenn das Gehörn des Bocks durch das Reiben an dem lohreichen Baste der Erle, Edeltanne und Lärche besonders dunkel erscheint: die Lohe gerbt die poröse Substanz des Gehörns eben schwarzbraun. Einen deutlichen Beweis für diese Behauptung geben die anfänglich hell erscheinenden Stangen und ihr allmähliches Dunklerwerden beim fortschreitenden Fegen, sowie das stets hellere Aussehen der mehr gebrauchten Gehörnspitzen („Enden“) im Freileben und des ganzen Gehörns im Gefangenleben des Thieres, bei welch’ letzterem die
Farbe der Stangen sogar abgewaschen werden kann. –
[550] Es kommt nicht selten vor, daß starke Böcke kein Gehörn ausrecken, sondern nur Knöpfe ansetzen, namentlich zeigte sich dies im vorigen Jahre hier bei Alsfeld und in manchen anderen Gegenden. Von Mißbildungen des Gehörns („widersinnigem Gehörn“) gibt es im Freileben des Bocks, noch mehr aber in seinem Park- oder sonstigen Gefangenleben Beispiele der merkwürdigsten und mannigfaltigsten Art. Die Ursache ist meist in Verletzungen am Gehörn selbst zu suchen, welche sogar absichtlich von Solchen vorgenommen werden, welche einen besonderen Geschmack an Absonderlichkeiten haben. Sie werden aber auch hervorgerufen durch Verletzungen an den Geschlechtstheilen oder dem „Kurzwildpret“, wie es die Waidmannssprache eigenthümlich und zugleich schicklich bezeichnet. In inniger Wechselwirkung erscheinen Kurzwildpret und Gehörn: das zeigt die sichtliche Einwirkung von künstlichen und zufälligen Verletzungen oder Verstümmelungen an Ersterem auf die Bildung des Letzteren. Eine Entmannung hat fast immer das förmliche Versiechen der Gehörnerzeugungskraft zur Folge; nur ausnahmsweise kommen Gehörnneubildungen bei Castraten vor, welche jedoch immer als nicht zur Reife kommende Mißbildungen erscheinen. Auffallend sind hingegen die von uns mehrfach wahrgenommenen starken Gehörne bei kränkelnden Rehböcken oder sogenannten „Kümmerern“.
Die Zeit, der Monat Mai, ist da, wo die Rehgeis „setzt“ (je nach dem Alter Mutter eines, zweier oder gar dreier Kitzchen oder Kälbchen wird). Welche rührende Sorge und treue Anhänglichkeit äußert sie da! Der Feinde sich bewußt, die das zarte Leben des Lieblings bedrohen, wagt sie es nur, sich auf Augenblicke von dem Lagerplatz zu entfernen. Mit zitternder Angst vernimmt sie die Stimme des Räubers aus dem Walde oder aus der Luft, und wenn gar ein verkrüppeltes Kälbchen „gesetzt“ ist, deren eines ich vor mehreren Jahren durch Vermittlung des verewigten Roßmäßler in „Haus der Heimath“ abbilden ließ, wie müht sich da die Mutter ab, sein Verlangen zu stillen. Ueberall sind wunde Stellen am Boden wahrzunehmen, wo die Geis das „Gesäuge“ durch ihre Lage dem Kälbchen darzubieten suchte. Das Rufen des unbehülflichen und nicht zur Genüge gestillten Thierchens erfüllt den Waldraum und mehrt von Stunde zu Stunde die Gefahr. Der am meisten zu fürchtende Raubmörder vernimmt das „Fiepen“, welches ihn lüstern macht und ihm den Stand der Rehfamilie verräth. Doch nicht hier, wo er leichteres Spiel hat, sondern einem gesunden Kälbchen, welches der Geis zur Aeßung folgt, gegenüber mag er jetzt auf der Waldbühne erscheinen.
Auf einer Waldwiese, die einerseits von einer jungen Buchenheege, andererseits von Buchenhochwald begrenzt wird, erwarten wir einen starken Rehbock mit „ausgerecktem Gehörn“. Dort die dichtbelaubte junge Eiche in der heimlichen Waldwiese mag uns beim Ansitz decken
Immer weiter dehnen sich die Schatten aus, immer voller und lebhafter wird der Vögel Abendgesang. Plötzlich hören wir den störenden Schrei des im Dickicht aufgeschreckten Eichelhehers, und im nächsten Augenblick sehen wir ihn schon uns zu Häupten streichen, er bemerkt uns als scharfsichtiger Späher, macht, abermals schreiend, eine Wendung und strebt dann weiter dem Hochwalde zu. In der Richtung von jener Stelle her, wo der wachsame Vogel aufgeschreckt wurde, vernehmen wir ein leises Rauschen, dann zeigt sich, vorsichtig schreitend, eine alte Rehgeis. Am Rande der Heege bleibt sie stehen, sichert eine Weile und tritt nun etwas vertrauter auf die Wiese. Ihr folgt unmittelbar auf der Fährte das liebliche, buntscheckige Kälbchen. Mit dem eintretenden Gefühle der Sicherheit zeigt sich alsbald unbefangener und sorgloser der Verkehr zwischen Beiden. Während das Kälbchen die unerschöpfliche Quelle der Nahrung am mütterlichen „Gesäuge“ sucht, ergeht sich die Geis in allerlei Zärtlichkeiten gegen den kleinen Schützling oder „äßt sich“, von Zeit zu Zeit nur eine wiederkehrende, auffälligere Wachsamkeit nach verschiedenen Richtungen hin verratend. Urplötzlich wirft sie den Kopf in die Höhe, und gleich darauf hören wir dröhnende Sprünge und Rauschen, worauf der erwartete Bock in hohen Sätzen auf der Wiese erscheint. Erregt beugt er sich vor, sichert, und ehe ich mich entschließe, die Büchsflinte zu heben, stampft er auf, "schreckt“ (schreit) und „wird flüchtig“. Unmöglich kann er uns wahrgenommen haben, denn wir sitzen gedeckt und haben guten Wind. Aber siehe, nun wird auch das alte Reh unruhig. Wie es zittert! - Was raschelt von Neuem in den Hecken? Ein Fuchs! Dort schleicht er eben am Rande des Dickichts auf das Reh zu. Wie er mit den Augen blinzt und das untrügliche „Gehör“ regt, wie er jetzt thut, als ob er die friedlichsten Gedanken habe! Er kratzt, beleckt sich, wirft sich nieder in das Gras und wälzt sich auf den Maulwurfshaufen umher. Dabei schielt er beständig nach dem alten und jungen Reh, und sicherlich entgeht ihm keine ihrer Bewegungen. Es scheint, als wolle sich das alte Reh beruhigen, denn schon senkt es wieder den Kopf, um sich zu äßen. Da springt der Fuchs mit rüstigen Sätzen nach dem Kälbchen, das in sich zusammenfährt und fiepend bei der Mutter Schutz sucht. Wie ein Pfeil fliegt diese zwischen das Kleine und den Mörder und schlägt letzteren mittelst der Vorderläufe tapfer in die Flucht.
Wiederum sucht der Fuchs das alte Reh in Sorglosigkeit einzuwiegen. Zuweilen hat es den Anschein, als seien ihm alle Glieder am Leibe zerschlagen, so schlotternd, schleifend und trollend ist sein Gang. Er fängt an, sein ausersehenes Opfer zu umgehen, aber die treue Beschützerin weiß immer den rechten Standpunkt zur Abwehr zu wahren. Der immer lüsterner Werdende wiederholt seinen Angriff und bietet alle Kraft, Erfahrung und List auf, um zu seinem Ziele zu gelangen. Er läuft und springt in allerlei Wendungen, aber immer wieder muß er dem hartnäckigen Widerstand des alten Rehes weichen. Dieses entwickelt die ganze Schärfe seiner Sinne, die ganze Gewandtheit seines Körpers und bekundet einen so festen, aufopfernden Muth, daß man nichts mehr von der ursprünglichen sanften Natur an ihm wahrnimmt. Wahrlich ein rührendes Bild der zärtlichsten Mutterliebe! Wir sind empört über die Fuchsnatur und folgen mit ängstlich pochendem Herzen der weiteren Entwickelung des Schauspiels. Das Spannende, welchen Ausgang der Kampf nehmen werde, und der Gedanke an Bereicherung unserer Erfahrungen halten mich vom Gebrauch der Waffe ab. – Sieh' da, was regt sich dort im Gehege? Es schleicht ein Thier durch das hohe Gras im Rücken der beiden Rehe. Ein zweiter Fuchs! Der Gauner hat mit scharfen Sinnen die Gelegenheit ausgewittert und will sich jetzt mit gleichen Mordgedanken zu dem sonst Gemiedenen seiner Sippschaft schlagen. Doch schon hat das alte Reh den neuen Feind entdeckt, denn es wendet den Kopf nach ihm hin, und kaum hat er den ersten Sprung aus dem Versteck hervor nach dem Kälbchen gethan, so setzt die Mutter über dieses hinaus und schlägt auf den Anstürmenden wacker los. Der andere, schon etwas abgehetzte Fuchs sieht in seinem Gefährten einen Gehülfen seines Unternehmens (offenbar verstehen sich die beiden Räuber sogleich) und greift ermuthigt nochmals an. Aber wie vom Dämon besessen, springt das Reh stets zur rechten Zeit vor, der Raubgier stellt steh die immer regere Mutterliebe entgegen, wächst und wächst, bis das geängstete Thier von den erstaunlichen Anstrengungen nach und nach ermattet. Bei der eintretenden Schwäche der Geis wächst der Füchse Zuversicht und Dreistigkeit. Schon fürchten sie nicht mehr so sehr, wie anfänglich, die Schläge, und der Augenblick der Entscheidung naht.
Da donnert ein Schuß aus der gehobenen Büchsflinte, und wie vom Blitz erschlagen, sinkt der stärkere Fuchs nieder, während der schwächere der Dickung zueilt. Rasch wird der Schrotlauf auf ihn gerichtet und glücklich auch er noch erlegt. Wir eilen aus die Beute zu. Geis und Kälbchen sind im Geheege verschwunden. Wir überzeugen uns, daß die Kugel einen männlichen und die Schrote einen weiblichen Fuchs erlegt haben. Du hast es verdient, treue Mutter, von solchen Plagegeistern befreit zu werden, und nun kannst du mit deinem Kleinen vertraut zur Aeßung ziehen.
Diese tapfere That der Mutterliebe konnte nicht schöner verherrlicht werden, als es durch den Stift unsres Künstlers geschah.
Hundertfach zufriedener, als wenn wir den Bock erlegt hätten, machen wir uns über dessen Feigheit lustig, mit der er unbekümmert um die Drangsal des Sprößlings und der todesmuthigen Vertheidigerin desselben in einen anderen District „flüchtig wurde“.