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Aufruhr

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Arthur Holitscher
Illustrator:
Titel: Aufruhr
Untertitel:
aus: Die Aktion : Wochenschrift für Politik, Literatur, Kunst. 9. Jg., Nr. 8/9 (1. März), Sp. 119–120
Herausgeber: Franz Pfemfert
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1919
Verlag: Verlag Die Aktion
Drucker:
Erscheinungsort: Berlin-Wilmersdorf
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: [1]
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[119] AUFRUHR

Von Arthur Holitscher

Kamerad, wo ist mein Platz?
Kamerad, wo ist der meine?
Der meine wo?
Her die Hände – Federfuchser du, dein zerbeulter Mittelfinger vom Druck des Kiels verhärtet – Sklave der Metalldrehbank, braune Schwielen, von Ölrinnen durchfurcht, und du – Büchsenspanner, hornige Kruste im Bug vom Daumen zum Zeigefinger – eure Hände! Hände der Qual, zerbissene Nägel, verblaßte, muskeldurchblutete, im Krampf erstarrte – schlagt ein! Ihr alle – eins unser Amt: Kampf!!

Nicht will ich eure Gesichter sehn. Wiegen nur eure Hände in den meinen. Auge in Auge sei vergessen: Der Mensch ist nicht gut – Bestie ist der Mensch – Kampf, Kameraden, Kampf gegen den Menschen! Her die Fäuste! –

Tot sind unsre Teuren!
O Haupt voll Blut, zerschmettert von Schlägen und von Schüssen!
O Haar, grau und wirr, Hirnklumpen in den Strähnen klebend, Speichel niederrinnend über die weiße Stirne!
Ihr aus dem Volk, hörtet ihr es nicht? Wo verkroch sich der Schrei der Erde? Gotteswort erdröhnend aus den Urtiefen? Hosianna der Meute war nur zu hören, gellend lief es durch die Stadt des Bürgers: gelobt, gelobt!
Stumm – o stumm ihr vom Volk, littet ihr das Letzte!
Nun ist die Zeit um – erkennet euren Tag. Stoßt vorwärts. Von Tür zu Tür, durch der Häuser Flucht, stürzend rase der Weg des Schreies:
Tot!
Und in die Nachbartür: Tot!
Und in die Nachbartür: Tot!
Die Stadt dröhne wider, Zimmer um Zimmer der Ärmsten, Gemach um Gemach, darin die Ärmsten von Morgen sich im grinsenden Schweiß der Ahnung in die Ecken pressen – dröhne wider die Stadt Tür bei Tür vom Wehschrei: Tot! Klage, Volk, tot sind die Helden, die Teuren unter den Menschen, erschlagen, ausgelöscht. Brüder, Hand in Hand und Stirn bei Stirn weinet: Tot sind unsre Liebsten!

Zweitausend Jahre sind nur ein Atemzug der Religion. Hundert nur ein Herzschlag der Freiheit. Aber wir – unser Leben zählt nach Tagen und sie erschlugen uns die Hoffnung. In unsere Seelen sausten ihre Kolbenschläge, die Liebe haben sie zertrümmert in unseren Seelen –

Kampf, Kameraden! Ergreift die Gewehre! Der Wehschrei gehe weiter, gefaßt, als Losungswort, als Signal: Tot! Blüte des Geistes, erlösche. Blut schieße auf aus Urschacht. Der Gedanke ruft. Der Gedanke schreit nach Opfer – sei du’s, seien wir’s.
Die Menschheit ist nicht reif – in den Brutofen des Gedankens mit ihr! Heizt den Ofen mit Blutinbrunst, rasendem Kampfruf, wütendem Auflachen der Erkenntnis. Euer Idol: Mensch! euren Götzen von gestern, werft ihn in die Flammen, daß die Glut steige – schreie Seele: Irrwahn! Irrwahn!! Bestie der Mensch – schlagt die Bestie nieder!
Ich sehe – an allen Straßenecken sehe ich die Scheiterhaufen lodern, auf denen unsre Schrift sich im Verglühen krümmt. Zum Haufen mit den Fetzen, iß, Feuer, die Makulatur. Wie zischt die Flamme listig auf, wenn in Kohlenschrift verglühend, verprasselnd das Wort erscheint: Liebe zum Menschen.
Deine Hand über die Flammen, Kamerad! Es ist Winter! Klamme Hand mag nicht die Waffe führen! Bis die Hand sich durchwärmt, bis der Büchsenlauf von Schüssen glüht – wärme deine Faust, Kamerad, an dem verglimmenden Schein des Wortes: Menschenliebe!
Glaube es mir: der Großinquisitor liebte den Gefolterten als seinesgleichen. Du liebe den Menschen als seinen Richter. Über den Leib, den marmorngesprenkelten, neige dich ohne Träne, seufzerreich, mit gerührtem Blick, wispere zum Gefällten: atmest du? atmest du noch –

Die Toten hören es, wenn du noch so leise: Bruder zu ihnen sagst. Den Lebenden mußt du’s brüllen und sie verhöhnen dich, jagen den Schall in den Wind um ihr Rauschgelüst, in den Wind.
Bis einst Gesang ertönt, bis einst die befreite Kehle zur Sonne sich öffnen darf, verschließ’ den Ton in deiner Brust, Kamerad. Über weite Felder werden wir gehn, Hand in Hand, und uns wieder in die Augen blicken dürfen, erkennend den Nächsten, den Menschen unter dem Rot des Abendhimmels. Wir, wir, die uns verstehn, nach getanem Tagewerk uns keuchend trafen, befreit und allein! Brüder! wird unser Gesang sein und: Mensch! und: Liebe! und keiner mehr auf weiter Erde, der das Wort nicht verstände – und keiner, den es wieder aufzuwecken vermöchte zum giftigen Widersacher.
Den Stein auf die Bestie, Kamerad. Zermalme sie, die Menschenantlitz vortäuscht, und dann – nieder auf die Knie! Hand in Hand, hornige Kruste im Daumenbug jeder Faust, die die Nachbarfaust ergriffen hat zum Dankgebet nach göttlich vollbrachtem Schöpfungswerk!

Weine, Bruder! Denn du begrubst dich längst, eh’ du die Hand des Bruders in die deine nehmen durftest. Eh’ du aufriefst aus dem Aufruhr deines vernichteten Glaubens, aus der tiefsten Verzweiflung, der letzten, fürchterlichen Ohnmacht vor dem Versinken. –
Du bist tot – du bist es, der tot liegt, erschlagen vom Kolbenschlag der Bestie, bespien vom bitteren Speichel dein Tiefstes – räche dich! Räche das Tiefste, das Beste in dir, das Zarte, das Unvergängliche, das Unwiederbringliche, damit du einst auferstehen könnest am Beginn der Tage!