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Aus Sturmes Not

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Pfeil Der Titel dieser Seite ist mehrdeutig. Für das Gedicht von Richard Stecher siehe Aus Sturmes Not!.
Textdaten
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Autor: Julius Wolff
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Titel: Aus Sturmes Not
Untertitel:
aus: Die zehnte Muse. Dichtungen vom Brettl und fürs Brettl. S. 311–313
Herausgeber: Maximilian Bern
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1904
Verlag: Otto Eisner
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Erscheinungsort: Berlin
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Originaltitel:
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Quelle: Commons = Google-USA*
Kurzbeschreibung:
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[311]

Aus Sturmes Not.

Eiskalt die Nacht! Am Nordseestrand
Wütet ein Sturm über See und Sand.
Die Brandung donnert, die Wogen rollen –
Wie Himmel und Meer mit einander grollen!

5
Die Fischer im Dorf, von Sorgen erfüllt,

Hören es, wie die Windsbraut brüllt,
Die wuchtig über die Dünen fegt,
Wild grimmig auf Giebel und Dächer schlägt. –
Nun dröhnt bei des Morgens Dämmerschein

10
Ein Kanonenschuss in das Tosen hinein.

Ein Schiff in Not! Da springen sie auf
Alte wie Junge zum Strand im Lauf
Und sehen gescheitert, fest auf dem Riff
Ein unabbringlich verlorenes Schiff.

15
Das Rettungsboot klar! Hinein und fort,

Wenn’s menschenmöglich, zum Schreckensort!
Doch wo ist Harro? Der Führer fehlt,
Der alle mit seinem Mute beseelt.
Im nächsten Dorfe blieb er zur Nacht,

20
Hat auch wohl, statt zu schlafen, gewacht.

Sie können nicht warten; dort gähnt das Grab
Seeleuten wie sie – so stossen sie ab.
Sie legen sich in die Riemen mit Macht;
Die Dollen ächzen, die Planke kracht,

25
Die Wellen schwingen und schleudern das Boot’,

Sturzseen bringen’s in grausige Not,
Dass denen am Strande das Herz erhebt.
So haben noch keinen Nordwest sie erlebt.
Doch die auf dem Wasser, in Stürmen erprobt,

30
Trotz bieten sie allem, was wider sie tobt;

Sie steuern dem Schiffe näher und nah,
Und endlich, endlich sind sie nun da,
Von denen als Retter mit Jubel begrüsst,
Denen das Leben schien eingebüsst.

35
Das Deck überschwemmt schon, versunken das Gut,

Die Masten nur steh’n noch in steigender Flut,
Dran klammern sich die Verschlag’nen und harr’n,
Dass ihnen die Glieder in Kälte erstarr’n.
Die Fischer bergen sie Mann für Mann,

40
Nur Einen niemand noch retten kann;

Er selbst kann sich nicht regen mehr,
Und das Boot ist voll, ist schon zu schwer,
Liegt schon zu tief in den brechenden Well’n;
Fort müssen sie ohne den armen Gesell’n.

[312]
45
Er sieht sie scheiden mit thränendem Blick,

Ohne Hoffnung besiegelt sein traurig Geschick.
Nun rückwärts ans Land! Es braust und stürmt,
Dass Woge sich über Woge türmt.
Der Himmel ist schwarz, die See ist weiss

50
Von wirbelndem Schaum; es perlt der Schweiss

Auf all den Gesichtern, wetterbraun,
Die um sich Tod und Verderben schau’n.
Doch keiner versagt und keiner erschlafft,
Sie kämpfen sich durch mit Riesenkraft;

55
Und wie das Boot aus der Brandung fliegt,

Da sind sie am Land und haben gesiegt. –
Da ist auch Harro; sein erstes Wort:
»Habt ihr sie alle?« »Nein, einer blieb dort;
Er hing zu hoch in den obersten Raa’n,

60
Wir konnten ihm nicht mit Rettung nah’n.«

»So holen wir ihn!« spricht er in Ruh.
»Unmöglich, Harro, der Sturm nimmt zu,
Wir kommen nicht ab, wir kommen nicht an,
Wir müssen preisgeben den einen Mann.«

65
So meinen sie alle, doch Harro spricht:

»An Bord! ’s ist unsre heil’ge Pflicht!
Wer hilft?« Sie schweigen. »So fahr’ ich allein!
Da tritt auf ihn zu sein Mütterlein:
»Harro, dein Vater blieb draussen in See,

70
Und nimmer verwind’ ich das bittere Weh;

Auch Uwe, dein Bruder, mein Jüngster fuhr aus
Und kommt nie wieder, nie wieder nach Haus,
Der brave Junge! Ich hatt’ ihn so lieb;
Gott weiss, wo die Flut auf den Sand ihn trieb!

75
Nun willst auch du noch –« »Mutter, ich muss!

Und käm’ ich aus Wetter und Wogenguss
Wie Uwe, dein Liebling, nicht wieder zu Land –
Wir stehen alle in Gottes Hand.«
Sie hält ihn, sie bittet, sie weint und fleht,

80
Dass er nicht, ihr letzter Hort noch, geht:

»Denk’ an mich, deine Mutter! Ich alte Frau –
»Ja, Mutter, weisst du denn so genau,
Ob der auf dem Wrack dort todesmatt,
Nicht auch daheim eine Mutter noch hat?« …

85
Er springt ins Boot, vier Mann ihm nach,

Für solchen Seegang zu wenig, zu schwach;
Doch fahren sie los und versuchen ihr Glück.
Dreimal wirft sie die Brandung zurück,
Dann sind sie hinüber; bald hoch und steil

90
Saust auf den Kamm, bald wie ein Pfeil
[313]

Schiesst tief ins Wellenthal der Bug
Des tapfern Boots auf seinem Zug,
Verfolgt von den Blicken der Bangenden hier;
Atemlos spähen sie starr und stier.

95
Die fünf gelangen zum Wrack und Mast,

Noch hängt am Tauwerk oben der Gast.
Harro nun entert die Wanten empor,
Holt selbst ihn herunter, der fast erfror.
Doch er lebt, und sie rudern mit ihm zurück –

100
Das Schwerste vom schweren Wagestück.


Sie kommen! Im Boote, von Gischt umblinkt,
Erhebt sich Harro am Steuer und winkt;
Und ehe der Kiel berührt den Grund,
Legt er zum Rufe die Hand an den Mund

105
Und schreit mit markerschütterndem Ton:

»Mutter, ich bring’ ihn! s’ ist Uwe, dein Sohn!«


Julius Wolff.