Aus Laubes poetischer Jugendzeit
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Aus Laubes poetischer Jugendzeit.
Dichter in ihren jugendfrischen Anfängen zu belauschen, ihren ersten stillen Werdeprozeß zu verfolgen, hat einen ganz besonderen Reiz, denn wie der linde erdfrische Duft des Lenzes, so lassen meist auch diese Anfänge schon Art und Kraft der vollen Blüthezeit ahnen. Auch in Laubes Dichtung zeigt sich ein solch organischer Entwicklungsgang des Talents: was aus seinem Schaffen die meiste Anwartschaft auf Dauer hat, was sein dichterisches Wollen in schönster Vollendung zeigt, seine Dramen „Die Karlsschüler“ und „Essex“, seine Erzählungen aus dem Dreißigjährigen Krieg, die den Gesammttitel „Der deutsche Krieg“ führen, sowie andererseits seine Verdienste als Dramaturg, die ihm in Wien den Ehrentitel des deutschen „Theatergenerals“ eintrugen – all das weist zurück auf die ersten Regungen seines Talents und auf die Idylle seiner Knabenzeit, welche die schlesische Landstadt Sprottau am still hinfließenden Boberflüßchen zum Schauplatz hatte.
Eine Idylle: in einer seiner Reisenovellen hat sie uns Laube selbst später geschildert. Sandige Heidestrecken, Kiefern- und Birkenwäldchen umgrenzten das fruchtbare Acker- und Wiesenland, das die Handwerker und Krämer des Städtchens noch selber bebauten, und große Bauerngehöfte umgaben die Eingänge zu seinen Straßen und Gäßchen. Auf den grünen, mit Weiden bestandenen Uferwiesen des Bobers hat der Knabe in frühester Jugend bei den Schafen gelegen, Pfeifen geschnitzt, nach den Wolken gesehen und geträumt, „kleine unschuldige Träume“ von der Tochter des Bäckers, welche ihn dereinst beglücken würde auf Sonntagsspaziergängen und später als Gattin im eigenen Hausstand. Die patriarchalische Ruhe des Feierabends, „wo man des Abends in Hemdärmeln vor der Thür sitzt, Ohlauer vaterländischen Knaster in die reine Luft bläst, friedliches Faßbier trinkt und von den Franzosen redet, die 1806 nichts als Wein getrunken“, die gleichmäßige Einförmigkeit der von der großen Poststraße abliegenden kleinen sauberen Stadt, die nur zweimal im Jahr von großen Festlichkeiten für die Honoratioren unterbrochen wird, dem Weihnachtsball und dem Pfingstschießen – sie bildeten den Gegensatz zu seinen lärmenden Knabenspielen, die überall auf der Straße die gleichen sind, sie erschwerten ihm später die heimlichen Zusammenkünfte im Birkengehölz neben dem alten Schießhaus vorm Thor, dem verschwiegenen Paradies seines ersten Liebesglückes.
Aber von diesem stillen Hintergrund seiner Heimathserinnernugen heben sich bereits in einer anderen Reisenovelle vom Jahre 1836, die uns von der Heimkehr des jetzt wegen litterarischer Sünden verfolgten Schriftstellers in die Vaterstadt erzählt, geräuschvollere Begebenheiten ab, welche mit einem ganz anderen, bewegteren Leben in diese ländlichen Gassen flutheten, Begebenheiten, die sich tief in die Seele des Knaben einprägten und seine Geistesrichtung bestimmten. Das waren vor allem die Durchzüge von französischen und rheinbündischen Truppen und dann der halbwilden Kosaken auf ihren kleinen Pferden im Jahre 1812 und 1813, war die rauhe, rohe Franzosenzeit, da Feind und Freund in den Straßen und Häusern der Stadt sich blutig um Hab und Gut der armen Sprottauer raufte. Hierher gehört weiter das große Reformationsfest vom Jahr 1817, das mit seinen Festschriften und Bilderbogen dem Knaben die höchsten Begriffe von Glaubensfreiheit und Kampf dafür in die Seele legte, und schließlich der wiederholte längere Aufenthalt einer Schauspielertruppe im Orte, deren Kunst die Begeisterung für das Theater in dem jetzt nur noch in den Ferien anwesenden Glogauer Gymnasiasten in solchem Grade weckte, daß er mitten im kalten Winter des Jahres 1823 „dem Heldendarsteller Herrn Matthausch und der Liebhaberin Fräulein Ennicke“ zu Liebe eine Fußwanderung nach Berlin antrat, die nicht ohne Abenteuer verlief.
Kriegsereignisse, ein Fest zur Feier des protestantischen Bewußtseins und romantische Theatereindrücke waren für Laube die bedeutendsten Erlebnisse der Kinderzeit; ein Theaterstück von kriegerischem und protestantischem Charakter, das einen Helden des Protestantismus feierte und in Kriegsscenen seine Treffer hatte, war dann das erste größere Werk, in welchem Laube als Student seine dichterische Begabung erprobte. Und dies Drama, das Trauerspiel „Gustav Adolf“, war bühnengerecht genug, um bald nach seiner Entstehung eine Aufführung im Breslauer Stadttheater mit Erfolg aushalten zu können. Dennoch hat es Laube im Bewußtsein der Schwächen dieses ersten Versuchs nie drucken lassen. Seit jenen Aufführungen im Jahre 1829 ist es nie wieder zum Vorschein gekommen. Das Manuskript aber hat sich erhalten und des verstorbenen Dichters Pflegesohn, der Reichstagsabgeordnete Professor Hänel, hat es dem Schreiber dieser Erinnerungen zur Verfügung gestellt, damit es in dessen Geschichte des „Jungen Deutschland“ seine Verwerthung finde.
Den Krieg in seiner schaurigen Schrecklichkeit, aber auch in seiner poetischen Lebensfülle, wie ihn Laube später in seinen besten Romanen – „Die Krieger“, „Gräfin Chateaubriand“, „Der deutsche Krieg“ – so realistisch wie niemand vorher zu schildern verstanden, hatte er damals ebenfalls in all seiner Realität erlebt. Namentlich die Ereignisse des Jahres 1813, in welchem es in Sprottau zu einer förmlichen Schlacht zwischen französischen Chasseurs und russischen Reitern kam, blieben seinem Gedächtniß unzerstörbar eingeprägt bis an sein Lebensende. Noch als Siebziger hat er in seinen „Erinnerungen“ viele Einzelheiten mit greifbarer Deutlichkeit schildern können. Wie er mit dem Vater des öfteren im Leiterwagen aus dem sechs Meilen entfernten Grüneberg Fässer voll Wein für die französische Einquartierung holte, wie er bei der ersten Ankunft der französischen Chasseurs auf der Boberbrücke war und bei dem entstehenden Gedränge fast zu Tode gequetscht wurde, während eine russische Batterie über die Brücke hinweg gegen die Franzosen zu spielen begann, wie dann auf dem Markt gellende Trompetenstöße das Signal zur Plünderung gaben; was er alles mit der Mutter ausstand, die während der Plünderung im Keller sich versteckt hielt, was die marodierenden Chasseurs alles raubten, selbst des Vaters Ersparnisse aus dem Kaminschornstein … und dann wieder die Zeit, wo der Landesfeind in ängstlicher Flucht durch die Straßen flog und das ganze Land aufathmete – alles das ist lebendig in seiner Seele geblieben.
Den ersten starken litterarischen Eindruck brachte jenes Reformationsfest vom Jahre 1817. Laube war damals elf Jahre alt. Vor dreihundert Jahren hatte Luther seine 95 Sätze an die Kirche von Wittenberg angeschlagen – dieses Ereigniß, der Anfang der Reformation, wurde gefeiert. Volksthümliche Darstellungen der geschichtlichen Vorgänge, die der muthigen That Luthers vorausgingen und folgten, Festschriften mit den Bildnissen von Luther und Melanchthon kamen damals in jedes Haus. Als eine Bewegung von außerordentlicher Ausdehnung und Macht, geradezu als eine volle Wiedergeburt der Reformationszeit erschien dem Dichter diese Feier noch im Alter.
Auch sein Interesse für das Theater wurde durch ein längeres Gastspiel der Butenopschen Truppe bereits in Sprottau zur Entfaltung gebracht. Von Wichtigkeit für seine spätere Entwicklung war es, daß er das Bühnenwesen gleich in seiner wirklichen Gestalt kennenlernte und nicht auf dem Weg durch Bücher und gelehrte Abhandlungen, wie so viele andere Epigonen der Schillerschen Muse. Und er hatte dies gerade dem Umstande zu danken, daß er in einer Stadt ohne Theaterleben aufgewachsen war, und dem Zufall, daß sich schon bei der ersten Berührung mit dem Theater auch die Welt hinter den Coulissen seinen neugierig forschenden Blicken öffnete. So hat er nie den Kampf mit romantischen Einbildungen zu bestehen gehabt, an welchem so viele dramatische Schriftsteller mit ihrem besten Streben zu Grunde gegangen sind. Die Reitbahn der Sprottauer war damals zum Tempel Thalias geworden. Diese Reitbahn hatte ein luftiges Dach; Sturm und Wind hatten daraus so manche Schindel entführt, und da die Hinterwand des Gebäudes an den Garten von Laubes Großvater stieß, so wußte der Enkel als entdeckungslüsterner Kletterer längst um diese Lücken Bescheid. Die Aeste eines Apfelbaumes im Garten erstreckten sich bis auf das Dach, und auf einem derselben fand nun der Knabe einen erhöhten Sperrsitz gerade über der Bühne, von dem aus er die Vorgänge sowohl auf als hinter der Scene überblicken konnte. Wer hätte damals geahnt, daß ihn von diesem luftigen Sitz eines „Zaungasts“ aus der Vogelschau der Weg zur Intendantenloge der ersten deutschen Bühne führen würde?! Von da oben aus gelangte der Knabe auch hinunter, sowohl hinter die Coulissen als in den Zuschauerraum; er lernte kennen, „wie es gemacht wird“, daß von der Bühne herab die wunderbaren Wirkungen auf die Zuschauerwelt ausströmen, und begann so jener Kenner der Bühnentechnik zu werden, der er als Dramatiker [679] auch dann geblieben ist, wenn ihn die echt dichterische Eingebung bei seinem Schaffen im Stich ließ. Ritter- und Räuberstücke bildeten hauptsächlich den Spielplan der Butenopschen Gesellschaft, aus der übrigens u. a. eine Künstlerin wie die Anschütz hervorgegangen ist; „Die Kreuzfahrer“, „Klara von Hoheneichen“, „Die Räuber auf Maria-Kulm“, namentlich aber Schillers „Räuber“ waren die Zugstücke. Doch kümmerte man sich im Ort nicht um die Namen der Verfasser, und daß z. B. der Dichter der von ihm bewunderten „Räuber“ Schiller hieß, erfuhr der Knabe erst später als Gymnasiast in Glogau, wo öfter Theater gespielt wurde.
So unlitterarisch waren jene Anfänge. Was dagegen dem Knaben fest im Gedächtniß blieb, das waren Wahrnehmungen in Betreff der Bühnenleitung. Als Beispiel, das Laube noch im Alter gern erzählte, diene folgender Fall. Ein Stück spielte in Spanien, wo die Franzosen unter Napoleon erobernd eingedrungen waren und von den Spaniern auf Weg und Steg verfolgt wurden. Am Schlusse eines Aktes schoß der französische Offizier sein Pistol auf einen Spanier ab. Das Pistol versagte, und der Vorhang fiel unter großem Gelächter des Publikums. Der kleine Laube kroch eilig unter dem Podium hinauf, um Direktor Butenops Zorn anzusehen gegen den Requisiteur Krebs, den er immer auf dem Striche hatte. Richtig! er hielt ihn bereits am Kragen und schrie immerfort: „Das Publikum muß den Schuß hören, Kanaille! Das Publikum muß den Schuß hören!“ – Pautz! knallte der Schuß. Neues, noch stärkeres Gelächter im Publikum. „Als der nächste Akt kam, entdeckte mein junger Verstand, daß der Direktor recht gehabt: der Schuß hatte Folgen, er mußte also losgegangen sein!“ Solcher Gestalt war der Anfangsunterricht, den damals unbeachtet und unvermuthet Deutschlands erfolgreichster Dramaturg als Bube von zwölf Jahren empfing. Die Besuche der Truppe in Sprottau wiederholten sich in den folgenden Jahren, und wie mit ihrer Kunst, so wurde der anstellige Bursche auch mit den Schauspielern bekannt.
Welche Wirkung dieser Verkehr hatte, haben wir schon erwähnt. „Die ganze Welt war für mich verwandelt und erweitert, unabsehbar erweitert durch diese Schauspielergesellschaft“, heißt es in den „Erinnerungen“. Mit Bezug hierauf ist denn auch beschlossen worden, daß das Denkmal, welches man für Laube in Sprottau errichten will, auf denjenigen Platz zu stehen kommen soll, wo einst jene wandernden Jünger Thaliens ihre Vorstellungen gegeben haben.
Den nächsten großen litterarischen Eindruck bot Glogau. Nicht das dortige Gymnasium, von dem es in Nowacks Schlesischem Schriftstellerlexikon heißt, daß „dort ebenso gewissenhaft lateinische Sprach- wie Betübungen“ gehalten worden seien, denn nicht auf den Geist der lateinischen und griechischen Schriftsteller wurde beim Unterricht eingegangen, auch nicht auf den Geist der klassischen Sprachen. Nur der Lehrer des Deutschen, Magister Röller, stellte an sich und an seine Schüler höhere Ansprüche. Er gab guten stilistischen Unterricht. Deutsche Dichter aber wurden damals in den deutschen Gymnasien noch nicht gelesen. Und doch war es ein deutscher Klassiker, der jenen neuen großen Eindruck auf den eigenartigen Geist des Schülers machte – Friedrich Schiller. In jenen Jahren erschien die erste Cottasche Gesammtausgabe der Werke Schillers zu billigem Preise. Ein Vetter Laubes, der Sohn des Wirths zum „Grünen Löwen“ in Sprottau, „Cousin Fritz“, der bereits in der Glogauer Prima war, schaffte sich die Ausgabe an. „Daß Fritz mir Prachtstellen vorlas und daß er mir sagte: dies ist unser Dichter fürs Leben, das wirkte auf mich, und die Dramen, deren ich in den abgerissensten Exemplaren habhaft werden konnte, die prägten sich ein wie mit glühenden Lettern,“ heißt es in den „Erinnerungen“. Schillerverehrung herrschte auch in der Familie, in die er als Freund des Sohnes vom Hause wie ein Adoptivsohn Aufnahme fand. Sie war wohlhabend und pflegte litterarische Interessen. Die bessere erzählende Litteratur des Tages kam ins Haus, auch das Cottasche Morgenblatt wurde neben Theoder Hells Abendzeitung gehalten. Am runden Tisch der Familie hat der jugendliche Verehrer Schillers sämmtliche Werke – auch die Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs – vom ersten bis zum letzten Bande vorgelesen. Damals spannen sich die geistigen Fäden an, die später in den „Karlsschülern“ zu einem so ansprechenden künstlerischen Gebilde verwoben wurden. Erst nachdem so Schiller Laubes jungen Geist ganz für sich gewonnen hatte, ging dem Gymnasiasten die Schönheit Homers, die Kunst von Vergil und Horaz auf. Dies geschah in Schweidnitz, wohin er noch als Primaner ging, weil ihn – nach Nowack – „die am Glogauer Gymnasium herrschende strenge Klosterzucht und pietistische Richtung zu offener Opposition gereizt hatte.“
Ostern 1826 brach er, das Ränzel und – die Guitarre auf dem Rücken, nach Halle auf. Eigentlich hatte der Junge den Beruf seines Vaters ergreifen sollen, allein wie so viele Dichter war auch Laube, wenigstens in jener Frühzeit, „im Kopfrechnen schwach“ und daher dem mathematischen Theil des Bauwesens nicht zugethan. So wurde der Plan, ihn für das Baufach zu bilden, aufgegeben und beschlossen, ihn studieren zu lassen. Was? Das war in jener Zeit eigentlich keine Frage bei armen Burschen aus kleinen Städten, die sich schon als Gymnasiasten im Stundengeben geübt hatten. Die wurden alle Theologen. „Dies war das wohlfeilste Studium und brachte zuerst eine Anstellung, wenn auch zunächst nur die eines Hauslehrers.“ In Halle zog ihn zwar zunächst der protestantische Rationalismus Wegscheiders an, aber der Einfluß von dessen kritisch zersetzender Auslegung der christlichen Ueberlieferung entfremdete ihn erst recht dem theologischen Berufe, und das Hingabebedürfniß seines Gemüths fand seine Befriedigung in dem Schwärmen und Treiben der Burschenschaft, deren Grundsätze und Interessen er bald, wo es galt, mit dem Rappier in der Faust gar schneidig zu verfechten wußte. „Der Fechtboden und die Herbergen in und um diese Stadt sahen ihn häufiger als die Hörsäle,“ vermerkt der kleine Lebensabriß bei Nowack. Ueber der Burschenschaft und ihren Angelegenheiten traten seine bisherigen Neigungen in den Hintergrund. Als er dann das lustige Halle, den Schauplatz manch siegreicher Paukerei, manch fröhlicher Studentenfahrt, auch eines feierlichen Aufzugs, dessen Ausgang ihm auf seinem Abgangszeugniß den Vermerk „der Burschenschaft verdächtig“ eintrug, mit Breslau vertauscht hatte, studierte er zwar fleißiger als bisher die theologischen Wissenschaften, namentlich Kirchengeschichte, hielt auch Probepredigten und bereitete eine Abhandlung „über die Erbsünde“ vor, aber die Angelegenheiten der Burschenschaft beschäftigten ihn auch jetzt in erster Linie, – bis eine Aufführung von Kleists „Käthchen von Heilbronn“ die ins Stocken gerathenen litterarischen Triebe auf einmal wieder in Aufruhr brachte und jetzt mit Entschiedenheit zur Bethätigung drängte. Bis dahin hatte er als Student – „schon aus Geldmangel“ – das Theater links liegen lassen; nach jenem ersten Wiedereintritt in seinen Zauberkreis wurde er ein eifriger Theaterbesucher.
Man kann sagen, das holde Käthchen von Heilbronn, das auf der Bühne sich so brav als Retterin bewährt, habe auch Laube gerettet, gerettet für die Dichtung, für das deutsche Theater. Es stand damals gerade recht bedenklich mit ihm. Als „gute Klinge“ von Halle her geschätzt und gefürchtet, war er beim Ausbau der neuen burschenschaftlichen Verbindung in Breslau, dem blauen Haus“, und im Kampf mit den herrschenden Landsmannschaftern in ein wildes „Landsknechtsleben“ gerathen, wie er es selbst nennt. Die Duelle wurden leidenschaftlich geführt, hatten oft gefährlichen Ausgang; schlug Laube selber nicht, so mußte er doch sekundieren. Einmal war schon alles zur Flucht vorbereitet wegen der Folgen eines dieser wüsten Zweikämpfe. Es war eine Art Kriegsleben, dessen spannende poetische Erregung ihn berauschte. Auch sonst war das Leben wild; auch im Spiel war der „Landsknecht“ die Parole und oft jagte erst die aufgehende Sonne die lärmenden Bursche draußen in Marienau von den Tischen. Das Geld zu solchem Treiben erwarb sich der wildgewordene Heinz durch Ertheilen von Fechtunterricht. Denn in der Führung der studentischen Waffe war er damals zu solcher Meisterschaft gelangt, daß er einen sehr guten Fechtmeister abgab. Als nun ein reisender französischer Fechtmeister eine Herausforderung an die Studentenschaft Breslaus zum öffentlichen Zweikampf – „au grand assaut d’armes“ – ergehen ließ, da trat Heinrich Laube als ihr Vertreter auf und führte den Franzmann zweimal mit klatschenden Hieben unter dem Jubel des versammelten Publikums ab. Die Folge war, daß ihm in aller Form die gerade freigewordene Stelle eines Universitätsfechtmeisters angeboten wurde. Er lehnte ab. Unklar fühlte er: zu was besserem sei er geboren. Und innerlich befriedigt von dem Sieg eines höheren Strebens über die Lust an Fechtkünsten und über die ihm gebotene lockende Versorgung, stand er an einem der nächsten Tage beim Erblicken des Theaterzettels still, las ihn und meinte dann: „Ins Theater könntest [680] Du auch mal wieder gehen!“ An diesem Abend war es dann, wo das „Käthchen von Heilbronn“ ihm zur rettenden Muse wurde, die ihn wieder zurück in die Gärten der Poesie lockte. Die Aufführung wie das Stück waren von mächtiger Wirkung – ein Erlebniß, das sein geistiges Wesen im Innersten packte. Daran gedenkend, sagte Laube im Alter: „Die Vorhänge waren plötzlich in meinem Innern aufgezogen, die Vorhänge aus der Sprottauer Reitbahn; die Aussichten lagen wieder vor mir in reizende Gegenden, unklar gemacht durch farbige Nebel. Und diese nebelhafte Unklarheit gehörte zum Reize.“
Der litterarische und künstlerische Sinn in dem Studenten war aus seinem Schlummer erwacht.
Und nun begann auf einmal für ihn ein frisches fröhliches Treiben rein litterarischer Art. Als er unter seinen Genossen vom Theater zu reden begann, zeigte es sich, daß mehrere von ihnen dieses Interesse theilten; nur waren über den Mensurgeschichten, dem Kartenspielen und Kommersieren derlei Fragen zwischen ihnen nie zur Sprache gekommen. Da war einer unter ihnen, der im Anklang an die Falstaffscenen in Shakespeares „Heinrich IV.“ auf der Kneipe Fähnrich Pistol genannt ward und mit Vorliebe die drastischen Reden Falstaffs im Munde führte. Der Zufall, daß die Stammkneipe der durstigen Brüder „Zum wilden Schweinskopf“ hieß, also gerade wie die Herberge in Eastcheap, in welcher des Prinzen Heinz verwegene Tafelrunde bei Shakespeare ihre Gelage abhält, hatte vielleicht die Anregung zu diesen und anderen Spitznamen des Kreises gegeben; jetzt zeigte sich, daß dieser Fähnrich Pistol nicht bloß für Falstaff, sondern überhaupt für Shakespeares herrliche Dramenwelt schwärmte. Diese Bestrebungen befriedigte derselbe – sein bürgerlicher Name war Adolf Mühlbach – in einem anderen Freundeskreis, der sich an bestimmten Abenden in seiner behaglichen Wohnung zusammenfand. In diesen Kreis gerieth jetzt Laube auch. Es war ein poetischer Verein; man sprach in ihm nicht nur über Shakespeare, Schiller und Goethe, über Tieck und Uhland, über die neuesten Musenalmanache; man zog auch abwechselnd dicke Manuskripte aus der Tasche und las sich selbstgefertigte Dramen vor. Romantische Stoffe und Stimmungen herrschten vor; Tiecks „Genoveva“ und „Kaiser Oktavian“ waren bevorzugte Muster. Laube fühlte bald die Ueberlegenheit der andern an litterarischem Wissen, was ihn anspornte, die Lücken der eigenen Bildung zu füllen. Statt der Karten handhabte er jetzt des Abends und Nachts litterargeschichtliche Bücher, ästhetische Abhandlungen, die Werke der modernen Dichter. Aber was er mit Recht als Mangel empfand, war zugleich ein Vorzug. Er trat mit reiferen Lebensansichten und reicher Lebenserfahrung, frei von Vorurtheilen, an diese Fragen heran, in denen die andern meist mit fertigen, überkommenen Urtheilen ihre Entscheidung trafen. Ihnen entging auch dieser Vorzug nicht, so wenig wie die Anregung, die seine Ursprünglichkeit, sein ehrliches Fragen ihren Unterhaltungen brachte. Den träumenden Romantikern gegenüber war er sogleich der Mann der derberen Wirklichkeit, die bestimmte Ausdrucksweise seiner späteren Kritiken entfaltete er bereits hier. Ihrem einseitigen Kultus, den sie Goethe und Shakespeare gerade wegen der romantischen Elemente in deren Dramen widmeten, setzte er seine Schillerverehrung entgegen. Daß Schiller bei allen Schwächen der seelischen Schilderung und trotz seiner Neigung zum schönrednerischen Pathos doch im eigentlich Dramatischen, in der Kraft, treibende Leidenschaft und wachsende Handlung zu geben, Goethe überrage, fühlte er damals schon. Bald war er in vielen Dingen den anderen gegenüber der Ueberlegene. Bei den Besprechungen, welche der Vorlesung eigener Dichtungen – auch Balladen wurden gepflegt – häufig folgten, fand sein Urtheil bald die meiste Beachtung. Sein Ansehen wuchs, als er die Begabtesten des Kreises auf ihrem eigensten Gebiete schlug. Die „Schlesischen Provinzialblätter“, eine Monatsschrift, hatten einen Preis ausgeschrieben für das beste Gedicht. Sie alle bewarben sich, und Laube erhielt den Preis für eine „spanische Romanze“. Er machte sich wenig daraus, denn gerade dies Gedicht war ein Versuch ohne inneren Antheil gewesen, aber den Kameraden imponierte dieser Erfolg höchlich, und als dann gar ein zweiter auf der Bühne folgte, als Laube im Breslauer Stadttheater mit einer eigenen Tragödie den Beifall eines dichtbesetzten Hauses entfesselte, da faßte der Verein den Entschluß, für seine Bestrebungen eine eigene Zeitschrift zu gründen, und übertrug Laube deren Leitung.
Diese aufgeführte Tragödie war der schon erwähnte „Gustav Adolf – historisches Trauerspiel in 5 Akten“; die Zeitschrift führte den Titel „Aurora“ und erschien vom 5. Juli bis zum 30. Dezember 1829. Wie von dem Drama das bisher verschollene Manuskript, so liegt mir von der Zeitschrift eines der wenigen vollständigen Exemplare vor, welche der Zufall uns erhalten hat.
Ist nicht die Folgerichtigkeit merkwürdig, daß der junge Dichter nach den maßgebenden Eindrücken seiner Knabenzeit, nach den patriotischen Schwärmereien des Burschenschafters, unter den Anregungen des Poetenvereins und des jetzt oft besuchten Theaters, nach der erneuten Einwirkung Schillers und dem mächtigen Eindruck des Kleistschen Ritterstücks nun an die Ausarbeitung gerade eines Dramas ging, das mit Schillers „Wallenstein“ den geschichtlichen Hintergrund und eine der Hauptgestalten theilte, einen kriegerischen Führer der Reformationszeit zum Helden, einen nationalpolitischen Untergrund für seine Tragik, ein großes lärmendes Schlachtenbild zum Abschluß hatte und zur Heldin ein holdselig Bürgerkind, das zu König Gustav mit derselben magdlich demüthigen Liebe aufsieht wie das Käthchen von Heilbronn zu ihrem „hohen Herrn“, dem Grafen Wetter von Strahl?
So naiv aber der Dichter in der Anlehnung an „berühmte Muster“ war, so schülerhaft er noch in Bezug auf tiefere Begründung der Handlung und hinsichtlich einer eigenartigen Sprache blieb, so zeigte er doch schon hier in der Anwendung der dramatischen Grundgesetze, in der klaren Exposition und dem straffen Aufbau der Handlung, in der Beschränkung auf das Nothwendige, im Freibleiben von Schwulst und leeren Worten, von Ballast jeder Art ein künstlerisches Maßhalten, wie es gerade die Jugenddramen der meisten unserer Dichter vermissen lassen.
Eine weit größere Reife der Einsicht in das Wesen des Dramatischen bekundete er dann als Theaterkritiker an Karl Schalls „Breslauer Zeitung“ und der eigenen Zeitschrift „Aurora“. Der Eindruck eines Gastspiels von Karl Seydelmann, dem Stuttgarter Hofschauspieler, im besondern dessen Spiel als Carlos in Goethes „Clavigo“, trug viel dazu bei, seine vom Zauber romantischer Gefühlsschwärmerei noch vielfach befangenen Ansichten zu Grundsätzen eines gesunden, dichterischen Wirklichkeitssinnes zu klären.
In derselben Richtung bewegen sich die Xenien, von denen Laube im Wetteifer mit Heinrich Wenzel in dem halben Jahrgang der „Aurora“ gar manches Dutzend gegen Moderichtungen des Tags, gegen Raupach, Hell, Clauren, gegen das romantische Drama veröffentlicht hat. Die Gedichte, die der damals dreiundzwanzigjährige Kandidat der Theologie in der „Aurora“ mittheilte, „Der Student von Salamanca“, „Herr Ebbelin und die Nürnberger“, „Der lustige Jägersmann“, „Albano in Rom“, ermangeln bei aller Frische der Gesinnung und bei aller Lust am fröhlichen Wagen doch der rechten Kraft und Farbe und bewegen sich in der gleichen romantischen Art, welcher auch die Freunde Laubes, Max von Oer, Leopold Bornitz, Adolf Mühlbach, Freiherr von Oelsnitz, Freiherr von Biedenfeld, Otto Hanisch u. a. mit mehr oder weniger Begabung in Gedichten und Geschichten gehuldigt haben. Daß diese „literärische Zeitschrift“ keinen großen Abnehmerkreis fand und Ende 1829 wieder eingehen mußte, ist nach dem Gesammteindrucke nicht unverständlich.
Wie dann Laube als Hauslehrer auf dem Rittergut Jäschkowitz bei dem schlesischen Landesältesten Herrn von Niemptsch unter den Eindrücken der polnischen Revolution zur litterarischen Theilnahme an der Zeitgeschichte und zur politischen Schriftstellerei im Dienst freiheitlicher Ideale überging, wie er durch seine Werke „Das neue Jahrhundert“ und „Das junge Europa, 1. Theil: Die Poeten“ sich Verfolgung und Kerkerstrafe zuzog, ist schon öfter dargestellt worden. Als er sich später gemäßigteren Anschauungen und einer minder revolutionären Dichtungsart zuwandte, lieber Künstler als Politiker sein wollte, hat man ihn einen Abtrünnigen genannt. Man sollte bei seiner Beurtheilung aber nicht vergessen, daß er sich in jenen Jahren der inneren Sammlung und bürgerlichen Einordnung doch eigentlich nur zurückwandte zu dem, was seine erste Liebe im litterarischen Sinne war, zum Theater und zum Kampf für die Werthschätzung des wirklichen Lebens in den Darstellungen der Kunst. Das Urtheil wird gerechter, wenn man seine poetischen Anfänge zu Breslau in Betracht zieht, wie wir es gethan haben, und so entdeckt, daß darin sowohl diejenige Richtung seines Talents bereits zum Ausdruck kam, welche ihn später zum gefeierten Dramatiker und
[682] Dramaturgen erhob, als auch jener patriotische und protestantische Geist, der in den Jahren des politischen Sturmes und Dranges seinem revolutionären Pathos sehr bald eine eigenthümliche Klangfarbe lieh. Die Gestalten seiner Jugenddramen hatten Macht über ihn behalten, und auf der Höhe seiner Laufbahn bannte er sie aufs neue, ließ sie seinem Dichterwort Stand halten und gab dabei den Gesichten seiner abenteuerlustigen waffenfreudigen Phantasie lebenswahre Gestaltung in dem Rahmen des großen Romans, der noch lange deutsche Leser unterhalten und erbauen wird: „Der dreißigjährige Krieg“. Johannes Proelß.