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Aus dem Herzensleben unseres Lieblingsdichters

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Textdaten
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Autor: Friedrich Helbig
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Titel: Aus dem Herzensleben unseres Lieblingsdichters
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1, 2, 7, 8
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[6]
Aus dem Herzensleben unseres Lieblingsdichters.
von Fr. Helbig.
I.

Wenn das Facit eines glücklichen Lebens wesentlich gewonnen wird durch ein glückliches Lieben, so ergiebt das Leben unseres größten nationalen Dichters Schiller eine der günstigsten Bilancen. Während das Liebesleben Goethe’s ein durchaus zerstücktes und fragmentarisches war, das bei aller Reichhaltigkeit doch in keinem Falle zu einem befriedigenden Abschlusse gekommen ist, war dagegen das Lieben Schiller’s so machtvoll concentrirt und so hoch veranlagt, daß es die ganze Fülle seiner Segnungen entfalten konnte. Und so gewahrt es auch einen hohen und reinen Genuß, dem Werdeprocesse dieser naturgemäß in eine glückliche Ehe verlaufenden Liebe Schiller’s auf Grund der urkundlichen Überlieferungen, namentlich der brieflichen Correspondenz, nachzugehen. Wenn wir die Leser der „Gartenlaube“ bitten, uns auf diesem Gange zu folgen, möge uns nur die Versicherung noch gestattet sein, daß wir dabei alles novellistische Beiwerk geflissentlich gemieden und daß die von uns gezogenen Schlüsse lediglich Thatsachen zur Voraussetzung haben.

Zwei Begegnungen.

Wir versetzen uns nach Rudolstadt, der anmuthigen Residenz eines thüringischen Kleinstaates. Dort lebt – es ist im Jahre 1787 – im eigenen frei an einem Berge gelegenen Hanse die Forstmeisterswittwe Johanne von Lengefeld mit ihren zwei Töchtern Caroline und Charlotte. Jene, die ältere, ist mit dem Kammerherrn und Legationsrathe von Beulwitz verheirathet. Die Ehe ist kinderlos, der Gatte lebt mit im Hause. Caroline war eine zarte sensible Natur, der ein nervöses Leiden eine gewisse schmerzliche Verklärung aufgedrückt hatte; ihr ganzes Wesen überhaupt trug einen ernsten Grundton. Ihr nicht gewöhnlicher, fast männlich gearteter Geist neigte sich zu einen, reflectirenden Innenleben, während im vollen Gegensätze dazu auf dem nicht eben regelmäßig schönen, aber herzlich gewinnenden Gesichte der jüngern Schwester eine sanfte Heiterkeit ausgegossen lag, welche in der That auch der Reflex ihres Seelenlebens war und sie zu einer unbefangenen kritiklosen Entgegennahme der Dinge außer ihr, namentlich zu einer theilnehmenden Freude an den Vorgängen und Erscheinungen der Natur stimmte. Beide Schwestern lebten in einer innigen Vertraulichkeit, die in der Liebe zur Mutter einen gemeinsamen Mittelpunkt hatte. Der Gatte Carolinens, ein etwas trockener Berufsmensch und in Folge seiner mannigfachen Berufspflichten oft etwas übel gelaunt, stand dem Kreise geistig ziemlich fern. Die Familie war vor Kurzem erst von einem längern Aufenthalte in der Schweiz, am Genfersee, zurückgekehrt. Dort hatte Lottchen Fertigkeit in der französischen Sprache und Weltton sich erwerben sollen, um sich für den Beruf einer Hofdame vorzubilden. Wieder eingetreten in die alten vielfach beschränkten Verhältnisse der kleinen Residenz, empfinden die jungen Frauenseelen jetzt oft eine wehmüthige Sehnsucht nach den blauen Firnen der Alpen, unter deren Einflusse ihnen die gewohnte Umgebung altmodisch und langweilig erscheint. Der Contrast zwischen dem freien und heitern Leben der französischen Schweiz und der „geschmacklosen Förmlichkeit“ eines kleinen Hofes fordert dicht neben der Wehmuth einen muthwilligen Humor heraus. Dann flüchten sie wohl aus der sie umschließenden Einsamkeit in das bunte Reich der Phantasie und vergleichen sich mit verwunschenen Prinzessinnen, die hinter ihren grünen Bergen auf Erlösung harren. Und diese Erlösung kam.

An einem trüben winterlichen Tage – es war der sechste December 1787 – kamen zwei Reiter die Straße heraus, tief in Mäntel verhüllt. Der eine hatte, offenbar um nicht erkannt zu werden, das ganze Gesicht bis dicht unter die Augen verdeckt. Die Damen standen, nicht ohne Neugier am Fenster. Als die Reiter vor dem Hause angekommen waren, hielten sie still. Der Mantel fiel, und ein Vetter des Hauses, Wilhelm von Wolzogen, entpuppte sich als der Eine. Den andern stellte er noch auf der Straße als seinen Freund und Studiengenossen von der Württemberger Karls-Akademie, Friedrich Schiller, vor. Beide baten um die Erlaubniß, den Abend in der Familie zubringen zu können.

Es war nicht die erste Begegnung der jungen Damen mit dem damals schon bekannten und gefeierten Dichter der „Räuber“, des „Fiesco“ und der „Luise Millerin“. Auf der Rückreise von der Schweiz machten sie eine kurze Rast in Mannheim. Die Mutter ließ sich bei Schiller, der damals dort als Theaterdichter lebte, anmelden, um ihm Grüße von seinen Eltern zu bringen, mit denen sie auf der Solitüde zusammen getroffen war. Sie traf Schiller nicht an. Als sie jedoch im Begriffe standen wieder abzureisen und der Wagen bereits harrte, kam der Dichter noch heran, die Damen zu begrüßen. Damit war die Bekanntschaft nur auf ein paar flüchtige Momente beschränkt. Es blieb nicht einmal soviel Zeit übrig, um ein Gespräch über Fiesco und die in der „Anthologie“ erschienenen Gedichte anzuknüpfen, welche die Gemüther der Schwestern sehr angesprochen während die „Masse von wildem Leben“ in den „Räubern“ sie abgestoßen hatte. So fiel kein Wort, das lebhaften Antheil hätte erregen können. Ohnedies waren die Herzen der Damen noch zu voll von den großen Eindrücken der Alpennatur. Von der kurzen Begegnung war nur der Eindruck der äußeren Gestalt Schiller’s verblieben, einer hohen und edlen Gestalt, die „zwar etwas Frappirendes, aber andererseits doch wieder so viel Weiche und Sanftmuth hatte, daß man sich wundern konnte, daß ein so gewaltiges und ungezähmtes Genie ein so sanftes Aeußere haben konnte.“ Ebenso eindruckslos war die Begegnung auf Schiller geblieben. Auch den jetzigen Abstecher nach Rudolstadt auf der Heimreise der beiden Freunde von dem Wolzogen’schen Gute in Bauerbach bei Meiningen hatte er ohne Neigung, ja mit einem gewissen Widerstreben und nur auf Drängen des Freundes gemacht.

Lottchen, der jüngeren Schwester, kam der Besuch auch nicht ganz gelegen. Sie fühlte sich an dem Tage gerade nicht recht wohl, hatte Kopfschmerzen und beschloß deshalb, wie immer, ihrer älteren Schwester die Führung der Unterhaltung allein zu überlassen. Diese aber redete ihr, wie von einer inneren Ahnung der Bedeutsamkeit dieser zweiten Begegnung getrieben, lebhaft zu, von ihrer sonstigen Gewohnheit diesmal abzulassen. Sie versprach es denn auch, jedoch „lediglich aus Gefälligkeit zu Carolinen“. Die Gemeldeten kamen, und der Abend verging unter Clavierspiel und Gesprächen. Lottchen hielt Wort. Sie sprach weit mehr als gewöhnlich, weil sie den Geist des vetterlichen Freundes nach ihrem späteren Geständnisse an dem Abende sehr interessant fand. Man sprach über dessen Gedichte, über die Briefe von Julius an Raphael, welche man kannte. Als derselbe jedoch seiner neuesten Dichtung, des „Don Carlos“, Erwähnung that, bekannte man aufrichtig, dieselbe noch nicht gelesen zu haben. Schiller versprach sie mitzutheilen. Es war keine kritische Basis, auf der man sich bewegte. Man gab sich einfach, unbefangen, natürlich, „aus Liebe zum Geistigen, aus der Wärme herzlicher Empfindung“. Der Eindruck der kurzen flüchtigen Stunden war diesmal ein nachhaltiger. Er erzeugte den Wunsch einer Fortsetzung des angeknüpften Verhältnisses. Schiller stellte sogar seine Wiederkehr an einem der nächsten Sonntage in Aussicht. Als dieser Sonntag kam, bemächtigte sich Lottchens eine angstvolle Erwartung. Bei jedem Tritte, den sie hörte – sie erzählt das selbst so – dachte sie, er käme, und als er dennoch ausblieb, war es ihr gar nicht ganz recht. Ein Billet von Schiller’s Hand, das sich im Besitze des Vetters gefunden, nahm sie heimlich an sich und verwahrte es sorgsam. Ihr Herz war schon – leise getroffen. Auch Schiller bekennt in einem Briefe an seine mütterliche Freundin in Bauerbach, es sei ihm die Trennung von den hochachtbaren und liebenswürdigen Leuten so schwer geworden, daß nur die dringendste Nothwendigkeit ihn wieder nach Weimar gezogen habe, und in einem Briefe an Freund Körner schwärmt er bereits von den Segnungen und der Wohlthat einer häuslichen Existenz. Und doch war sein Herz damals nachhaltig noch nicht berührt; es lag in jenen Tagen und noch den ganzen Winter hindurch in den Fesseln eines dämonischen Weibes – Charlotte von Kalb. –

Im Vorfrühling.

Eine jener sogenannten glücklichen Fügungen, denen man so gern im Liebesleben eine Rolle zuertheilt, führte eher, als man gehofft, eine weitere persönliche Annäherung zwischen Schiller und [7] Lottchen Lengefeld herbei. Die letztere kam im Februar 1788 nach Weimar zum Besuche der ihr befreundeten Familie der Frau von Imhof. Die Absicht der Mutter war darauf gerichtet, die Tochter dem weimarischen Hofe etwas näher zu bringen, der die Aussicht auf eine Hofdamenstelle schon früher eröffnet hatte.

Anfangs war das Sichsehen und Sichbegegnen dort nur ein zufälliges. Lottchen hing, um in ihrer eigenen Sprache zu sprechen, an dem fremden Orte weit weniger von sich selbst ab als zu Hause, aber man begann doch schon diesen Zufall als eine freundliche Gunst zu empfinden. „Eben zieht mich ein Schlitten an’s Fenster, und wie ich hinaussehe, sind Sie’s. Ich habe Sie gesehen, und das ist doch etwas für diesen Tag.“ So Schiller. Bald traten die Begegnungen aus dem Kreise des Zufalls heraus. Schiller hatte sich die Erlaubniß erwirkt, für Lottchens Lectüre zu sorgen. In die Bücher, die zu ihr hin und her wanderten, verirrten sich allmählich auch kleine, ganz unschuldige Billete. Schon der Zauber der Schriftzüge wirkt gar eigen. Aber in die Briefe schlüpften versteckte dienstbare Geister, welche die Zeitpunkte feststellten, die für die Besuche Schiller’s in der Familie Imhof am geeignetsten waren. In dem gastfreien Hause war viel Verkehr, und es war nöthig, die starken Gasttage auszuscheiden, da an diesen die Frau von Imhof – natürlich handelte es sich nur um diese! – ja gehindert worden wäre, Schiller’s Gesellschaft zu genießen. Schon verlangt das Herz, wenn dieser Gasttage mehrere Hintereinander gewesen sind, nach einem beruhigenden Troste. – „Glauben Sie, daß ich Ihrer oft gedacht habe, ob ich gleich Sie nicht sehen konnte. Lotte v. L.“ – Auch Schiller hält es schon für nöthig, in einem solchen Falle sich gegen die Annahme zu verwahren, daß er unfähig sei, den Werth ihres Umganges zu empfinden.

Oft auch wandte sich Lottchens Auge als Diener des Herzens am Fenster nach der Esplanade hin, um zu sehen, ob der Freund da heraufkomme. „Wie fern,“ schreibt sie später zu diesem Geständnisse, „waren wir, und doch wie nah fühlt’ ich Deine Seele mir! Du warst mir gleich so viel mehr wie alle Anderen.“

Da ihre Abreise wieder nah bevorstand, so bat sie Schiller, der Zeitsitte folgend, um ein Stammbuchsblatt, und Schiller schrieb ihr das in wenig veränderter Form unter der Aufschrift „Einer jungen Freundin in’s Stammbuch“ in seine Werke aufgenommene bekannte Gedicht. Lottchen scheint von den eigenthümlichen Versen nicht eben erbaut gewesen zu sein. Sie erklärt „die Zeilen als ein Zeichen seines Andenkens“ werth halten zu wollen. Weiter nichts. Und doch sind sie nicht blos um deswillen von Bedeutung, weil sie erkennen lassen, wie genau der Dichter schon damals die ganze naive und unbefangene Auffassungsweise Lottchens durchschaut hatte, sondern auch weil sie, wenn auch versteckt, gleichzeitig einem stillen, eifersüchtigen Neide Ausdruck leihen, den der Dichter darüber empfindet, daß sie am süßen Ueberzählen der Glücklichen, die sie gemacht, der Seelen, die sie gewonnen, Freude findet, statt – so ergänzt sich der Satz – einem Einzigen zu gehören, der frei von aller Verlogenheit und Schmeichelei ihren wahren Werth zu schätzen weiß.

In den letzten Tagen vor dem Scheiden wurden die Briefe häufiger und länger. Man sah, wie dann immer, jetzt erst ein, daß man sich doch gar Manches noch zu sagen habe. Freilich die natürliche Zurückhaltung der weiblichen Natur giebt auch hier noch wenig. – „Auch Sie verlasse ich ungern,“ schreibt Lottchen, „denn Ihr Umgang (ich mag nicht Freundschaft sagen, weil Sie das Wort nicht gern haben) hat mir manche Freude verschafft – die Hoffnung Sie bei uns zu sehen macht mir den Abschied leichter. Kommen Sie, sobald als Sie können! Denken Sie meiner! Ich wünsche, daß es oft geschähe.“ Das klingt im Ganzen doch noch etwas nüchtern und kühl. Da giebt der Mann schon weit mehr. „Sie werden gehen, liebstes Fräulein, und ich fühle, daß Sie mir den besten Theil meiner jetzigen Freuden mit sich hinwegnehmen. So wenig Augenblicke Ihres Hierseins auch die meinigen waren und die meinigen sein konnten, so war nur Ihr Hiersein doch schon an sich allein Vergnügen und die Möglichkeit, Sie zu sehen, ein Gewinn für mich. Ihre Abreise bringt mich um Alles Dies. Der Name (Freundschaft, den sie dem Verhältniß nicht geben will) soll mich nicht stören. Lassen Sie das kleine Samenkorn nur aufgehen; wenn die Frühlingssonne darauf scheint, so wollen wir schon sehen, was daraus wird. Sehen will ich Sie vor Ihrer Abreise nicht mehr – Abschiede auch auf kurze Zeit sind etwas so Trauriges für mich. Vielleicht sehe ich Sie im Vorbeifahren noch. Leben Sie also recht wohl, bestes Fräulein, erinnern Sie sich manchmal und gern daran, daß hier Jemand ist, der es unter die schönsten Zufälle seines Lebens zählt, Sie gekannt zu haben. Noch einmal: Leben Sie recht glücklich!“

Worte, wie diese letzten, redet schon kaum die Freundschaft mehr. Hinter der tiefen Wehmuth des Ausdruckes lauert, wenn auch geflissentlich versteckt, bereits der kleine blinde Gott mit Pfeil und Köcher. Jedenfalls stand jetzt das Eine fest, daß die Hofdamenabsichten der Frau von Lengefeld bei diesem Besuche in Weimar gänzlich gescheitert waren.

Eine Sommervilleggiatur.

Lottchen hatte vorsichtigerweise Bücher zurückbehalten, und so erlitt der Briefwechsel auch in der nächsten Zeit keine Unterbrechung.

Später aber erfüllt sie mit liebend geschäftiger Sorgfalt den lang gehegten Wunsch des Dichters, ihm ein seiner Individualität entsprechendes sommerliches Heim in der Nähe von Rudolstadt auszusuchen, und entwirft davon eine anheimelnde Beschreibung.

In der zweiten Hälfte des Mai, als das Wetter beständigere Tage verhieß, „flog“ Schiller „auf’s Land“ – und nun beginnt jene anmuthige Sommeridylle der Liebe, deren Verlauf sich aus kleinen losen Blättern, die hin und her fliegen, verfolgen läßt. Der Morgen gehörte der Arbeit, der spätere Nachmittag und Abend der Liebe, oder sagen wir, weil die Betheiligten es also wollen, der Freundschaft. Schiller arbeitete an der „Geschichte des Abfalls der Niederlande“ und später an dem „Geisterseher“. Er las die einzelnen Abschnitte den Schwestern vor. Sie saßen dann wohl in der von Pappeln schützend umgebenen Hütte des Hausgartens, oder in Lottchens „traulichem“ Stübchen. Bei gutem Wetter gingen die Schwestern – denn die vereitelte Hofdame befand sich, schon um der „Schicklichkeit“ willen, auf welche die Frau Mama sehr viel gab, stets in Begleitung der älteren Schwester – dem Freunde entgegen. Eine Brücke, welche über einen Waldbach führte, der sich dort in die Saale ergoß, war das Ziel, wo sie ihn erwarteten. „Wenn wir,“ erzählt später Caroline, „ihn im Schimmer der Abendröthe auf uns zukommend erblickten, dann erschloß sich ein heiteres ideales Leben unserem inneren Sinne. Hoher Ernst und anmuthige geistreiche Leichtigkeit des offenen reinen Gemüths waren in Schiller immer lebendig. Man wandelte wie zwischen den unwandelbaren Sternen des Himmels und den Blumen der Erde in seinem Gespräche. Schiller fühlte immerwährend das Bedürfniß, in Ideen zu leben.“

In Wirklichkeit fand diese Wanderung gewöhnlich in einer schattigen Allee, entlang des Uferdammes der Saale, statt. Caroline als die Aeltere und durch ihre Verheirathung gewissermaßen Gedecktere leitete meist das Gespräch ein und gab ihm immer einen philosophischen Relief. Die Freigeisterei war ohnedies damals eine Modesache geworden. Schiller verwerthete einen Theil der Gespräche später in seinem „Geisterseher“. Ein gewöhnliches Rendezvous bildete die fürstliche Gärtnerei zu Cumbach, von Schiller, wahrscheinlich im Anklang an die Grumbach’schen Händel, meist Grumbach genannt. Im dortigen Jagdwirthshause wurde oft gemeinschaftlich der Kaffee eingenommen. Wenn die Billete anzeigten, daß die Luft rein war, das heißt daß keine Gesellschaft, kein fremder Besuch, keine Kaffeevisite drüben zu erwarten sei, nahm Schiller auch schon am Nachmittage seine Einkehr im Hause, oder kam durch das von außen zugängige Gartenthor in den Garten. Außer jenen stets als lästig empfundenen Gesellschaften gab es auch noch anderweite hindernde Elemente, welche den stillen Kreislauf des Glückes unterbrachen. Als ein solches zeigte sich gleich anfangs das Regenwetter, das es einmal so arg trieb, daß der Blitz im Dorfe einschlug. Dazu gesellte sich aber bald noch ein weit schlimmerer Gesell, das war der – Schnupfen. Er nahm zuerst Einkehr im Haupte des Dichters.

„Mein Kopf ist ganz hin. Sagen Sie mir, daß Sie meiner gedenken,“ jammert der Heimgesuchte.

„Der böse Schnupfen! Wir vermissen Ihre Gesellschaft. Glauben Sie’s nur!“ erwidert voll Theilnahme Lottchen. Diese Teilnahme geht schließlich so weit, daß man drüben im Hause [8] am Berge ihn auch bekommt. Dann aber kommen auch wieder längere sonnige und schmerzfreie Tage. Die Herzen athmen wieder auf.

Mit den gegenseitigen Briefen wandern zugleich allerlei süße Sachen, als da sind: Gebackenes, Kirschen, Aprikosen, Thee, mit hin und her. Auch mit Blumen schmückt die sinnige Frauenhand das schmucklose Zimmer des Freundes. Trauliche Erkundigungen über den Schlaf und Traum der Nacht ziehen mit hin und her. Die Leidenschaft aber hält sich dabei tief im Versteck. Ist doch der wahrhaftig Glückliche sich seines Glückes meist nie bewußt. „Ich möchte Ihnen oft so viel sagen,“ schreibt einmal Schiller deutungsvoll, „und wenn ich von Ihnen gehe, habe ich nichts gesagt. Bin ich bei Ihnen, so fühle ich, daß mir wohl ist, und ich genieße es mehr, als daß ich es mittheilen könnte.“

Schiller ging aber auch einer innigeren, sein Herz verpflichtenden Annäherung mit Geflissenheit aus dem Wege, wenigstens hatte er sich das von vornherein vorgenommen. „Ich werde,“ schrieb er schon in den ersten Tagen seiner Uebersiedelung an Körner, den Vertrauten seiner Seele, „eine sehr nahe Anhänglichkeiten an dieses Haus und eine ausschließende an irgend eine einzelne Person aus demselben sehr ernstlich zu vermeiden suchen. Es hätte mir“ – das Geständniß kann er dabei doch nicht zurückhalten – „etwas derart begegnen können, wenn ich mich mir selbst hätte überlassen wollen.“ Als Grund führt er dabei an, daß er „das bißchen Ordnung, das er mit Mühe in seinen Kopf, sein Herz und seine Geschäfte gebracht habe, durch eine solche Distraction nicht wieder über den Haufen werfen wolle.“ Es sollte sich das wohl auf sein kaum zum Abschluß gekommenes Verhältniß zu Charlotte von Kalb oder seine „Dresdener Liaison“ beziehen. Bei dem, was sein Herz in der Sache bereits gesprochen hatte, war das freilich eine etwas eigene, jedenfalls aber eine etwas späte Vornahme. Vielleicht hatte sie nur die reservirte Haltung Lottchens hervorgebracht. Er fühlte das wohl auch selbst; er traute seinem Herzen doch nicht recht und nahm deshalb seine Zuflucht zu einem etwas seltsamen, sehr phantastisch angehauchten Experimente. Er nahm sich nämlich vor, sein Herz – es sind dies seine eigenen Worte – durch Vertheilung (auf beide Schwestern) zu schwächen.

Dieses löbliche Vorhaben hinderte ihn indeß nicht, oft die seicht gewordene Saale zu durchwaten, um desto rascher bei den Schwestern zu sein, in Folge welchen Umstandes sich der alte rheumatische Kobold wieder von Neuem anmeldet, schlaflose Nächte bringt und seine Wohnung in einem hohlen Zahne aufschlägt, dort aber so gewaltig pocht und hämmert, daß die Wange schwillt und das Gesicht sich „bis zur Unkenntlichkeit“ verzerrt. Da entschließt sich des Dichter rasch, seine Umsiedelung nach Rudolstadt vorzunehmen, obwohl er sich sagen muß, daß er damit der Gefahr nur näher in’s Auge sieht.

Er wohnt jetzt den Freundinnen so nahe, daß seine Augen ihr Fenster erreichen, sofern nicht der Sturmwind die dazwischen liegenden Bäume und Wirthshausschilder in Unruhe versetzt. Die Nähe thut ihm wohl, und doch knüpft er daran sofort wieder den Wunsch, daß sie eine noch größere sein möchte, um das Bild Lottchens im Spiegel aufzufangen, der über dem Schreibtische seines Platz erhielte. Dann könnte man mit ihr sprechen, ohne daß es ein Mensch wüßte. Um für die traulichen Besuchsabende, die mit den kürzer werdenden Tagen, sich längten, einen geistigen Mittelpunkt zu gewinnen, lesen sie jetzt gemeinschaftlich Homer, von dem die Schwestern bislang nur einige Bruchstücke kannten. „Schiller las uns Abends die Odyssee vor,“ schreibt in späteren Jahren Caroline, „und es war uns, als rieselte ein neuer Lebensquell um uns her.“ Die bilderreiche Sprache des alten Griechen überträgt sich dabei scherzhaft in die kleinen Billete, die auch jetzt noch hin und wider gingen. Da übersetzt sich der Gutenmorgengruß in den Wunsch, daß nach der langen Ruhe im „zierlich gezimmerten Bette die dämmernde Frühe mit Rosenfingern den Schläfer erweckt haben möge“, und es sind nicht mehr so ganz gewöhnliche, sondern schon „geflügelte“ Worte, die jetzt gewechselt werden. Mitten hinein in dieses poetische Rankengewächs fällt denn wohl die prosaische Einladung zu einem Gerichte thüringer Klöße.

Dann erhebt sich plötzlich wieder Gott Amor aus seinem unfreiwilligen Verstecke und macht die Dialektik der „Vertheilung“ zu Schanden. Die Stimme, welche ihn hervorlockt, ist die einer wenn auch nur gelinden Eifersucht.

Lottchen ist zu einem Balle eingeladen, ein Vergnügen, dem Schiller von vornherein abhold ist, da er aus früheren Erfahrungen weiß, daß es das Blut unordentlich erhitzt und die besseren Menschen den armseligen so nahe bringt und mit ihnen vermischt, die feineren Gefühle und die edleren Genüsse des Geistes aber gern auf eine Zeitlang hinwegschwemmt. Der Gedanke nun, Lottchen auf einem solchen Balle zu wissen, macht ihm die lebhafteste Unruhe – er drängt sich störend in seinen Schlaf, in seine Träume. Froh erleichtert begrüßt er den Morgen, weil er ihm die Gewißheit giebt, daß sie nicht mehr auf dem Balle ist. Er kann sich unter dem Einflüsse dieser Qual nicht enthalten, ihr mit einem fast herben Egoismus seine Verstimmung mitzutheilen: „Es ist mir ordentlich lieb, daß er – der Ball – vorbei ist. So sehr ich das Vergnügen meiner Freunde liebe, so wünsche ich Sie doch so selten als möglich auf Bällen. … Wenn ich es könnte, sehen Sie, ich würde so ungerecht sein und Sie allen anderen Menschen mißgönnen. Ich weiß wohl,“ fügt dann sein Kleinmuth gleich hinzu, „daß ich kein Recht darauf habe, aber es ist etwas so gar Schönes, sich das, was Einem lieb ist, als sein Eigenthum zu denken, und was ich denke, thut Ihnen ja auch nichts. Lassen Sie nur also immer diese Freude!“

[31]
II.

Einmal war es um das Vertheilungsprincip fast ganz geschehen und der Sieg des Herzens nahezu vollendet. Als Schiller eines Abends in das Lengefeld’sche Haus kam, hatte eben ein Auftritt zwischen der Mutter und den Töchtern stattgefunden – möglich, daß es sich dabei gerade um das etwas stadtkundig gewordene Verhältniß Schiller’s zu den letzteren gehandelt hatte. Lottchen befand sich, als Schiller eintrat, noch in hoher Erregung und theilte dem Freunde die Veranlassung derselben mit. Caroline ging einen Augenblick fort. Schiller und Lotte waren allein. Er suchte sie zu beruhigen, sagte ihr trostvolle, warm theilnehmende Worte. Lottchen sah mit stummem Danke zu ihm auf und drückte ihm – das erste Mal, daß dies geschah – die Hand voll tiefer Bewegung. Da dämmerte eine geheime Erkenntniß in der zweifelnden Seele auf; die Herzen kamen in Fluß; die schlummernde Leidenschaft erwachte – als Caroline wieder eintrat und der scheue Genius der Liebe verschüchtert von dannen zog. „Damals,“ schrieb Schiller später in der Zeit seines Brautstandes, „glaubte ich in Deinem Herzen etwas zu lesen, aber die Stunde kam nicht wieder.“

Und doch hatte das seltene Vertheilungsprincip eine bedeutsame Folge gehabt. Es hatte Lottchen über Schiller’s Neigung zu ihr irre geführt. Sein geistig weit lebhafterer Verkehr mit Carolinen hatte in ihr den Gedanken angeregt, daß die geistig begabtere Schwester ihm weit mehr sei als sie. Der Gedanke machte sie nicht nur noch weit scheuer und befangener, sie handelte zugleich auch unter der Eingebung einer wahren, edlen und tiefen Liebe, die dem vermeintlichen Glücke des Geliebten todesfroh das eigene opfert, wenn sie dabei zugleich sich selbst tiefer in den Schatten stellte, um dem glänzenderen Lichte Raum zur Entfaltung zu geben.

Natürlich bleibt hier der Rückschlag auf Schiller’s eigene Neigung nicht aus. Er verfällt einem gleichen Irrthume, indem er das Benehmen Lottchens für Kälte hält und sich dabei sogar einredet, daß der Nachhall einer früheren Liebe sie noch gefangen halte. Um diese vermeintliche Selbsttäuschung nicht erkennen zu lassen, decken sie ihre wahren Gefühle denn immer wieder mit dem geborgten Mantel der Freundschaft. Lottchen ist der persönlichen Annäherung ohnedies durch eine Reise nach Kochberg eine Zeitlang entrückt. Aber die Sehnsucht folgt ihr nach, und die dortige ländliche Stille und Einsamkeit hält dieselbe beständig im Wachen. Die „Götter Griechenlands“ und die „niederländische Geschichte“ sind mit ihr gegangen. Schiller will dieselben als die „Garants ihrer Freundschaft“ ansehen. „Es sind abgerissene Stücke meines Wesens, und es ist ein entzückender Gedanke für mich, sie in das Ihrige übergegangen zu sehen, sie in Ihnen wieder anzuschauen und als Blumen, die ich pflanzte, wieder zu erkennen.“

Vor dieser hohen geistigen Fassung, wie sie freilich nur die Liebe des Dichters und Künstlers zuläßt, trat die einfach natürliche Leidenschaft des Herzens wieder schweigend zurück.

Herbststimmungen.

Inzwischen war bereits der October herangekommen, und die trübe herbstliche Stimmung von draußen hielt auch Einkehr [32] im Gemüthe des Dichters. Der Gedanke an des Glückes Flucht, an die Trennung von dem Freundeskreise kommt in ihm zu immer erneutem Ausdrucke. So wird ihm auch der letzte schöne Sommertag nur eine traurige, wehmüthige Erinnerung an die bald bevorstehende Stunde des Scheidens. „Ich weiß nicht, ich habe keinen großen Glauben an die Zukunft. Ist es Ahnung? Oder ist es nur schwarze Laune?“

Auch Lottchen beunruhigt der gleiche Gedanke, aber ihr heiteres Gemüth erfaßt denselben mit der ruhigen Hoffnung, daß die Trennung keine Störung ihrer Freundschaft herbeiführen werde. „Auch wenn Sie nicht mehr unter uns sind, hoffe ich, wird uns Ihr Geist nicht ganz verlassen.“ Schiller sucht dann wieder mit einer idealen Verklärung seiner Gefühle das unbefriedigte Herz zu beschwichtigen. „Lassen Sie uns der schönen Hoffnung uns freuen, daß wir etwas für die Ewigkeit angelegt haben! Diese Vorstellung habe ich mir frühe von unserer Freundschaft gebildet, und jeder neue Tag hat ihr mehr Licht und Gewißheit bei mir gegeben.“ Und doch wird von ihm der Tag des Abschieds weiter und weiter hinausgeschoben. Schon längst sind die Blätter der Pappeln und Weiden auf dem Dammufer der Saale vergilbt, und die Aequinoctialstürme rütteln an den schwanken Wipfeln der blätterlosen Erlen. Weiße Nebel steigen von der Saale auf und hängen wie flatternde Schleier an den Geländen des Thales. Schon ist die Schwelle des Novembers überschritten und der Geburtstag des Dichters gekommen. Eine stille Abendfeier, Clavierspiel und Gesang, frei von den Störungen des Tages, giebt ihm seine Weihe. In dem Geschenke einer Blumenvase findet der Beschenkte eine sinnige Hindeutung auf die Freuden des vergangenen Sommers.

Nun soll die Abreise vor sich gehen – und doch vergehen wieder zögernde Tage. Da kommt die Nachricht der Abreise der Schwestern nach Erfurt auf Anlaß ihres Oheims. Nun war kein Bleiben mehr. Als Schiller das Billet mit dieser Botschaft erhielt, preßte ihm die unvermeidlich gewordene Gewißheit seiner Trennung nach seinem späteren Geständnisse Thränen aus. „Alle Deine Hoffnungen,“ rief es zu ihm tief aus dem Herzen herauf, sind noch nicht viel weiter, als sie zu Anfang des Sommers gewesen waren; alle frohe Aussicht Deines Herzens ist wieder verfinstert. Aber,“ fügte er sich still tröstend hinzu, „wenn nur der gelegte Grund fest und massiv ist, so wird die liebe wohlthätige Zeit noch Alles zur Reife bringen.“

Um den Abschied nicht noch schmerzlicher zu gestalten, wohl aber auch, weil er dabei seines Herzens sich nicht sicher wußte, will er Lottchen nicht noch einmal sehen. „Besser, wir haben uns gestern zum letzten Male gesehen.“ Und so tritt das geschriebene Wort, das leichter zu beherrschende, an die Stelle des mündlichen.

„Ihr Andenken ist mir theuer, und theurer gewiß, als ich Ihnen mit Worten gestanden habe, weil ich über Empfindungen nicht viel Worte liebe. Auch das meinige, weiß ich, wird Ihnen Werth sein. Leben Sie recht wohl! Leben Sie glücklich! Noch einmal Dank, tausend Dank für die vielen, vielen Freuden, die Ihre Freundschaft mir hier gewährt hat! Sie haben viel zu meiner Glückseligkeit gethan, und immer werde ich das Schicksal segnen, das mich hierher geführt hat. Ewig Ihr Schiller.“

Da vertraut noch in der schweigenden Nacht, der letzten vor dem Scheiden, als das Haus schlafbefangen ruht, auch sie noch die bleichen Gedanken rückhaltloser als sonst dem Papiere.

„So sind wir denn wirklich getrennt! Kaum ist mir’s denkbar, daß der gefürchtete Moment vorbei ist. Noch sehen wir einerlei Gegenstände; die nämlichen Berge, die Sie umschließen, umgeben auch uns. Und morgen soll dies Alles nicht mehr so sein? Ich möchte Ihnen gern sagen, wie lieb mir Ihre Freundschaft ist und wie sie meine Freuden erhöht. Aber ich hoffe, Sie fühlen es ohne Worte. – Sie wissen, daß ich wenig Worte finden kann, meine Gefühle zu erklären und sie Anderen deutlich zu machen. … Lassen Sie, so oft wie Sie können und Lust haben, von sich hören, daß der Gang Ihres Geistes mir nicht fremd wird und ich ihm folgen kann. … Gute Nacht! Gute Nacht! Leben Sie so wohl, als ich’s wünsche! Denken Sie gern meiner und oft. Adieu! Adieu!“

Und als die Nacht um war, griff sie noch einmal zur Feder. „Noch einen schönen freundlichen guten Morgen von mir. Leben Sie noch einmal wohl und vergessen uns nicht; nein, dies werden Sie nicht. Adieu! Adieu! Mir ist’s heut’ früh, als sähen wir uns bald wieder.“ –

Anderen Tages fuhren die Schwestern nach Erfurt, Schiller mit dem Postwagen nach Weimar. Bis zum Flecken Teichröden war der Weg noch gemeinsam; von da an schied er sich. Lottchen war immer in dem Gedanken, dem vorausfahrenden Postwagen noch zu begegnen. „Als ich aber sah, daß unser Weg nun ganz anders wurde, fiel es mir,“ schreibt sie, „schwer auf’s Herz. Die Reise war erträglich; die Sonne, die heitere Luft waren wohlthätig, aber als sie sich verbarg und der Abend wieder über die leeren Felder wehte und wir in die kalte Luft eingehüllt waren, lieber Freund, wie wurde es mir da so weh um’s Herz! Ich dachte mir lebhaft, daß es die Stunde unserer Zusammenkunft wäre: und nun, wie so anders!“

Spät Abends kommt Schiller in Weimar an. Er bleibt, tiefer Bewegung voll, an dem Abend zu Hause. Anderen Tages wickelt er pflichtschuldig Besuche ab und ist froh, wieder daheim zu sein, um an die Freundinnen denken und mit ihnen brieflich sich in geheimen Rapport setzen zu können. Er fühlt die ganze Schwere der Entbehrung des schwesterlichen Umgangs. „Ich kann und darf es mir nicht denken, daß Meilen zwischen uns sind. Alles ist mir hier fremd geworden; ein Interesse an den Dingen mitzubringen, muß man das Herz dazu mitbringen, und mein Herz lebt unter Ihnen. Ich scheine mir hier ein abgerissenes Wesen.“ Vergebens sucht er sich die Trennung „durch Vernünfteleien“ zu erleichtern, aber sie halten die Probe nicht aus. Immer wieder bricht die zurückgedrängte Empfindung hervor. „Seien Sie tausend Mal gegrüßt und empfangen Sie hier meine ganze Seele! Es wird Alles wieder lebendig in mir! Ich darf der Erinnerung nicht nachhängen. Wie oft habe ich mich gestern nach Ihnen umgesehen, ob Ihr Wagen nicht nachkäme, und als ich den Weg nach Erfurt vorbei war, wie schwer fiel mir da auf das Herz, daß Sie nun nicht mehr nachkommen könnten! Ich hätte so gern Ihren Wagen noch gesehen.“

In seiner selbstgewählten Einsamkeit treibt er einen stillen Cultus mit den empfangenen Geschenken der Liebe, mit jener Geburtstagsvase, die er mit wohlriechenden Essenzen gefüllt hat, und mit einem Geraniumstocke, der wohlerhalten die Reise mitgemacht hat. Oft unterbricht er die Lectüre der „Phönicierinnen“ des Euripides, um den Beiden im Nebenzimmer einen Moment weihevoller Betrachtung zu widmen.

Und doch schreibt er zu derselben Zeit an Körner: „Ich habe es redlich gehalten, was ich mir zum Gesetz machte und Dir angelobte. Mein Herz ist ganz frei, Dir zum Troste. Ich habe meine Empfindungen durch Vertheilung geschwächt, und so ist denn das Verhältniß innerhalb der Grenzen einer herzlichen, vernünftigen Freundschaft geblieben.“

Der sonst so aufrichtige Freund war diesmal doch wohl nicht so ganz aufrichtig gewesen. Er befand sich, als er dies schrieb, bewußt oder unbewußt, ganz sicher in einem Irrthume. Nur formell hatte er Recht. War sie auch noch nicht ausgesprochen und erklärt, die Liebe war längst lebendig. Ihr Grund stand bereits, wie er sich selbst schon gestanden hatte, fest und massiv, gewärtig des weiteren Aufbaues. Und wenn er jene Vertheilung auch wirklich durchgeführt hatte, so war bei derselben sein Geist wohl Carolinen, sein Herz aber sicher Charlotten zugefallen.

Wie aufrichtig und klar zeichnet dagegen Charlotte die Lage ihres Herzens, wenn sie nun schreibt: „Wir kennen uns erst ein Jahr, aber mir ist’s, als wären wir immer Freunde gewesen. Ihr Geist war mir zwar nie fremd, denn immer fühlte ich mich zu ihm gezogen, wenn ich von Ihnen las, aber nun ist’s doch noch anders, denn jetzt wird es nur fast unmöglich, mir meine Freuden ohne Sie zu denken, und so wird es immer bleiben, nicht wahr?“

Mit ihrem Herzen war das Herz des Freundes schon eng verwachsen. Dort hatte wandellose Liebe die sichere, ewige Heimstatt aufgerichtet.

Geeinte Contraste.

Der Briefwechsel Schiller’s ist jetzt ein erweiterter. Auch Caroline nimmt an demselben lebhaft Antheil, und die Briefe Schiller’s sind deshalb oft gleichzeitig an beide Schwestern gerichtet. Die Individualität derselben tritt darin scharf hervor. Durch die Briefe Carolinens geht die Kühle des räsonnirenden Verstandes, [34] die sich selbst da nicht verleugnet, wo die Beziehungen mehr persönliche sind. Es spricht aus ihnen der schon angedeutete fest philosophisch geschulte Geist, der überall aus dem individuell Gegebenen das allgemeine Gesetz herauszufinden bestrebt ist. Wo Lottchen einfach empfindet, pflegt sie zu denken. Sie spricht sich z. B. so aus: „Oft ist mir’s, als wäre keine Entfernung und das wahre heilige Band der Freundschaft über den Gesetzen der Körperwelt, in anderen Momenten fühlt man aber doch wieder unser enggebundenes Dasein und daß Gegenwart, Leben und Sprache doch etwas anderes ist.“ Das drückt Lottchen so aus: „Ich suche mir viele Geschäfte und bin auch fleißig, aber Sie fehlen mir doch immer. Mir ist oft des Abends, als müßte ich hören, daß Sie gekommen wären.“ Dort redet eben der Geist, hier das Herz.

Während in Lottchens Briefen Alles subjectiv erscheint, strebt dort Alles nach Objectivität. Wo Lottchen nur zaghaft Meinungen giebt, ergreift sie oft schon die Directive und sucht bestimmend auf den Freund einzuwirken. So warnt sie ihn vor gewissen weiblichen Bekanntschaften: sie bekämpft seinen Unglauben an die Möglichkeit einer intimeren Annäherung an Goethe u. dergl. Schiller’s gerade damals stark entwickelter Neigung zur philosophischen Reflexion kommt sie dabei erwünscht entgegen, und er zahlt ihr mit doppelter Münze. Er versteigt sich in seinen antwortenden Briefen zu förmlichen philosophischen Auseinandersetzungen, wie er selbst lachend gesteht. Da wird frischweg docirt, daß der größte Staat ein Menschenwerk, der Mensch aber ein Werk der unerreichbaren Natur, der Staat ein Geschöpf des Zufalls, der Mensch, ein nothwendiges Wesen ist.

Als er einmal – wohl aus Verwechselung – in einem seiner Briefe vom December auch Lottchen gegenüber in den gleichen reflectirenden Ton verfiel, war diese darüber fast erschrocken „und empfand darüber ein Gefühl, das ihr nicht so recht wohl that“.

Es war natürlich, daß der lebhafte, wenn auch nur philosophische Discours mit Carolinen eine größere Annäherung zwischen ihr und Schiller anbahnte, die mit der Zeit auch eine wärmere Tönung annahm. Was er ihr im Laufe, des Sommers geworden war, geht aus einem der wenigen erhaltenen Briefe Carolinens – vom 18. November – hervor: „Ach, ich kenne,“ schreibt sie da, „keinen Ersatz für das, was Sie meinem Leben gegeben haben; so frei und lebendig existirt mein Geist vor Ihnen. So wie Sie hat es noch Niemand verstanden die Saiten meines innersten Wesens zu rühren. Bis zu Thränen hat es mich oft bewegt, mit welcher Zartheit Sie meine Seele in trüben Momenten gepflegt, getragen haben. Wie nöthig ist es mir in der Hoffnung zu leben; Erinnerung allein würde mein Herz zerreißen, aber so schöpfe ich aus ihr Ahnungen künftiger Glückseligkeit.“

Da scheint es fast, als habe sie ihrem Herzen einmal den Vortritt gelassen vor dem Geiste, aber nach einer solchen flüchtigen Schwäche zwang sie jenes dann nur um so tiefer wieder unter dessen Fittiche.

Aber auch die feurige Seele Schiller’s konnte sich gegen eine solche Empfindung einer gleichgestimmten Seele nicht gleichgültig verhalten, und so tauchen schon jetzt die ersten Spuren jener eigenthümlichen Doppelliebe auf, die später zur vollen Entwickelung kam und unser Interesse noch lebhaft in Anspruch nehmen wird. Das alte Vertheilungsprincip wurde nun allmählich zu einem Vereinigungsprincipe. Den Impuls dazu gab Schiller zunächst wohl die Beobachtung, daß beide Schwestern selbst in einer so innigen Vereinbarung lebten, daß sie beide zusammen, um einen Volksausdruck zu brauchen, ein Herz und eine Seele bildeten. „Ihre beiderseitige gute Harmonie,“ schrieb er deshalb, „ist ein schöner Genuß für mich, weil ich Sie in meinem Herzen vereinige, wie Sie sich selbst vereinigt haben.“

„Sie haben Recht,“ schreibt ihm hierzu ebenso neidlos wie unbefangen Charlotte, „daß ich und Caroline in einem schönen Verhältnisse sind. Es würde mir, wäre es nicht so, mein Leben nicht so angenehm machen.“ Und wie eingehend auf seine eigenen Gedanken fügt sie hinzu:

„Ich vermische gern meine Freundschaft für Sie mit der für meine Caroline und freue mich unserer Vereinigung, die, hoffe ich, nichts wird stören können.“ Ja, sie erkennt mit derselben neidlosen Herzensgröße die geistige Ueberlegenheit der Schwester an. „Ich könnte mein Herz ganz auf sie lehnen und sie giebt mir oft Trost in trüben Augenblicken. Ohne sie könnte ich hier nicht existiren, und sie würde mir an jedem anderen Orte auch fehlen.“ Ein Umstand, der später wesentlich dazu beitrug, in Schiller den Glauben an die Möglichkeit der Verwirklichung seines Problems zu wecken.

Besonders charakteristisch tritt das Verhältniß beider Schwestern zu Schiller und ihre Eigenart in der Auffassung eines bedeutungsvollen Ereignisses im Leben Schiller’s hervor, das jetzt kurz nach Weihnachten überraschend auftrat. Es war die Berufung Schiller’s zur Professur der Geschichte in Jena. Auf Schiller wirkte dieses Ereigniß zu allererst verstimmend. „Also die paar Jahre von Unabhängigkeit, die ich mir träumte, sind dahin; mein schöner künftiger Sommer in Rudolstadt ist auch fort, und dies Alles soll mir ein heilloser Katheder ersetzen!“ schrieb er in wahrhaft verzweifelnder Stimmung den Schwestern. Eine ganz andere Aufnahme erlebte die Neuigkeit in Rudolstadt. „Innigst freut mich,“ schreibt Caroline, „die Nachricht von Ihrem künftigen Aufenthalte in Jena, liebster Freund. Sie wissen, wie lieb dieser Plan mir immer war. Mir ist’s gewiß, daß Sie in der Länge Glück an dieser Existenz finden, und das macht mich gar glücklich. Ich finde diese Art von Wirksamkeit gar schön und sehr weit und tief eingreifend. Wie manche Geister werden eine höhere Richtung in dem Wehen des Ihren gewinnen! Und in der Folge werden Sie Ihrer Schöpfung in dieser Lebensart mehr leben können als in jeder anderen.“

Und Lottchen? „Es überraschte mich die Nachricht von Ihnen so angenehm, lieber Freund. Sie bleiben nun doch in unserer Nähe. Wie schön ist das!“ Sie hat schon gefürchtet, daß er nach Dresden zurückkehren oder seine Reise nach Hamburg ausführen werde. „Wer weiß, wann Sie dann wieder gekommen wären? Nun ist das nicht mehr zu fürchten.“

Für Carolinen ist also das Entscheidende die Professur, für Lottchen die Nähe des Aufenthaltes. Jene begeistert sich für die Idee, diese für die Person. Dieser ist es um deren Näherbesitz, jener um ihr geistiges Wachsen zu thun.

Schwanken und Entscheiden.

Durch den gegenseitigen Austausch der Ansichten über die gemeinschaftlich studirten fremden, sowie über Schiller’s eigne Werke erhält sich der Briefwechsel in der nächsten Zeit stets auf einer gewissen geistigen Höhe, ja gewinnt theilweise einen stark literarischen Anstrich.

Der gelehrte Ton, an den auch Lottchen zuletzt sich gewöhnt, hatte aber schließlich doch etwas überhand genommen, und es war Zeit, daß nach der Alleinherrschaft des Geistes auch das Herz wieder zu Worte kam. Das aber hatte all seine Hoffnung auf den Frühling gesetzt. Nun zögerte indeß der Winter diesmal ungewöhnlich lange. Auch das Geraniumstöckchen war seinem vernichtenden Hauche verfallen, und eine Myrthe hatte es vorbedeutungsvoll ersetzt.

Da, in der Mitte des Märzen, als das Wetter sich heiterte, eilte der neubestallte Herr Professor von Jena, wo er sich nach einer Wohnung umgethan hatte, nach Rudolstadt. Aber es waren nur kurze flüchtige Stunden, und ihr Werth wurde erst empfunden, als sie vorüber waren. Dennoch waren sie „weit mehr als viele Briefe“. „Es war mir,“ schreibt Lottchen, „in manchen Momenten Ihres Hierseins, als wären Sie gar nicht von uns gewesen. Der ganze lange traurige Winter war aus meinem Gedächtnisse verlöscht:“ „Ich fühle jetzt erst,“ erklärt Caroline, „ganz die wohlthätigen Einflüsse Ihres Hierseins. Der Gedanke an unser kurzes Zusammenbleiben hielt meine Seele gebunden, und ich empfand die Freude Ihres Umganges nicht ungemischt. Ich hoffe, das Schicksal will mir aus diesem Wiederfinden und Wiederscheiden eine freundliche Gewohnheit machen und ich soll das Erstere künftig mit freiem Sinne genießen.“ Dieselbe Klage tönt auch in der Seele Schiller’s weiter. „Warum trennt uns das Schicksal? Ich bin gewiß, wie ich es von wenigen Dingen bin, daß wir einander das Leben recht schön und heiter machen könnten, daß nichts von alle dem, was die gesellige Freude so oft stört, die unserige stören würde.“ Mit der vergegenwärtigenden Phantasie des Dichters malt er sich die Situation dieses gemeinsamen Zusammenlebens aus. Wie schön beschlösse sich der Tag, wenn er nach seiner Werklast zu ihnen flüchten und in ihrem Kreise den bessern Theil seines eigenen Wesens aufschließen und genießen könnte! „Alle neuen Ideen, die [35] wir erwarten, alle neuen Anschauungen der Dinge und unseres eignen Selbst würden uns doppelt wichtig, ja, sie erhielten jetzt erst ihren wahren Werth, wenn wir die Aussicht vor uns hätten, sie unsrer Freundschaft als neue Schätze, als neue Genüsse zuzuführen. Warum soll dieser Wunsch unerfüllbar sein?“

Dieser idealen Fassung ihres Verhältnisses brachte Caroline ein warmes Interesse entgegen. „Ich fühle es nur zu sehr, wie glücklich es uns machen würde, wenn Sie mit uns lebten; wie glücklich wir wären und wie wir es immer mehr werden müßten. Das Gefühl, daß auch Ihnen diese Vorstellungen so lebendig bleiben, ist meinem Herzen sehr wohlthätig. Ihr Umgang war das Element meines bessern Lebens. Kein Anderer kann mir je das sein. Ich mag es dem Schicksal nicht zutrauen, daß es mir die Freude Ihres Umgangs, wo mein Geist so frei existirt, nur zu kosten gegeben hat. Ach, möchte es, möchte es doch anders sein!“ Das ist der lang verhaltene Freiheitsruf einer schmerzlich gefesselten Frauenseele.

Schiller war inzwischen am 11. Mai 1789 nach Jena gezogen.

„Ich sehne mich recht nach Ihnen. Leben Sie recht wohl! Wir gehen oft Ihrer Gegend zu und sagen Ihnen einen Abendgruß. Kommen Sie uns mit Ihren Gedanken entgegen!“ Diese warmen sehnsuchtsvollen Worte kamen wieder von Caroline. Sie tritt jetzt immer mehr, immer rückhaltloser aus der streng bewahrten Reserve. „Mein Herz und Alles, was Sie ihm sind, muß klar vor Ihnen stehn. Unser enggebundenes Frauendasein ist schuld, daß ich Worte brauche für diese Gefühle, die an sich zu heilig dafür sind. Wäre ich ein Mann, so sollten Sie meinen Umgang nicht vergebens wünschen, wäre es Ihnen auch gefällig in Nova Zembla oder in den Mondsbergen zu wohnen.“’

[115]
III.

Jetzt, wo bei Carolinen auch noch die Sprache des Herzens offenkundig redete, drängt der Gedanke, daß die Schwester weit mehr zu Schiller’s Wesen passe, daß sie sein, des Geliebten, Glück weit eher begründen könne als sie, immer mehr sich bei Lottchen vor. Sie zieht ihr Herz immer scheuer zurück und giebt sich den Schein der inneren Gleichgültigkeit. Unter diesem Eindrucke erfolgt ein zweiter Besuch Schiller’s in Rudolstadt in der Mitte des Juni. Er war mit dem sichern Vorsatz gekommen, Lottchen sich zu erklären. Es war ein schöner warmer Sommertag. Die weißen Lilien im Garten verbreiteten weithin ihre berauschenden Düfte. Die Rosen glühten, und wie Liebesgeflüster zog die Luft durch das herzförmige Blättergezweig der Pappeln, welche vor dem Gartenhäuschen standen. Glühend lag es dem Dichter auf den Lippen und drängte zum Ausdruck, aber der große Kenner des weiblichen Herzens, der Schöpfer heißliebender Frauengestalten hatte nicht den Muth des eigenen Geständnisses. Auch dieser Besuch verlief wieder resultatlos. Die Zurückhaltung Lottchens deutete Schiller als Kälte, als Abneigung. Der Dämon des Zweifels an ihre Liebe stieg in ihm auf und setzte an die Stellen der freien Leidenschaft ein grübelndes Empfinden. Er redete ihm ein, daß sein Geständniß „die schöne Harmonie der Freundschaft zerstören könne, daß er mit ihm auch das verlieren könne, was er schon besaß, an Beiden besaß“, und doch mußte er sich wieder sagen; „sie kann ohne dich vielleicht glücklich sein, aber durch dich nie unglücklich werden; sie kann sich wohl einem Andern schenken, aber Keiner kann sie reiner und zärtlicher lieben als du; Keinem kann ihre Glückseligkeit heiliger sein, als sie es dir ist und sein wird“. Dann meinte er wohl wieder, es bestehe eine geheime Abmachung zwischen den Schwestern, „die eigenen Herzenswünsche dem Zwange der Freundschaft zu opfern, die gemeinsame Freundschaft nie zur Liebe zu kehren, sondern sie sich ohne Liebe vollenden zu lassen“.

In gleicher Weise hob sich in der Seele Lottchens das Gefühl, daß sie „ihm nichts, gar nichts mehr wäre, und die Schwester mehr, weit mehr – Alles“, und doch sagte auch sie sich wieder, daß „sich kein fremdes Wesen außer ihr befände, das ihn durch wahre innige Liebe beglücken, so beglücken könne wie sie“.

So wogte der Kampf selbstquälerisch hin und her, und nirgends zeigte sich der Pfad zum Siege.

Im Juli reisten die Schwestern Lengefeld nach Lauchstädt, einem in der Nähe von Merseburg liegenden Bade, das durch die sommerliche Anwesenheit der weimar-goethischen Schauspieltruppe einen gewissen classischen Nimbus erhalten hat. Auf dem Wege dahin wurde Jena berührt. In dem rosenduftenden Garten der Frau Kirchenräthin Grießbach trafen sich Abends wieder die Drei. „Nie,“ schrieb später Schiller; „hatte ich Ihnen so viel sagen wollen, wie an diesem Abende, und – nie habe ich Ihnen so wenig gesagt. Was ich so bei mir behalten mußte, drückte mich nieder, und ich wurde Ihres Anblickes nicht froh.“ Freilich traf dabei die Hauptschuld die redselige Frau Kirchenräthin. Sie sorgte dafür, daß die Liebenden, von deren Liebe sie nichts ahnte, weder zu sich, noch überhaupt zum Worte kommen konnten. Eine noch größere Hoffnung schien Lottchen auf die Zusammenkunft gesetzt zu haben. Dies folgt aus der Größe ihrer Enttäuschung. „Sie können nicht glauben,“ schreibt sie, „wie mir der Abend war. Wenn ich Ihnen je Unrecht gethan hätte und mich an Ihnen versündigt, so wäre dieser Abend eine Vergeltung des strafenden Himmels, und ich hätte gewiß für alle Sünden gebüßt.“ Die ungewollte Kälte Schiller’s rief in ihr die ganze Gewalt der Liebe wieder in’s Wachen. Nie war die Situation peinlicher, nie unbehaglicher gewesen. Sie erzeugte eine beiderseitige Verstimmung, die sich auf die ganze Umgebung ablagerte. Alles ist ihnen armselig, schaal und erbärmlich. Alles ist nur fade alltägliche Waare, und die armen Frauen in Jena besonders galten Schiller als ein „erbärmliches Geschlecht“. Jene Spannung, war noch dadurch erhöht worden, daß die Mutter mit Lottchen Heirathspläne vorhatte und sie zu einer standesgemäßen Heirath zu vermögen suchte. Alles drängte so peinlich zur Entscheidung.

Da besuchte Schiller auf einer Reise nach Leipzig zu Freund Körner die Schwestern in Lauchstädt. Am Morgen des dritten August, als er eben im Begriffe stand wieder abzureisen, erfolgte eine entscheidende Erklärung, aber nicht von seiner, noch weniger von Lottchens Seite. Vielmehr war es Caroline, welche ihm die tiefe Liebe der Schwester und seine nicht vergebliche Werbung um ihr Herz offenbarte. Sie zerriß mit einem Male die hochgehende Spannung. Die Großherzigkeit dieser Handlung wird dadurch nur noch mehr bestätigt, daß Caroline in ihrem „Leben Schiller’s“ sie verschweigt. Sie wies damit die Leidenschaft Schiller’s in ihre naturgemäße Bahn und zugleich – ihre eigene. Lottchen mochte ihr ihre tiefe Neigung zu Schiller wohl vertraut haben. Sie konnte ihrem scharfblickenden und vorahnenden Geiste ohnedies nicht entgangen sein. Längst gewöhnt an das Wünscheversagen, ergriff sie diese neue Gelegenheit, es zu bethätigen. Lottchen spielte bei dieser Eröffnungsscene, wenn sie überhaupt bei derselben persönlich. zugegen war, nur eine schweigende Rolle. In tiefer Erregung bestieg Schiller den Leipziger Postwagen. Noch am Abend schrieb er von Leipzig aus an Lottchen, um sich von ihr die Gewißheit dessen zu holen, was ihm der Mund der Schwester anvertraut hatte. „Ist es wahr? Darf ich hoffen, daß Caroline in Ihrer Seele gelesen hat und aus Ihrem Herzen mir beantwortet hat, was ich nicht getraute zu gestehen? … Vergessen Sie jetzt Alles, was Ihrem Herzen Zwang auflegen könnte, und lassen Sie nur Ihre Empfindungen reden! Bestätigen Sie, was Caroline mich hoffen ließ! Sagen Sie mir, daß Sie mein sein wollen und daß meine Glückseligkeit Ihnen kein Opfer kostet! O versichern Sie mir dieses und nur mit einem einzigen Worte!“

„Schon zweimal habe ich angefangen, Ihnen zu schreiben, aber ich fand immer, daß ich zuviel fühle, um es ausdrücken zu können. Caroline hat in meiner Seele gelesen und aus meinem Herzen geantwortet. Der Gedanke, zu Ihrem Glücke beitragen zu können, steht hell und glänzend vor meiner Seele. Kann es treue, innige Liebe und Freundschaft, so ist der warme Wunsch meines Heizens erfüllt, Sie glücklich zu sehen.“

Das war die einfach schlichte Antwort Lottchens. Und ein paar Tage später schreibt sie: „Noch oft ist es mir wie ein Traum, daß ich nun weiß, daß Sie mich lieben, daß Sie es nun klar fühlen können, wie meine Seele in der Ihrigen nur lebt. Ich möchte, Sie wären hier und ich könnte es Ihnen sagen, nicht durch Worte, sondern in meinen Augen könnten Sie’s lesen.“

Auf der Rückreise von Lauchstädt nach Jena trafen sie wieder im Grießbach’schen Hause zusammen. Hier erfolgte der mündliche Austausch des Geständnisses; das konventionelle „Sie“ verwandelte, sich fortan in das trauliche „Du“. Aus dem unglückseligen Abende von ehedem wurde diesmal ein um so glückseligerer.

Der entfesselte Strom.

Nun ergießt sich frei und ruhig der lange verhaltene Strom einer warmen, wahren und reinen Liebe. An die Stelle des unruhvollen Zweifels ist in Lottchens Seele die Ruhe der Gewißheit getreten. „Nun denk’ ich Deiner mit einer Empfindung voll warmer inniger Liebe und doch mit Ruhe verknüpft, und ich fühle mich glücklich in der Idee, Dir zu gehören, zu den Freuden Deines Lebens beitragen zu können.“

Mit dem heitern Bewußtsein des erlangten Besitzes blickt sie zurück auf die einzelnen Stationen der Entwickelung dieser Liebe, versenkt sich behaglich in deren Werdeproceß. Da erscheint ihr jetzt Manches gar fremd und unbegreiflich, aber das Eine, steht klar und fest vor dem erkennenden Auge: daß sie niemals glücklich geworden wäre ohne ihn. „Ihre Hand hätte sie vielleicht einem Andern geben können nach dem Wunsche der Mutter, nicht aber ihr Herz voll warmer treuer Liebe.“ Und die Liebe gewinnt in ihr immer mehr Stärke, immer mehr Klarheit und Bewußtsein. Vorher war es nur eine wärmere Freundschaft, die sie vielleicht zu Einigen zog, aber nicht das Gefühl, das sie nun belebt – [116] „es war nicht das Streben in meiner Seele, was ich jetzt habe, dieses mächtige Gefühl, für Dich, für Dein Glück zu leben.“

In Lottchens Briefen tritt ebensowohl jener wunderbare seelische Rapport, jenes Nahgefühl der Seelen, jener Magnetismus der Herzen zu Tage wie jenes schmiegsame Hinaufranken an die hier wirkliche, sonst oft nur geträumte Größe des geliebten Mannes. „In jedem Augenblicke fühlte meine Seele Sehnsucht nach Dir, und nur Du bist mir gegenwärtig. … Mir deucht, Du wärest um mich und Du sähest mich überall. Nur dann ist mir wohl, wenn ich mir Dich denken kann, wenn Dein Bild vor mir schwebt. … Es giebt keine Entfernung für Seelen, die sich lieben. Ich fühle es klar, Du bist mir immer nahe. Oft ist mir der Gedanke so auffallend, daß ich Dich nicht sehe und doch Deine Nähe fühle. … Lieber, ich kann Dir so wenig sagen, wie lieb Du mir bist. Meine Seele umschließt Dich – fühle ihre Nähe in diesem Momente!“

„Reich in Deinem Geiste, wird der meine sich freuen dem Fluge des Deinen zu folgen, und in Deinem und meinem Herzen wird ewiger Frühling der Liebe uns blühen.“

Da fehlt auch nicht jener engumschränkte Egoismus der Liebe, der eine eigene Welt von Zweien sich aufbaut und an die ganze übrige Menschheit sich nicht kehrt, ja ihr stolzesfroh und selbstgenug den Rücken kehrt. „Ich vergesse die Welt ganz, wenn ich bei Dir bin, und wir brauchen nichts außer uns.“

Da fehlt auch nicht jene demüthige Selbstverkleinerung, welche in die Hochfluth der Freude einen Tropfen Wehrmuth mischt. „Wirst Du mich auch immer so finden, wie mein Wesen in Deiner Seele steht? Könntest Du Dir nicht zu hohe Begriffe von mir machen? Kann ich Dir auch wirklich so, wie meine warme Liebe zu Dir es möchte, Dein Leben verschönern helfen?“

Aber diese Liebe dringt auch vor bis zu jenem äußersten Höhepunkte, bis zu dem Gefühle der selbstlosen Hingabe des eigenen Lebens als Preis für das Glück des Geliebten. „Ich könnte mein eigenes Glück aufopfern, nur um Dich glücklich zu machen, Dir ein schönes ungestörtes Leben zu schaffen, wenn Du es ohne meine Liebe mehr sein könntest. Dein Glück, Deine Ruhe sind mir das Heiligste, was ich kenne.“

Um das vorgenommene Ziel des harmonischen Ineinanderlebens zu erreichen, giebt sie dem Geliebten eine Selbstkritik ihres Charakters, ihres inneren Wesens. Gern folgt sie ihm auf dem von ihm selbst vorgezeichneten Pfade philosophischer Selbsterkenntniß; deckt mit rückhaltloser Offenheit die Schwächen ihres Charakters auf, erklärt auch den Schein von Kälte und Verschlossenheit, in welchem sie dem Geliebten lange Zeit erschienen, und schließt mit dem Gelöbniß: „Auch in Dein Herz, Geliebter, will ich die geheimsten Gefühle meiner Seele legen, Dir jede Empfindung mittheilen.“

Im scharfen Gegensatze zu der heitern Ruhe Lottchens weckt die Offenbarung der Liebe in Schiller’s brausender Dichterseele eine wilde Unruhe, die sich einerseits in dithyrambischen Ausbrüchen gefällt, andererseits in erneuter Sehnsucht nach dem thatsächlichen Besitze der Geliebten, in lauter Klage über die Unsicherheit des Zeitpunktes der Vereinigung. „Es können darüber ja noch Jahre vergehen. Ungeduldig strebt meine Seele Alles zu vollenden, was noch nicht vollendet ist. Du siehst ruhig der Zukunft entgegen – das vermag ich nicht,“ schreibt er schon in den ersten Tagen nach, der Lauchstädter Erklärung. Da aber, wo das Gefühl seiner Liebe hervorbricht, umkleidet er es mit dem ganzen hohen Pathos, das ihn kennzeichnet. „In einer schönen Welt schwebt meine Seele, seitdem Du die Deine mir entgegenträgst. Du mußt sie mir erzählen, die Geschichte unserer werdenden Liebe … sie muß hinter sich wie vor sich Ewigkeit sehen. … Ich habe nie so frei und kühn die Gedankenwelt durchschwärmen können als jetzt, da meine Seele ein Eigenthum hat und nicht mehr Gefahr laufen kann, sich selbst zu verlieren. Ich weiß, wo ich mich immer wiederfinde.“

Dann wieder bringt er ihr die ganze Wahrheit und Offenheit seines Wesens vertrauend entgegen und heischt von ihr das Gleiche. Nie soll sie von andern Menschen erst erfragen wollen, ob sie glücklich sei durch ihn; ihm gegenüber soll sie es bei sich selber entscheiden; von ihm allein soll sie es erfahren, nie einen Dritten sich zwischen ihn und sich drängen lassen. Er soll ihr erstes Vertrauen haben, ihre erste Instanz sein. In dieser Hingebung, in diesem unmittelbaren Vertrauen findet er die nothwendige Bedingung ihres künftigen Glücks. „Die höchste Annäherung, welche möglich ist zwischen zwei Wesen, ist die schnelle ununterbrochene liebevolle Wahrheit gegeneinander. … Deine Seele muß sich in allen Gestalten vor mir verklären.“

Auf ihre zagende Selbstverkleinerung erklärt er: „Deine Liebe ist Alles, was Du brauchst, und diese will ich Dir leicht machen durch die meinige. “

Auch er legt frei und offen sein inneres Wesen mit all den ihm anwohnenden Schwächen bloß.

„Bereite Dich, edles Geschöpf, in mir nichts zu finden als die Kraft zum Vortrefflichen und einen begeisterten Willen, es zu üben. Deine schöne Seele will ich auffassen, Deine schönen Empfindungen verstehen und erwidern, aber ein Mißton in der meinigen muß Dich weder betrüben noch befremden. Glaube alsdann aber fest, daß diese fremden Gestalten meines Gemüths von außen herein gekommen sind. Bei allen meinen Mängeln wirst Du das immer finden, was Du einmal in mir liebst. Meine Liebe wirst Du in mir lieben.“

Und Caroline?

Man sollte wohl meinen, daß nach der Liebeserklärung Schiller’s gegen die Schwester sie nunmehr ganz in den Hintergrund gedrängt würde, daß sie sich scheide aus dem Dreibunde der Geister und Herzen. Mit nichten. In dem ganzen Entwickelungsprocesse seiner Liebe zu Lotten war sie ein viel zu wichtiger, fast unentbehrlicher Factor gewesen, sie war ihm schon zuviel geworden, als daß er sie hätte aufgeben und scheiden sehen können. Er hatte es wohl herausgefühlt, daß sie in der Hervorlockung des Geständnisses der Schwester das beste Theil ihres eignen Herzens geopfert hatte, und er mochte diese Großmuth nicht mit voller Gleichgültigkeit vergelten. Er glaubte, diese seither gleichsam nur ideell verfolgte Herzensgemeinschaft könne auch da noch bestehen, wo seine Liebe zu Lottchen bereits zur Realität geworden war. Auch jener glaubte er eine reale Basis verleihen zu können; er glaubte das Problem der sagenhaften Doppelehe des Grafen von Gleichen, um den Vergleich eines geistreichen Interpreten dieses Verhältnisses anzuwenden, in idealer Form wirklich durchführen zu können. Folgen wir ihm auf dieser fast Schwindel erregenden Bahn!

Die Doppelliebe und ihr Wesen.

Schon unter’m 23. August. 1787, also unmittelbar nach der Lauchstädter Erklärung, schreibt er Carolinen auf deren leider nicht mehr vorhandenen, jedenfalls hochbedeutungsvollen Brief: „Dein Brief, theuerste, liebste Caroline, hat mich tief ergriffen und bewegt, und ich weiß nicht, ob ich Dir sogleich darauf etwas beantworten kann, aber vor meiner Seele steht es verklärt und helle, welcher Himmel in der Deinigen mir bereitet liegt. O was für himmlisch schöne Tage eröffnen sich uns! In mir lebt kein Wunsch, den meine Lotte und Caroline nicht unerschöpflich befriedigen können. Und wohl mir, Theuerste meiner Seele, wenn Ihr in mir findet, was Euch glücklich macht!“

Das Du verschwindet fast ganz aus den Briefen, um dem dualistischen Ihr Platz zu machen, selbst in den glühendsten Ergüssen.

Das heißt es: „Wie so anders ist Alles um mich her, seitdem mir auf jedem Schritte meines Leben nur Euer Bild begegnet! Wie eine Glorie schwebt Eure Liebe um mich, wie ein schöner Duft hat sie die ganze Natur verkleidet. Die Erinnerung an Euch führt mich auf Alles, weil Alles wieder mich an Euch erinnert.“ Und dann wieder: „Ja, eine schöne Harmonie soll unser Leben sein, und mit immer neuen Freuden sollen sich unsere Herzen überraschen. Unerschöpflich ist in ihren Gestalten die Liebe, und die unserige glüht in dem ewig schönen Feuer einer immer mehr sich veredelnden Seele. O, es ist jetzt das einzige Glück meines Lebens, daß Ihr mich in einem Herzen der Liebe tragt. Nur in Euch zu leben und Ihr in mir, o das ist ein Dasein, das uns über alle Menschen um uns hinwegrücken wird.“

Diese Gemeinschaft erstreckt sich sogar bis auf jene Vorrechte, welche Lottchen, die Braut, wohl für sich allein hätte beanspruchen können, auf Umarmung und Kuß, wenn anders die betreffenden Stellen nicht als bloße kühne Metaphern gelten sollen.

Die ausschweifende Einbildungskraft des Dichters sieht hie dreifache Seelengemeinschaft auch in der Zukunft gesichert, ergeht sich in dem Gedanken eines realen Besitzes. „Wäret Ihr schon [117] mein! Wäre dieses jetzige Erwarten das Erwarten unserer ewigen Vereinigung! Meine Seele vergeht in diesem Traume. Schon im lebhaften Gedanken an Euch fühle ich meine Seele reicher, göttlicher und reiner. Ich fühle, wie alles Streitende in mir in einer süßen Harmonie sich versöhnt. Was wird es sein, wenn Ihr mir wirklich gegeben seid, Ihr meine Engel, wenn ich Leben und Liebe von Euren Lippen athmen kann … Eure Liebe ist das Licht meines Lebens.“

[136]
IV.

Selbst räumlich hat sich Schiller in seiner Phantasie das Verhältniß, das gemeinschaftliche Zusammenleben der Drei zurecht gelegt. „Ich weiß Euch in meinem Zimmer. Du, Caroline, bist am Clavier, und Lottchen arbeitet neben Dir, und aus dem Spiegel, der mir gegenüber hängt, sehe ich Euch Beide. Ich lege die Feder weg, um mich an Euren schlagenden Herzen lebendig zu überzeugen, daß ich Euch habe, daß nichts, nichts Euch mir wieder entreißen kann. Ich erwache mit dem Bewußtsein, daß ich Euch finde, und mit dem Bewußtsein, daß ich Euch morgen finde, schlummere ich ein. Der Genuß wird mir nur durch die Hoffnung unterbrochen und die süße Hoffnung nur durch die Erfüllung, und getragen von diesem himmlischen Paare verfliegt unser goldenes Leben.“

Die Erscheinung dieser Doppelliebe ist so einzig in ihrem Wesen, daß die Geschichte des menschlichen Herzens kaum eine zweite wird aufzuweisen haben. Die Lösung dieses psychologischen Räthsels hat Verehrer und Biographen Schiller’s schon mannigfach beschäftigt. Schiller gesteht es sich einmal selbst, daß [137] die Welt diesem Verhältnisse kein rechtes Verständniß entgegen bringen werde. „Daß allerlei über unser Verhältniß gesprochen würde, war zu erwarten. Hätte man uns erst in unserem engeren Kreise beobachtet, wo wir Drei ohne Zeugen waren, wer hätte dieses zarte Verhältniß begriffen? Eine freie schöne Seele gehört dazu, unsere persönliche Stellung gegen einander aufzufassen; die ganze Geschichte unserer keimenden und aufblühenden Werbung unter einander müßte man übersehen haben und seinen Sinn genug haben, diese Erscheinungen in uns auszulegen.“

Doch erleichtert er dem Forscher die Schwierigkeit der Lösung, indem er selbst einmal in die innere Struktur des Dreibundes uns hineinblicken läßt, indem er bemüht ist, dieselbe gleichsam für sich selbst dialektisch zu zersetzen. „Wie könnte ich mich,“ schreibt er in einem Briefe aus jener Zeit, „zwischen Euch Beiden meines Daseins freuen, wie könnte ich meiner eigenen Seele immer mächtig genug bleiben, wenn meine Gefühle für Euch Beide, für Jedes von Euch nicht die höchste Sicherheit hätten, daß ich dem Andern nicht entziehe, was ich dem Einen bin. Frei und sicher bewegt sich meine Seele unter Euch, und immer liebevoller kommt sie von Einem zu dem Andern zurück; derselbe Lichtstrahl – laßt mir diese stolz scheinende Vergleichung – derselbe Stern, der nur verschieden wiederscheint aus verschiedenen Spiegeln.“

Was Schiller hier nur andeutet, das bestand in der That. Es bestand bei aller harmonischen Ueberdeckung doch im Grunde eine wesentliche Verschiedenheit in den Einzelbeziehungen der Drei. Aus dem ganzen Verlaufe seiner Entwickelung erhalten wir zunächst die volle Gewißheit, daß sich das Verhältniß zwischen Lottchen und Schiller von vornherein auf der Basis einer wirklichen Liebesneigung bewegte und naturgemäß fortentwickelte. Es war der Proceß einer natürlichen reinen Herzensliebe, der sich, und zwar ganz seinem Charakter nach, mehr geheim als offen bis zum beglückenden Geständnisse abspann. Unzweifelhaft trifft dies nicht blos bei Lottchen, sondern auch bei Schiller zu. Selbst mitten durch die spätere dithyrambische Feier des Dualismus bricht diese wirkliche Liebesflamme hervor. Wenn er in einem Briefe vom 6. November 1789 an Lottchen schreibt: „Dein liebes Bild schwebt mir vor Augen, und ich umschließe es mit Sehnsucht und Liebe; es wird mich vielleicht in einem Traum von Dir hinüber begleiten. Meine liebe theure Lotte, lebe wohl!“ so sind dies Worte, wie sie nur die naturwüchsige Liebe mit ihrem tiefen Sehnsuchtsdrange nach der Geliebten redet, Naturlaute, wie sie in gleicher Weise Carolinen gegenüber nie gefallen sind.

So nimmt auch Lottchen Schiller stets ganz und allein für sich in Anspruch. Die wahre Liebe kennt keine Theilung. Nur an einer einzigen Stelle ihrer Briefe vertauscht sie das Ich mit dem Wir, indem sie schreibt: „O gewiß, wir werden es nicht bereuen, alles Glück unseres Lebens auf Deine Liebe gesetzt zu haben.“

„Du bist mein!“ sagt sie dafür an einer andern und an vielen ähnlichen Stellen. „Ich trage das schöne Gefühl, Dir anzugehören, in meinem Herzen mit süßer Gewißheit. Und gingst Du auf Jahre von uns, unsere Seelen würden sich nicht fremder.“

Dagegen ruhte das Verhältniß Schiller’s zu Carolinen auf einer ganz anderen Basis. Es lag etwas geistig Verwandtes in beiden Naturen, das Beide anzog. Eine solche Aehnlichkeit der Geister erzeugt bei längerer Reibung das Feuer einer gewissen Sympathie; diese Sympathie trägt aber noch nicht den Charakter der natürlichen Liebe, so nah sie auch mit derselben verwandt zu sein scheint. Es entsteht wohl das Verlangen, das Bedürfniß nach dem geistigen Umgang mit dem Andern, nicht aber entsteht jener tiefe Sehnsuchtsdrang, jenes namenlose Sehnen, das das Herz zum Herzen zwingt. Bedeutungsvoll wird hier die Schilderung, welche Schiller in einem der ersten Briefe nach seiner Liebeserklärung gegen Lottchen über Carolinen entwirft. „Unsere Caroline,“ sagt er von ihr, „habe ich blos ahnen können. Ihr Geist überraschte mich; in ihr ist etwas Edles, Feines, das man idealisch nennen möchte. Wie wahr und tief sie fühlt, müßte ein längerer Umgang mich lehren; daß ich im Voraus daran glaube, versteht sich, aber die Erscheinung ging an mir zu flüchtig vorüber, und ihr ganzes Wesen hat einen gewissen Glanz, der mich blendet. Sie ist ein ungewöhnliches Geschöpf, und wollte der Himmel, es würde wahr, und sie würde auf ewig die Unsere!“ Dies ergiebt deutlich, daß sein innerstes Gefühl von ihr nicht gefangen war, sondern nur ihr ungewöhnlicher Geist ihn geblendet hatte.

Da nun Lottchen ihm das Gleiche nicht geben konnte, da die Schwester das vor ihr voraus hatte, so erschien das Wesen jener als eine nothwendige Ergänzung des Wesens der Geliebten. In der Verbindung beider Charakter-Elemente, bot sich ihm etwas wirklich Vollkommenes. So wurde diese Verbindung ihm zum Ideale, an dessen Verwirklichung er unbefangen glaubte. Wie er nun die beiden Objecte seiner Neigung gleichsam zu einem verschmolz, so suchte er auch in gleicher Weise eine Verbindung seiner subjectiven Gefühle herbeizuführen. Gleich wie er seinen [138] geistigen Reichthum auch Lottchen mittheilte, übertrug er auch sein seelisch-sinnliches Liebesgefühl zu Lottchen auf die Schwester. Er schritt auf dieser gefahrvollen Bahn mit der ganzen ahnungslosen Naivetät des Genies, und doch befand er sich in Bezug auf seine Liebe zu Carolinen in jener Selbsttäuschung, der phantasievolle Naturen so oft unterliegen. In Wahrheit hat er Carolinen nicht geliebt. Die fast zur Tradition gewordene Annahme, daß er Carolinen geliebt und Lottchen geheirathet habe, wird durch nichts begründet, wohl aber durch den Schiller-Lotte’schen Briefwechsel auf’s Genaueste widerlegt. Seine Annäherung an Caroline war deshalb eine äußerlich stärkere, weil zwischen ihr und ihm eine größere Mannigfaltigkeit von Beziehungen bestand. Sein Verkehr mit ihr war ein lebhafterer, weil er äußerlich sich mehr aussprach, weil er ihr von vornherein weit unbefangener gegenübertrat. Das spricht er Lotte gegenüber einmal selbst aus, nachdem diese ihm ihre frühere Furcht darüber, daß die Schwester ihm mehr sein könne, gestanden hatte: „Caroline ist mir näher im Alter und darum auch gleicher in der Form unserer Gefühle und Gedanken. Sie hat mehr Empfindungen in mir zur Sprache gebracht, als Du, meine Lotte – aber ich wünschte nicht um Alles, daß dieses anders wäre, daß Du anders wärst, als Du bist. Was Caroline vor Dir voraus hat,“ fährt er dann fort, „mußt Du von mir empfangen. Deine Seele muß sich in meiner Liebe entfalten, und mein Geschöpf mußt Du sein. Deine Blüthe muß in den Frühling meiner Liebe fallen. Hätten wir uns später gefunden, so hättest Du mir diese schöne Freude vorweggenommen, Dich für mich aufblühen zu sehen.“

Auch hier spricht sich seine Liebe zu Lottchen wahr und echt aus, und kommt ihm das eigentliche Verhältnis zu beiden Schwestern einmal klar in’s Bewußtsein.

Welche Stellung aber nahm Caroline zu Schiller ein? Leider fehlen uns gerade aus der Zeit, wo der Dualismus eine etwas leidenschaftlichere Färbung annahm, die meisten Briefe Carolinens. Daß solche geschrieben wurden, geht aus verschiedenen Andeutungen in den Briefen Schiller’s hervor. Ebenso zweifellos dürfte es sein, daß Caroline dieselben eigenhändig vernichtete. Ging sie doch sogar so weit, daß sie in den Briefen Schiller’s an beide Schwestern Correcturen vornahm, indem sie an die Stelle des Duals den Singular setzte, damit es den Anschein gewinne, als wären sie nur an Lottchen gerichtet, daß sie die „Theuere Caroline“ in eine „Theuere Lotte“ umschrieb. Es erinnert dies lebhaft an eine Aeußerung, welche sie bereits vor ihrer Bekanntschaft mit Schiller ihrem Vetter und späteren Gatten Wolzogen gegenüber brieflich kundgab. „Es ist,“ schreibt sie da, „mein Grundsatz, daß eine Correspondenz zwischen Personen, die sich wirklich dem Herzen nach etwas sind, blos unter ihnen Beiden bleiben muß. Niemand kann sich in die Eigenheit der Lage, die unter ihnen ist, versetzen.“

Zu derselben Zeit war es, als sie den Ausspruch that: „Mein Herz bedarf der Liebe, innigerer, reinerer, wahrerer Liebe, als die meisten Menschen sie geben.“ Und noch in den späteren Tagen ihres Lebens vertraut sie ihrem Tagebuche das Geständniß an: „Größe zu lieben, war meine Seligkeit.“ Ihre Ehe mit Beulwitz gab ihr nach keiner dieser beiden Richtungen hin eine wenn auch nur annähernde Befriedigung. Ihm gehörte weder ihr Herz noch ihr Geist. Wie tief ihre Abneigung gegen ihren Gatten sein mußte, geht aus einer brieflichen Aeußerung Schiller’s an Körner hervor, wonach sie nicht im Stande gewesen sein soll, mit ihm allein zu leben, ohne die Vermittelung von Schwester und Mutter.

Es ist deshalb wohl anzunehmen, daß in ihrem Verhältnisse zu Schiller, das ihrem ganzen Wesen eine so hohe Befriedigung verlieh, ihr Herz tief mit betroffen war. Aber ihr starker Geist hatte früh die Herrschaft über das Herz und seine Leidenschaft erlangt; in dem Martyrium ihrer glücklosen Ehe hatte er sich in dieser Herrschaft geübt. Sie hatte gelernt, ihre Gefühle im Wege der Abstraction und durch dialektische Mittel gleichsam zu vergeistigen und damit sie der Leidenschaft zu entkleiden. So schrieb sie noch in früher Jugend : „Es ist mir gewiß, daß eine Kraft in der Seele, des Menschen ist, die ihn vor allzu heftigen Eindrücken schützt, die ihn von ungestümem Wünschen und Streben nach Allem, was nicht in dem Kreise seines Wirkens liegt, abhält. … O, mein ganzes Leben dient dazu, diese Kraft zu üben, denn wie selten werden unsere Wünsche erhört!“

Als sie das entscheidende Wort sprach, das Schiller Lotten für immer zuführte, that sie es wohl nicht am wenigsten mit um deßwillen, weil ihr Interesse für Schiller damals hoch in’s Wachsen gekommen war und sie sich ihres Herzens nun nicht mehr sicher glaubte. Schiller ehrte wohl diese Großherzigkeit; vielleicht hatte sie in jenem Briefe, der Schiller „so tief ergriffen und bewegt“, in welchem sie ihn „in den ganzen Himmel ihrer Seele hatte blicken lassen“, ihm dieselbe aufgedeckt, und das meinte er ihr mit einer gleichen Hochherzigkeit vergelten zu müssen, indem er den Reichthum seines Herzens gleichmäßig zwischen ihr und der Schwester vertheilte. Sie wehrte ihm dieses Beginnen nicht; denn sie wußte, daß seine Leidenschaft ihr nach dem Obsieg ihres Geistes über ihr Herz nicht mehr gefährlich werden konnte, vielleicht durchschaute ihr kluger Sinn auch, daß diese Leidenschaft Schiller’s keine echte war, sicher aber, daß das Schiller’sche Ideal des Herzensdualismus nur ein vorüberhuschender Traum war, wie alle Ideale unter der Sonne.

Sie kannte ja auch das ganze hoch und rein angelegte Wesen Schiller’s; sie wußte, daß „hinter ihm im wesenlosen Scheine lag, was uns Alle bändigt, das Gemeine“, und hatte darin eine Bürgschaft wider alle Grenzüberschreitung. So war es möglich, daß das Verhältniß andauern konnte, ohne die Gefahr eines Conflictes heraufzubeschwören, ohne die geringste Einbuße an der Makellosigkeit der Charaktere. Die lange Gewohnheit des Zusammenlebens hatte es geheiligt; unbegrenzte Offenheit, ein aller Heimlichkeit fernes gsgenseitiges Vertrauen schützte es vor dem Eindringen der finsteren Geister des Argwohnes, des Neides, der Eifersucht.

Im Hafen der Ruhe.

Es waren keine geringen Sorgen, welche jetzt Schiller und die Schwestern gemeinsam beschäftigten, die Sorgen um die Begründung einer auskömmlichen häuslichen Existenz. Sie warfen wechselnde Schatten auf die hellen Wege, welche die Drei wandelten. Die buntesten Pläne wurden erdacht; durchsprochen, festgehalten und wieder verworfen, bis endlich der Herzog Karl August von Weimar durch einen festen, wenn auch nur kargen Jahresgehalt wenigstens eine Basis gab, auf der der Nestbau weiter geführt werden konnte. Nun wurde auch die Einwilligung der Mutter eingeholt, der man durch einige für das Gesehenwerden geschriebene Briefe, und begünstigt durch deren fortwährenden Aufenthalt am Hofe, wo sie eine Hofmeisterinstelle bekleidete, die Verlobung noch glücklich verheimlicht hatte. Nachdem nun so Alles zur Hochzeit vorgerichtet worden war, nimmt ein gar lustiger Geselle in den gegenseitigen Briefen seine Einkehr, ein neckischer Humor. Dann ging es rasch und resolut in die Ehe hinein, noch in der Zeit der Fasten und nach einem einfürallemaligen Aufgebote.

Von dieser Trauung haben wir vor Zeiten in diesen Blättern schon berichtet.

Die Doppelliebe fand nun ihr natürliches und voraussichtliches Ende. Sie ließ sich denn doch nicht so verwirklichen, wie es im Haupte des Dichters stand. Selbst das unter Berücksichtigung „aller Anforderungen der Decenz“ von Schiller arrangirte Zusammenwohnen unter einem Dache kam nicht zur Ausführung. Caroline blieb bei der Mutter. Noch schreibt er ihr in einem Briefe vom 3. Mai (1790) die warmen Worte: „Ich kann nicht sagen, daß wir getrennt sind von Dir. Du bist mein, wo Du auch immer bist. Freilich ist es anders, wenn meine ganze Seele in Worten und Augen sich gegen Dich ausbreiten darf, aber nur die ungewisse Sehnsucht macht die Entbehrung für mich zum Schmerze. Doch könntest Du immer an Deine Hierherreise denken.“

Es war der letzte Ausklang des Herzensdualismus. Er fand keinen Wiederhall mehr und bleibt für immer verklungen. Ruhige, verständige Freundschaft löste ihn ab.

Lottchen ließ es auch nicht fehlen, ihm die mangelnde Ergänzung, die er einst in Carolinen fand, in sich selbst zu gewähren oder sie ihn doch nicht vermissen zu lassen. „Ich werde ihm,“ schrieb sie an den Vetter Wolzogen, der ihr einst den Geliebten zugeführt hatte, „durch meine Liebe sein Leben immer freundlich erhalten, und er ist glücklich, sagt mir mein Herz.“

Und er war es. „Ich fühle mich glücklich,“ gesteht er Freund Körner, „Alles überzeugt mich, daß meine Frau es durch mich bleiben wird. Was für ein schönes Leben führe ich jetzt! [139] Ich sehe mit fröhlichem Geiste um mich her, und mein Herz findet eine immerwährende sanfte Befriedigung außer sich, mein Geist eine so schöne Nahrung und Erholung. Mein Dasein ist in eine harmonische Gleichheit gerückt; nicht leidenschaftlich gespannt, aber ruhig und hell gehen mir die Tage dahin.“

Und später schrieb er an Wilhelm von Wolzogen: „Meine Lotte wird mir mit jedem Tage theurer. Ich kann sagen, daß ich erst jetzt mein Leben lieb habe, seitdem das häusliche Glück es mir verschönert.“

Den ganzen Werth seiner Lotte lernte er aber erst kennen, als schwere körperliche Leiden über ihn hereinbrachen. „Ihr liebes Leben und Weben um mich herum, die kindliche Reinheit ihrer Seele und die Innigkeit ihrer Liebe giebt mir selbst eine Ruhe und Harmonie, die bei meinem hypochondrischen Uebel ohne diesen Umstand fast unmöglich wäre. Wären wir Beide nur gesund, wir brauchten nichts weiter, um zu leben wie die Götter.“

Auch geistig ihm nahe zu kommen, sein „Geschöpf“ zu werden, war sie redlich bestrebt, und so konnte sie zwei Monate nach seinem frühen Tode das Resumé ihres Lebens mit ihm dahin zusammenfassen:

„Die Jahre verbanden uns immer fester, denn er fühlte, daß ich durch das Leben mit ihm seine Ansichten auf meinen eigenen Weg gewann und ihn verstand wie keiner seiner Freunde. Ich war ihm so nöthig zu seiner Existenz wie er mir. Er freute sich, wenn ich mit ihm zufrieden war, wenn ich ihn verstand. Dieses geistige Mitwirken, Fortschreiten war ein Band, das uns immer fester verband.“

Ja, er war reich beglückt, reich belohnt in seinem Lieben, unser Schiller. Ein gnadenvolles Schicksal lieh ihm damit einen versöhnenden Ausgleich für manches schwere Leid, das ihm der herbe Kampf um das Dasein reichlicher zollte als seinem hierin beglückteren Freunde Goethe.