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Aus Bayreuth, der Stadt der Parsifal-Aufführungen

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Autor: H. Kretzschmar
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Titel: Aus Bayreuth, der Stadt der Parsifal-Aufführungen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 33, 35, S. 550–552, 576–578
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Aus Bayreuth, der Stadt der Parsifal-Aufführungen.

Wenn man augenblicklich von Bayreuth erzählen will, kann man sich und dem Leser eine längere Einleitung ersparen. Es ist zur Zeit fast ein Kunststück Nichts über Bayreuth zu wissen. In der Telegrammrubrik unserer politischen Zeitungen steht der Titel Bayreuth in gleichem Course mit den Namen der Weltstädte, mit London und Paris, mit Constantinopel und Alexandrien. Ein Fremder, der nur oberflächlich die Tagesblätter überfliegt, kann auf die Idee kommen, daß dieses Bayreuth in einem besonderen Zusammenhang mit der orientalischen Frage steht, namentlich da auch im Jahre 1876, während der serbisch-türkische Krieg im Gange war, mit den Berichten von der unteren Donau unausgesetzt Depeschen aus Bayreuth durch die Blätter liefen.

Mit dem orientalischen Kriegsschauplatz hat nun allerdings Bayreuth Nichts zu thun – aber einen halb kriegerischen Charakter kann man dem Platze immerhin beilegen. Bayreuth ist das Generalstabs- und Hauptquartier einer sehr kampfeslustigen Kunstpartei. Es wird dort Viel gestritten, wenn auch nur mit Worten und blos über ästhetische und musikalische Dinge – und der Aufenthalt in dieser Stadt hat Manches von der Natur des militärischen Lagerlebens, des Bivouakirens mit seinen Reizen und seinen kleinen Uebelständen.

Einer unsrer besten Culturhistoriker, der Münchener F. W. Niehl, spricht einmal von einer „Kriegsgeschichte der Oper“. Die Geschichte der Oper aber hat mit dem Auftreten Richard Wagner’s eine ihrer kriegerischsten Epochen begonnen. Seine Hauptschlachten nennt Wagner „Festspiele“, und der Schauplatz dieser Festspiele ist eben unser Bayreuth.

Wie gerade Bayreuth zu dieser Bestimmung gekommen ist – das umständlich und diplomatisch genau aus einander zu setzen, würde uns zu weit führen. Daß der Ort sich zu dem Zwecke gut eignet, giebt die Mehrzahl Derjenigen zu, welche daselbst im Jahre 1876 der Aufführung des ersten Festspiels „Ring der Nibelungen“ beigewohnt haben. Und man darf sagen: er hat sich jetzt, wo der „Parsifal“, den Wagner ein „Bühnenweihfestspiel“ genannt hat, abermals der Einwohnerschaft Woche um Woche einen Zuwachs von mehreren Tausenden zum Theil anspruchsvoller Gäste bringt, noch besser bewährt.

Wir Deutschen sind von Haus aus gar nicht gewöhnt, die Kunst blos in den großen Städten, wo Hunderttausende von Menschen zusammenwohnen, aufzusuchen. Die Geschichte unsrer Kunst, unsres geistigen Lebens ist in mancher ihrer wichtigsten Partien eine halbe Dorfgeschichte, und einzelne unsrer größeren Geister lebten und wirkten an kleinen Orten. Bayreuth selbst war der Wohnsitz eines Dichters, den Deutschland unter seine eigenthümlichsten und höchst angelegten Poeten zählt: Jean Paul verbrachte hier einen schönen Theil seines Lebens. Er zog sein Bayreuth dem Glanz der großen Städte vor; hier fand er Stoff für seinen Humor und sein Gemüth. Niemand und Nichts störte ihn hier in seiner Eigenart. Er blieb in Bayreuth und starb daselbst.

Im Gegensatze zu einem andern berühmten Musiker, Robert Schumann, welcher leidenschaftlich für den Dichter von Bayreuth schwärmte, sind Wagner’s Beziehungen zu Jean Paul etwas dunkel. Eins aber theilt er mit dem großen, phantasiekühnen Humoristen: das ist die Liebe der Bayreuther. Ja, ich glaube nicht, daß Jean Paul die Gunst seiner Mitbürger in dem gleichen, allgemeinen Maße besessen hat, wie Richard Wagner; denn diesem fühlt sich Jedermann in Bayreuth zu Dank verpflichtet.

„Wenn wir vor zehn Jahren“ – sagte ein einfacher Gewerbsmann – „hinaus in die Fremde kamen, da wußte Niemand etwas von Bayreuth. Sagten wir: Bayreuth liegt im Fichtelgebirge, fragten sie: Ja, wo ist denn das Fichtelgebirge? Heute aber ist Bayreuth ebenso bekannt wie Nürnberg. Ja“ – so schloß unser schlichter Freund – „der Wagner ist ein tüchtiger Mann, und wenn auch nicht Alles nach seinem Kopfe gehen kann – er versteht sein Geschäft.“

Die Beweise von dieser Popularität Wagner’s traten uns in Bayreuth handgreiflich auf Schritt und Tritt entgegen. Man benennt Kellnerinnen und Kellner mit den Namen von Wagner’s poetischen Figuren, ja, selbst die vierfüßige Creatur wird in diese unschuldige Spielerei mit hineingezogen. Wenn Wagner von den Toilettenartikeln und Gebrauchsgegenständen, denen sein eigener Name zur höheren Weihe und zur Recommandation vorgesetzt wird, wirklich ohne Ausnahme Gebrauch machen sollte, müßte sein Geschmack von einer unbegreiflich großen Vielseitigkeit sein. Und dieser sichtbare Cultus des Dichtercomponisten geht über den Bereich der Stadt noch weit hinaus. Bereits auf dem Bahnhofe zu Lichtenfels ist der Wartesaal mit einer Büste Wagner’s, geschmackvoll in frisches Grün gestellt, geschmückt worden.

Daß die Bayreuther den geistigen Bestrebungen Wagner’s mit wahrhafter Theilnahme folgen, kann man an verschiedenen Zeichen beobachten. Selbst seine Agitation gegen die Vivisection hat dort praktisch gewirkt und die Gründung eines Vegetarianervereins [551] zur Folge gehabt, welcher während der diesjährigen Festspiele den Gesinnungsgenossen einen Sammelpunkt und orthodoxen Mittagstisch bietet. Das ist eine Erscheinung, welche für eine baierische Stadt etwas Ueberraschendes hat.

Wichtiger und unbedingt ehrenvoll für Bayreuth ist die Thatsache, daß Wagner dort für seine Bühnenreformen von vornherein Verständniß fand und daß die Bürgerschaft schnell bereit war, für die Errichtung des Wagner-Theaters Opfer zu bringen, und sie auch wirklich brachte. Man schenkte einen Bauplatz, baute eine Straße, errichtete Alleen und Anlagen und zeigte sich in jeder Beziehung bereitwillig und entgegenkommend. Der Künstler traf in der kleinen Stadt auf viele große Herzen und sah sich bald von einer Reihe Männer ungeben, die seine Ideen zu den ihrigen machten und dieselben energisch durchführten.

Daß die sogenannte „Wagner-Gemeinde“ im letzten Jahrzehnte so ansehnlich gewachsen, daß ein so eigenartiges Unternehmen, wie die Bühnenfestspiele in Bayreuth, wirklich in’s Leben treten konnte, ist zu einem nicht geringen Theil auf die Begeisterung und Thatkraft der treuen Freunde zurückzuführen, welche Wagner an Ort und Stelle fand.

Eine gewisse Disposition zur Kunst liegt allerdings in Bayreuth in der Luft; denn diese Stadt ist eine ehemalige Residenz. Hier thronten Hohenzollern, die nächsten Verwandten der Kurfürsten von Brandenburg und Könige von Preußen, und hielten einen Hof, der in Pracht dem Vorbilde von Versailles nach der Mode der Zeit so gut nacheiferte, wie es eben ging. Die geliebte Schwester Friedrich’s des Großen, Wilhelmine, war bekanntlich an einen markgräflichen Vetter von Bayreuth verheirathet und hat in ihrer geistreich unzufriedenen Weise das Leben an den Fürstenhöfen von Bayreuth und Ansbach sehr lebhaft geschildert. Damals bot Bayreuth alles, was zur standesgemäßen Repräsentation eines großen Fürstenhauses für nöthig galt. Auch eine italienische Oper war darunter. Das Haus, in welchem diese Oper sich hören ließ, war eines der größten und prächtigsten in ganz Deutschland. Es ist mit seiner inneren Einrichtung noch vollständig erhalten, und eine Besichtigung desselben bietet Anlaß zu interessanten Betrachtungen und Vergleichen.

In der Stadt und ihrer Umgebung predigen noch viele andere steinerne Zeugen von der Herrlichkeit jener vergangenen Zeit. Daher stammt noch die große Anzahl imposanter Gebäude mit den schönsten Erkerbauten, daher die Schlösser und der prächtige Hofgarten. Geht man die Friedrichstraße hindurch, kann man das neunzehnte Jahrhundert vollständig vergessen. Auf beiden Seiten stehen sie, eins am andern, die alten Adelshäuser mit ihren Parkmauern und großen Einfahrtsthoren; die Simse, die Fensterläden – Alles ist noch unverfälscht geblieben, und zur Abendzeit ist’s Einem, als müßten jeden Augenblick die schweren Flügelthüren knarren und die goldstrotzenden Carossen mit den Dienern in Puder und Perrücken und mit den federschweifgeschmückten Rossen in die Straße lenken, um eine hinter der andern ihre zarten Insassen zu den hohen Herrschaften jagend zu führen. In der Bayreuther Vorstadt St. Georg, da, wo jetzt das durch den Attentäter Kullmann in den Mund der Leute gebrachte Zuchthaus steht, trifft man einen trockenen ebenen Platz, der den Namen „See“ führt. Wie in anderen Residenzen hatte man in der Markgrafenzeit in der That auch in Bayreuth an jene Stelle alle verfügbaren Wasser zusammengeleitet und veranstaltete dort nächtliche Seeschlachten bei Fackellicht und andere nautische Vergnügungen. Eines der schönsten Denkmäler jener Zeit ist das ganz nahe bei Bayreuth gelegene Lustschloß Eremitage, einer der gewinnendsten Rococobauten, die noch existiren, hinter anderen an Zierlichkeit zurücktretend, aber unübertrefflich in dem harmonischen Anschluß an die grüne Natur des großen, schönen, alten Parks, in welchem er steht.

Mit dem Beginn der Napoleonischen Kriege war die markgräfliche Zeit dahin. Es giebt nichts Traurigeres, als solche alte, abgelegte Residenzstädte. Wenn sie für den Verlust nicht in der modernen Arbeit, durch große Industrien einen Ersatz finden können, welken sie dahin wie verlassene Bräute, und ihr Leben hat nur noch wenige Reize in quälenden Erinnerungen. Für Bayreuth kam endlich ein Ersatz für den Markgrafen, und zwar in einem Kunstgrafen. Der Beherrscher der neuen Oper, Richard Wagner, zog hier ein und legte hier im Jahre 1872, gerade an seinem Geburtstage, den 22. Mai, den Grundstein seines neuen Theaters. Für sich selbst baute Wagner auf dem Wege zur Eremitage ein Wohnhaus, welches schon von außen durch den ganz eigenen Charakter einfacher Vornehmheit das Auge fesselt. Ein Sgraffitobild auf der vorderen Wand zeigt die Gestalt von Wotan, dem Helden des „Ring der Nibelungen“; links von ihm steht die Schröder-Devrient, rechts Frau Cosima Wagner mit dem Sohne des Componisten, dem kleinen Siegfried. Das Haus führt den Namen „Wahnfried“, und zur Erklärung der eigenthümlichen Wortbildung dient eine besondere Inschrift, welche lautet:

„Hier, wo mein Wähnen Frieden fand,

Wahnfried

sei dies Haus von mir genannt.“

In dem großen, ganz im dunkelsten Grün gehaltenen Vorgarten hat Wagner bereits die Stelle herrichten lassen, wo einst sein sterblicher Theil zur Ruhe bestattet werden soll.

Die Vollendung des Bühnenhauses selbst verzögerte sich bis zum Jahre 1876. Obwohl man sich auf die verhältnißmäßig sehr niedrige Bausumme von 300,000 Mark eingerichtet hatte, war diese doch nur mühsam zusammen zu bringen. In Wien waren von Freunden und Gönnern des Wagner’schen Unternehmens 100,000 Gulden gezeichnet worden. Da kam die große Finanzkrisis, und es blieben für Bayreuth nur 7000 Gulden. Diese Erscheinung wiederholte sich in allen Orten, und es bedurfte der größten Anstrengungen von Seiten Wagner’s und seiner Freunde, daß die von dem Dichtercomponisten seit Jahrzehnten gehegte Idee des eigenen Theaters nicht wieder bloß Idee blieb.

Die für das erste Festspiel ausgewählten Künstler verfügten sich schon im Sommer des Jahres 1875 nach Bayreuth und hielten dort Vorprobe. Das nächstfolgende Jahr machte dann Bayreuth zur wirklichen Feststadt und brachte seinen Namen in aller Leute Mund. Der interessanteste Abschnitt der damaligen Festspielperiode fiel in die Zeit der letzten Proben. Anders als diesmal waren bei ihnen Zuhörer zugelassen worden, fast lauter Musiker und künstlerische Leute. Da konnte man sich in Bayreuth um etliche Breitegrade weiter nach Süden versetzt glauben. Ein solches buntes, lebhaftes Treiben hatte die alte Frankenstadt lange nicht mehr gesehen; die Häuslichkeit siedelte auf die Straße über, und bis in die späte Nacht saßen in den Gassen fröhliche Menschen.

Der Ruf der einen Restauration von „Angermann“, nach der alle Welt hinstrebte und in der nur Wenige Platz hatten, drang damals bis in die amerikanischen Zeitungen. Vor dem Hause und in dem Hause entwickelte sich ein wahres Zigeunerleben. Man saß auf Tonnen und half sich, wie man konnte; als aber nach Beendigung der Proben die eigentlichen Zuhörer eintrafen, ward es für die bescheidene Stadt etwas schwierig, dieser plötzlichen Völkerwanderung Genüge zu leisten. Es gab kleine Unbequemlichkeiten in Quartier- und Verpflegungssachen, über welche manche Gäste ein großes Lamento erhoben. Bei dem diesmaligen Festspiel hat man sich die Erfahrungen des Jahres 1876 zu Nutze gemacht, und wir können Jedermann, der Lust hat einer Vorstellung des „Parsifal“ beizuwohnen, versichern, daß er bei billigen Ansprüchen auf Comfort Nichts vermissen wird. Bayreuth ist keine Großstadt wie Berlin, und Museen kann man daselbst nicht besuchen, aber es ist ein ganz anderer Ort als Oberammergau, das zur Zeit der Passionsspiele doch Zehntausende aufnimmt und versorgt. Wer nach Bayreuth reist, dem rathen wir, sich vorher durch Bestellung beim Secretär Ullrich einer Wohnung zu versichern; denn es ist, wenn auch nur als Ausnahme, vorgekommen, daß Gästen, welche jene Vorsicht unterlassen hatten, für ein einfaches Zimmer 20 Mark abverlangt worden sind. Auf dem angegebenen Wege erhält man gutes Logis zu vollständig civilen Preisen, und für Speise und Trank leisten siebenzig und etliche Bierwirthschaften die ausreichendsten Garantien. Besonders gut ist diesmal das Fuhrwesen in der Feststadt, namentlich die Schnelligkeit der Beförderung wäre für manche größere Orte als Muster zu empfehlen.

Einen wunderschönen Blick über die reichgefügte, waldreiche Landschaft, in welcher die Feststadt mitten drin liegt, hat man auf dem Hügel, der das Festspielhaus trägt. Von Bayreuth selbst ist es ungefähr fünfzehn Minuten entfernt und zu finden, ohne daß man fragt. Fortwährend wallen Pilger dort hinaus. Auch wenn nicht gespielt wird, bieten die Restaurationen am Theater einen angenehmen Aufenthalt. Steigt man einige Schritte höher, so kommt man in einen herrlichen Laubwald, aus dem man manchen schönen [552] Ausblick auf Gebirge und Aue thun kann. Zur Zeit aber, wo die Vorstellung beginnt, in der Nachmittagsstunde nach drei Uhr, bewegt sich die Straße dort hinaus ein wahrer Heereszug zu Wagen und zu Fuß. Alle Welt, Fremde und Einheimische, ergehen sich gerne auf dem Hügel vor dem Theater, wo man die interessante Gesellschaft, welche sich zu den Festspielen zusammengefunden hat, am bequemsten Revue passiren lassen kann. Extravagante Toiletten, schöne Figuren und charaktervolle Köpfe, Sehenswürdigkeiten aller Art bieten da dem Auge Stoff zu Betrachtungen. Die Festspiele von 1876 waren in dieser Hinsicht noch ergiebiger als die diesmaligen, bei denen sich die Fremdenmasse mehr zu vertheilen scheint. Damals wohnte auch Kaiser Wilhelm einem Cyclus von Vorstellungen bei. Einen außergewöhnlichen Fall bot damals auch die Fremdenliste unter dem Buchstaben P. Da stand unter Pietschen und Pauers ein Dom Pedro, Heimath: Brasilien, Stand: Kaiser. Der hohe Herr saß auch wirklich mit im Parquet, mitten in der Menge. Für gewöhnlich haben natürlich die fürstlichen Herrschaften ihre eigenen Plätze, wie im Uebrigen, so auch in der Fremdenliste. Unter den anwesenden Fremden ragt das musikalische Element, wie zu erwarten, hervor, ohne jedoch zu überwiegen. Innerhalb desselben bilden die unbedingt ergebenen Anhänger Wagner’s die Majorität. Sie nennen den Dichtercomponisten nur „Meister“. Der Antipathie gegen diese Bezeichnung hatten am Vorabend des diesmaligen Festspiels einige Berliner Schriftsteller, welche an der Bankettafel bei einander saßen, dadurch Ausdruck gegeben, daß sie unter sich eine Strafcasse errichteten, in welche Jeder eine Mark zu zahlen hatte, der einmal vom „Meister“ sprach. Sehr stark vertreten ist der Stand der Juristen.

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Autor: H. Kretzschmar
Titel: Aus Bayreuth, der Stadt der Parsifal-Aufführungen
aus: Die Gartenlaube 1882, Heft 35, S. 576–578

[576] Die Vorstellung des „Parsifal“ dauert von vier bis kurz nach zehn Uhr. Zwischen den einzelnen Acten sind aber so lange Pausen, daß Jedermann Gelegenheit hat, sich zu erholen und neue Kräfte zu schöpfen.Wer den „Lohengrin“ von Richard Wagner kennt, dem ist auch der Name des „Parsifal“ nicht fremd; denn in dieser früheren Oper wird Parsifal als der Vater des Lohengrin und als Hüter des „Gral“ erwähnt.

Wer oder was ist nun dieser Gral? Nach dem Glauben des Mittelalters ist es die aus einem kostbaren Edelsteine verfertigte Schale, aus welcher Christus das Abendmahl gespendet hatte, in welcher später (von Joseph von Arimathia) sein Blut aufgefangen worden war und die, von Engeln gebracht, in einem Tempel des fernen Ostens aufbewahrt wurde. Hier war eine Schaar erlesener Ritter zum Dienste des Grals versammelt, die auf seinen Befehl und unter seinem Schutze herrliche Thaten verrichteten. Der Gral spendete ihnen täglich Speise und Trank, wodurch die Ritter jung und unsterblich blieben. Der Charfreitag war der Hauptfesttag in der Gralsburg; an ihm kam eine Taube vom Himmel und brachte die heilige Oblate, durch welche die Kraft des Gefäßes auf ein frisches Jahr erneut wurde. Die Ritter des Grals hatten sich mancherlei Regeln zu unterwerfen, unter Anderem auch der Ehelosigkeit. Nur der Gralskönig durfte ein Weib haben.

In dieser Sage finden augenscheinlich Mönchsthum und Ritterthum eine gemeinsame Verherrlichung, und bei der Bedeutung, welche diese beiden Mächte im Mittelalter hatten, ist es natürlich, daß die Sage vom Gral eine große Anziehungskraft ausübte und daß sich die Poeten von Fach ihrer bemachtigten, sie ausschmückten, erweiterten und in ihre einzelnen Theile zerlegten. Es bildete sich um den Gral ein ganzer Kreis von Sagen; seine einzelnen Ritter wurden zu Helden besonderer Dichtungen, und namentlich die Schicksale und Thaten seiner Könige boten einen unerschöpflichen Stoff zu dichterischen Erzählungen.

Unter diesen Königen nun hat der Eine das Glück gehabt, von einem Dichter besungen zu werden, den Friedrich von Schlegel den größten Poeten Deutschlands genannt hat. Dieser König ist unser Parcival, und sein Homer war Wolfram von Eschenbach.

Wolfram, im Ansbach’schen, also in der Nähe von Bayreuth, geboren, lebte im Anfang des dreizehnten Jahrhunderts. Das genaue Datum seiner Geburt ist ebenso wenig bekannt, wie das seines Todes. Sein Hauptwerk ist aber der „Parcival“, eine Dichtung von ungefähr 24,000 Versen, die durch Karl Simrock, der sie in das heutige Deutsch übertrug, Jedermann zugänglich ist. Ihr Inhalt in einem kurzen Satze wiedergegeben lautet: wie Parcival König vom Gral wurde.

Wolfram schildert das Leben Parcival’s von dessen frühester Jugend an. Sein Vater, Gamuret, dessen Abenteuer ebenfalls berichtet werden, ist gestorben, ehe Parcival geboren wurde, und seine Mutter, Herzeloyde, zieht den Knaben in völliger Einsamkeit auf, damit er ja kein Ritter werde. Das Blut in ihm ist aber stärker als der Wille der Mutter, und eines Tages geht auch der sorglich gehütete, unerfahrene Knabe hinaus in die Welt, besteht die üblichen Fehden, klopft hier und da an: so z. B. am Hofe des König Artus, und gelangt endlich auch zur Gralsburg. In dieser liegt zu jener Zeit Amfortas, der König, an einer Wunde, die er zur Strafe für eine begangene Sünde erlitten, darnieder. Heilung ist ihm versprochen, wenn ein Fremder aus freien Stücken nach seinem Leiden theilnehmend fragen würde. Parcival aber, der von seinem Lehrer Gürnemanz gelernt hat, ein Ritter sollte so wenig wie möglich fragen, fragt nicht und bringt damit den Amfortas um die Heilung, sich selbst aber um hohe Ehren; denn dem fragenden Fremden ist die Königswürde beim Gral verheißen.

Diese Unterlassungssünde hat noch weitere schlimme Folgen für Parcival, die ihn zu einer jahrelangen kämpfereichen Irrfahrt treiben. In deren Verlauf geht aber mit ihm eine innere Umwandlung vor sich: er wird aus einem wilden, trotzenden Ritter zu einem frommen Menschen, der sich unter Gottes Fügungen beugt. Er gewinnt jetzt zu den Vorzügen der körperlichen Kraft [577] und Tapferkeit auch Seelengröße und einen geläuterten und gereiften Charakter und nun erscheint die Botin vom Gral, die ihn früher verflucht hat, wieder und verkündet ihm, daß er zum Gralskönig erwählt sei. Gleichzeitig hat ihn sein Weib Kondmiramues mit ihren während der Abwesenheit Parcival’s geborenen Zwillingssöhnen aufgesucht, und mit ihr hält er nun seinen Einzug in die Gralsburg.Wolfram erhebt sich in seinem „Parcival“ über die zeitgenössische Dichtung nicht blos durch die Lebendigkeit der Schilderung und die innigen Züge, mit denen er Personen und Ereignisse ausstattet, sondern vor Allem dadurch, daß er in den Kranz der Abenteuer, aus welchen sein Epos besteht, eine große, ethische Idee hinein gewunden hat. Das ist die Entwickelung seines Helden vom Manne der bloßen ritterlichen Etikette zum sittlich freien, edlen Menschen. An diese Idee hat Richard Wagner angeknüpft. Das Fragen, das theilnehmende Fragen des Wolfram’schen Parcival nennt Wagner „Mitleid“ und macht es zum Angelpunkt seines Drama „Parsifal“.

Die Geschichte des „Parsifal“ von Wagner ist im Wesentlichen dieselbe, wie wir sie soeben aus dem Wolfram’schen Epos wiedergegeben haben. Wagner mußte den Stoff natürlich vereinfachen und konnte von der reichen Ausbeute an Heldenthaten, welche Parcival bei Wolfram verrichtet, nur sehr geringen Gebrauch machen. Auch der große Kreis von Bekannten und Freunden, die mit dem Parcival im Epos in Berührung kommen, mußte im Drama auf eine geringe Zahl zurückgeführt werden.

Den Charakter des Parcival hat der Dramatiker im Ganzen so beibehalten, wie ihn der Epiker geschaffen. Auch Wagner’s Parsifal ist der unerfahrene, unverdorbene, herzensgute und kühne Jungling, ale den ihn Wolfram schildert. Wagner legt auf das Moment der Unerfahrenheit oder Thorheit ein so großes Gewicht, daß er sogar die Schreibart des Namens seines Helden darnach bestimmt hat. In Widerspruch mit allen Philologen, die „Parcival“ als einzig richtig erklären, hat Wagner sich die von Görres aufgestellte Variante „Parsifal“ zu eigen gemacht, die nach dem Persischen bedeutet „reiner Thor“.

Um die für das Drama nöthigen Conflicte und Gegensätze zu gewinnen, sah sich Wagner genöthigt, außer jenen erwähnten Vereinfachungen und Verkürzungen auch noch Umbildungen an dem von Wolfram und anderen Quellen gebotenen Stoffe vorzunehmen. Die wesentlichste besteht darin, daß er den Ritter Klingsor, der bei Wolfram nur eine Nebenrolle spielt, in den Vordergrund stellt. Dieser Klingsor, bei Wolfram ein harmloser adliger Sonderling, welcher auf seiner abgelegenen Burg, Schastelmarveil bei Wolfram genannt, allerhand Schabernack und Zauberspuk treibt, wird bei Wagner ein gefährlicher Feind des Gral. Seine Burg und die des Gral treten gegen einander wie Hölle und Himmel; bei Wagner spielt ein großer Kampf zwischen Klingsor und den Gralsrittern in dem Momente, wo Parsifal in die Handlung eintritt. Klingsor’s Armee besteht aus Frauen von teuflischer Schönheit, welche die Ritter des Gral berücken und einen nach dem andern in die Gewalt des Zauberers führen. Auch Amfortas, der König des Gral, hat sich seine Wunde dort geholt, im Garten des Klingsor. Der Sieg neigt sich auf des Letzteren Seite; das Gralsritterthum wird schimpflich untergeben, wenn auch Parsifal der Macht der Verführung unterliegt. Gegen ihn, den gefürchteten Anhänger des Gral, bietet Klingsor die Kundry auf. Diese Kundry ist bei Wolfram einfache Grafsbotin, bei Wagner ein Doppelwesen: im ersten Acte gehört sie zum Gral, im zweiten zu Klingsor. Parsifal widersteht ihr aber durch die Macht des Mitleids, welche ihm im Augenblicke der Versuchung das Bild des Amfortas vor die Seele ruft, der im gleichen Falle einst fiel und nun leidet. So wird Parsifal bei Wagner Gralskönig.

Die Handlung vertheilt sich in dem Musikdrama über die einzelnen Acte folgendermaßen: im ersten kommt Parsifal in das Gebiet des Gral und wohnt einer Feier des Liebesmahls auf der Burg bei. Die Herrlichkeit der Anemonia, ebenso die Leiden bes Amfortas lassen ihn scheinbar unberührt, und er wird deshalb wieder aus der Burg hinausgewiesen.

Der zweite Act spielt auf dem Zauberschlosse Klingsor’s. Als hier Kundry’s Künste an Parsifal machtlos abprallen, eilt Klingsor herbei und schleudert nach jenem einen Speer. Dieser Speer gehört unter die heiligen Reliquien des Gral und ist von Amfortas, als dieser auf demselben Platze, wo jetzt Parsifal steht, dem Sinnentaumel erlag, an Klingsor verloren worden. Parsifal wird von dem Speere nicht getroffen, sondern ergreift ihn und schlägt mit demselben gegen Klingsor das Zeichen des Kreuzes. Daraufhin sinkt die ganze Zauberpracht krachend zusammen. [578] Der dritte Act führt uns wieder auf die Gralsburg zurück. Jahre sind verflossen, und mit den Gralsrittern geht es zu Ende, da Amfortas, um seinen Tod zu erzwingen, seit jenem Tage, wo Parsifal dem Abendmahle zugesehen hat, nicht wieder den Gral enthüllt hat. Da trifft Parsifal wieder ein, wird erkannt, zur Burg geleitet, zum König gesalbt und tritt sein Amt an, indem er Amfortas heilt und erlöst und den Gral wieder enthüllt.

Dies ist in den Hauptzügen der Inhalt des Wagner’schen „Parsifal“. Aus dem vom Hause aus wenig dramatischen Stoffe hat Wagner ein Bühnengedicht geschaffen, das neben manchen unbegreiflichen und verwunderlichen Momenten viele große und ergreifende Züge zeigt.

Die Musik hebt einzelne Partien hoch heraus. Namentlich gilt dies von den beiden Scenen der Abendmahlsfeier im ersten und der sogenannten Scene der „Blumenmädchen' im zweiten Acte. Bei jener hat Wagner zu dem an und für sich schon imposanten Apparate von dreifachen Chören, von Soli und Orchester noch ein Glockengeläute hinzugezogen, das bei den ersten Darstellungen allerdings sehr verstimmt war. Die Scene der Blumenmädchen leitet an die dramatisch wichtige Stelle, wo Parsifal verführt werden soll. An dramatischer Beweglichkeit und sinnlichem Reiz ist sie die stärkste Stelle des ganzen Werkes und ihre Erfindung und ihre Ausführung erregte das ungetheilte Erstaunen aller Zuschauer. Neben diesen beiden Hauptpunkten tritt noch eine Reihe von rein lyrischen Stellen hervor, die durch Schönheit und Charakter der Musik fesseln. Vor Allem gehört darunter die sogenannte „Blumenaue“ im dritten Acte, ein rein idyllisches Intermezzo des Orchesters, während dessen Parsifal seine Freude über den Zauber der vor ihm im jungen Frühling prangenden Landschaft äußert. Verwandt nach Art und Wirkung sind hiermit noch die Stellen, wo Kundry dem Parsifal von seiner Mutter erzählt, eine andere, wo der von Parsifal erlegte Schwan beklagt wird, und die ausgeführteren Instrumentalsätzchen, während welcher der kranke Amfortas durch den Wald zum Morgenbade getragen wird.

In den eigentlichen recitativischen Partien steht der „Parsifal“ hinter den letzten Musikdramen Wagner’s zurück, und die für das System des Componisten so wichtigen Leitmotive fungiren hier wieder mehr wie in seiner ersten Zeit als äußerer Mechanismus; sie werden mit der Weiterführung der Handlung nur wenig in organischer Weise entwickelt.

Das Eine glauben wir constatiren zu dürfen, daß eine Aufführung des „Parsifal“ für Jedermann, was er auch sonst über Richard Wagner und seine künstlerischen Tendenzen denken mag, viel Interessantes bietet. Die Ausstattung und Ausführung des Werkes verdient eine ungetheilte Bewunderung. Die scenischen Bilder, welche geboten werden, gehören zu den stilvollsten und schönsten, welche die Geschichte des Musikdramas kennt, und die Ausführung der Orchesterpartien geschieht in würdiger Weise durch die Münchener Hofcapelle unter Leitung von Hermann Levi. Wie für diesen ist auch für die Sänger ein Ersatz bereit: die hervorragendsten Partien sind sogar dreifach besetzt, und zwar von Künstlern, die verdienten Ruf haben, wie Fräulein Brandt, Frau Materna, die Herren Hill und Scaria. Auch für untergeordnete Nebenrollen sind Künstler von der Bedeutung des Herrn Kindermann verfügbar.

H. Kretzschmar.